1. Maria

[280] Ick weet eyne maget schone

de draget den hogesten prys.

we ringet na eren lone

de is van dogenden wys.

by er synt ander frouwen

eyn dorneken anger ouwe

by eynen lilien rys.


Er reine wyflike belde

er kuscheit is so groit

dat syk eyn eenhorn wilde

syk gaff in eren schoot

dat was so starker krefften

dat in der meister scheffte

den hemel ok nicht en beslot.
[280]

Von sternen glans eyne kronen

de draget se wolgedaen;

he sach se in den trone

de vorste ocktaviaen

in hemel schoner wune

gekledet mit der sune

er voitchemel was de mane.


Eyn lam in kyndes wyse

an eren brusten lach

dat was de olde ryse

he schoip den ersten dach.

he was eyn manlick ridder.

syn leven wort em bitter

dorch syn ungemack.


Syn herte wort em dorstecken [dorvuret(?)]

mit eynen steilen speer

dar mede heft he versturet

de helle und al er heer.

he verlosede de gefangen.

er leit was em vergangen,

wal uns der lewe mer!
[282]

He stont up uth dem grawe

der edele vorste gudt

mit synes kruzes stave,

syne wunden weren em roit

want he mit groiter eren

tom hemel wolde keren.

verwunen was de doit.


He is to hemel gefaren

mit also groter macht.

eyne also groten schare

heft he myt em gebracht.

de hemel was geslotten,

he steit uns allen oppen.

wal em, wer dar komen mach!


He syttet in den trone

to synes vaders hant

em syngen de engeln schone

sanktus den soiten sank

sanktus deus sabaoth

eyn hillich mensch und darto god

Christus is genant.

Fußnoten

1 Diese beiden schönen Dichtungen wurden mir in alter Abschrift von einer Freundin geschenkt und durch mich dem Hrn. Rath Schlosser gegeben, der sie in seinen »Liedern der Kirche aus allen Jahrhunderten« gab. Meine Umsetzung ist um zehn Jahre älter als die seine.


Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 280-284.
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Ausgewählte Ausgaben von
Lieder (Ausgabe von 1879)
Lieder: Ausgabe von 1879
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