Der Wettstreit um die Krone

[190] Eine Fabel.


1.

Todkrank lag der Löwe, der alte König der Thiere,

Und er entbot sie alle zu sich zum festlichen letzten[190]

Reichstag, daß sie den Erben zu ihrem Könige wählten.

Alle Thiere gehorchten; sie ehrten des Königes Willen,

Und mit Freudegeschrei ward Kronprinz Leo gewählet.


Doch kaum waren geschlossen des alten Königes Augen

Und er zur Erde bestattet, so gährt' ein heimlicher Aufruhr.

Falsche Räthe des Reichs (der König hatte die Falschen

Ueber die Maaße begnadet und hoch zu Ehren erhoben),

Diese sucheten jetzt ein freies Leben; sie wünschten,

Selbst zu schalten; es sollte fortan kein Löwe regieren.

»Denn wie grausam,« murmelten sie, »beherrschte der Löw' uns!

Wer ist sicher vor ihm? Er würgt unschuldige Thiere.«


Und das Gemurmel verbreitete sich. Die Stände des Reiches

Waren getheilt: Die wollten den jungen Löwen, und Jene,

Weit die Mehreren, wünschten, ein Neues jetzt zu versuchen.

Und sie versammelten sich. Da trat ein Redner, der Fuchs, auf,

Räusperte sich und sprach: »Des Reiches hohe Genossen,

Höret mich an! Ihr kennet die Noth, die Sorge des Reiches,

Wißt, in welcher Gefahr, in welchem Joche wir lebten

Unter des Löwen Geschlecht; was darf's vergeblicher Worte?

Seinen Grimm, sein Toben, den Zahn des würgenden Königs,

Seinen Stolz, sein Drohen, wer ist von Euren Geschlechten,

Der's nicht kennte! wir beben noch jetzt vor der Stimme des Todten.

Auf! und lasset uns wählen den Werthsten unsrer Genossen,

Der nicht grausam und stolz, der keinem Genossen ein Leid thut,

Arbeitsam, geduldig, so wie's dem Könige ziemet,

Läßt auch Andere sein, wozu die Natur sie gemacht hat,

Ueberhebet sich nicht, ist mit Geringem genügsam,

Und, Ihr Brüder, er ist von Gott zum König erschaffen;

Denn er träget an sich ein heiliges Zeichen.« »Wer ist er?«

Riefen sie Alle; »wer ist's?« Da zeigt' er ihnen mit Ehrfurcht

Auf des Esels Rücken das heilige Kreuz. Sie erstaunten,

Fielen hinzu mit großem Geschrei: »Wir haben gefunden

Unsern König, vom Himmel uns selbst zum König erkoren,

Weltliches Reich und geistliches Reich zu regieren geschaffen.

Schaut die Ohren! zum Beicht- und Klaganhören erhöhet!

Hört die Stimme! (Erhebe die Stimm', ehrwürdiger Esel!)

Wer kann singen wie er? wer redet ans Herz so gewaltig?

Wer ruft muthiger aus? wer kann allmächt'ger gebieten?[191]

Nichts ist an unserm Bruder, das nicht die herrlichsten Ehren,

Papstes und Königs Ehren, verdient. Und sehet das Kreuz da!«


Alle sahen das Kreuz und fielen nieder und riefen:

»Heil dem Könige, Heil dem gottgegebenen Esel,

Ihm, dem Mehrer des Reichs!« So war er zum Fürsten erwählet!


2.

Traurig und elend ging der junge Löwe, der Arme,

Jetzt ein verstoßner Wais', aus seinem erblichen Reiche

In die Wüste. Da fanden zu ihm sich wenige fromme,

Alte, getreue Räthe; sie schmerzt' der schimpfliche Handel;

Sein erbarmten sie sich. »Das hat,« so sprachen sie Alle,

»Euer Vater um uns wol nicht verdienet! Und muß es

Gehen im Reich, wie der Fuchs und seine Gesellen es wünschen?

Nicht die Ehre des Staats, sie wünschen nur ihre Gelüsten.«


Und sie ermahneten sich und baten die Stände des Reiches

Flehend zusammen: »Wir haben ein Wort der äußersten Nothdurft

Vorzutragen; o kommt!« Sie kamen und waren versammelt.


Und der Aelteste sprach, ein treuer Rath von des alten

Königes Hofe, der Hund. Er sprach bedächtige Rede:

»Thaten wir recht, Ihr Brüder, da wir den Esel erwählten?

Haben den alten Herrn wir nicht im Grabe beleidigt?

Was da gleißet, ist es auch Gold? Auf dem Rücken des Esels

Stehet das Kreuz – ein Schein! Und Schein betrüget die Welt ja!

Seiner Tugenden hatte der Löw' uns viele bewiesen;

Welche Thaten der Esel gethan, das saget mir, Brüder!

Daß er ein Kreuz trägt? Seht, ein Bild, von Holze gezimmert,

Mag es tragen wie er. Und lasset Krieg sich erheben,

Auf dem Rücken des Esels, was hülfe das eitele Kreuz uns?«


Also der Hund. Es bewegte die tapfre Rede des Hundes

Alle. Der Fuchs allein und seine Gesellen, sie riefen:

»Willst Du den Reichsschluß ändern? Beschlossen ist es, beschlossen!«

Aber der Hund stand fest und drang mit mächtigen Worten

Auf die Thaten des Löwen und auf das eitele Kreuz ein.

Endlich vereineten sich des Reiches beide Parteien

Dahin: es sollte der Löw', es sollte der heilige Esel[192]

Mit einander kämpfen ums Reich; wer gewönne, der herrsche!

Anders könnt' es nicht sein; es sei der Esel erwählet!


Freudig brüllete jetzt der junge Löwe; es wuchs ihm

Wieder das Herz; auch freuten sich hoffend alle Getreuen.

Nur der Fuchs und seine Gesellen, mit hangenden Schwänzen

Schlichen sie weg; sie versahen sich kaum von ihrem Erwählten

Höhere Ritterthaten als Distelfressen und Winde.


3.

Als die Stunde begann, die dem hohen Kampfe geweiht war,

Standen die Thiere versammelt; der Fuchs beim Esel; dem Löwen

Blieb der getreue Hund zur Seite. »Wähle den Kampf Dir!«

Sprach der Esel. »Wolan!« antwortet' der muntere Löwe;

»Wer springt über den Bach, der in unsrer Mitte dahinfließt,

Daß er den Fuß nicht netzt? Deß sei der Thron und die Herrschaft!«


Sprach's und holete aus. Wie ein leichter Vogel dahinfliegt,

War er hinüber den Bach und stand frohlockend am Ufer.


»Wagen gewinnet!« sagte der Fuchs. »Und Wagen verlieret!«

Sprach der Esel. »Wolan! – Wir waren, dächt' ich, bisher auch

Keine Könige! Auf!« Der Esel sprang. Wie ein Klotz fällt,

Lag er in Mitte des Bachs und steckt' im Schlamme. Der Löwe

Rief am Ufer: »Wolan! wo sind die trockenen Füße?«

Alle Thiere lachten; mit Mühe watet' der Esel

Aus dem schlammigen Bach. Doch seht, was Glück und die List thut.


Eben war dem Springer ein schwimmendes Fischchen im Ohre

Hangen geblieben; der Fuchs bemerkt es. »Schweiget und höret!«

Spricht er. »Wo sind sie nun, die des Kreuzes heiliges Zeichen

Schnöde verachten? Und glaubet Ihr denn, es hätte der Esel,

Unser König und Herr, nicht auch wol können den Sprung thun,

Hätt' er gewollt? Er wollt' Euch höhere Tugend erweisen.

Schauet den Fisch! den sah er im Sprung und fing mit dem Ohr ihn;

Thu' es der Löw' ihm nach und nehme den Thron und die Herrschaft!

Aber ich sorg', er wird es mit offenem Rachen und allen

Klauen wol nicht versuchen, geschweige, daß er's im Sprung thut.«[193]

Also der Fuchs. Es erhob ein Gemurmel unter der Schaar sich,

Und den Hund verdroß es; er bellte zürnend den Fuchs an,

Ihn, den Unverschämten, der also narrte die Stände.

Aber die Stände waren geduldig; und daß nicht ein Aufruhr

Würde, so ward von Allen ein friedliches Mittel erwählet.

Esel und Löwe sollten in Reiches sicherm Geleite

Beide gehen allein und enden den Kampf um die Krone.


4.

Esel und Löwe gingen in Reiches sicherm Geleite

Neben einander ins Holz. »Wer fängt das behendeste Thier hier?«

Sprach der Löwe. Der Esel in trägem Sinne gedachte:

»Das macht mir der Mühe zu viel!« und legte sich nieder

In die Sonne. Da lag er und streckte die lechzende Zunge

Aus dem Munde. Siehe, da kommt ein Rabe, der hält ihn

Für ein verlechzetes Aas; er flieget näher und setzt sich

Auf die Lippe des Aases; der Esel schnappet und faßt ihn.

Indeß kommt der Löwe mit freudigen Sprüngen; er hatte

Einen Hasen erjagt und sieht im Maule des Esels

Einen Raben; er stehet verwirrt, der betrogene Löwe,

Und fast grauet ihm selbst vor der Macht des heiligen Kreuzes.

»Auf denn, lieber Esel! noch Eins für gute Gesellen!«

Spricht er; »der guten Dinge sind drei. Entscheide das Dritte!

Jenseit diesem Berge dahinten steht eine Mühle;

Kommst Du der Erste dahin, sei Dein der Thron und die Herrschaft!

Willst Du über den Berg, so will ich unten umherziehn!«

»Geh Du über den Berg,« so sprach der Esel und blieb da

Stehen. Der Löwe lief, was er vermochte zu laufen.

Aber der Esel sprach: »Wozu dies Laufen? Es schaffet

Müde Beine mir nur und bringt am Ende mir Spott ein.

Gönnt er die Krone mir nicht, wozu die vergebliche Mühe?«

Also blieb er und stand. Der Löwe streichet im Fluge

Ueber den Berg und kommt mit keuchendem Athem zur Mühl' an. –

Siehe, da stand ein Esel, so ähnlich jenem, als wär' er's

Selbst; es war sein Bruder. »So hat Dich der Teufel auch hier schon!«

Rief er; »wolan, zurück zum vorigen Orte!« Der Löwe

Wandte sich, eilte zurück und fand den Esel auch da stehn;

Denn der hatte sich nicht von seiner Stelle gereget.[194]

»Esel hier und dort, und allenthalben der Esel!«

Sprach er. »Gewonnen dann! Ich seh', das heilige Kreuz hilft.«


Aber es half ihm nur durch eigne jähe Verblendung.


5.

Königlich brüstete sich der übermüthige Esel.

»Mein ist,« sprach er, »anjetzt auf Kindeskinder die Herrschaft;

Dienen sollen mir alle, mir alle Thiere gehorchen!

Indeß ruh' ich im Schatten, genießend köstliche Speise,

Zeuge Königsgeschlecht (der Eselinnen die Menge

Stehen zu meinem Gebot) und sterb', ein friedlicher König.«


Das nun hörte der Hund, des Löwen treuer Gefährte;

Nachgeschlichen war er und sah den närrischen Zufall,

Der den Esel erhob und den jähen Löwen bethörte.

Eilig lief er und bellt' und trat vor die Pforte des Müllers,

Dessen Stalle (das hatt' er vernommen) der Esel entflohn war,

Bellte den Müller heraus und führt' ihn zupfend am Kleide

Ueber den Berg. »Da hast Du, o Mann, den entflohenen Sklaven,«

Sprach er; »er hat sich eben als unsern König geträumet.«


»König?« sprach der Müller. »Zurück zu Deinem Geschäfte,

Träger! Es sind der Deinen genug in unserm Geschlechte!«

Also trieb er ihn fort; und der edle Löwe regieret.


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 190-195.
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