Abschied von Hamann

[427] 8. Juni 1764.


»Ich geh' mit Gott! lebt wohl!« So geh mit Gott

Und fahr ins Land des Glücks!

Vor Dir gehn Wünsche, über Dir die Wolken

Des Herrn und um Dich Ruh.


Dir nach Dein Genius, vor Engelsglanz

Unsichtbar, der Dich leit'

Mehr als Helenens Bruder! – Deiner Seele

Der einz'ge Bruderfreund!


O, hell entwölkt er Deines Raths Gewölk,

Das Deine Schläfe selbst

Umschlei'rt und mir und jedem Thor von außen

Ein Zauberdunst fast dünkt!


Ach, unsers Seins Maschineninnerstes,

Wer kennt's? Urtheiler, Du?

Ich fühl's, nicht weiß ich's; denn von Trieb und Ahndung

Wird Herz von Menschenfleisch


(Frech und verzagt) gespornt bald, bald gezäumt;

Doch Glück und Unglück liegt

Im Schooß des Wolkengotts, deß Meer und Erden

Stets sind, vor und nach Dir!


Der auch die Taube hört, die, schwach, verirrt

Vom Land, ins Schiff sich wagt

Und Speise girrt. Auch Deine Pfingstgebete

Hört er im Bauch des Meers.


O, rühr denn meine Lippen, Genius,

Daß ich vorm Altar bet'

Mit ihm, daß er, verlör' er Laub und Alles,

Sich hab' und seinen Gott!


Du dort, ich hier, mein Hamann! Gott in Hand

Wol bald vereint; doch – wenn,

Wenn Alles bricht und stürmt – das Vorgebirge

Der Hoffnung sei Du, Tod!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 427-428.
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