Amor, der den Bogen spannt

[141] Auf wen, o Knabe, rüstest Du den Bogen,

Den mächtigen? Entrüstet prüfst Du ihn.

Wer hat zum Kampfe Dich herausgezogen,

Dich, den die Tapfersten vorsichtig fliehn?

Der Thörichte! ihn hat sein Herz betrogen;

Das schwächste Herz ist oft am Meisten kühn.

Bald wird er, seinen sichern Stolz zu büßen,

Den zweiten Pfeil von Dir erflehen müssen.


Wolan, o Knabe, zeuch hinaus zum Siege!

Den schlausten Heuchelnden besiege Du;

Dann wähl, ich bitte, statt der losen Kriege

Ein ander Spiel und gönn uns unsre Ruh!

Damit die Lieb' in holde Träum' uns wiege,

Bind Du der Psyche Augen liebreich zu,

Daß wir, vergessend uns, wie Du erblinden

Und schöner uns in Andern wiederfinden!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 141.
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