1. Der Knabe mit dem Mantel
Ein Rittermährchen
Englisch

[113] S. Reliq. Vol. III. p. 1.


Am dritten Maien

In Karlil kam

Ein art'ger Knabe

Bei Hofe an.


Ein'n Gürtel und Mantel

Der Knabe hatt' an,

Mit Ringen und Spangen

Reich angethan.


Eine Schärpe von Seiden

Am Leib' er trug,

War artig, bescheiden,

Und schien gar klug.


»Gott grüß dich, König Arthur,

Bei deinem Mahl,

Wie auch die gute Königin,

Und Euch ihr Gäste all!


Ich sag euch, ihr Herren,

Seyd auf der Hut:

Wer jezt sein'r Ehr' nicht sicher ist,

Dem gehts fürwahr nicht gut!«


Er zog aus der Tasche,

(Was hatt' er drein?)[113]

Er pflückt heraus ein Mäntelchen

Aus zwo Nußschalen klein.


»Hier hab's, König Arthur,

Hier hab's von mir!

Gib's deiner schönen Königin;

Und wohl bekomm' es ihr!


Es steht keiner Frauen,

Die Treu nicht hielt –«

Ha! wie jed'r Ritter in Königs Hall

Stracks auf die Seine schielt.


Die Kön'gin Genever

Trat stattlich auf;

Der Mantel ward ihr umgethan –

O weh, was folgte drauf!


Kaum hatt' sie den Mantel,

Als sich's närrisch begab,

Sie stand, als mit der Scheer geschnitten,

Ringsum geschnitten ab.


Der Mantel verfärbt sich,

Der Mantel wird grün,

Wird kothig, wird schmuzig;

Gar übel es schien.


Jezt war er schwärzlich,

Jezt war er grau.

»Mein' Treu', sprach König Arthur,

Mit dir stehts nicht genau.«


Ab warf sie den Mantel

So niedlich und fein,

Und floh, als wie mit Blut begoss'n,

In ihre Kamm'r hinein;
[114]

Flucht Weber und Walker,

Der das ihr gemacht,

Flucht Rach' auf den Jungen,

Der'n Mantel gebracht:


»Lieber im Walde mögt' ich seyn

Unter dem grünen Baum,

Als hier so beschimpfet

In Königs Raum!«


Sie ruft ihrer Dame

Zu kommen näh'r:

»Madam, mit Euch stehts auch nicht recht!

Ich bitt Euch, haltet her.«


An kam die Dame

Mit kurzem Tritt,

Grif drauf nach dem Mantel –

Wie ging's ihr damit?


Kaum hatt' sie den Mantel,

Als es geschah,

Sie stand ganz Mutterfadennackt

Vor allen Gästen da.


Jeder Herr Ritter,

Der dabei saß,

Wollt' fast sich zerlachen

Bei solchem Spaas.


Ab warf sie den Mantel

So niedlich und fein,

Und floh, als wie mit Blut begoss'n,

Zu ihrer Kammer hinein.


Ein alter Ritter

Hinkt nun heran,[115]

Und weil sein Glaube nicht bieder war,

Schleicht er zum kleinen Mann;


Bot zwanzig Mark ihm

Blank und baar,

Wollt' frei ihn halten

Die Christmeß gar:

Nur daß sein Weib im Mäntelchen

Je nur bestünde klar.


Kaum hatt' sie den Mantel

Sich angethan,

Hier 'n Lappe, da ein Plunder

Hing närrisch dran.

Die Ritter zischten allesammt:

»Nun der wirds übel gahn!«


Ab warf sie den Mantel

So niedlich und fein,

Und floh, als wie mit Blut begoss'n,

In ihre Kamm'r hinein.


Kraddock rief sein Weibchen,

Ruft's sanft herein,

Sprach: »Frau, gewinn dies Mäntelchen;

Dies Mäntelchen ist dein!«


Sprach: »Frau, gewinn das Mäntelchen;

Dies Mäntelchen ist dein,

Wenn du dich nie vergassest,

Seit dem du warest mein.«


An hat sie den Mantel,

Und weh, ach weh!

Er rollt sich zusammen

Zum grossen Zeh.
[116]

Sprach: »garstiger Mantel,

Beschäme mich nicht!

Ich will's erzählen,

Worans gebricht:


Ich küßt' Lord Kraddock

Im grünen Hain,

Ich küßt' einmal Lord Kraddock,

Eh wir noch waren Ein.«


Kaum hatt' sie gebeichtet,

Die Sund'bekannt,

Da stand der Mantel Lobesan

Ihr nett an und galant.


Er glänzt an Farbe

Wie Gold so schön.

Jeder Ritter an König Arthurs Hof

Mit Augen thät er's sehn.


Ein schrie Frau Genever:

»Herr König, nein!

Hat die den Mantel?

Das kann nicht seyn!


Sieh doch die Dame;

Die brennt sich rein,

Und ließ wohl funfzehn Männer

In ihre Kammer hinein.


Ließ Pfaffen und Schreiber

Zu sich herein;

Und seht doch, nimmt den Mantel,

Und brennt sich weiß und rein!«


Der Knab' mit dem Mantel

Sprach: »König, sieh![117]

Dein Weib schändiret;

Züchtige sie!


Sie ist ein' Hure,

Bei meiner Treu!

Herr König, in eurer eignen Hall

Seyd ihr ein Hahnenreih!« –


Der kleine Knabe

Zur Thür' aussah,

Und sieh! ein grosses wildes Schwein

War g'rad im Walde da.


Er zog ein Messer

Von Holz heraus;

Und wer war schneller

Vor Königs Haus?

Bracht' flugs den wilden Schweinskopf

In König Arthurs Haus.


Legt stattlich den Schweinskopf

Wohl auf den Tisch:

»Wohlan, wer nun kein Hahnreih ist,

Derselb' trenschire frisch!«


Das Wort den Herren

Ging übel ein.

Sie puzten und wezten

Ihr Messerlein;

Theils liessen's fallen,

Und.hatten kein'.


Ging ans Trenschiren,

Ging rings herum;

Die Messer, die bogen

Sich schändlich um:

Die Spize, die Schneide

War lahm und krumm.
[118]

Lord Kraddock hatt' ein Messerchen

Von Eisen und von Stahl;

Er ging an wilden Schweinskopf,

Zerlegt ihn all und all,

Und präsentirt die Schnittchen

Den Herrn in Königs Saal. –


Der Knab' hatt' von Golde

Ein schönes Horn;

Er sprach: »Da ist kein Hahnreih,

Der trinkt aus diesem Horn!

Er muß sich beschütten

Von hinten, oder vorn.«


Die Herren probierten,

Doch gar nicht fein –

Dem kommts auf die Schulter,

Dem kommt's aufs Bein,

Und wer dabei sein Maul noch braucht,

Fliegts ins Gesicht hinein –

Und kurz und gut, wer Hahnreih war,

War's jezt bei Tagesschein.


Das Horn gewann Kraddock,

Den Schweinskopf dabei;

Sein Weib gewann das Mäntelchen

Für ihre Ehetreu.

Geb Gott, ihr Herrn und Damen,

Daß euch so gut auch sey![119]

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Stimmen der Völker in Liedern. Stuttgart 1975, S. 113-120.
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