7. Die Chevy-Jagd
Englisch

[315] S. Reliq. Vol. 1. p. 1. Dieß Stück ist die berühmte älteste Englische Ballade, die auch in der Uebersetzung nicht gar zu glatt erscheinen konnte, sollte sie das, was sie ist, einigermassen bleiben. Die Chevyjagd die der Zuschauer zergliedert, ist schon eine spätere Nachbildung, die, wie Percy zeigt, in den meisten Stücken dieser ältern weit nachstehet. – Es thut mir leid, daß ich nicht auch den jüngern Percy aus den Zeiten der Elisabeth, oder den Aufstand in Norden hier geben konnte, weil die Romanze zu lang war. Es herrscht eine so sonderbare Treuherzigkeit in der lezten, als rauher Heldenmuth in der ersten; beyde machen wehmüthig traurig.


Der Percy aus Northumberland

Einen Schwur zu Gott thät er,

Zu jagen auf Chyviaths Bergen,

Drei Tag' lang rings umher,

Zum Trutz dem Ritter Duglas,

Und wer je mit ihm wär.


Die fettsten Hirsch' in ganz Chiviat

Sprach, wollt er schiessen und führen ihm weg: –[315]

Mein' Treu! sprach Ritter Duglas,

Ich will ihm weisen den Weg.


Der Percy dann aus Banbrow kam,

Mit ihm eine mächtge Schaar:

Wohl funfzehnhundert Schützen kühn

Aus drei Bezirken dar.


Es begann am Montag' Morgen,

Auf Chiviats Hügeln hoch:

Das Kind wehklags, noch ungebohrn!

Es ward sehr jammrig noch.


Die Treiber trieben durch den Wald,

Zu regen auf das Thier:

Die Schützen bogen nieder sich

Mit breiten Bogen Klirr.


Dann das Wild strich durch den Wald

Dorther und da und hier:

Grauhunde spürten in Busch und Baum,

Zu springen an das Thier.


Es began[n] auf Chiviats Bergen,

Am Montag Morgens früh:

Da's Eine Stund' Nachmittag war,

Hatten hundert Hirsche sie.


Sie bliesen Tod aufm Feld umher,

Sie trugen zusammen schier:

Zur Niederlag' der Percy kam,

Sah das erlegte Thier.


Er sprach: »es war des Duglas Wort,

Mich heut zu sprechen hier;

Doch wust ich wohl (und schwur zu Gott)

Er würd' nicht kommen mir.«
[316]

Ein Squire dann aus Northumberland

Zuletzt er ward gewahr,

Der Ritter Duglas zog heran,

Mit ihm ein' grosse Schaar.


Mit Hellepart und Speer und Schwerd:

Zu schauen weit und breit;

Wohl kühnre Leut' von Herz und Hand

Hat nicht die Christenheit.


Wohl zwanzighundert Speeresleut',

Ohn eingen Fleck und Fehl;

Sie waren gebohren längs der Twid',

Im Zirk von Tiwidähl.


»Laßt ab vom Thier, der Percy sprach,

Nehmt eurer Bogen wahr:

Nie hattet ihr, wie jetzt, sie noth;

Seit euch die Mutter gebahr.«


Der feste Duglas auf dem Roß,

Ritt seinem Heer voran:

Seine Rüstung glänzt, wie glühend Erz,

Nie gabs einen bravern Mann.


»Sagt, sprach er, was für Leut' ihr seid?

Oder wessen Leut' seid ihr?

Wer gab euch Macht, zu jagen,

In meinem Revier allhier?«


Der Erste Mann, der Antwort gab,

War Percy hastig schier:

»Wir wollen nicht sagen, wer wir sind?

Oder wessen Leute wir?

Aber jagen wollen wir hier im Forst,

Zu Trotz den Deinen und dir.
[317]

Die fettsten Hirsch' in ganz Chiviat

Haben wir geschossen und führen sie weg!«

»Mein' Treu, sprach Ritter Duglas,

Ich will euch weisen den Weg.«


Dann sprach der edle Duglas

Zum Lord Percy sprach er:

»Zu tödten diese unschuldge Leut',

Das wär ja Sünde schwer.


Aber Percy, du bist ein Lord von Land,

Und ich vom Stande dein:

Laß unsre Leut beiseit hier stehn,

Und wir zwei fechten allein.«


»Nun straf mich Gott! der Percy sprach,

Wer dazu Nein! je sag'!

Mein Seel', du wackrer Duglas,

Sollt nie erleben den Tag.


In England, Schottland, Frankreich

Hat keinen ein Weib gebohrn;

Dem, helf mir Gott und gutes Glück!

Ich nicht gleich trete vorn.«


Ein Squire dann aus Northumberland,

Withrington war sein Nam,

Sprach: »soll mans in Südengland sag'n

König Heinrich an mit Scham?


Ihr zwei seid reiche Lords und ich

Ein armer Squire im Land;

Und soll meinen Herrn da fechten sehn,

Und stehn voll Scham und Schand?

Nein, traun, so lang ich Waffen trag'

Soll fehlen nicht Herz und Hand.«
[318]

Den Tag, den Tag, den grausen Tag,

Es ward noch blutig sehr;

Aus ist mein erster Sang hier,

Und bald sing' ich euch mehr.


Zweiter Theil

Der Engländer Bogen war gespannt,

Ihr Herz war tapfer gnug;

Der Schuß, den erst sie schossen ab,

Wohl vierzehn Schotten er schlug.


Bei'n Schotten war Graf Duglas,

Ein Feldherr tapfer gnug;

Bei Gott! und zeigts wohl überall,

Wo er Weh und Wunden schlug.


Der Duglas, wie ein Feldherr stolz,

Theilt dreifach ab sein Heer;

Sie brachen hinein an jeder Seit

Mit mächtgem Lanzenspeer.


Durch unser Englisch Schützenvolk

Gabs manche Wunde tief;

Manch wackrer Mann zum Tode sank,

Der wohl nicht Freude rief.


Engländer liessen die Bogen seyn,

Und zogen ihr Schwerd, das glitzt:

Ein graus Gesicht wars anzuschaun,

Wies auf die Helme blitzt.


Durch reichen Helm und Panzer hart

Es schneidig hieb und drang:

Wohl mancher, der war keck und kühn,

Zu ihren Füssen sank.
[319]

Aufs letzt der Duglas und Percy

Zusammen trafen hart,

Sie hieben frisch mit Meilandstahl,

Daß beiden heiß es ward.


Die zwei sie waren die Männer recht,

Wie Schlossen auf Schlossen es gab;

Bis Blut aus ihren Helmen sprang,

Als regnets Blut herab.


»Halt ein, du Percy, Duglas sprach:

Ich bring dich, nimm mein Wort!

Zum König James in Schottland,

Mit Grafenwürde dort.


Sollt deine Lösung haben frei,

Ich rath dir, nimm es an:

Denn unter allen, die ich bezwang,

Bist du der bravste Mann.«


»Nein, nimmer, sagte Lord Percy,

Mein erstes Wort dirs war,

Daß nie ich weiche Einem Mann,

Den je ein Weib gebahr.«


Mit dem, da kam ein Pfeil so schnell

Von starkem Schützen Einem;

Er hatt' getroffen den Graf Duglas

Ins Brustbein tief hinein.


Durch Leber und durch Lungen beid'

Der scharfe Pfeil ihm drang,

Daß nimmer er mehr als dies Wort sprach

Sein ganzes Lebenlang:

»Fecht zu, fecht zu, meine wackre Leut',

Mein Leben, es ist vergangen.«
[320]

Der Percy lehnt sich auf sein Schwerd

Und sah, wie Duglas blich:

Er nahm den Todten bei der Hand,

Sprach: »Mir ist weh um dich!


Dein Leben zu retten, ich auf drei Jahr

Wollt theilen gern mein Land:

Denn, bessern Mann von Hand und Herz

Hat nicht ganz Nordenland.«


Von allen sah's ein Schottscher Ritter,

Hew Mongomri hieß er;

Er sah den Duglas sinken,

Und grif zum starken Speer.


Er jagt hinan auf einem Corsar,

Durch hundert Schützen hin:

Er stand nicht still und säumte nicht,

Bis er kam zu Lord Percy.


Er setzt hinan auf Lord Percy

Einen Stoß, der war so schwer,

Mit sicherm Speer von starkem Baum

Percy durchborte er.


Am andern End, daß ein Mensch konnt sehn,

Ein' Elle lang den Speer:

Zwei beßre Männer, als sanken hier,

Hatt nirgend ein Land nicht mehr.


Ein Schütze aus Northumberland

Sah fallen den Lord Percy;

Er hatt einen Bogen in der Hand,

Der Bogen trügt' ihm nie.


Einen Pfeil, der war einer Elle lang,

Am harten Stal schlif er;[321]

Einen Schuß setzt er auf Mongomri,

Der war wohl scharf und schwer.


Der Schuß, gesetzt auf Mongomri,

Traf mit so starkem Stoß.

Die Schwanenfeder an dem Pfeil

Vom Blut seines Herzens floß.


Da war kein Mann nun, der wollt fliehn,

Zum Treffen jeder fährt:

Sie hieben einander mächtiglich

Mit beulenvollem Schwerd.


Die Schlacht begann in Chiviat

Eine Stund vor Vesperzeit;

Und als die Abendbetglock klang,

War noch das Ende weit.


Sie nahmen einander bei der Hand

Erst bei dem Mondenlicht;

Sie hoben einander auf und stehn

Konnt mancher, mancher nicht.


Von funfzehnhundert Schützen kamen

Nach England zwei und funfzig;

Von zwanzighundert Speerleut kamen

Nach Schottland fünf und funfzig.


Die andern lagen all erschlagen,

Oder konnten aufstehn nicht:

Das Kind wehklags noch ungebohrn

Die Jammerklaggeschicht.


Da, lag erschlagen mit Lord Percy

Johann von Aggerston,

Der schnelle Roger Hartley,

Wilhelm der kühn' Heron.
[322]

Georg, der wackre Lovli,

Ein Ritter groß von Nam;

Auch Raff, der reiche Rugbi,

Sie lagen all beisamm.


Um Witrington mein Herz ist weh,

Er war so keck und kühn,

Als seine Füsse zerhauen waren,

Er focht noch auf den Knien.


Da lag erschlagen mit Graf Duglas

Sir Hew von Mongomri,

Der wackre David Lewdal,

Sein Schwestersohn lag hie.


Mit ihm auch Karl von Murrei,

Der keinen Fußtritt wich,

Hew Maxwell, auch ein Lord von Land,

Mit Duglas er erblich.


Früh Morgens trugen sie sie auf Baaren

Von Birken und Haseln weg:

Wohl manche Wittwe weinend kam,

Trug ihren Ehmann weg.


Tiwdale mag weinen lautes Weh,

Northumberland klag sehr:

Zwei Feldherren, als hier fielen,

Sieht diese Gränz' nicht mehr.


Botschaft kam nach Edenburg

Zu Schottlands König an:

»Sein Markgraf Duglas sey erschlagen,

Erschlagen auf Chyviats Plan.«


Die Händ' er rang, er rang sie sehr,

Rief: »weh, ach weh ist mir![323]

Solch andern Feldherrn find' ich nicht

Im ganzen Schottland hier.«


Botschaft kam nach London

Zu König Harri an:

»Sein Markgraf sey erschlagen,

Erschlagen auf Chyviats Plan.«


»Sey Gott mit seiner Seele!« sprach

König Heinrich schnell darein;

»Ich hab wohl hundert Feldherrn

Wie Er im Reiche mein;

Doch Percy, als ichs Leben hab',

Sollt du gerächet seyn.«


Wie unser edle König da

Zu Gott thät Königsschwur,

So gab er die Schlacht zu Humbledown

Percy zu rächen nur.


Wo sechs und dreißig Schottsche Ritter

An einem Tag erschlagen

Zu Glendal unter Waffenglanz

Im Feld daniederlagen.


Dies war die Jagd von Chyviat,

So ward das Necken Zorn,

Die Alten zeigen noch den Ort

Der Schlacht bei Otterborn.[324]

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Stimmen der Völker in Liedern. Stuttgart 1975, S. 315-325.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Volkslieder
Werke: Zweiter Band. Volkslieder
Volkslieder
Volkslieder
Laßt in die Herzen sie dringen: Volkslieder (Insel Bücherei)
Werke. 10 in 11 Bänden: Band 3: Volkslieder. Übertragungen. Dichtungen

Buchempfehlung

Christen, Ada

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon