54.

[307] Angekommen in Valencia,

Angelangt nach langer Trennung

In der schönen Stadt, gewonnen

Durch die Tapferkeit des Cid,

Lebten jetzt Doña Ximena,

Sie, die Mutter, und die Töchter

Mit dem Cid, der hoch sie liebte,

In Verehrung Freud und Glück,
[307]

Als schnell eine Botschaft ankam:

Miramamolin der Große

Nahe sich mit mächtgen Heeren;

Funfzigtausend Mann auf Rossen,

Die zu Fuße nicht zu zählen;

Ihm Valencia zu entreißen,

Nah er mächtig sich dem Cid.


Wohlerfahren in den Waffen,

Rüstet dieser stracks die Festen

Aus mit Vorrat und mit Volk,

Muntert, auf dann seine Ritter;

Freudig, auf gewohnte Weise,

Führte dann Doña Ximena,

Sie und seine beiden Töchter

Auf des Schlosses höchsten Turm.


Allda sahen sie zum weiten

Meer hinaus die Mauren kommen,

Sahn mit großer Eil und Sorgfalt

Sie aufschlagen ihre Zelte

Unter Kriegsgeschrei und Trommeln,

Kriegsgeschrei und Paukenhall.


Großes Schrecken faßt die Mutter

Wie die Töchter; denn sie hatten

Solche Heere nie zu Felde,

Nie auf einem Platz gesehn.

»Fürchtet nichts, ihr Lieben alle«,

Sprach der Cid, »so lang ich lebe,

Nah euch keine Sorg und Angst!

Morgen – und ihr sehet alle

Diese Mauren überwunden;

Töchter, und von ihrer Habe

Mehrt sich euer Heiratsgut.

Je mehr ihrer, desto besser,[308]

Desto reicher wird die Beute

Für die Kirche zu Valencia,

Die, dem Volk zu hoher Freude,

Morgen euch zu Füßen liegt.«


Jetzt bemerkend, daß die Mauren

Nah sich an die Tore drängten,

Sonder Ordnung im Gewühl,

Sprach er: »Alvar Salvadorez,

Leget an Euch Eure Rüstung,

Nehmt mit Euch zweihundert Reiter,

Wohlgeübt auf ihren Rossen,

Und macht auf die Heiden Jagd,

Daß Ximene und die Mädchen

An dem Jagen sich erfreun!«


Kaum gesprochen, so geschah es:

Im Getümmel, im Getrappel

Flohn die Mauren zu den Zelten;

Wer nicht fliehen konnte, blieb.

Doch hier wandten sie sich alle,

Und weil Alvar Salvadorez

Vorwärts sich zu weit gewagt,

Fiel er in die Hand der Mauren,

Bis ihn tages drauf mit reichem

Ruhm befreite der Cid.

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 307-309.
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Der Cid
Der Cid (Hardback)(German) - Common
Der Cid unter Ferdinand dem Großen.
Herders Cid: Neu Durchgesehene Aufl, Volume 22 (German Edition)

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