56.

[311] Dankend Gott und San Jago

Für den Schutz, den sie ihm schenkten,

Für die Kraft, die sie ihm liehen,

Auszufechten solche Schlachten,

Zu bezwingen so viel Mauren,

Zu gewinnen Städt und Festen,

Wie kein andrer sie gewann;

Denn Gott und der Erzapostel

Hielten ob ihm ihre Hand,


Lebte Cid jetzt hochgefürchtet,

Hochgefürchtet und verehrt,

In Valencia mit Ximenen

Und mit seinen beiden Töchtern,

Doña Sol und Doña Elvira,

Die er über alles liebt'.


Ringsum in Kastilien gingen

Von ihm Wunderneuigkeiten,

Also daß zwei junge Grafen,

Reiche Grafen Carrion,

Vor den König Don Alfonso

Bittend traten, daß er beide

– Brüder waren sie – vermähle

Mit den edlen Töchtern Cids.
[311]

Don Alfonso, kein Bedenken

Findend an der reichen Heirat,

Lud den Cid, ihn in Requeña

Zu besuchen, sprach mit ihm

Viel von seinen Wundertaten,

Von den Schlachten, von den Siegen;

Rechenschaft gab ihm der Cid.


»Aber Ihr seid alt geworden,

Guter Cid«, sprach Don Alfonso.

»Großer König«, sprach der Feldherr,

»So viel Sorg und Kriegesarbeit

Macht schon alt; kaum hatt ich Ruhe.

Kaum Erholung einen Tag.

Alles indes überstanden,

Ist Valencia Euch gewonnen,

Voll Vermögen, voll von Gütern,

König, Euer Eigentum.«


»Guter Cid, genießt das Eure!«

Sprach Alfonso; »mir genüget

Eurer Taten Ruhm, die Ehre

Eines Feldherrn und Vasallen,

Wie kein Christenreich ihn hat;

Gerne wünscht ich Euren Töchtern

Standesmäßige Gemahle;

Und da haben sich zwei Grafen,

Reiche Grafen Carrion,

Brüder, sie von mir erbeten;

Übel wäre nicht die Heirat,

Und ich steh für die Gefahr.«


Sprach der Cid: »Sie sind die Eure,

Guter König, und Ximenens

Wille ist gewiß der meine;

Die ich über alles liebe,

Meine Töchter, schenk ich Euch.«
[312]

Traten zu ihm beide Grafen,

Küsseten dem Cid die Hände;

Nach Kastilien zog der König,

Nach Valencia zog der Cid.

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 311-313.
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Der Cid
Der Cid (Hardback)(German) - Common
Der Cid unter Ferdinand dem Großen.
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