Drittes Gespräch

[54] PHILOLAUS. Was haben Sie da für eine schöne Göttin vor Sich? Schön wie die Liebe und ernst wie die Weisheit; sie blickt zum verschleierten Busen hinab und hält die Linke, als ob sie etwas an ihr messe; die gemessene Hand hält einen Zweig. Ihr stiller Tritt, die sanfte Erhabenheit in ihrer ganzen Haltung bezeichnen gewiß eine glückbringende, gute Göttin.

THEOPHRON. Es ist die Nemesis der Griechen; ein personificirter Begriff, den ich liebe. Ernst ist sie, die Tochter der Gerechtigkeit; sie mißt mit der Rechten das Betragen und Glück der Sterblichen ab und blickt unparteiisch zum Busen hinunter. Für Den, der das Maß trifft, hält sie den Zweig der Belohnung.

PHILOLAUS. Hat sie nicht sonst ein Rad unter ihren Füßen?

THEOPHRON. Sie hat's, zur Anzeige, daß sie das Glück des Uebermüthigen im schnellen Nu durch die leichteste Berührung stürze und ihn verderbe. Bei der Bildsäule ließ der Künstler dies Symbol weg und gab ihr dafür den stillen Tritt, die sanfte Haltung, die Sie bemerkten; unsre Nemesis, mein Freund, soll des schreckenden stürzenden Rades auch nicht bedürfen. Das ernst-gütige Angesicht der Göttin, ihr weises Maß und der Zweig des Glückes in ihrer Hand sind der Symbole gnug, uns an die feste Naturwahrheit zu erinnern: »daß aller Bestand, alles Wohlsein, ja das Dasein der Dinge selbst nur auf Maß, Proportion und Ordnung gebaut seien und sich durch diese allein erhalten«.

PHILOLAUS. Da treffen Sie, Teophron, auf den Satz eines[54] meiner geachtetsten Philosophen, den ich den Leibniz unsrer Zeit nennen möchte, Lambert's. Sowol in seinem Organon als in seiner Architektonik kann er nicht oft gnug auf die Wahrheit zurückkommen, »daß der Beharrungszustand, mithin das Wesen jedes eingeschränkten Dinges allenthalben auf einem Maximum beruhe, bei welchem gegenseitige Regeln einander einschränken, mithin die Bestandheit der Dinge und ihre innere Wahrheit nebst dem Ebenmaß, der Ordnung, Schönheit, Güte, die sie begleiten, auf eine Art innerer Nothwendigkeit gegründet sei«. Er giebt Ihnen also Ihre Nemesis, mit dem messenden Arm und dem Zweige in der Hand, als eine mathematisch-physisch- metaphysische Formel.

THEOPHRON. Auch in dieser Gestalt habe ich sie lieb, und wenn sich ungleichartige Dinge vergleichen ließen, fast noch lieber, als in welcher sie der Künstler bildete. Dieser mußte sich begnügen, mancherlei Symbole zusammenzufügen; die abstracte Wahrheit giebt mir solche als nothwendige Bestimmungen des Begriffes selbst, mithin nehmen das Maß und der Zweig der Belohnung in ihr eine wesentlichere Gestalt an. Aber wo ist das Rad der Veränderung, das der Nemesis gehört, in Ihrer mathematischen Formel?

PHILOLAUS. Der Weltweise vergaß es nicht; er bemerkte, »daß, wenn Dinge oder Systeme von Dingen in ihrem Beharrungszustande gestört werden, sie sich demselben auf eine oder die andere Weise wieder zu nähern trachten«, und bestimmte diese Weisen.

THEOPHRON. Vortrefflich! Sie sehen, Philolaus, den Vorzug solcher wissenschaftlichen Formeln. Was der gemeine Verstand in täglichen Erfahrungen dunkel bemerkt, bringen sie ins Licht, führen es auf allgemeine Gesetze, ja wo möglich auf Zahl und Größe zurück; dadurch bekommt ihre Behauptung einen Werth der bestimmten Gewißheit, ja einer allgemeinen Anwendung, die man nachher bei jedem einzelnen Gegenstande gern verfolgt. Wahrscheinlich wird es Ihr Lambert auch so gemacht haben.

PHILOLAUS. In reichem Maße. Er wendet das Maximum seines Beharrungszustandes in mancherlei Beispielen auf die verschiedensten Gegenstände an und findet es bei allen beschränkten und zusammengesetzten Systemen der Kräfte. So hat er in einer eignen Abhandlung die Bewegung des menschlichen Körpers berechnet und eine Reihe von ihren Maximis gefunden; gleichergestalt hat er eine Theorie der Ordnung versucht und seinen Beharrungszustand auch auf Gegenstände der Schönheit, der Güte, des Nutzens[55] anzuwenden angefangen. Er hat mehrmals den Wunsch geäußert, daß bei allen Systemen zusammengesetzter, beschränkter Kräfte diese Regel bewiesen und angewandt werden möchte. Gewiß hätte er auch selbst diesen seinen Lieblingssatz noch weiter verfolgt, wenn ihn nicht ein frühzeitiger Tod zum Nachtheil mehrerer Wissenschaften, die er anbaute, dahingerissen hätte.

THEOPHRON. Sein Tod ist zu bedauern; aber andre Geister werden anbauen, was er angebaut zu werden wünschte. In der mathematischen Physik hat man mehrere dergleichen Gesetze und Compensationen bereits gefunden, die alle Willkür ausschließen und dem denkenden Geist den hohen Begriff »innerer Vollkommenheit, Güte und Schönheit in der Existenz und Fortdauer eines Dinges« zu seiner unbeschreiblichen Freude geben. Aus manchen dieser Bemerkungen hat man freilich anfangs zu viel schließen wollen; das schadet aber der Schön heit ihrer Erfindung nicht. Der Irrthum schleift sich ab, die Wahrheit bleibt. Je mehr die Physik zunimmt, desto weiter kommen wir aus dem Reich blinder Macht und Willkür hinaus, ins Reich der weitesten Nothwendigkeit, einer in sich selbst festen Güte und Schönheit. Jede sinnlose Furcht verschwindet, wenn der freudig – klare Sinn allenthalben eine Schöpfung gewahr wird, in deren kleinstem Punkt der ganze Gott in Gesetzen seiner Weisheit und Güte gegenwärtig ist und, dem Wesen jedes Geschöpfs nach, mit seiner ungetheilten und untheilbaren Kraft wirkt. Wo bleibt z.B. das leere Schrecken, daß ein Komet unsre Erde überflügeln möge, seitdem man den Gang dieser Weltkörper genauer kennt und nach den bisher gemachten Wahrnehmungen selbst die Fälle berechnet hat, in welchen eine solche Ueberstürzung zu befürchten wäre? Die Möglichkeit dieses Unfalls wird durch die Berechnung so ungeheuer klein, daß sie, dem großen Verhältniß der Kräfte nach, durch welche sich das Weltall erhält, beinahe zum Nichts verschwindet. Was hat man nicht von den Unregelmäßigkeiten und ihren bösen Folgen gewähnt, in welche sich die Himmelskörper durch ihre gegenseitigen Anziehungen mit der Zeit stürzen müßten! Das leere Schrecken ist durch die klärere Ansicht der Sache selbst verschwunden, da man gefunden hat, daß nach unwandelbaren Gesetzen alle Störungen der Planeten periodisch in bestimmten Grenzen enthalten[56] sind und diese Unregelmäßigkeiten einander selbst compensiren; das Planetensystem ist also bestehend, bleibend. Wohltätige, schöne Nothwendigkeit, unter deren überall ausgebreitetem Scepter wir leben! Sie ist ein Kind der höchsten Weisheit, die Zwillingsschwester der ewigen Macht, die Mutter aller Güte, Glückseligkeit, Sicherheit und Ordnung.28 Wüßte ich ein schöneres Bild derselben aus dem Alterthum, die Nemesis sollte dieser höheren Adrastea sogleich ihren Platz einräumen.

PHILOLAUS. Das also war das Goldstück, das Sie mir in dem Knoten versprachen, den uns Spinoza mit seiner innern Nothwendigkeit der Natur Gottes, die uns offenbart, ja in und um uns wesentlich ausgedrückt sei in allem höchsten Naturgesetzen, geknüpft hat? Aber, Theophron, der Knote ist noch nicht gelöst. Wie hart redet er gegen alle Absichten Gottes in der Schöpfung! Wie bestimmt spricht er Gott den Verstand und Willen ab und leitet Alles, was da ist, blos und allein aus seiner unendlichen Macht ab, die er nicht nur über Verstand und Absichten setzt, sondern auch von denselben trennt und unterscheidet.29 Sie wissen, mein Freund, daß diese Sätze unserm Philosophen die eifrigsten Gegner zugezogen haben;30 selbst Leibniz, der den Spinoza ehren mußte, hat sich in seiner »Theodicee« und sonst aufs Bestimmteste gegen sie erklärt.31 Wenn Sie diese so beleidigenden Sätze mit dem in manchem Andern so vortrefflichen System des Spinoza vereinigen können, so wünsche ich mir selbst die Nemesis zu sein, die Ihnen den Zweig reiche.

THEOPHRON. Ich wünsche ihn nur aus der Hand der Wahrheit; denn ich kann beweisen, theils daß Spinoza auch in[57] diesen Sätzen nur deshalb anstößig ist, weil er in der Cartesischen Sprache sprach und auf das Bestimmteste in ihr sprechen wollte; theils daß man ihn noch viel härter verstanden hat, als er sich hart ausdrückte. Setzen wir jene Ausdrücke des Cartesianismus in andre uns geläufigere um und erklären des Spinoza Sätze der reinen Grundidee zufolge, auf welche er sein ganzes System baute, so hellen sie sich auf; die Nebel ziehen hinweg, und Spinoza gewinnt, wie mich dünkt, selbst einen Schritt vor Leipniz voraus, der vorsichtig, aber in diesem Stück vielleicht zu vorsichtig, also auch nicht genugthuend auf ihn folgte.

PHILOLAUS. Ich bin sehr neugierig.

THEOPHRON. Zuerst leugne ich's völlig, daß Spinoza Gott zu einem gedankenlosen Wesen dichte; schwerlich kann es einen Irrthum geben, der seinem System mehr zuwider liefe als dieser. Das Wesen Gottes ist bei ihm durchaus Wirklichkeit, und Spinoza war selbst zu sehr ein Denker, um nicht die Realität auch dieser Vollkommenheit, der höchsten, die wir kennen, innig zu schätzen und zu fühlen. Sein höchstes Wesen also, das alle Vollkommenheit auf die vollkommenste Weise besitzt, kann der vorzüglichsten derselben, des Denkens, nicht ermangeln; denn wie wären sonst, da Alles nur durch ihn und in ihm ist, Gedanken und Vorstellungsarten in eingeschränkten, denkenden Geschöpfen, die, nach Spinoza's System, allesammt ja nur Darstellungen und reale Folgen jenes höchstrealen Daseins sind, das nach seiner Erklärung allein den Namen eines Selbstbestehenden verdient? In Gott ist also, wie er oft und deutlich sagt,32 unter[58] unendlichen Eigenschaften auch die Vollkommenheit eines unendlichen Denkens, die Spinoza eben nur deswegen vom Verstande und den Vorstellungsweisen eingeschränkter Wesen streng unterscheidet, um jene als ursprünglich, absolut und einzig in ihrer Art, ganz unvergleichbar mit diesen, zu bezeichnen. Sie werden sein Gleichniß bemerkt haben, daß sich die Gedanken Gottes zu menschlichen Vorstellungsarten wol kaum anders verhalten könnten als das Gestirn am Himmel, das man den Hund nennt, zu einem irdischen Hunde.

PHILOLAUS. Das Gleichniß hat mich mehr betroffen als belehrt.

THEOPHRON. Belehren sollte es auch nicht, aber scharf unterscheiden. Es zeigt, daß Spinoza auch hier lieber zu scharf griff und sich zu hart ausdrückte, als daß er, ein Eifrer für den würdigsten höchsten Begriff von Gott, diesen zu irgend einer schwachen Vergleichung mit Verstandesbegriffen oder Kräften, denen die verständlichen Dinge vorliegen müssen, erniedrigen wollte. Daß alle reine, wahre, vollständige Erkenntniß auch in unsrer Seele gleichsam nur eine Formel des göttlichen Erkennens sei, das, getraue ich mir zu sagen, hat Niemand stärker behauptet als Spinoza, er, der die Natur des Göttlichen im Menschen einzig nur in diese, Gott gleichsam ähnliche, reine, lebendige Erkenntniß Gottes, seiner Eigenschaften und Wirkungen setzte.

PHILOLAUS. Wie aber? sollte Spinoza's unendlich – denkendes[59] Wesen nicht bloß ein gesammelter Name aller der Verstandes- und Denkkräften sein, die in einzelnen Geschöpfen allein wirklich sind und denken?

THEOPHRON. Gott ein gesammelter Name? das wirkliche Wesen ein Unding, der Schatte in der Vorstellungsart einzelner Menschen? oder vielmehr ein bloßes Wort, der Schall eines Namens? Der Höchstlebendige also ein Todter, der Allwirksame ein Nichts, die letzte stumpfste Wirkung menschlicher Kräfte? Philolaus, wenn Sie das aus eigner Meinung dem Spinoza zuschreiben und das völligste Gegentheil seines Systems zu seinem System machen können – doch das können Sie nicht. Unmöglich, daß Sie den auch in seinen Behauptungen wenigstens zusammenhangenden Weltweisen von Blatt zu Blatt, von Anfang zu Ende so mißverstehen konnten. Wahrscheinlich sprachen Sie aus dem Munde seiner Gegner im vorigen Jahrhundert. –

PHILOLAUS. Eifern Sie nicht; im Gespräch führt man bisweilen auch einen fremden Gast ein, wenn er der Materie forthilft und sie durch Gegensätze erläutert. Für mich bin ich über Spinoza's Meinung hierüber durchaus nicht zweifelhaft gewesen, seitdem ich seine »Ethik« gelesen. Wie eifert er gegen Die, die Gott zu einem abstracten, todten Consectarium der Welt machen wollen, da dieses einzige Wesen bei ihm die Ursache alles Seins und Denkens, mithin auch unsrer Vernunft, jeder Wahrheit und jeder Verbindung von Wahrheiten ist! Wie hoch hält er eine vollständige und vollkommene Idee!33 Sie ist ihm die Erkenntniß der Gesetze der Natur, in ihnen des ewigen, göttlichen Wesens; göttlich auch darin, daß sie die Dinge nicht zufällig, sondern als nothwendig unter einem Bilde der Ewigkeit denkt und eben dieser innern Nothwendigkeit wegen ihrer so gewiß ist, wie Gott derselben gewiß sein kann. Höher läßt sich das Wesen des menschlichen Gemüths,[60] das kraft seiner Natur Wahrheit erkennt und solche als Wahrheit liebt, schwerlich heben; und er, der das Denken so hoch erhob, sollte seinen Gott den Ursprung, Gegenstand und Inbegriff aller Erkenntniß, gedankenlos, blind wie einen Polyphemus gedichtet haben? Beinah schäme ich mich selbst vor dem Geist des Mannes, daß ich diesen Antipodenvorwurf gegen ihn auch nur beiläufig anführt.

THEOPHRON. Wolan also, eine unendliche, ursprüngliche Denkkraft ist nach Spinoza Gott wesentlich; über die unendliche Wirkungskraft in ihm haben wir diesem System nach nicht zu zweifeln.

PHILOLAUS. Nein; denn auch in der entsprungenen Natur ist nach Spinoza Verstand und Wille sogar eins; d.i. in unsrer lindern Sprache: ein Verstand, der das Beste einsieht, muß auch das Beste wollen, und wenn er die Kraft dazu hat, es wirken. An der unendlichen Macht seines Gottes aber ist nicht zu zweifeln, da eben diese Macht d.i. Wirklichkeit und Wirksamkeit, ihm das ist, woher er Alles leitet.

THEOPHRON. Was, meinen Sie, hinderte ihn also, daß er die unendliche Denk- und Wirkungskraft nicht verband und in dieser Verbindung das nicht deutlicher ausdrückte, was er ihn ihr nothwendig finden mußte, nämlich (nach unserer Weise zu reden): »daß die höchste Macht nothwendig auch die weiseste Macht, mithin eine nach innern ewigen Gesetzen geordnete, unendliche Güte sei«? Denn eine ungeordnete, regellose, blinde Macht ist ja nie die höchste; nie kann sie das Vorbild und der Inbegriff aller der innern Wahrheit und Regelmäßigkeit sein, die wir, obgleich so eingeschränkte Wesen, nach ewigen Gesetzen in der Schöpfung bemerken, wenn sie selbst diese Gesetze nicht kennt und solche nicht als ihre ewige, innere Natur ausübt. Von einer geordneten müßte die blinde Macht nothwendig übertroffen werden und könnte also nicht Gott sein.[61]

PHILOLAUS. Ich danke Ihnen, daß Sie mir auf einmal den Schleier zerreißen, der mir, nicht Spinoza, das Licht nahm. In der Cartesischen Terminologie standen Gedanken und Ausdehnung ihm als zwei aus einander unerklärliche Attribute entgegen; der Gedanke kann nicht durch die Ausdehnung, die Ausdehnung nicht durch den Gedanken begrenzt werden. Da er nun beide als Eigenschaften Gottes, eines untheilbaren Wesens, annahm und keine durch die andre zu erklären wagte, so mußte er ein Drittes annehmen, unter welches sich beide fügten, und das war – was konnte es anders sein als Macht, d.i. wirkliche Wirksamkeit, wirksames Dasein? Der Begriff von Macht, wie der Begriff der Materie und des Denkens – entwickelt, fallen alle drei, diesem System selbst zufolge, in einander, d.i. in den Begriff einer Urkraft, die ebensowol in der Materie, als dem Organ der Begriffe, als im Denken selbst unendlich wirkt. Auch Macht und Gedanke werden hiemit eins; denn der Gedanke ist Macht, und zwar die vollkommenste, schlechterdings unendliche Macht, eben dadurch, daß er Alles in sich ist und hat, was zur unendlichen, in sich selbst gegründeten, sich selbst ausdrückenden Macht gehört. Der Knote ist also gelöst, und das Gold in demselben liegt vor mir. Die »ewige Urkraft«, die Kraft aller Kräfte ist nur eine; und in jeder Eigenschaft derselben, wie solche unser Verstand auch theilen möge, ist sie gleich unendlich. Nach ewigen Gesetzen seines Wesens denkt, wirkt und ist Gott das Vollkommenste auf jede von ihm allein denkbare, d.i. die vollkommenste Weise. Nicht weise sind seine Gedanken, sondern die Weisheit; nicht gut allein sind seine Wirkungen, sondern die Güte; und das Alles nicht aus Zwang, nicht aus Willkür, als ob auch das Gegentheil statthaben könnte, sondern aus seiner innern, ewigen, ihm wesentlichen Natur; aus ursprünglicher, vollkommenster Güte, d.i. Thätigkeit und Wahrheit.[62]

Jetzt sehe ich auch, mein Freund, warum Spinoza so sehr gegen die »Endabsichten« ist und dem Anschein nach hart gegen sie redet. Sie sind ihm schwache Ueberlegungen und Vorstellungsarten, Willkürlichkeiten und Velleitäten, die z.B. der Künstler gewollt, aber auch nicht gewollt haben könnte. Was Gott wirkte, darüber durfte er nicht erst rathschlagen und wählen; die Wirkung floß aus der Natur des vollkommensten Wesens, sie war einzig und außer ihr nichts Anders möglich.

Jetzt weiß ich, warum die vielen Anthropopathien, selbst in Leibniz' vortrefflicher »Theodicee«, mir nie recht zum Herzen wollten, ob ich damals gleich an ihre Stelle nichts Bessers zu setzen wußte, weil ich vor der blinden Nothwendigkeit zurückbebte. Ich bemerke jetzt, daß meine Furcht vergebens war, und daß man keine blinde Nothwendigkeit nöthig habe, um jene lichtvolle, wirkende Nothwendigkeit zu verehren, die durch die Natur ihres Wesens ist und denkt und will und wirkt. Haben Sie die »Theodicee« zur Hand, Theophron?

THEOPHRON. In mehr als einer Sprache; hier aber eine kürzere »Theodicee« von einem unsrer beliebtesten Dichter.34

PHILOLAUS.

»Die Risse liegen aufgeschlagen,

Die, als die Gottheit schuf, vor ihrem Auge lagen:

Das Reich des Möglichen steigt aus gewohnter Nacht;

Die Welt verändert sich mit immer neuer Pracht,

Nach tausend lockenden Entwürfen,

Die eines Winks zu schnellem Sein bedürfen.


Doch Dämmerung und kalte Schatten

Sehn über Welten auf, die mich entzücket hatten:

Der Schöpfer wählt sie nicht; er wählet unsre Welt,

Der Ungeheuer Sitz.«


Es ist die treue »Theodicee« des Leibniz, schön versificirt, doch aber,[63] wie mich dünkt, vom Philosophen gedacht auf Kosten rein philosophischer gotteswürdiger Wahrheit. Vor Gott lagen keine Risse aufgeschlagen; er saß nicht wie ein grübelnder Künstler, der sich den Kopf zerbrach, entwarf, verglich, verwarf, wählte. Kein Reich des Möglichen ist außer der Macht und dem Willen des Unendlichen da: denn wenn er's nicht schaffen wollte, nicht schaffen konnte, so war es nicht möglich. Keine Welt, geschweige tausend Welten nach lockenden Entwürfen, die nur eines Winks zu ihrem Dasein bedurft hätten, und die Gott doch nicht wählte, konnten je ein Gedanke Gottes werden. Er spielte nicht mit Welten, wie Kinder mit Seifenblasen spielen, bis ihm eine gefiel und er sie vorzog. Waren tausend andre außer dieser möglich, so konnte ein größerer Gott sie erschaffen; der schwächere, mühsam-überlegende ward von ihm überwunden und war nicht Gott.

THEOPHRON. Bemerken Sie es? Eben dies sagt Spinoza.35

PHILOLAUS. Ich bemerke es wohl und lese weiter:


»Eh ihn die Morgensterne lobten

Und auf sein schaffend Wort des Chaos Tiefen tobten,

Erkor der Weiseste den ausgeführten Plan.«


Die schönen Verse sagen dasselbe. Der Weiseste erkor nicht, wo es keiner vorgängigen, zweifelnden Ueberlegung bedurfte. Alle diese Gedankenreihen, diese Plane, diese wechselnden Entwürfe sind mit der vollkommensten Natur des unendlichen, unveränderlichen Geistes unvereinbart. Sie gehören in jene taube und stumme Ewigkeit, die der müssige Gott


»– – – einst einsam durchgedacht,

Bis dann erst und nicht eh er eine Welt gemacht,«


worüber wir schon eins sind. Mich wundert, wie Leibniz dergleichen Anthropopathien Raum geben konnte.[64]

THEOPHRON. Darüber wundern Sie Sich nicht. Er gab ihnen in einem popularen Buch, seiner »Theodicee«, Raum, und Sie wissen, wozu die populare Vorstellungsart oft verleitet. Die vielen und scheinbaren Einwürfe Bayle's zwangen ihn, seine Gegengründe behutsam vorzutragen und sie auf alle Seiten zu wenden; daher denn die Anthropopathien, ja beinah durchgängig ein fortgesetzter seiner Anthropomorphismus, den auch ich zwar für mich aus diesem Zweck nöthig war. Schade nur, daß seine Nachfolger nicht immer unterschieden, was bei ihm blos Einkleidung oder Accommodation war, und was strenge zu seinem System gehört. So hat man z.B. auch den Spinoza lange und oft durch Unterscheidung der Welt »außer Gott und in Gott« widerlegen wollen. »In Gott sei die Welt ewig als Idee«, d.i. als Seifenblase gewesen, mit welcher er in der Einbildung spielte; er ergetzte sich an ihr und brütete große, große Ewigkeit hindurch das ungeborne Ei aus. Jetzt kam die Zeit (denken Sie Sich in der Ewigkeit des müssigen Gottes die lange, lange Zeit), und nun beschloß er zu schaffen. Plötzlich trat die Welt aus Gott heraus, sie, die so lange in ihm gewesen war, und jetzt ist sie immer außer demselben, er außer der Welt. Im großen Nichts der uralten, müssigen Ewigkeit hat er sein Räumchen, wo er sich selbst betrachtet und wahrscheinlich über das Project einer andern Welt nachsinnt. Ich gestehe es, Epikur's Götter sind mir leidlicher als dies müssige, melancholische Wesen, durch welches man frisch und frei den Spinoza zu widerlegen glaubte. Leibniz ist an diesen Unbegriffen nicht Schuld, als sofern er als ein dichterischer Kopf auch bei strengen Wahrheiten Einkleidung, d.i. Bilder, Gleichnisse, Allegorien, Anthropopathien, und bei anstößig scheinenden Wahrheiten das Bequemen zu fremden Begriffen nie verschmähte.

PHILOLAUS. Desto schlimmer für seine Nachfolger; denn da[65] sie den Kern von der Schale nicht sonderten, so hieß ihnen Leibnizianismus, was bei Leibniz selbst nur einkleidende Dichtung oder Accommodation war. Gegen die Nothwendigkeit des Spinoza indessen hat er sich stark erklärt.

THEOPHRON. In einer popularen »Theodicee«, in der es nicht sein Zweck war, den Spinoza sanft zurechtzurücken, wie er's in einer andern vortrefflichen Schrift mit Locke gethan hat,36 sondern sein eigenes System von Spinoza's scharf zu unterscheiden.

PHILOLAUS. Und dies eigne System Leibnizens war –

THEOPHRON. Das System der moralischen Nothwendigkeit in Gott, nach welchem er das Beste aus Convenienz wählte.

PHILOLAUS. Und wie ist die moralische Nothwendigkeit von der Nothwendigkeit, die wir die wesentliche, innere, göttliche nennen wollen, unterschieden? Gott muß das Beste, nicht durch eine schwache Willkür, sondern seiner Natur nach, ohne langsame Vergleichung mit dem Schlechtern, das an sich ein Nichts ist, vollständig einsehen und wirken. Auch im System des Spinoza ist von einem physischen, d.i. blinden äußern Zwange gar nicht die Rede; gegen ihn streitet er aus vollen Kräften.37 Sittengesetze von außen aber kennt Gott nicht.

THEOPHRON. An die dachte auch Leibniz nicht, da er das Wort »moralische Nothwendigkeit« wählte; er setzte sie bloß der physischen, d.i. der blinden Macht oder dem äußern Zwange entgegen und stieß sich in Ansehung der ersten an die harten Ausdrücke des Spinozas. Selbst seine moralische Nothwendigkeit in Gott hat er, so viel er konnte, durch Anthropopathien eines Entwurfs, einer Wahl, der Convenienz u.s.w. gemildert.[66]

PHILOLAUS. Ob Bayle nichts darauf zu antworten gehabt hätte, ist eine Frage. Leibniz mußte sich bei jener Wahl, in welcher Gott das Beste nach Convenienz wählt, aus Absichten beziehen, die nur Gott wisse, die wir als gut annehmen, eben weil sie Gott wählte, sonst würde er sie nicht gewählt haben u.s.w.

THEOPHRON. Das mußte er freilich.

PHILOLAUS. Und welcher Sterbliche wird's nicht thun müssen, sobald er von der innern Nothwendigkeit, die durch sich selbst Güte ist, den Blick wegwendet und einzelne Absichten Gottes nach Convenienz errathen will? Unvermuthet sinkt er in ein Meer erdichteter Endzwecke, die er bewundert oder vermuthet, bei welchen er aber den Grund der ganzen Erscheinung, die innere Natur der Sache nach unwandelbar ewigen Gesetzen, zu erforschen leicht aufgiebt. Welche Menge Theodiceen, Teleologien, Physiko-Theologien sind auf diese Convenienz errichtet, die aus Convenienz dem höchsten Wesen oft nicht nur sehr eingeschränkte, schwache Absichten unterschoben, sondern zuletzt darauf hinausgingen, Alles zur Willkür Gottes zu machen, die goldne Kette der Natur zu zerreißen, um ein paar Gegenstände in ihr so zu isolieren, daß eben an dieser und jener Stelle ein elektrischer Funke willkürlicher göttlicher Absicht erscheine. Ich gestehe, das ist meine Philosophie nicht.

THEOPHRON. Und welches ist die Ihrige, Philolaus?

PHILOLAUS. Um die Gesetze der Natur, um die innere Natur der Dinge mich zu bekümmern, wie sie da sind. Bedingt ist das Dasein der Welt, daran zweifelt Niemand; denn eine Wirkung ist nur durch ihre Ursache, nicht durch sich selber. Da aber die Welt einmal da ist (wie sie auch entstanden sein möge) und nicht etwa nur hie und da Spuren von Macht, Weisheit und Güte zeigt, wie man gemeiniglich redet, sondern in jedem Punkt, im Wesen jedes Dinges und seiner Eigenschaften (wenn ich so sagen darf) den ganzen Gott offenbart, wie er nämlich in diesem Symbol, in diesem Punkt des Raumes und der Zeit sichtbar und energisch werden konnte: welche Kindheit wäre es, allein uns immer zu fragen, warum und zu welchen geheimen Absichten er sich denn wol hier also, dort also geoffenbart haben möge, statt der nothwendigern[67] und schönern Untersuchung: was es denn eigentlich sei, das sich und welchergestalt es sich offenbare, d.i. welche Kräfte der Natur und nach welchen Gesetzen sie nicht nur in diesem oder jenem Organ, sondern allenthalben organisch wirken?

THEOPHRON. Fahren Sie fort, Philolaus!

PHILOLAUS. Wir nennen die Welt, weil sie eine Wirkung und voll Wirkungen ist, zufällig; der Ausdruck ist unpassend und selbst der Sprache zuwider. Die Wirkung der höchsten Macht, die nach nothwendigen innern Gesetzen ihres Wesens, mit hin der vollkommendsten Güte und Weisheit wirkt, ist nicht Zufall, so wenig der Verstand Gottes (das Wort im rechten Sinne gebraucht) zufällig-weise, zufällig-gut ist. Er schuf das Mögliche und einer unendlichen Macht ist alles Mögliche möglich. Dies Alles nun ist, wie wir's nennen, durch Raum und Zeit, d.i. durch wesentliche Ordnung verbunden; jedes hervorgebrachte Ding ist durch die vollkommenste Individualität bestimmt und mit ihr umschränkt; weder im Ganzen der Welt noch in ihrem kleinsten Theile ist also Zufall. Außer dem, was der allmächtig-wirkende Geist möglich fand, ist jede Möglichkeit ein Traum, so wie es außer dem Raume keinen Raum, außer der Zeit keine Zeit gibt. Alles dies sind leere Phantome der Einbildungskraft, Worte, die ein Traum zusammensetzte und in ein Traum Anschauungen wähnt.

Keinen Augenblick also ruhte der Schöpfer; denn in der Ewigkeit Gottes giebst's keine Augenblicke und der wesentlich Wirksame ruhte nie. Deshalb aber ist die Welt nicht wie Gott ewig; denn sie ist eine Verbindung von Dingen der Zeit. Jeder Augenblick der Zeitenfolge also, ja die ganze Zeitenfolge selbst ist mit der absoluten Ewigkeit Gottes unvergleichbar. Alle Dinge der Zeitenfolge sind bedingt, sind abhängig von einander, ganz abhängig endlich von der Ursache, die sie hervorgebrachte; keins derselben ist also mit dem Dasein Gottes zu vergleichen. Was die Zeit für die Folge ist, ist der Raum für die Coëxistenz. Gott ist durch keinen Raum ausmeßbar, weil er mit keinem Dinge als Seinesgleichen coëxistirt; er ist aber die ewige Ursache, die unergründliche Wurzel aller Dinge, so erhaben über unsere Einbildungskraft, daß in ihm aller Raum und alle Zeit, Denkbilder unserer Phantasie, schwinden.[68] Wir endliche Wesen, mit Raum und Zeit umfangen, die wir uns Alles nur unter ihrem Maß denken, wir können von der höchsten Ursache nur sagen: sie ist, sie wirkt; aber mit diesem Worte sagen wir Alles. Mit unendlicher Macht, die durch sich die höchste Güte ist, wirkt sie in jedem Punkt des Raums, in jedem Augenblick der forteilenden Zeit; Raum und Zeit aber sind nur uns ein dunkles oder helleres Bild vom Zusammenhange der Wesen nach jener festbestimmten ewigen Ordnung, welche die Eigenschaft und Wirkung der unendlichen Wirklichkeit selbst ist, mithin auf nichts Geringerm als dieser untheilbaren ewigen Unendlichkeit ruht. Kein edleres Geschäft also kennt unser Geist, als in den uns gegebenen Symbolen der Wirklichkeit der Ordnung zu folgen, die im Verstande des Ewigen war, ist und sein wird. Jedes seiner Gesetze ist das Wesen der Dinge selbst, ihnen nicht willkürlich angehängt, sondern eins mit ihnen. Ihr Wesen ist sein Gesetz, sein Gesetz ihr Wesen; die Verbindung aller ist eine thätige Darstellung seiner Wirksamkeiten und Kräfte. Wie kindisch wäre es nun, wenn, indem ich die Schönheit des Zirkels und seiner mancherlei Verhältnisse bewundre, ich tiefsinnig den geheimen, besondern Absichten nachspüren wollte, warum Gott solch einen Zirkel schuf, warum er die genauen, schönen Verhältnisse in ihm zur Natur des Zirkels und unsrer messenden Vernunft machte! Der Raum wäre kein Raum, wenn in ihm nicht unter allen möglichen Umrissen auch der Zirkel stattfinden sollte, und unsre Vernunft wäre keine Vernunft, wenn sie die schönen Verhältnisse jeder Abtheilung in ihm nicht bemerken könnte.

THEOPHRON. Ich will Ihnen mit andern Beispielen helfen, Philolaus. Wenn immerhin die Menschen bei der Bewunderung stehen geblieben wären,


– »Daß Sterne sonder Zahl,

Mit immer gleichem Schritt und ewig hellem Strahl,

Durch ein verdeckt Gesetz vermischt und nicht verwirret,

In eignen Kreisen gehn und nie ihr Lauf verirret:«


so wäre diese Bewunderung allerdings schon eine Art von Anbetung des Gottes gewesen, von dem es heißt:
[69]

– »Sein Will' ist ihre Kraft;

Er theilt Bewegung, Ruh' und jede Eigenschaft

Nach Maß und Absicht aus«,


und man hätte sich dabei viele Absichten, falsche und wahre, würdige und unwürdige erdenken mögen. Der Naturweise aber, der von diesen Absichten vorerst hinwegsah und eben »das verdeckte Gesetz« aufsuchte, durch welches die Sterne


– »vermischt und nicht verwirret,

In eignen Kreisen gehn, und nie ihr Lauf sich irret«,


er that mehr, als der größte Absichtendichter thun konnte. Er dachte dem Gedanken Gottes nach und fand ihn, nicht in einem Traum willkürlicher Convenienzen, sondern im Wesen der Dinge selbst, deren Verhältnisse er maß, wog und zählte. Jetzt erkennen wir das große Gesetz dieses Weltbaues, und unsre Bewunderung ist vernünftig, da sie sonst ewig und immerhin ein zwar frommes, aber leeres Staunen gewesen wäre.

PHILOLAUS. Setzen Sie dazu: ein sehr trügliches Staunen; denn wenn wir a priori particulare Absichten Gottes in die Schöpfung bringen und in der ewigen Rathkammer wollen gehört haben, warum Saturn einen Ring, unsre Erde einen Mond, Mars und Venus aber keinen haben: auf welche Bahn täuschender Hypothesen wagen wir uns, die meistens der künftige Tag widerlegt! Ueber den Ring des Saturns, über den Mond der Erde und der Venus war aus dem Register göttlicher Absichten so Manches gesagt und geglaubt worden, das man beschämt zurücknehmen mußte, als man fand, Venus habe keinen Mond, mit der Beleuchtung der Saturnseinwohner aus ihrem Demantringe wie mit unserm Monde selbst verhalte es sich nach weitern Entdeckungen auch anders, als man dem ersten Scheine nach annahm. Allen diesen Trüglichkeiten, zu welchen man den heiligen Namen nicht mißbrauchen sollte, entgeht der bescheidne Naturforscher, der uns zwar nicht particulare Willensmeinungen aus der Kammer des göttlichen Raths verkündigt, aber dafür die Beschaffenheit der Dinge selbst untersucht und auf die ihnen wesentlich eingepflanzten Gesetze merkt. Er sucht und findet, indem er die Absichten Gottes zu vergessen scheint, in jedem Gegenstande und Punkt der Schöpfung[70] den ganzen Gott, d.i. in jedem Dinge eine ihm wesentliche Wahrheit, Harmonie und Schönheit, ohne welche es nicht wäre und sein könnte, auf welche also seine Existenz mit innerer, zwar einer vorübergehenden und bedingten, dennoch aber in ihrer Art ebenso wesentlichen Nothwendigkeit gegründet ist, als auf welcher unbedingt und ewig das Dasein Gottes ruht. Eben die völlige Abhängigkeit der Dinge von Gott macht ihre Wesen zu nothwendigen Denkbildern seiner Macht, Güte und Schönheit, wie sich diese nur in solchen und keinen andern Erscheinungen offenbaren konnte. Ich wünschte, daß Spinoza ein Jahrhundert später geboren wäre, um von den Hypothesen des Descartes fern, im freieren Licht der Naturlehre und Naturgeschichte zu philosophiren; wie trefflich würde seine abstracte Philosophie diese hohen Entdeckungen gebraucht haben!

THEOPHRON. Und ich wünschte, daß Andre auf dem Wege tapfer fortgehen mögen, für welchen Spinoza an seiner Stelle die Bahn brach, nämlich: reine Naturgesetze zu entwickeln, ohne sich um particulare Absichten Gottes dabei zu kümmern. Wer mir die Naturgesetze zeigen könnte, wie nach innrer Nothwendigkeit aus Verbindung wirkender Kräfte in solchen und keinen andern Organen unsre Erscheinungen der sogenannt todten und lebendigen Schöpfung, Salze, Pflanzen, Thiere und Menschen, erscheinen, wirken, leben, handeln, hätte die schönste Bewundrung, Liebe und Verehrung Gottes weit mehr befördert, als der mir aus der Kammer des göttlichen Raths predigt, daß wir die Füße zum Gehen, das Auge zum Sehen haben u.s.w.

PHILOLAUS. Mich dünkt, mit solchen Phisiko- Theologien gehe es ziemlich hinunter.

THEOPHRON. Zu ihrer Zeit waren sie sehr nützlich; sie waren eigentlich nichts als kindlich-populare Anwendungen einer neuen festeren Naturlehre. Ihr Grund wird also immer bleiben, ja die Wahrheit in ihnen wird sich noch ungleich mehr veredeln, wenn man nicht mehr bei jedem einzelnen kleinen Umstande nach einzelnen[71] kleinen Absichten hascht, sondern immer mehr einen Blick über das Ganze gewinnt, das bis auf seine kleinsten Verbindungen nur ein System ist, in welchem sich nach unveränderlichen innern Regeln die meisten Güte offenbart. Ein Gebäude der Gottesverehrung, das sowol metaphysisch über das Endlose des Raumes und der Zeit geht, als es physisch im Wesen der Dinge selbst unerschütterlich fest ruht! Jedes gefundene wahre Naturgesetz wäre damit eine gefundene Regel des ewigen göttlichen Verstandes, der nur Wahrheit denken, nur Wirklichkeit wirken konnte.

PHILOLAUS. Wie dauert's mich, daß die Philosophie des Spinoza, die dahin weist, mit so manchen abschreckenden Härten verwebt ist! denn in dieser Gestalt wird sie doch immer nur für Wenige bleiben.

THEOPHRON. Eben das ist gut; der große Haufe muß diese Philosophie nicht lesen; eine Secte muß sie nie stiften.

PHILOLAUS. Dafür hat ihr Urheber seinen Grundsätzen zufolge schon durch den Vortrag gesorgt.38 Indessen leugne ich's nicht, daß ich den schönen Wahrheiten, die er über Gott, die Welt, über das Wesen und die Natur des Menschen, über seine Schwachheit und Stärke, über den Zustand seiner Sclaverei und Freiheit sagt, mehr Ausbreitung und eine tiefere Einwirkung wünschte, als sie in seinem Buch für die Meisten haben können und haben werden. So eingenommen ich gegen ihn war, so durchdrungen bin ich jetzt von der innigen Wahrheitsliebe dieses Mannes und von der Vortrefflichkeit seiner moralischen sowol als mehrerer seiner philosophischen Grundsätze. Ich wünschte, daß ihn Viele so kennen lernten.

THEOPHRON. Zeit und Wahrheit werden das schon bewirken. Lesen Sie dies Buch und sehen, was Lessing über ihn gesagt hat.39 Haben Sie nichts von dem Lärm gehört, über dem Grabe dieses Gelehrten: »er sei ein Spinozist gewesen«?

PHILOLAUS. Ich habe es nicht hören mögen, weil ich, wie Sie wissen, von Spinoza so übel unterrichtet war und mir den Namen[72] Lessing's nicht gern durch einen Flecken verunstalten wollte. Jetzt werde ich mit desto größerer Begierde lesen, was er von ihm sagte, da ich mir Lessing so wenig als einen Spinozisten denken kann, als wir Beide es sind. Er war nicht geschaffen, ein... ist zu sein, welche Buchstaben man auch dieser Endung voransetzen möge, und die Lücken in Spinoza's Vortrage wird sein Scharfsinn gewiß nicht verkannt haben.

THEOPHRON. Lesen Sie! dann wollen wir weiter reden.[73]

28

Die hieher gehörigen astronomischen Abhandlungen von Lagrange und Laplace stehen in den Denkschriften der Berliner und Pariser Akademie. Des Newton's unsrer Zeit, Pierre Simon Laplace, Exposition du Système du monde, die seitdem (1796) erschienen, ist eine Himmelskarte dieser weisen ewigen Gesetze des Weltalls.

29

»Der wirkende Verstand (intellectus actu), sei er endlich oder unendlich, muß wie Wille, Liebe, Begierde zur abgeleiteten, nicht zur hervorbringenden Natur gezählt werden.« Prop. 31. »Die Natur hat keinen vorgesetzten Endzweck; alle Endursachen sind Dichtungen der Menschen.« Prop. 36, append. u.s.w.

30

S. Br. 24, 25 u.s.w.

31

S. im Register seiner Opp. den Namen Spinoza.

32

»Je mehr Realität oder Wirklichkeit ein Ding besitzt, desto mehr Attribute kommen ihm zu.«(P. I. Prop. 9.) »Gott, das selbstständige Wesen, bestehend in unendlichen Attributen, deren jedes sein unendliches ewiges Wesen ausdrückt, existirt nothwendig.« (Prop. 11.) »Aus der Nothwendigkeit der göttlichen Natur muß Unendliches auf unendliche Weisen, d.i. Alles, dessen ein unendlicher Verstand fähig ist (quae sub intellectum infinitum cadere possunt), folgen.« (Prop. 16.) »Gottes Verstand ist die Ursache der Dinge, sowol ihrer Existenz als ihrem Wesen nach; er ist also vom Verstande aller Dinge wesentlich unterschieden.« (Prop. 18. Schol.) »Gottes Existenz und Wesen ist Eins und Dasselbe.« (Prop. 20.) »Auf keine andre Weise, in keiner andern Ordnung haben die Dinge hervorgebracht werden können, als sie hervorgebracht sind; mithin in der größten Vollkommenheit, weil sie aus der vollkommensten Natur nothwendig folgen. Niemand kann uns überreden, zu glauben, daß Gott nicht Alles, was in seinem Verstande ist, in der Vollkommenheit, wie er es erkennt, schaffen wolle.« (Prop. 33. Schol. 2.) »Gedanke ist ein Attribut Gottes, eins seiner unendlichen Attribute, das sein ewiges unendliches Wesen ausdrückt.« (P. II. Prop. 1.) »In Gott ist nothwendig eine Idee, sowol seines Wesens als Alles dessen, was aus seinem Wesen nothwendig folgt. Der Pöbel versteht unter Gottes Macht eine freie Willkür, wir haben aber gezeigt, daß Gott mit derselben Nothwendigkeit handle, mit der er sich selbst erkennt (se ipsum intelligit), d.i. wie es aus der Nothwendigkeit der göttlichen Natur folgt, daß Gott sich selbst erkenne, so folgt auch aus ihr, daß Gott Unendliches auf unendliche Weisen wirke.« (Prop. 3. Schol.) »Die Idee Gottes, aus welcher Unendliches auf unendliche Weisen folgt, kann nur eine sein; denn ein unendlicher Verstand begreift nichts in sich als Gottes Attribute und Affectionen.« (Prop. 4.) »Die Ordnung und Verbindung seiner Ideen ist die Ordnung und Verbindung der Sachen selbst.« (Prop. 7) »Was irgend vom unendlichen Verstande gedacht werden kann, als constituirend des Selbstbestehenden Wesen, das Alles gehört zum einzigen Selbstständigen.« u.s.w. (Prop. 7. Schol.)

33

Zeuge dessen ist Spinoza's ganze »Ethik«.

34

Uz' lyrische Gedichte, Theodicee.

35

»Da in dem Ewigen es weder ein Wann noch ein Vorher und Nachher giebt, so folgt aus der bloßen Vollkommenheit Gottes, daß er ein Andres beschließen, als er beschlossen hat, weder könnte noch gekonnt habe. Vor seinen Beschlüssen war es nicht, noch ohne dieselbe. Aenderte er diese, so würde er seinen Verstand und Willen ändern, d.i. ein andrer Gott sein.« (Prop. 33 Schol. 2.)

36

Oeuvres Philosophiques de Leibnitz, publ. p. Raspe. Amst. 1765, beinah die lehrreichste unter Leibnizens Schriften, von dem übrigens jede Zeile lehrreich ist.

37

»Keinesweges unterwerfe ich Gott einem Fatum, sondern ich denke mir, daß aus der Natur Gottes Alles so nothwendig folge, wie Jeder es sich aus der Natur Gottes folgend denkt, daß Gott sich selbst erkennt. Beim Letzten leugnet Niemand, daß es aus der göttlichen Natur nothwendig folge, und doch denkt sich dabei Niemand, daß Gott von einem Schicksal gezwungen sich selbst erkenne; er erkennt sich frei und doch nothwendig.« Ep. 23. Opp. post., p. 453.

38

»Wer begierig ist, Andern mit Rath und That dahin zu helfen, daß sie insgesammt des höchsten Gutes genießen, der wird sich befleißigen, sich ihre Liebe zu erwerben, nicht aber sie in eine Bewunderung seiner zu ziehen, daß eine Wissenschaft von ihm den Namen erhalte«. Eth., P. IV. Opp., Cap. 25.

39

Ueber die Lehre des Spinoza, Breslau 1786. Neue vermehrte Ausgabe. Breslau 1789.

Quelle:
Herders Werke. Berlin [o.J.], S. 54-74.
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