III

Beispiele vom physiologischen Bau einiger Tiere

[92] Der Elefant17, so unförmlich er scheinet, gibt physiologische Gründe gnug von seinem dem Menschen so ähnlichen Vorzuge vor allen lebenden Tieren. Zwar ist sein Gehirn, der Größe des Tiers nach, nicht übermäßig; die Höhlen desselben aber und sein ganzer Bau ist dem menschlichen sehr ähnlich. »Ich war erstaunt«, sagt Camper, »eine solche Ähnlichkeit zwischen der glandula pinealis, den nates und testes dieses Tiers mit denen in unserm Gehirn zu finden; wenn irgendwo ein sensorium commune statthaben kann, so muß es hier gesucht werden.« Die Hirnschale ist im Verhältnis[92] des Kopfs klein, weil die Nasenhöhle weit oberhalb dem Gehirn läuft und nicht nur die Stirn-, sondern auch andre Höhlen18 mit Luft anfüllet; denn um die schweren Kinnladen zu bewegen, wurden starke Muskeln und große Oberflächen erfodert, die die bildende Mutter also, um dem Geschöpf eine untragbare Schwere zu ersparen, mit Luft anfüllte. Das große Gehirn liegt nicht oberhalb dem kleinen und drücket dasselbe nicht durch seine Schwere; die trennende Membrane steht senkrecht. Die zahlreichen Nerven des Tiers wenden sich großenteils zu den feinern Sinnen, und der Rüssel allein empfängt derselben soviel als sein ganzer ungeheurer Körper. Die Muskeln, die ihn bewegen, entspringen an der Stirn; er ist ganz ohne Knorpel, das Werkzeug eines zarten Gefühls, eines feinen Geruchs und der leichtesten Bewegung. In ihm also vereinigen sich mehrere Sinne und berichtigen einander. Das geistvolle Auge des Elefanten (das auch am untern Augenlide, dem Menschen und sonst keinem Tier gleich, Haare und eine zarte Muskelbewegung hat) hat also die feinern fühlenden Sinne zu Nachbarn, und diese sind vom Geschmack, der sonst das Tier hinreißt, gesondert. Was bei andern, zumal fleischfressenden Tieren der herrschende Teil des Gesichts zu sein pflegt, der Mund, ist hier unter die hervorragende Stirn, unter den erhöheten Rüssel tief herunter gesetzt und beinah verborgen. Noch kleiner ist seine Zunge; die Waffen der Verteidigung, die er im Munde trägt, sind von den Werkzeugen der Nahrung unterschieden: zur wilden Freßgier ist er also nicht gebildet. Sein Magen ist einfach und klein, so groß die Eingeweide sein mußten; ihn kann also wahrscheinlich nicht, wie das Raubtier, der wütende Hunger quälen. Friedlich und reinlich lieset er die Kräuter, und weil Geruch und Mund voneinander getrennt sind, brauchet er dazu mehr Behutsamkeit und Zeit. Zu eben der Behutsamkeit hat ihn die Natur im Trinken und in seinem ganzen schweren Körperbau gebildet, so daß diese ihn eben aus dem[93] Grunde bis zur Begattung begleitet. Kein Trieb des Geschlechts verwildert ihn; denn die Elefantin trägt neun Monate, wie der Mensch, und säuget ihr Junges an Vorderbrüsten. Dem Menschen gleich sind die Verhältnisse seiner Lebensalter, zu wachsen, zu blühn, zu sterben. Wie edel hat die Natur die tierischen Schneidezähne in Hauzähne verwandelt, und wie fein muß das Organ seines Gehörs sein, da er die menschliche Rede in feinen Unterscheidungen des Befehls und der Affekten verstehet. Seine Ohren sind größer als bei einem andern Tier, dabei dünne und nach allen Seiten gebreitet; ihre Öffnung liegt hoch, und der ganze, dennoch kleine Hinterkopf des Tiers ist eine Höhle des Widerhalls, mit Luft erfüllet. So wußte die Natur die Schwere des Geschöpfs zu erleichtern und die stärkste Muskelkraft mit der feinsten Ökonomie der Nerven zu paaren. Ein König der Tiere an weiser Ruhe und verständiger Sinnesreinheit.

Der Löwe dagegen19, welch ein andrer König der Tiere! Auf Muskeln hat es die Natur bei ihm gerichtet, auf Sanftmut und feine Verständigkeit nicht. Sein Gehirn machte sie klein und seine Nerven so schwach, als es dem Verhältnis nach selbst die Nerven der Katze nicht sind, die Muskeln dagegen dick und stark, und setzte sie an ihren Knochen in eine solche Lage, daß aus ihnen zwar nicht die vielfachste und feinste Bewegung, aber desto mehr Kraft entstehen sollte. Ein eigner großer Muskel, der den Hals erhebt, ein Muskel des Vorderfußes, der zum Festhalten dient, ein Fußgelenk dicht an der Klaue, diese groß und krumm, daß ihre Spitze nie stumpf werden kann, weil sie nie die Erde berührt: solche wurden des Löwen Gaben. Sein Magen ist lang und stark gebogen; das Reiben desselben, und also sein Hunger, muß fürchterlich sein. Klein ist sein Herz, aber zart und weit die Höhlen desselben, viel länger und weiter als beim Menschen. Auch die[94] Wände seines Herzens sind doppelt so dünn und die Pulsadern doppelt so klein, daß das Blut des Löwen, sobald es aus dem Herzen tritt, schon viermal und in den Zweigen der 15. Abteilung hundermal schneller läuft als im Menschen. Das Herz des Elefanten dagegen schlägt ruhig, beinah wie bei kaltblütigen Tieren. Auch die Galle des Löwen ist groß und schwärzlich. Seine breite Zunge läuft vorn rund zu, mit Stacheln besetzt, die, anderthalb Zoll lang, mitten auf dem Vorderteil liegen und ihre Spitzen hinterwärts richten. Daher sein gefährliches Lecken der Haut, das sogleich Blut hervortreibt und bei dem ihn Blutdurst befällt, wütender Durst auch nach dem Blut seines Wohltäters und Freundes. Ein Löwe, der einmal Menschenblut gekostet hat, läßt nicht leicht von dieser Beute, weil sein durchfurchter Gaum nach dieser Erquickung lechzet. Dabei gebiert die Löwin mehrere Junge, die langsam wachsen; sie muß sie also lange nähren, und ihr mütterlicher Trieb nebst eignem Hunger reizt ihre Raubgier. Da die Zunge des Löwen scharf leckt und sein heißer Hunger ein Durst ist, so ist's natürlich, daß ihn faules Aas nicht reize. Das eigne Würgen und Aussaugen des frischen Bluts ist sein Königsgeschmack, und sein befremdendes Anstaunen oft seine ganze Königsgroßmut. Leise ist sein Schlaf, weil sein Blut warm und schnell ist; feige wird er, wenn er satt ist, weil er faulen Vorrat nicht brauchen kann, auch nicht an ihn denket und ihn also nur der gegenwärtige Hunger zur Tapferkeit treibet. Wohltätig hat die Natur seine Sinne gestumpft: sein Gesicht fürchtet das Feuer, da es auch den Glanz der Sonne nicht erträgt; er wittert nicht scharf, weil er auch der Lage seiner Muskeln nach nur zum mächtigen Sprunge, nicht zum Lauf gemacht ist und keine Fäulung ihn reizt. Die überdeckte, gefurchte Stirn ist klein gegen den Unterteil des Gesichts, die Raubknochen und Freßmuskeln Plump und lang ist seine Nase, eisern sein Nacken und Vorderfuß, ansehnlich seine Mähne und Schweifmuskeln; der Hinterleib hingegen ist schwächer und feiner. Die Natur hatte ihre furchtbare Kräfte verbraucht und machte ihn im Geschlecht, auch sonst,[95] wenn ihn sein Blutdurst nicht quält, zu einem sanften und edlen Tiere. So physiologisch ist also auch dieses Geschöpfs Art und Seele.

Ein drittes Beispiel mag der Unau sein, dem Ansehn nach das letzte und ungebildetste der vierfüßigen Tiere, ein Klumpe des Schlammes, der sich zur tierischen Organisation erhoben. Klein ist sein Kopf und rund, auch alle Glieder desselben rund und dick, unausgebildet und wulstig. Sein Hals ist ungelenk, gleichsam ein Stück mit dem Kopf. Die Haare desselben begegnen sich mit dem Rückenhaar, als ob die Natur das Tier in zweierlei Richtungen formiert habe, ungewiß, welche sie wählen sollte. Sie wählte endlich den Bauch und Hintern zum Hauptteil, dem auch in der Stellung, Gestalt und ganzen Lebensweise der elende Kopf nur dienet. Der Wurf liegt am After; Magen und Gedärm füllen sein Inneres; Herz, Lunge, Leber sind schlecht gebildet, und die Galle scheint ihm noch gar zu fehlen. Sein Blut ist so kalt, daß es an die Amphibien grenzet; daher sein ausgerissenes Herz und sein Eingeweide noch lange schlägt und das Tier, auch ohne Herz, die Beine zuckt, als ob es in einem Schlummer läge. Auch hier bemerken wir also die Kompensation der Natur, daß, wo sie empfindsame Nerven, selbst rege Muskelkräfte versagen mußte, sie desto inniger den zähen Reiz ausbreitete und mitteilte. Dies vornehme Tier also mag unglücklicher scheinen, als es ist. Es liebt die Wärme, es liebt die schlaffe Ruhe und befindet sich in beiden schlammartig wohl. Wenn es nicht Wärme hat, schläft es; ja, als ob ihm auch das Liegen schmerzte, hängt es sich mit der Kralle an den Baum, frißt mit der andern Kralle und genießt wie ein hangender Sack im warmen Sonnenschein sein raupenartiges Leben. Die Unförmlichkeit seiner Füße ist auch Wohltat. Das weiche Tier darf sich vermittelst ihres sonderbaren Baues nicht einmal auf die Ballen, sondern nur auf die Konvexität der Klaue wie auf Räder des Wagens stützen und schiebet sich also langsam und gemächlich weiter. Seine sechsundvierzig Ribben, dergleichen kein andres vierfüßiges Tier hat, sind ein langes Gewölbe seines[96] Speisemagazins und, wenn ich so sagen darf, die zu Wirbeln verhärteten Ringe eines fressenden Blättersacks, einer Raupe.

Gnug der Beispiele. Es erhellet, wohin der Begriff einer Tierseele und eines Tierinstinkts zu setzen sei, wenn wir der Physiologie und Erfahrung folgen. Jene nämlich ist die Summe und das Resultat aller in einer Organisation wirkenden lebendigen Kräfte. Dieser ist die Richtung, die die Natur jenen sämtlichen Kräften dadurch gab, daß sie sie in eine solche und keine andre Temperatur stellte, daß sie sie zu diesem und keinem andern Bau organisierte.

17

Nach Buffon, Daubenton, Camper und zum Teil Zimmermanns »Beschreibung eines umgebornen Elefanten «.

18

Die Trommeln und Höhlen der processus mammillares u. f.

19

Insonderheit nach Wolfs vortrefflicher Beschreibung in den »Novi Commentarii Academiae Scientiarum Petropolitanae« T. 15, 16, nach deren Art ich die physiologisch-anatomische Beschreibung mehrerer Tiere wünschte.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 2 Bände, Band 1, Berlin und Weimar 1965, S. 92-97.
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