2.

[379] Geschmack aus Münzen. »Vielleicht äussern einige Antiquarien unsers Vaterlandes über meine Absicht, das Wachsthum und den Verfall des Geschmacks und der Künste bei einem Volke aus dessen Münzen zu zeigen, eben die Verwunderung, mit welcher man vor Zeiten die entzückungsvolle Aufmerksamkeit begleitete, die die Augen des Nicostratus auf des Zeuxes Helena geheftet hatte. Ich wünschte, daß ich mich durch das Bewußtseyn größerer Verdienste und Einsichten in die Kunst berechtigt fühlte, mit dem edlen Stolze des Malers ihnen antworten zu können: ›Ihr würdet euch nicht wundern, wenn ihr meine Augen hättet.Es ist gewiß, daß viele Personen einerlei Gegenstand betrachten, und gleichwohl viele nicht dasselbe an ihm bemerken können, was sich dem Auge eines Einzigen in einem reizenden Glanze darstellt. Manchen wird der Anblick einer Gothischen Cathedralkirche eben so sehr rühren, als des Pantheons zu Rom, und die Entzückung, welche Pietro di Cortona bei dem Anblicke des Pferdes des Marcus Aurels in dem Hofe des Capitols die Worte oft ablockte: ›So gehe doch fort, weißt du nicht, daß du lebendig bist?‹ kann von den wenigsten auch nur begriffen werden. Wie viele Künstler waren nicht von jenem Rumpfe einer alten Bildsäule weggegangen, ohne die glückliche Entdeckung gemacht zu haben, die Michel Angelo fand! Er[379] bemerkte blos an ihm einen gewissen Grundsatz, welcher nach Hogarths Urtheile, seinen Werken einen erhabnen Geschmack gegeben, der den guten Stücken des Alterthums gleich kommt. Ich glaube, daß Addison aus einer Empfindung, die er sehr oft in seinem Leben erfahren haben muß, die Vorzüge eines glücklichen Geistes geschildert habe. ›Ein Mensch, sagt er, von einer geschärften Einbildungskraft, wird in mancherlei große Vergnügungen geführt, die der gemeine Mann zu bekommen nicht fähig ist.‹« u.s.w.1 So aufmerksam man bei Erzählung solcher vornehmen Empfindungen und Erfahrungen seyn mag, wer kann dem Geschmackvollen Autor bis auf Felder und Wiesen folgen? Gläubig höre ich den Parenthyrsus unnennbarer Gefühlsarten: »entzückungsvolle Aufmerksamkeit, die die Augen anheftet, die mit Verwunderung begleitet wird: das Bewußtseyn, das sich wozu berechtigt fühlt: Die Bemerkungen an dem, was sich dem Auge eines einzigen in einem reizenden Glanze darstellt: die Entzückung, die Worte ablockt, und die von den wenigsten auch nur begriffen werden kann: die Bemerkung eines Grundsatzes, der den Werken erhabnen Geschmack gibt: die Empfindung, die der und jener sehr oft in seinem Leben erfahren haben muß u.s.w.« Diesem ästhetisch-psychologisch-mystisch erhabnen Jargon von Kunstgefühlen, der jetzt in die Stelle abgelebter Theosophischer Empfindungen und Seelenerfahrungen tritt, höre ich andächtig zu, und antworte Hr. Klotzen auf sein »Ei ja! wenn ihr meine Augen hättet!« durch den herzlichen Seufzer: »Ach! hätte ich Deine Augen!«

Er fährt epanorthotisch fort:2 »Wie verschieden sind nicht die Absichten, welche die Gelehrten bei dem Studio der alten Münzwissenschaft haben! Unter einer großen Anzahl derer, welche sich damit beschäftigen, habe ich nur sehr wenige angetroffen, die einen andern Nutzen davon zu ziehen gewünscht hätten, als welchen der gemeine Haufe der Antiquarien bei seinen mühsamen[380] Arbeiten kennet. Zufrieden mit sich selbst und vergnügt über die Lasten, welche sie ihrem geduldigen Gedächtnisse auflegen, lachen diese bestaubten Männer über unsre gutgemeinte Frage, ob sie auch in den Tempel des Geschmacks gehen wollen? und antworten muthig: Nein! dem Himmel sei Dank! das ist nicht unsre Sache. Geschmack ist nichts: wir besitzen die Geschicklichkeit, fremde Gedanken durch lange Auslegungen zu erweitern; aber selbst denken wir nicht. Die nützlichsten unter ihnen sind die, welche die alten Münzen um deßwillen lieben, weil sie ihnen Gelegenheit geben, chronologische Untersuchungen anzustellen. Ihre Arbeit müssen wir mit Dank erkennen, und sie selbst verdienen ein aufrichtiges Mitleiden, weil ihnen das Vermögen versagt ist, bey ihrer Gelehrsamkeit zugleich das Vergnügen zu genießen, welches andern ein guter Geschmack gewähret. Spon, unterrichtet in den Geheimnissen der Physiognomie, las die Denkungsart und die Eigenschaften der Menschen auf dem Gesichte, das ihm die Münze vorstellte, und Addison, höherer Gedanken fähig, verglich die Bilder auf Münzen mit den Gedanken der Dichter, und rechtfertigte hiedurch seine Hochachtung für das Alterthum. Ich wünsche meinem Vaterlande mehrere Nachfolger des letztern, und ich werde mich freuen, wenn unsre Gelehrten künftig an den Gott der Künste und des Geschmacks eben die Bitte thun, die Ajax beim Homer an den Jupiter that: O! Vater vertreibe die Nacht, laß es helle werden, und gib, daß unsre Augen sehen!«

Alle Hochachtung für Spons Sibyllenweissagungen, für Addisons Vergleichungen, für unsrer Deutschen Ajaxe Gebet an den Jupiter, oder für das Gebet des Aegyptischen Cynocephalus, daß der helle Mond wiederkehre; indessen dünkt mich doch das »aufrichtige Mitleiden,« mit allen Gelehrten, die nicht, wie Hr. Klotz, an einer Geschichte des Geschmacks der Völker, Zeiten und Künste, aus Münzen, arbeiten, sehr entbehrlich. Es wäre, umsonst, die Nutzbarkeit des Münzenstudium zur Geschichte, Chronologie, Geographie, Naturwissenschaft, Mythologie, Rechtslehre und[381] der ganzen Känntniß des Alterthums, erweisen zu wollen, da solche in dieser Wissenschaft große Namen vor dieser Materie stehen, oder da viele, welches noch besser ist, durch ihr Beispiel die Sache selbst erwiesen haben. Nur so viel also gegen Hr. Kl., daß die Bearbeitung der Münzwissenschaft aus einem andern Gesichtspunkte; er sei nun Geschichte, oder Rechtsgelahrheit, oder Mythologie, oder eine Theorie der Medaillen überhaupt, noch gar nicht dem Geschmack an Münzen wiederspreche, ihn nicht verdränge; ihn vielmehr voraussetze, und mit ihm als Führer einerlei Reise thue. Hier den Geschmack als ein entlegnes eignes Land ansehen, ist eine Aussicht nach Utopien hin; und eben so viel, als Lebenslang die Logik studiren, ohne sie und alle ihre Zauberkünste jemals anzuwenden, sich Lebenslang den Geschmack zu kitzeln, ohne sich einige Nahrung dadurch erschmecken zu wollen. Der wahre Tempel des Geschmacks ist nicht eine Orientalische Pagode, ein Ruhesitz, wo man als am Ende seiner Wallfahrt sich niederläßt; er ist vielmehr wie der Tempel des Marcellus gebauet; die Pforte des Geschmacks, auch in Münzen, ein Durchgang zur Wissenschaft: zur Wissenschaft, welche es wolle.

Der Pöbel der Münzverständigen freilich – aber wer wollte sich (es sei nun zu eignem Lobe, oder zum Tadel anderer,) unter den Pöbel mischen? Die Nutzbaren, die würdigen Münzgelehrten gerechnet; und bei denen sollte ihre Gelehrsamkeit dem Geschmacke wiedersprechen müssen? dieser von jener nicht oft eine Gesellin, oft gar eine verdeckte Minerva haben seyn dörfen, selbst wenn es auf wissenschaftliche Untersuchungen ausging? – Nicht zweifeln soll einmal diese Frage; sie soll blos die Erinnerung wecken! Wie? alle die großen Bearbeitungen in den Feldern der Numismatik, ohne Geschmack der Münzen bewerkstelligt? unter allen um diese Wissenschaft so verdienten Namen, wäre ein Addison, und Klotz das einige Duumvirat des Geschmacks? Jene Münzensammler und Münzenerklärer, weil sie nicht offenbar und allein vom Geschmacke schrieben; weil jener einen Theil der Geschichte, dieser einen Theil der Alterthümer, ein andrer einzelne Stellen der Alten und ein[382] vierter die Chronologie aus Münzen aufgekläret; darum sollten sie vom Geschmacke nichts gewußt? nicht die Schönheit der Bilder, und das Bedeutende der Allegorien, und die Weisheit der Inschriften gefühlt haben, an denen sie eine so unersättliche Augenweide fanden? Nicht im Mechanischen der Münzen Geschmack besessen, dafür sie eben auch in der Abbildung sorgten, und das mit Entzücken priesen, was sich nicht abbilden ließ? Wie? daß sie bei diesem Selbstgefühl nicht stehen blieben, und eben mit der Erfahrenheit ihres Auges, und mit der Gelehrsamkeit ihres Geschmacks höhere Zwecke auszurichten suchten; nicht mit dem Instrument pralten, sondern lieber Werke aufwiesen, die ihr Instrument in stiller Werkstäte verfertigt: soll dies ihnen gegen den zum Nachtheile3 gereichen, der nichts als sein Instrument vorzeiget, der blos von Geschmacke redet, ohne, was er damit zur anderweitigen Nahrung ausgekostet?

Hr. Kl. hat ungefähr sagen wollen: daß es Leute gebe, die bei einer Münze vorzüglich auf Gelehrsamkeit sehen, und bei denen dieser Hang zur Belesenheit, das, was er Geschmack nennt, verschlinget; daß es Leute gebe, die bei einer Münze das Mechanische der Kunst richtig im Auge haben, und (man nenne dieses nun Kunstwissenschaft oder Kunstgeschmack,) von ihnen, als Geprägen urtheilen, und wenn sie muntern Geistes sind, sich über ein Kunstbild freuen können; daß es endlich auch Leute gebe, die vorzüglich auf das Schöne ihr Auge richten, und weder von Gelehrsamkeit noch dem Kunstmäßigen Hauptwerk machen. Wir wollen jene Münzgelehrten: die mitlern Kunstkenner: die letzten Liebhaber nennen; sie sind alle drei unterschieden, ihre Unterschiede aber fließen, so wie die Farben eines Regenbogens, oder eines spielenden Seidengewandes,[383] in einander. Der Künstler kann mehr oder weniger Liebhaber, der Gelehrte mehr oder weniger Kunstkenner, der Liebhaber mehr oder minder Gelehrter seyn. Nichts schadet dem andern: eins muß dem andern aufhelfen: und der wahre Philosoph der Numismatik ist alles Drei. Niemand also zum Nachtheile, wenn er seine Münzenwissenschaft auf Chronologie, auf Geschichte, auf Genealogie, auf Alterthümer gewandt: hätte er dem Publikum auch nichts als solche wissenschaftliche Untersuchungen geliefert, und den Geschmack an Münzen für sich behalten – unbeschadet! Köhlers historische Münzbelustigungen mögen nichts als historische Belustigungen, Gatterers Theorie der Medaillen nichts als Theorie der Medaillen; Vaillants Münzenreihen der Könige, Städte und Colonien nichts als Numismatische Geschichte seyn: das Schöne, das überdem gesehen, und gefühlt werden kann, finde jedes Auge, jede Seele von selbst; wenn ihm nur das Bild des Schönen vorgehalten, wenn auch nicht jede Seite herab Geschmack gepredigt wird – denn über haupt läßt dieser sich wohl wenig predigen.

Von jeher sind darüber Beeinträchtigungen gnug entstanden, daß Ein Gelehrter, oder überhaupt Ein Werkmeister die Arbeit einer andern Gattung über die Achseln angesehen: und es wäre Zeit, solche Blicke wenigstens öffentlich einzuhalten. Der Münzenschmecker, der auf das Schöne ausgeht, wirft dem Münzenkenner, der auf das Seltne, auf das Gelehrte, auf das Erläuternde sieht, vor, er habe nicht seine Augen. Habe er doch nicht! Hast du denn die seinigen? Wollte jeder nur das Schöne auf Münzen erjagen, wer würde sich um die Zeitpunkte bemühen, da es nichts Schönes auf Münzen gibt? Wer das Rechtsmäßige, das Urkundliche, das Zeitberechnende, das blos Seltne, auf ihnen bemerken? Und ob dies etwa nicht auch nöthig oder nützlich. Freilich sagt Heusinger zu viel, daß sich über die Münzen des mitlern Zeitpunktes ein so schönes Buch, als Spanheim, schreiben ließe; nicht aber ein so nützliches Buch? Der Rechtsgelehrte, der Diplomatikus, der Geschichtschreiber, der Alterthumskenner Deutschlands und so viele fleißige Beispiele reden. Sollen wir nun einen Joachim[384] mit Mitleiden ansehen, weil er kein Klotz ist, und die Verdienste eines Gatterers übersehen, weil er auf keine Ikonologie des Schönen arbeitet? Unbilliges Achselzucken! so bleibt Eine der nützlichsten Quellen von Urkunden unberührt! die nach unserer jetzigen Weltverfassung in guten Ausflüssen ausgebreiteter seyn dörfte, als blos ein Gericht vom Münzengeschmacke.

Weg also aus dem Schriftlein unsers Autors – durch und durch weg mit dem gezierten hochtrabenden Tone, der sich überall brüstet. Herr Klotz lasse jeden die Münzen ansehen, wie er wolle; wenn er sie nicht des Geschmacks wegen ansiehet, gehört er eigentlich nicht vor diesen Richterstuhl. Noch weniger schließe man, daß, wenn jemand mit seiner Münzwissenschaft zu der und jener andern nützlichen Absicht angeschlagen, er deßwegen nicht das Gefühl des Schönen besessen, nicht der Grazie geopfert habe, und wie die Modeausdrücke mehr heißen. Am wenigsten halte sich Herr Klotz für den ersten Apostel des Geschmacks in Deutschland. Viele, viele vor ihm Münzenkenner, Münzensammler, Münzenbeschreiber, Münzenzeichner, und selbst Münztheoristen vor und neben ihm, die das Schöne in den Alten geliebet, angepriesen, und zum Theil selbst nachgeahmet; die lange vor ihm über den bösen Geschmack geklagt; aber Hindernisse fanden, die Herr Klotz mit seinen süßen Vorschlägen übersiehet. Ob also viel Neues, und Gründliches im Klotzischen Buche sey, wollen wir noch nicht wissen; daß aber durchaus viel Geziertes, ein falscher Federschmuck, ein unausstehlich selbstwichtiger Ton herrsche – o ich will nicht alle Stellen auszeichnen, wo Herr Klotz »von dem gelehrten Auge des Kenners, von der jetzigen und erst jetzigen Epoche des Geschmacks in Deutschland, von den classischen Autoren desselben, von dem Zeitpunkte, der auch den spätesten Nachkommen bewundernswürdig seyn wird, von einem Manne, der die Vorzüge der Alten kennet, von einer ganz eignen Art von Augen, Kunstwerke zu sehen u.s.w.« so sehr in seiner Person spricht, daß der geneigte Leser nichts als Komplimente gegen einen Schriftsteller machen kann,[385] der sich selbst so gut kennet, und so artig de se ipso ad se ipsum und ad familiares zu reden weiß, daß nichts drüber.

1

S. 3. 4. 5. 6. etc.

2

S. 6. 7. 8. 9. 10.

3

Schon lange haben gründliche Kenner des Alterthums es beklagt, daß man so gern mit einigem schönen Blendewerk aus den Alten davon prale; ohne die Antiquität zur Wissenschaft anzuwenden. Noch neulich hat Ernesti in der Vorrede zu seiner Archäologie darüber geklagt, daß diese versäumt – er hätte dazu setzen können, daß sie nach der neuesten Mode gar verspottet werde.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 379-386.
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