6.

[421] Ich thue dem Verfasser vielleicht Unrecht: »Ein Beitrag kann ja so viel oder so wenig beitragen, als er will.« – – Ei! so muß Hr. Klotz nicht großsprechen: denn wie er jetzt ankündiget, hat er über einem weit weitern Thema gearbeitet, als ich gesucht habe – nicht blos an einer Geschichte des Geschmacks auf Münzen, sondern gar an einer Geschichte des Geschmacks und der Künste bei einem Volk aus Münzen. Diesen Faden will er über die merkwürdigsten Perioden der Geschichte, über Völker und Zeiten verfolgen, und aus ihnen liefern eine Geschichte des Geschmacks und der Künste überhaupt aus Münzen.

Das ist freilich noch mehr! auf einer Münze mag sich immer der Geschmack einer Nation offenbaren dörfen: aber daß sie eigentlich eine Tafel des Geschmacks einer ganzen Nation vorstellen sollte, vorstellen müßte? – dem ersten Anblicke scheint das schon gewagt. Auf einer Münze mag sich immer Kunst, und wenn man will, auch Künste, offenbaren dörfen; daß sie aber eigentlich eine Zeugin über die Kunst, ja über die Künste seyn sollte, seyn müßte – noch gewagter: und das ist doch »die Ausführung der Sache, die ich mir vorgesetzt habe. Meine Absicht ist aus den Münzen gleichsam eine Geschichte des Geschmacks und der Künste zusammenzusetzen, und ihre Blüthe, oder ihren Verfall aus denselben zu beurtheilen. Ich werde daher u.s.w. – –« Mich dünkt, der Verfasser übernahm, was niemand, als etwa ein Sohn der Sibylle, ausführen kann.

Die schöne Griechische Münze, und freilich läßt sich viel daraus ersehen. Das Volk, dem sie gehört, muß gebildet seyn, Commerz haben; Sinnbilder haben; eine gebildete Sprache haben; Zeichner[421] und Stempelschneider haben, oder gehabt haben: das sehe ich. Träte ich auf ein fremdes Eiland und fände Münzen, von denen ich vermuthen könnte, daß sie kein Fremder verlohren: so wären diese Muthmaaßungen fertig. Aber eine Geschichte ihres Geschmacks und ihrer Künste, den Inbegrif ihres Geschmacks und ihrer Künste – unmöglich. Ob sie Dichter oder Weltweise, Bildhauer, Tonkünstler und Tänzer neben ihren Stempelschneidern gehabt, ob ihr Zeitpunkt des Geschmacks ihnen eigen oder eine Colonie, ob ein langes oder kurzes Drama gewesen, sehe ich das aus einer Münze? Und ist nicht eben diese frappante Intonation: ich will aus Münzen eine Geschichte des Geschmacks und der Künste geben! nach allen Zeitungspanegyren auf Hrn. Kl. sein erstes Verdienst bei diesem ganzen Buche? Indianer, Perser, Araber! was kann man aus euren Münzen nicht weissagen?

Jetzt eine Sammlung, oder, wenn man kann, die ganze Menge Griechischer Münzen: und zwar, welches noch angenommener heißt, in ihrer Zeitfolge nach und neben einander – allerdings kann man jetzt vieles auf die Nation schliessen, was Geschichte, Regierung, Beschaffenheit ihres Landes, ihre Kleider, Waffen, Gebräuche, Gebäude, Religion und dergleichen anbetrift. – Hieraus läßt sich ohngefähr ein Nationalcharakter bilden, der viel in sich hielte, aber keine Geschichte des Geschmacks und der Künste? – ich wollte, daß ein Numismatischer Goguet so ein Werk schriebe. Wohlverstanden, daß er in seinen Schlüssen keinen Schritt vergebens thue, bei jedem den Grad der Wahrscheinlichkeit in Maas nehme, und den seltnen Philosophischen Genius hätte, einzelne Data niemals zu allgemein zu generalisiren, noch auch diesseit des Ziels stehen bleibe, auf welches man zu schließen könnte – wäre dies, was sich bei Hrn. Kl. fast alles im Gegentheile zeiget: so hätte man freilich »eine Geschichte des Geschmacks und der Künste bei den Griechen aus Münzen,« aber auch zugleich ein in Beispiele gebrachtes Lehrbuch der historischen Wahrscheinlichkeit, eine[422] Logik historischer Schlüsse, nicht solch eine Sammlung kahler Allgemeinsätze, als dies ist.

Vorausgesetzt wird hier zum Grunde der ganzen Schlußfolge: daß die Griechen auf der Bahn ihrer Kultur selbst fortgegangen, nicht etwa von der unsichtbaren Macht fremder Völker darauf fortgetrieben, und umhergestoßen seyn, daß also aus ihrem Laufe die Kraft der Nation mit Grunde berechnet werden könne. Was es für Fehlschlüsse gebe, diesen Lauf anzunehmen und zu berechnen, wo er nicht ist, werde ich an anderm Orte an den Griechen zeigen; hier die Römer.

Aus der Römischen Münzenfolge eine Geschichte ihres Geschmacks und der Künste ist durchaus trüglich: denn nicht sie, eine fremde Nation ists, die durch sie wirket. So viel aus ihren Münzen geschlossen werden mag; auf ihren Geschmack und Liebe zu den Künsten wenig. Was in dem Römischen Geschmacke und Künsten denn eigentlich Römisch, was hingegen nur von Griechen geformt nach der Römer Weise gewesen? wo die Römer selbst gedacht, und gearbeitet, oder nur denken und arbeiten lassen? verliert sich in den Schatten, und ist dies nicht eben das Hauptlicht »einer Geschichte des Geschmacks und der Künste Roms aus Münzen?« Wie? wenn die Griechen bis auf jedes Einzelne verlohren gingen wie würden die Römer nicht Siegprangen? Da sie aber nicht verlohren sind, da wir aus andern Quellen, als aus Münzen, es wissen, wie sehr sie in den Geschmacks- und Kunstlauf der Römer unsichtbar eingewirkt: welchen Behaupter wird das nicht zweifelhaft machen, aus Münzen ihre Geschmacks- und Kunstgeschichte zimmern zu wollen?

Die Zeit der so genannten Gothischen Münzen. Daß ihre Urheber keine Griechen und Römer weder an Geschmack, noch an Kunst, noch an irgend Etwas gewesen: das sieht der Blinde; ja es lassen sich die Ursachen so gar einsehen, warum sie nicht das Eine, nicht das Andre, haben seyn können? Es läßt sich so gar der falsche Geschmack, der diese Völker angefüllt, nach seinem Ursprunge und Geschichte berechnen; und ob ich gleich kein Polykarp[423] Lyser bin: so wünschte ich diesen Zeiten einen solchen Berechner, aber einen, der sich vor dem Namen der Barbarei nicht scheue, noch dies Wort so überhin nehme, als wir gemeiniglich im Zeitlaufe der Geschichte, wenn wir aus Griechen und Römern, voll von ihrem Geschmacke, kommen, hinzuwerfen pflegen. Ein Erklärer ist mehr als Tadler; und der muß er seyn, weil unser Erbgeschmack alle sein gutes Herkommen von daraus ableitet.

Wieder also ein Beitrag zur Geschichte des Geschmacks und der Kunst? Immer ja! da diesem Zeitpunkte aber sein Geschmack und seine Kunst nicht so ganz eigenthümlich, da die Litteratur dieser Völker so verdorben, als sie sey, ursprünglich eine fremde Colonie ist, die sich im Stillen mehr oder weniger ausgebreitet haben kann: so wird, nach Maaß dieser Ausbreitung, in eben dem Maaße auch eine Geschichte des Geschmacks und der Kunst aus Münzen unsichrer. Es ist keine Hypothese, es ist eine von den Kennern der mitlern Zeit längst angenommene Sache, daß die Reformation der Wissenschaften wahrhaftig nicht mit einmal losgebrochen: sondern lange im Stillen genähret, gewachsen, gereift sey. Und eben dieser Fortgang des stillen Wachsthums ist der auf Münzen bemerkbar? Galt hier nicht einmal für alle Herkommen, Nationalgeschmack, der bleierne Druck des Zeitgeistes? unter diesem konnte nicht immer viel reifender guter Geschmack liegen, der sich nur nicht äußern dorfte, und am wenigsten ja auf Münzen zuerst äußern konnte? galt wohl auf diesen etwas mehr, als Herkommen, das Joch des Jahrhunderts? Wie viel verliere ich aber in einer Geschichte des Geschmacks, wo ich diese reifenden, ausbrechenden Saamenkörner verliere? Wie oft kann ich irren? Wie oft auf das Ganze unzuverläßig schliessen?

Endlich die neuere Münzgeschichte, und eben sie ist die unzuverläßigste auf einer Geschichte des Geschmacks und der Künste bei ganzen Völkern und Zeiten. In diesen ist die ganze schönere Numismatik ein Zweig Griechischer und Römischer Zeiten, in die Geschichte des damaligen Zeitgeschmacks eingepfropfet; nichts weniger aber, als ein im Boden des Jahrhunderts selbstgewachsener Stamm.[424] Bilderschrift, Sprache und Kunst ist Nachahmung der Alten: immerhin also eine Zeugin, daß der Urheber dieser Münze die Alten gekannt und nachgeahmt; um ein Haar aber auch nichts weiter. Ob der gnädigste Fürst, der auf der Münze steht, und dem Urheber und Künstler seinen guten Geschmack allergnädigst vergönnet; ob jedermann, der diese Münze in seiner Tasche getragen, ob das ganze Publicum, Land, Volk und Zeit, eben den Geschmack gehabt, ist dem ersten Anblicke nach die abentheuerlichste Folge. Wie kunterbunt würde doch in den neuern Zeiten die Geschichte des Geschmacks und der Künste laufen, wenn hie und da ein einzelner guter Medailleur, ein Antiquitätenprofessor, dem eine Münzenallegorie und Inschrift geräth, so gleich ein Zeuge seyn sollte: wie sehr sein durchlauchtiger Herr den Geschmack geliebt und gehabt, wie erleuchtet sein Jahrhundert im Geschmack und in Künsten gewesen? – fast nichts kann mehr Mitleiden verdienen, als diese Schlußfolge. Wie? ein um Lohn gedungener geglückter oder verunglückter Münzenschmidt, ein Schulfuchs, der seinen lieben Alten eine Allegorie und Aufschrift entwenden kann – der ein Rüstzeug für den Geschmack und die Künste seiner Zeit, der ein Apollo und Praxiteles seines Jahrhunderts an die Nachwelt? Schöner Apollo! Ohne daß sein Jahrhundert vielleicht ihn versteht, beurtheilt, schätzet, soll er ihren Geschmack und Kunst predigen – Was für ein leichter Wegweiser zum Tempel des Geschmacks, und zur Unsterblichkeit ist doch der Geschmackvolle unsterbliche Klotz!

Eben so unbegreiflich ist die Gegenseite der Schlußfolge auf den bösen Geschmack neuerer Zeiten und Völker aus Münzen. Ein Land, das einem Staatssysteme, einem Cerimoniel, einem Herkommen alter Jahrhunderte von bösem Geschmack unterworfen ist: eine Zeit, deren Religion höhere und geistigere Zwecke hat, als in Allegorien auf Münzen zu paradieren: ein Volk, dessen Sprache fast vortreflich, wissenschaftlich und genau seyn kann, nur daß sie, gerade aus gesagt, keine Münzensprache ist: eine Nation, deren Merkwürdigkeiten eben so verwickelt von der Politischen Wissenschaft sind, daß eine einzelne Münzensymbole sie nicht vorstellen kann, ein[425] Volk, das aus der verblümten Bilderzeit hinaus, Wahrheit suchet, und Wahrheit findet: ein Volk endlich, in dem die Münzen und der Geschmack auf denselben durchaus für keine Produktion des Publikum gelten kann – ein solches Volk soll sich seine Geschichte des Geschmacks und der Kunst aus Münzen weissagen, sich ein Buch durch mit einem andern, dessen Numismatik Himmelweit von der ihrigen abliegt, hämisch vergleichen lassen? wer ist Bürger dieses Volks, und sagt nicht: unde mihi lapides?

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 421-426.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Kritische Wälder
Herders sämmtliche Werke: Band 4. Kritische Wälder, oder Betrachtungen über die Wissenschaft und Kunst des Schönen. Wäldchen 4. Kleine Schriften (Rezensionen) u. a.

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Frau Beate und ihr Sohn

Frau Beate und ihr Sohn

Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon