7.

[426] Nun so arg kann es doch Hr. Klotz nicht gemacht haben, da ihm ja öffentlich so viele Ehrensäulen schwarz auf weiß gesetzt sind, ihm, dem Patrioten, der für den Geschmack seiner Nation, seines Vaterlands eifere – – o ja! Eifern ist gut, aber wohin kann Eifer nicht führen? ich habe im vorigen Abschnitte mich nicht durch seine Beispiele unterbrechen wollen: lasset uns seiner Gedankenreihe folgen.

»Ueberhaupt können wir die bildenden Künste als verborgne Verrätherinnen der Denkungsart desjenigen ansehen, welcher sich mit ihnen beschäftiget. Die Wahl des Gegenstandes und die Bearbeitung desselben mahlen uns den Künstler auf eine ihm selbst unbemerkte Art. Ein Werk eines Künstlers ist oft eine noch getreuere Schilderung seines sittlichen Charakters, als eine Schrift das Bild des Schriftstellers. Wir lesen in jenem noch deutlicher, als in dieser, die Triebfedern, die den Geist des Künstlers in Bewegung gesetzt, und die Neigungen, welche gleichsam seine Hand geleitet.«1

So unbestimmt und Moderecht, als dieser Allgemeinsatz hier stehet, ist er wieder blos das Meteor von einer Bemerkung. Welche bildende Künste sind Verrätherinnen der Denkungsart desjenigen,[426] der sich mit ihnen beschäftigt? Ohne Zweifel, die ihm Wahl, Eigenheit, und Eigensinn erlauben: dieses sind nicht alle in einem Grade, ja die vollkommensten der bildenden Künste erlauben am wenigsten. Die Bildhauerkunst, die Baukunst hat bei ihren Idealen so hohe und strenge Regeln, daß es wohl kaum dem Künstler frei stehet, mit der Kunst gleichsam zu buhlen, die eine Göttliche königliche Juno ist. – – Die Malerei, die in Allem ungemein viele Eigenheiten, Veränderungen, und willkührliche Pinselstriche erlaubt, mag an ihrem Theile eine [so] verborgne Verrätherin der Denkart seyn, als alle Sibyllenbrüder wollen: die Modebeispiele, die Hr. Kl. anführt,2 vom sanften Raphael und vom ernsthaften Angelo, vom hitzigen Hannibal Caraccio und vom schreckhaften Ribera, und vom niedrigen Brouwer, vom versäumten Kupetzki, und vom fühlbaren Vandyk – alle diese Taschenraritäten, mit denen er sich so gern umher trägt, sind aus ihr, der Malerei, und in so gutem Tone sie auch mögen gesagt seyn, was gehen sie an die Münzkunst? Unter allen kann diese am wenigsten vom Künstler verrathen: selten ist der Erfinder der Medaille auch der Zeichner, der Stempelschneider, der Arbeiter: meistens ist dieser nur der Handarbeiter von dem Kopfe des ersten – und wie nun? daß die Münze »eine noch getreuere Schilderung seines sittlichen Charakters seyn soll, als eine Schrift das Bild des Schriftstellers« – welch ein Dunst! – Unter allen bildenden Künsten ist das Münzengepräge am wenigsten freies Kunstwerk. Landesherrschaftliches Hoheitszeichen, Denkmal einer Begebenheit, veranlaßte Symbole – also der Hofherrlichkeit, der Geschichte, des Bedeutenden wegen, dazu ists. Das Schöne tritt zurück, und wie weit hinten nach die freie Wahl des Künstlers? die Willkühr seiner Bearbeitung? seine Denkungsart? zudem die Triebfedern, die ihn in Bewegung gesetzt? zudem gar sein sittlicher Charakter? und gar deutlicher, als eine Schrift das Bild des Schriftstellers mahlet? Das alles, liebe Göttin Moneta! auf einer Münze! O der erleuchtete Münzenschauer![427]

Es ist nicht gut, daß es dem Verf. beinahe zur Gewohnheit geworden, die Gedanken andrer so anzuführen, daß sie sich selbst kaum mehr ähnlich sehen, und so selbst mit seinen Leibautoren. Hier3 citirt er z.E. so seltsam und weitschweifig, als der verspottete4 Grillo seinen Pindar nicht beiruffen kann, um einige Seiten des unbestimmtesten Gemisches zu bestätigen: »So wahr ist der Ausspruch eines Mannes, welcher die tiefen Einsichten und alle Eigenschaften eines großen Genies« u.s.w. – wie? und dieser wirklich große Mann sollte mit seinem Ausspruche das vorhergehende Getümmel von Halbwahrheiten bestätigen? Er es bestätigen, daß alle bildende Künste überhaupt als verborgne Verrätherinnen der Denkungsart desjenigen [anzusehen] sind, der sich mit ihnen beschäftigt? Er es bestätigen, daß Ein Werk eines Künstlers eine noch getreuere Schilderung seines sittlichen Charakters (seines sittlichen Charakters!) sey, als eine Schrift das Bild des Schriftstellers? Er die erniedrigende Besichtigung anrathen, in einem Kunstwerke die Triebfedern lesen zu wollen, die den Geist des Künstlers (wie eines Taglöhners) in Bewegung gesetzt, und die Neigungen, welche seine Hand geleitet? Er mit dem Geister sehen zufrieden seyn, in Kunstwerken nichts so eigentlich, als das vornehme oft so unverstandne Wort: sittlicher Charakter! sehen zu wollen? – So schielende Anführungen, die Hr. Kl. zur Zeit und Unzeit auf der Zunge hat, entehren, und einen von Hagedorn entehren sie doppelt. – – Wir wollen es unterwegens lassen, aus der Lippe Leopolds des Großen auf seinen Münzen den sittlichen Charakter, die Triebfedern, die Neigungen, den Geist, die Denkungsart seines Stempelschneiders zu weißagen.

Ich wünsche unsrer Zeit, die sich beinahe darein verliebt hat, aus Dichtungs- und Kunstwerken den sittlichen Charakter des Dichters und Malers zu studiren, einen zweiten Leßing, der die Gränze zwischen Dichtkunst und persönlicher Sittlichkeit, zwischen Kunstwerk[428] und Charakter scheide. Auf den Münzmeister aber, der seine Denkungsart auf Münzen offenbaret, wird der sich wohl nicht einmal herablassen wollen und dörfen: denn dieser wischt durch die Hände. – – Das war der Künstler und

2. Der Fürst.5 »Auf eine zwar verschiedne, aber eben so deutliche Art scheint der Fürst, welcher die Bilder zu Münzen entwirft und die Aufschrift dazu setzt, seine Denkungsart an den Tag zu legen.« Und wie viel Fürsten sinds denn, die Bilder zu Münzen entwerfen, und die Aufschrift dazu setzen? Und wenn sie es thun, wie werden sie sich auf Denkmälern anders schildern, als sie sich der Welt und der Ewigkeit zeigen wollen? Worauf kann ich also mit Zuverläßigkeit schließen? Da auf alten Münzen selbst die entschlossensten Geschichtforscher aus der Numismatik nicht Herz gnug gehabt, jede Vorstellung eines Kaisers oder Königes für ein Sinnbild seines Charakters anzunehmen: wie? so hätten wirs bei den Neuern? Was für eine einförmige und falsche Charakteristik, der Fürsten ihre Denkungsart (man überdenke den wichtigen Namen) aus ihren Münzen zu studiren? Welcher Römische Tyrann wäre alsdenn nicht Vater des Vaterlandes? Welcher schläfrige Monarch neuerer Zeiten nicht auf seinen Münzen thätig, tapfer, groß und edel?

Statt daß man die Wahrsagungskunst des Hrn. Kl. aus Münzen durch einen Kontrast neuer und alter Beispiele lächerlich machen könnte: will ich im ganzen Buche seine Beispiele aufsuchen, da er mit der Geheimnißvollen Mine eines Weißagers herantritt: ei doch! habe ich nicht getroffen? – Nur ei doch, daß ich nicht lauter Meteoren von prächtigen Perioden abschreiben müßte: »der gothaische Ernst,6 welcher seinen Unterthanen da ein Muster gab, wo er ihnen keine Gesetze geben konnte, schämte sich auch nicht auf seinen Münzen zu bekennen, daß er sich überzeugt habe, es sei das Glück und die Pflicht eines Fürsten, ein Freund und Verehrer der Religion zu seyn. Wir lesen auf seinen Münzen[429] den Charakter eines Prinzen, der seinen ehrwürdigen Beinamen, welchen der Kaiser Ludewig durch Einfalt und thörichte Freigebigkeit von den Mönchen erkaufen mußte, durch die Rechtschaffenheit seines Herzens erlangt hat, und dessen vortrefliche Gesinnungen desto größere Hochachtung verdienen, da er sie nicht aus einer Schwachheit und einem Unvermögen im Nachdenken angenommen hatte, sondern weil er nach Prüfungen, deren sein großer Geist fähig war, sie für wahr gefunden.« Welcher Parenthyrsus von Denkungsart, den kaum ein Geschichtschreiber, der sein ganzes Leben vor sich hätte, anstimmen sollte, von Denkungsart, die kaum sein Busenfreund so unwiedersprechlich predigen wollte! o was kann Hr. Kl. aus Münzen nicht alles lesen?

Nun aber die Medaillen andrer Fürsten, die nach der Geschichte auch rechtschaffen und fromm gewesen; ihre Münzen indessen haben nichts auszeichnendes und Schautragendes von Frömmigkeit – was gölt' es, wenn man im Gegensatze unsres Autors sie als Negativen charakterisirte? Nun alte Münzen, die auch mit der Pietas prangen: was gölt' es, wenn man im Tone unsres Klotz ihre Frömmigkeit charakterisirte? Was? wenn man allen Fürsten, die nicht wie Ernst die Münzen zu Heroldstafeln ihrer Frömmigkeit gemacht, diese und die ewige Seligkeit ab–; allein denen, die davon auf ihren Münzen gepredigt, sie zuspräche – Weißager! Weißager! wo kommen wir hin?

»Offenbahret sich der Geist Ludewigs des XIV, welcher seiner Ehrbegierde keine Gränzen wußte, und ihr mit Freuden Treue, Menschenliebe und das Wohl seiner Länder aufopferte, nicht eben so deutlich auf den Münzen dieses Königs, als in allen seinen Handlungen?«7 Nichts weniger! und mich wundert, daß ein Gesunder so etwas behaupten könne. Vielmehr ist auf Münzen nichts, als die Größe, die Tapferkeit, der Heldenmuth Ludwigs, recht das Ideal eines Ludwigs des Großen sichtbar. Eine Gränzenlose[430] Ehrbegierde, eine freudige Aufopferung der Treue, der Menschenliebe, des Wohls seiner Länder offenbart sich da nicht, und Ludwig würde es der Akademie schlecht verdankt haben, wenn sie so etwas auf Münzen hätte offenbaren wollen. Umgekehrt kann beinahe kein Fürst seyn, dessen würkliche Handlungen und Münzvorstellungen, was Geist, was Charakter anbetrift, uneiniger seyn können, und Gnade allen Königen und Fürsten des Jahrhunderts Ludewigs und unsrer Zeit, wenn die Nachwelt so, wie der Richter unsrer und der Vorwelt, Hr. Klotz, aus Münzen ihr Urtheil fällen, auf Münzen Geister sehen, Charaktere kennen, Denkungsarten erforschen, und so den Rang bestimmen wollte. Wie sehr riefe alsdenn Ludwig vor allen Neuern hervor? und wie klein ist oft die Veranlassung zu seiner prächtigsten Münze.

»Mir wenigstens, fährt Klotz fort,8 gibt die Akademie, welche dafür bezahlt wurde, daß sie ihren Stifter durch pralende Münzen vergnügte, keinen geringern Beweis von der damals in Frankreich herrschenden Schmeichelei und allgemeinen Bemühung, den König leichtsinnig zu vergöttern, als jener Bischof, welcher von dem Strome der Niederträchtigkeit hingerissen, als ihm Ludwig –« ich kann den Rednerischen Ton bei dem Geschichtchen eines Bischofs, der Ludwigen zu gefallen keine Zähne haben will, nicht aushalten – fühlt denn Hr. Kl. nicht, daß dies Eine Geschichtchen sein ganzes System der Hieroscopie aus Münzen umwerfe? Konnte eine ganze Akademie, die dafür bezahlt wurde, auf ihren Münzen nichts als schmeicheln? Kann eine Legion von Münzen noch so wenig Zeugin über den Charakter eines Prinzen werden: ein ganzes Jahrhundert beinahe konnte im Strome prächtiger Lügen fortgehen – »ach Sire! wo findet man alsdenn jemand, der Zähne hat?« wer wird alsdenn den Charakter, die Denkungsart, die Wahrheit eines Fürsten aus dessen Münzen lesen wollen?

Des Fürsten Hauptbeschäftigung etwa könnte man noch endlich aus vielen Münzen, am liebsten aus allen seinen zusammen genommen,[431] ersehen: ohngefähr die Richtung seiner Nase und das Profil seines Gesichts. Aber Geist, Denkungsart, historischer Charakter, Wahrheit? – Alle Münzen haben gleichsam den Ton, den sie als Münzen anstimmen müssen; so wie eine Epopee eine Erhebung über die Geschichte, und das Drama eine Erhöhung über das gemeine Leben zum Wesen hat. Wer nun eine Epopee zur Urkunde, und ein Drama zur Moral des Lebens machen kann, der studire auch die Geschichte vom Geiste und Charakter eines Prinzen aus seinen Münzen, und aus seinem Grabmonumente, wo, ohne noch an unterthänige Schmeicheleien und Lügen zu gedenken, beide schon ihren Ton, ihr Epos haben, der immer, ja auch bey der wahrsten Aufschrift, Poetische Natur hat, und keine historische Natur haben will. – – Wie sehr könnte ein Fürst den Hrn. Geheimdenrath in Verlegenheit setzen, aus den Münzen seiner Vorfahren die Geschichte ihrer Denkungsart zu entwerfen? Und zu folge dieses Grundsatzes würde ich ihm wahrhaftig nicht seine Paränesis über die Münzen neuerer Zeiten nachschreiben, um diese nach seinem Calcul zu charakterisiren, und Augen zu zeigen, die nur ein Angelo, Pietro di Cortona, Nikostratus, Addison und Klotz haben!

Drittens aber gar, und endlich:9 »Ich glaube nicht zu irren, wenn ich den moralischen Charakter gewisser Nationen und gewisser Zeiten auf den Münzen suche, und entdecke.« O ganz Göttlich! Weiß Hr. Kl. was eine Nation, eine Zeit, ein Moralischer Charakter einer Nation und Zeit sei: die Feder würde ihm entfallen seyn, da er so etwas schreiben wollte. Nicht auf den Moralischen Charakter der Griechen und Römer einmal, als Zeiten, als Nationen betrachtet, läßt sich aus ihren Münzen, aus allen ihren Münzen zusammengenommen, schließen: und in neuern Zeiten, auf neuere Völker, wo die Numismatik beinahe ganz Privatsache, beinahe ganz historische Urkunde ist, im Tone des Herkommens, das auf Münzen einmal gäng und gäbe geworden – da aus ihnen auf den Moralischen Charakter ganzer Nationen und Zeiten schließen? – O Logik! Logik! Logik![432]

Hr. Kl. führt Beispiele.10 »Die Gewalt des Aberglaubens und einer sklavischen Unterwerfung gegen die Priester herrscht in den Büchern und Briefen jener finstern Zeiten eben so sehr, als auf den Münzen, welche die Fürsten, vornehmlich in Deutschland, damals schlagen ließen, als man theils zu ohnmächtig und schwach war, sich der geistlichen Herrschaft zu widersetzen, theils noch der wohlthätigen Hülfe der Weltweisheit, dieser Freundin und Schwester der Religion, entbehrte, um die Fesseln des Vorurtheils zu zerbrechen. Ist es zu verwundern, daß ein Zeitalter« – nun kommen ein Paar schöne Possen, die ich übergehe – – »daß ein solches Zeitalter nichts lieber auch auf Münzen sah, als Kreuze, Schlüssel, Bücher, Bischofsstäbe und Kirchen. – –« Der Vielwisser Klotz muß nichts wissen, was er wissen soll. Wie? die mittelmäßigste Känntniß der mitlern Geschichte und Rechtsgelehrsamkeit, die diplomatische Stavrologie und Sphragistik, zeigt sie nicht, daß Kreuze und andere Zeichen altes Herkommen gewesen, das freilich im Anfange aus Aberglauben aufkam, nachher aber Jahrhunderte hinweg urkundliche Gewohnheit, bestimmtes Rechts- und Hoheitszeichen u.s.w. blieb – wie also in jedem Jahrhundert, und in jedem Subjekt ein Zeuge auf Moralischen Charakter? Wie manche von diesen werden noch heut zu Tage signiret, wo sie ihres Orts sind? und in den damaligen Zeiten sollte man sie aus gutem Wohlgeschmack unterlassen, sich den Haß der Geistlichen, und vielleicht die Ungültigkeit der Gepräge zuziehen, die sich dem Herkommen nicht unterwerfen? Nicht lieber ein Kreuz signiren, wo es Zeit- und Landüblich war, als ein Thor und ein Ketzer des guten Geschmacks wegen seyn wollen? Unzeitiges Anbringen des guten Geschmacks zuerst auf einer Münze, noch unzeitiger aber da, wo alles Herkommen ist, guten Geschmack suchen und verurtheilen wollen – was in der Welt geht über die Halbkänntniß!

»Man hat den Holländern oft eine beleidigungsvolle Verachtung gegen Könige und Fürsten vorgeworfen. Ob man [433] ihnen gleich die Begierde, über andre zu lachen und zu spotten gelassen, so hat man doch die Artigkeit, Höflichkeit, und den Anstand von ihren Satyren getrennet. Die bei vielen Gelegenheiten in Holland erfundenen und geschlagenen Münzen bestätigen jenes Urtheil vollkommen.«11 Aber wer hat sie erfunden? wer hat sie prägen lassen? Gewiß nicht die ganze Nation, über deren sittlichen Charakter der Hr. Geheimderath nach dem Völkerrechte so billig urtheilt: oft Privatpersonen, und oft Fremde. Wer die Freiheit der Holländischen Münze kennet, den Zusammenfluß so vieler Nationen daselbst, das Interesse, das dies Volk des Commerzes wegen an den Begebenheiten der meisten Länder hat, und denn die ehrliche Dreustigkeit, die sich der Holländer nimmt, seine Meinung heraus zu sagen, und denn die ehrliche Dreustigkeit andrer, die sich hinter diesen Schirm verstecken – der wird sich, ohne in den Loostopf der Sibylle greifen zu dörfen, die Menge satyrischer Münzen, die in Holland herauskommen, erklären können. Wird er aber auch den weisen Schluß [machen] auf den Charakter und zwar den Moralischen Charakter der Nation »beleidigungsvolle Verachtung gegen Könige und Fürsten: Begierde über andre zu lachen und spotten: Mangel der Artigkeit, der Höflichkeit und des Anstandes?« ich weiß nicht; wenigstens kenne ich den Holländer zwar als einen Menschen, der seinen trocknen Spotteinfall reinweg sagt; aber als ein Thier, das so begierig wäre, über andere zu lachen und zu spotten, das eine Beleidigungsvolle Verachtung gegen Könige und Fürsten eben zu seinem »Moralischen Charakter« hätte? – das mag ein Holländer wissen.

Ueber Holland kommt Hr. Kl. an sein liebes Vaterland, um den sittlichen Charakter desselben aus Münzen zu erklären.12 »Es war eine Zeit, da Deutschlands Fürsten es für eine Ehre hielten, große Weinfäßer zu bauen, so wie etwan andre Fürsten sich beeiferten, ihren Geschmack an der Bildhauerei und Baukunst zu zeigen. Damit auch die Nachkommenschaft die wichtige Geschichte[434] des Heidelbergischen Fasses erführe, wurde dieselbe im Jahre 1664 durch zwei Münzen verewiget, wovon die eine mit den elendesten Reimen angefüllet ist. – – Ich als ein Deutscher schäme mich, den Schluß hieraus zu ziehen, welchen ein Ausländer leicht machen wird.« – – Nur herausgesagt! der Schluß soll vom Weinfasse einer Münze auf nichts minder, als den sittlichen Charakter, den ganzen sittlichen Charakter, die Denkungsart, den Geist der Deutschen gehen: denn Deutschland verräth sich ja gegen die Ausländer hiermit so stark, daß Er, Hr. Kl., als ein Deutscher, sich deßwegen gegen die Ausländer fast schämet, ein Deutscher zu seyn. –

O welchem Leser wird es nicht in die Länge unausstehlich, mit mir durch alle die Schlüsse hinzuschleppen, die Hr. Kl. Längelang seines Buchs aus einigen Münzen auf den Geschmack seiner Nation, seiner ganzen Nation so sicher macht, als wäre er zum Dictator formandi gustatus einhellig von seinem Vaterlande gewählt. Mehr als einmal ist seine Patriotische Schlußfolge: »was müssen sich nicht die Ausländer von dem Geschmacke unsrer Großen für Begriffe machen, wenn sie dergleichen Münzen zu sehen bekommen? doch sie haben es uns leider! deutlich gnug gesagt, was sie denken.«13 Er wirft die Frage auf:14 wie es vor seiner Zeit um den Geschmack in Deutschland ausgesehen? und beantwortet sie durch eine andre feine Frage: »wenn hat Deutschland in seiner Sprache Schriftsteller bekommen, denen man von den Enkeln den Titel classischer Autoren unsers Vaterlandes versprechen kann?« Er ist zwar zu furchtsam, diese Epoche zu bestimmen; aber doch auch, wie er sich höflich ausdrückt, so kühn, zu sagen, daß man nicht allzuweit zurückgehen müsse. Er bestimmt endlich, nach artigen Verweisen, diese Epoche mit dem Anfange seiner und seiner Freunde Zeitalter, und schließt urplötzlich: »Brauche ich mehr zu sagen, um die Ursachen zu erklären, warum die Erfindung und Vorstellung auf so vielen deutschen Münzen schlecht, kindisch, undeutlich, lächerlich sey.« Durchgängig also sieht er aus einer Münze sehr mitleidig[435] auf den Geschmack seiner Nation herab, und wie sein Freund und Beurtheiler15 uns versichert, ist dies ein Eiser im Patriotischen Tone, ein edler Enthusiasmus für sein Vaterland. Eine andere Bibliothek,16 die sich sonst durch ein gründliches und kaltes Urtheil vor andern so sehr auszeichnet, hält dem Verfasser eben in seinem artigen Tone eine förmliche lange Lobrede darüber, »daß er mit seinen geschmackvollen Vergleichungen seine Landesleute eine sehr lächerliche Rolle spielen lasse.« – –

Ich kann also nichts, als dem Hrn. V. zu seiner Logik, und Deutschland zum Hrn. Verfasser Glück wünschen.

1

S. 10. 11.

2

S. 12.

3

S. 14.

4

S. Klotzens Bibl. St. 3.

5

S. 15.

6

S. 17.

7

S. 19.

8

S. 19.

9

S. 15.

10

p. 15.

11

S. 20.

12

S. 21.

13

S. 55.

14

S. 70.

15

Klotz. Bibl. St. I.S. 61.

16

N. Bibl. der sch. W.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 426-436.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Kritische Wälder
Herders sämmtliche Werke: Band 4. Kritische Wälder, oder Betrachtungen über die Wissenschaft und Kunst des Schönen. Wäldchen 4. Kleine Schriften (Rezensionen) u. a.

Buchempfehlung

Weiße, Christian Felix

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die Brüder Atreus und Thyest töten ihren Halbbruder Chrysippos und lassen im Streit um den Thron von Mykene keine Intrige aus. Weißes Trauerspiel aus der griechischen Mythologie ist 1765 neben der Tragödie »Die Befreiung von Theben« das erste deutschsprachige Drama in fünfhebigen Jamben.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon