8.

[436] 1. Münzen können nicht eigentlich auf den Geschmack eines Volks, einer Zeit zeugen, wenn das Münzwesen nicht ein Werk des Volks und der Zeit ist. Nichts ist deutlicher, als diese Einschränkung: nichts räumt auch mehr auf. In Griechenland, zu den Zeiten der Republiken war das Münzwesen eine Sache des Publikum: die Vorstellungen waren entweder öffentlich bestimmt, oder wenn sie neu bestimmt wurden, so von der Obrigkeit, die den Staat vorstellte. Man konnte also in gelindem Verstande sagen, diese wählten im Namen des Volks, das wenigstens ihr Bild und Aufschrift kannte, beurtheilen konnte, und vielleicht gebilligt hatte. – – In den Republikanischen Zeiten Roms weiß man die strengen Münzgesetze, die kein Privatbild auf die Münzen zuließen. In diesen Zeiten kann man noch sagen, daß die Münzen ein Werk des Publikum; allein man weiß auch, wie simpel und einförmig beinahe sie damals gerathen, da man in freien Republiken nie gern ohne Noth Abänderungen machet.

Zu den Zeiten einer Monarchie kann sich aus vielen Ursachen die Münzenkunst mehr aufnehmen: allein um so uneigentlicher[436] schon ein Werk des Publikum. Unter einem Philippus, und Alexander dem Großen, und den Ptolomäern, und den Seleuciden, und den Cäsaren sind die Münzen vortreflich: sie können über nichts als die Unverwerflichkeit derer zeugen, denen der Hof die Münzsorge aufgetragen, und wenn man will, über die Güte des Hofgeschmacks. Unter Ludwig XIV war die Akademie der Inschriften das Publikum, das Münzen schuff – sie dem ganzen Frankreich, das sie größtentheils nicht verstand, zur Last zu legen, wäre ungerecht. Zu Christinens Zeiten waren ihre Antiquitätenlieblinge das gebildete Schwedische Publikum, das sich nach ihrer Antiquarischen Königin bequemte. Und die Cultur Rußlands aus den guten Münzen zu berechnen,1 die unter der Kaiserin Anna und andern geschlagen, ist für Rußland eine sehr leidige Ehre, die ihm ein Mitglied der Akademie und ein Stempelschneider verschaffen und verderben kann. Ich weiß, daß Hr. Kl. alle diese Beispiele für sich anziehet, und in seinem süßen Molltone singet: »wie genau mit der Verbesserung der Wissenschaften und Künste in einem Lande auch eine bessere Gestalt der Münzen verbunden sey, können wir unter andern auch aus Rußlands Beispiel sehen u.s.w. Man mag mir immer einwenden, daß die Künstler Ausländer sind: es zeigen doch allezeit jene Schaustücke den Geschmack der Großen des Landes und die Liebe des Hofes zu den Künsten –« und da er sich also nichts einwenden läßt: so zucke ich die Achseln.

Hume soll für mich reden. Er macht bei seiner vortreflichen Abhandlung von dem Ursprunge und Fortgange der Künste und Wissenschaften gleich anfangs den Grundsatz: »was auf wenige Personen ankommt, muß großentheils dem Zufalle oder verborgnen und unbekannten Ursachen zugeschrieben werden: nur was aus einer großen Anzahl herkommt, kann oftmals aus bestimmten und bekannten Ursachen erkläret werden.« Er giebt von diesem Grundsatze die scharfsinnigsten Gründe, und mit ihnen fällt das[437] Gebäude des ganzen Klotzischen Werks. Bei neuern Münzen kommt es nur auf zwo Personen an, einen Erfinder und einen Künstler: so ist das Ding gut oder böse. Und wie kann hier der Zufall tyrannisiren! Der Erfinder, vielleicht ein Mann von Geschmack und Wissenschaft, ist eben kein Münzenkopf, er ist ein Grübler – die Münze ist verdorben! Er hat eben jetzt sein böses Stündlein: ihm will kein Münzeneinfall glücken – verdorben! Er hat in diesem und dem Punkte seinen Eigensinn – verdorben! Er ist ein Ausländer, vielleicht durch einen Zufall dahingespielt, vielleicht ungeschätzt, vielleicht verachtet: vielleicht durch einen Zufall zur Ehre, Erfinder zu seyn, gekommen: vielleicht zu einem glücklichen Einfalle durch das Aufschlagen eines Buchs, vielleicht in einem glücklichen Traume zu diesem glücklichen Einfalle gelanget, ich weiß nicht, wie? – So auch sein Künstler: sie mögen sich secundiren oder entgegenarbeiten – es sind zwo Privatpersonen: und sie sollen mit ihrer Armseligkeit für oder gegen den Geschmack eines ganzen Landes streiten? – O Logik ohne ihres gleichen!

Wenn aber viele Münzen von einerlei Art – o so sind auch viele Reihen von Zufällen von einerlei Art: gnug! bei uns ist keine Münze National, keine Sache des Publikum, so kann auch ihr Zeugniß nicht öffentlich seyn. Der größeste Theil des Klotzischen Buchs ist auf diesen Schluß gebauet, und Gnade Gott dem Schlusse. Er hat vermuthlich seinen Grund in den Augen, die Nikostratus und Klotz, Michael Angelo und Klotz, Pietro di Cortona und Klotz, Addison und Klotz hat, und sonst niemand!

2. Nie kann etwas ein Zeugniß vom Geschmacke seyn, wenn es nicht ein freies Kunstwerk ist, und das ist die Münze bey uns selten. Leßing hat die alten Religionskünstler von der Regel seiner strengen Kunst beurlaubet, und Klotz redet ihm zu Gefallen die Beurlaubung nach, die er doch in allen seinen Schriften so schlecht anwendet. Schon bei den Alten war die Münze Symbole – bei uns gar Historisch-Politisch-Kirchlich-Landesherrliche Urkunde – wer will sie nach Gesetzen der Kunst richten? Geldeswerth tritt voran: Herrschaftszeichen hinten drauf: Denkmal der[438] Geschichte alsdenn: nun erst Symbole – und nach allem erst Geschmack: will dieser sich vordrängen, wie übel kann er oft zurückkommen. Ich habe den Unterschied gezeigt, ich mag ihn nicht wiederholen.

Eben daher nimmt sich in sehr unabhängigen Monarchien, wo alles auf die Willkühr und den Geschmack des Landesherrn ankommt, die Münzenkunst eben so leicht auf, als sie in einem Lande voll Fürsten und Stände, voll Staatsrecht und Herkommen, wie z.E. Deutschland ist, dem anderweitigen guten Geschmacke unbeschadet, leider! zurückbleiben muß. Ich wünschte, daß ein Mann von Staatskunde zugleich der Lehrer des Geschmacks, der Könige und Fürsten geworden wäre; die Satyre meines Verf. über Deutschland ohne Einsicht in die Deutsche Verfassung ist mit nichts, als der Satyre über das Deutsche Publikum, zu vergleichen, die er selbst an seinem liebsten Grillo so süß verspottet hat.2

3. So sehr ich auch den Münzen Geschmack wünsche: so sehe ich doch eine Reformation ihrer am wenigsten als die Reformation eines Landes an. Nach unsrer Verfassung kann von ihnen am mindesten der bessere Geschmack ausgehen, da sie nur durch das schwächste Band mit der Cultur einer Nation in Wissenschaften und Künsten zusammenhängen. Und nimmer – doch gnug! die Klotzische Schrift, ihrem Tone und Inhalte, ihrer Schlußart und Ordnung nach, zusammt den Lobsprüchen, die sie ertheilt und erhalten, wird unsrer Nachkommenschaft eine so schöne Probe vom bündigen Geschmacke unsrer Zeit geben, daß ich ihr also mit gutem Herzen die Ewigkeit wünsche, und unwillig die Feder wegwerfe – –


– statt des Beschlusses


ein Auszug aus einem Briefe.


Nun das heißt Geduld! Sagen Sie mir doch, welcher gütige oder ungütige Dämon Sie bei einem Buche hat vesthalten können,[439] das für mich eins der langweiligsten unsres Jahrhunderts gewesen? welcher Dämon sie vestgehalten, die Schlüsse, die Schlußreihen zu entblößen, die keine Schlüsse, die die größten Armseligkeiten des feinen Geschmacks sind, der von unerklärlichen Empfindungen kommt, und wieder zu unerklärlichen Empfindungen hineilet. – –

Und Ihre Analyse dieses Münzenwerks soll gedruckt werden? Sie wollen es wagen, den Artigsten unsrer Schriftsteller in dem Jämmerlichen zu zeigen, was er wiederkauet, in dem völlig Unbestimmten, wie ers herlallet, in dem Unzusammenhangenden, wie er fremde halbverstandne Gedanken neben einander stoppelt? Und wissen Sie denn nicht, wie sich dieser urbane Mann betragen wird? Mit einer vornehmen Mine auf Sie herab hohnlächeln oder gar spotten: sagen, daß Sie aus unedlen Gesinnungen gegen ihn geschrieben hätten: daß Sie ihn nicht verstanden: daß er so etwas nicht habe sagen wollen: kurz! ohne auf einen Ihrer Gründe und Vorwürfe bestimmt und gründlich zu antworten, wird alles dahin auslaufen, daß es Ihm, und nur Ihm allein frei stehe, so unbestimmt, so schielend, so sehr mit fremden Federn zu schreiben, als er wolle.

Glauben Sie mir, Freund! ich weiß keinen Deutschen, der ohne alles A.B.C. der Wissenschaft, über die er schreibt, so wie Klotz schreiben kann. Ist Ihnen im Münzenbüchlein die Stelle entgangen: mittelmäßige Künstler müßten mit guten zusammen leben: so fodre es die Natur der Dinge: so wie in einem Gemälde neben große Schatten große Lichter gesetzt werden – ein Mann, der so etwas schreiben kann, und doch immer von Kunst und Kolorit predigt, ist der nicht unter der Critik? u.s.w.

1

Seite 170.

2

S. Klotz. Bibl. St. 3.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 436-440.
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