5.

[415] Doch wie anders, als link ists, wie unser Verf. am liebsten redet? Ein Büchlein über die Geschichte des Geschmacks auf Münzen; und dies Büchlein wird seinem größesten Theile nach nichts, als eine Vergleichung der Alten und Neuern: und diese Vergleichung wieder nichts, als ein Preis des Geschmacks der Alten, und eine Satyre auf den Münzengeschmack der Neuern. Beiderlei Arten des Geschmacks als die Produktion einer ganzen Zeitverfassung und Nationaldenkart anzusehen, den Unterschied zu entwickeln, der sich zwischen der Numismatischen Welt der Alten und der Neuern in Bildersprache der Religion, in den Symbolen der Länder, in den Allegorien der Begebenheiten, in dem Cerimoniel der Personen, in der Sprache der Aufschriften, in dem Publikum, das Münzen erfand, sah und beurtheilte, in allen äußern Umständen der Numismatik ereignet, diesen Himmelweiten Unterschied, von dem ich einige Schattenzüge entworfen, vergißt er; schreibt dem lieben Addison nach, macht dessen Gespräche zur feinen Satyre, zur lahmsten, Lendenlahmsten Strafpredigt über den übeln Münzengeschmack unsrer Zeit, von Fürsten an, bis zu Münzenstemplern zu –

Und das ist sein Beitrag zur Geschichte des Geschmacks auf Münzen. Wie? von allen Nationen, wie im Traume, durchhin reden? bei keiner ihre historischen Data, als Erfolge, die aus einer Ursache entspringen, ansehen? bei keiner auch nur darauf kommen,[415] die Natur des Faktum, aus einem seiner Umstände und Veränderungen in Entwurf zu bringen? bei keiner auf den Boden der Sache sehen, aus dem sie sich erhob und aufblühete? die verschiedensten Zeitpunkte überweg vergleichen, die kaum einer Vergleichung fähig sind? O des armseligen Alterthumskenners! keines Namens unwürdiger, als dessen! Sein klingender Beitrag ist eine Satyre auf unsre Zeiten und Völker, so fein, so gründlich, so treffend, als seine mores eruditorum, als sein genius seculi. Nichts als ridicula kann er schreiben; aber seine ridicula literaria und monetaria sind von einem Gepräge.

Eine Geschichte des Geschmacks auf Münzen, was ist sie, wenn sie uns bei den Griechen die Ursachen des Geschmacks nicht entwickelt: jetzt Griechen und Römer vergleicht, und auch bei diesen nichts erkläret? Was ist sie, wenn sie nicht genau auf die Veranlassungen merket, durch welche der Geschmack fiel, den falschen Geschmack, der sich statt des Römischen einschlich, nicht zergliedert, diesen neuen Gothisch Christlichen Geschmack nicht bis auf seine Quellen, und bis in die Abgründe der Diplomatik, Heraldik und Staatsgeschichte, die seine Abflüsse sind, verfolgt, auf keine seiner Hauptveränderungen merket, die Reformation des Geschmacks, die eigentlichen Verdienste der Reformatoren nicht bestimmet, dem Laufe ihrer Verbesserungen nicht nacheilet: die Reste des alten Herkommens, die sich ihm widersetzten, nicht prüfet: und an eine Anleitung denkt, uns zu unsrer Numismatischen Welt ein Münzenkabinett nach dem Geschmacke der Alten zu sammlen – was sie ist, wenn sie nichts von diesem ist? Und ists nach Einem der angegebnen Gesichtspunkte der Klotzische Beitrag auch nur im dürresten Grundrisse, (vom Mechanischen der Kunst rede ich noch nicht,) so will ich umsonst gelesen haben.

Ein paar mal kommt er auf so etwas, aber beidemal ists Ausschweifung, und es wird grobe Falschheit. »Bei den Griechen, sagt er,1 hatten die Künste überhaupt engere Schranken, als bei[416] uns. Wir erlauben ihnen größtentheils die Nachahmung eines jeden Körpers, ohne daß die Kunst durch die Würde des Gegenstandes veredelt würde. Der Grieche hatte ihnen blos die Nachahmung schöner Körper verstattet.« Wer Leßings Laokoon gelesen, weiß, wem die Bemerkung zugehöre: dafür aber, daß Leßing Klotzen eine Bemerkung lieh, schenkt dieser ihm großmüthig eine Verbesserung: »Entgegengesetzte Zeugnisse der Schriftsteller und Beispiele der Künstler bestim men mich, dieser Beobachtung engere Gränzen zu setzen, und sie blos auf öffentliche Denkmäler einzuschränken. –« Die Verbesserung in ihrem Werthe und Unwerthe, was thut dies auf die Münzen? gehören die auch zu den öffentlichen Denkmälern, die nichts, als das Schöne, bildeten?

Allerdings, sagt Hr. Kl.2 »Auf alten Münzen finden wir weder häßliche, noch schreckliche Vorstellungen. Zwei derselben zeigen uns die Furien: aber in welcher Gestalt? Nicht mit den furchtbaren Gesichtszügen, welche der Grimm auf neuern Werken vorstellt. Blos Fackeln und Dolche zeigen diese Göttinnen an. Uebrigens ist auch die Münze, welche die Einwohner Antiochiens zu Ehren des jüngern Philipps haben schlagen lassen, aus der Zeit, da die Blüthe der Künste längst verschwunden und mit ihr zugleich der Begriff der Schönheit aus den Seelen der Sterblichen entwichen war. Wie ungleich sind hierinnen die neuern Stempelschneider den Alten.« Offenbarer gesagt kann nichts seyn. Es werden in der Folge3 an dem himmlischen Gesichte der Meduse so gar die Schlangen in Erwägung gezogen, und aus vier verschiednen Ursachen gerechtfertigt, daß »diese ein Sinnbild des Wohlthuns und des Heils gewesen, daher sie viele Götter zur Symbole geführet, daß Hogarth in ihnen das Wellenförmige Schöne suche, daß sie mehr zieren, als verstellen: daß endlich und insonderheit Griechen und Römer über diesen Punkt ein von dem unsern ganz verschiednes Gefühl, einen ganz besondern[417] Schlangenappetit gehabt;« und der Recensent des Herrn Klotz, (»bei dem diesmal seine zärtliche Liebe gegen den Herrn Verfasser über seine großen Einsichten und scharfe Beurtheilungskraft im Kampfe die Oberhand behalten«) findet eben die letzte Bemerkung von den Schlangen gar nach dem Geschmack der Alten, vorzüglich wichtig. Ich kann also nach Hrn. Kl. bis auf die Schlangen, bis auf zwo Münzen mit Furien nichts allgemeiners vestsetzen, als »daß auf alten Münzen sich gar nicht, weder häßliche, noch schreckliche Figuren finden.«

Ich nehme indeß ein Paar Bücher zur Hand, die Hr. Kl. zur Hand gehabt haben muß, weil er sie anführt, und so zuerst den lieben Beger: und in ihm mehr als eine Vorstellung auf alten Münzen von Schweinen, fürchterlichen Löwenhäuptern ohne die freundliche Mine der Meduse, die zum Küssen einladet, das bekannte unförmliche Sinnbild Siciliens, drei Füße, rings um ein Haupt voll Schlangen, und andre, nicht eben so unhäßliche, oder unschreckliche Figuren, die Eule der Minerva ungerechnet. Ich nehme Haym: da Scorpionen, Elephanten, brüllende Löwen, Ochsenhäupter, Nachteulen, kämpfende Schlangen: so Geßner, so andre – keine Sammlung alter Münzen geht von solchen Vorstellungen ganz leer aus – wenn ich nur dem Fleiße des Herrn Geheimden Raths nachfolgen und Bilderchen aufsuchen wollte.

Ja, wird Hr. Kl. sagen, das waren Sinnbilder von Städten, von Ländern. Nicht alle, und doch von Griechischen Städten? von Griechischen Ländern? doch Vorstellungen auf Griechischen Münzen? Sie stehen mit keinem mindern Rechte darauf, als Furien nicht darauf stehen können, weil sie keine Schutzgöttinnen, keine Sinnbilder von Städten waren. Wie? weil Ganymed oder Antäus auf keiner Münze Bild gibt: wer wollte deßwegen deuten? Erst beweise man, daß Furien auf Münzen gehören, wenn, daß sie nicht da sind, etwas beweisen soll.

Ueberhaupt bestimmet Herr Kl. das Allegorische der Münzen so, daß man sieht, er habe vom Münzenartigen seltne Begriffe.[418] Winkelmanns Erklärungen der Allegorie zu folgen, ist gut; nur ihnen mit Einschränkung auf Münzen zu folgen, noch besser. Da er seinen Versuch von der Allegorie überhaupt für die bildenden Künste, nicht blos für die Münzen, geschrieben: so sind seine Regeln ohne Bestimmung auf diese zu lax, zu weit, und nichts unsichrer, als der Klotzische Satz: »die Pflichten des Malers sind auch die Pflichten des Stempelschneiders, nur daß jener ein geräumiger Feld hat.« Um Gottes Willen nicht! die Allegorien auf Münzen haben ihre eigne Natur; sie sind nicht etwa blos wie Malereien, der Kunst selbst; sondern allemal der Deutung wegen da: sie sind Mnemonisch. Das Bild als Bild ist Nichts; der Sinn des Bildes ist Alles. In allen Schriften wirft Hr. Klotz Münzen, Gemmen, Malereien, Statuen grausam durcheinander; und kaum kann Etwas verschiedners an Natur, Zweck und Gesetzen seyn! Ein Kunstwerk ist der Kunst wegen da: aber bei einer Symbole, sie sei der Religion, oder der Politischen Verfassung, oder der Geschichte gewidmet, ist die Kunst dienend, eine Helferin zu einem andern Zwecke, so bei der Münze. Lasset uns also die Griechen nicht auf unrechte Art loben: sie wiedersprechen solchem Lobe, und es wird Tadel auf sie: es wird Unwissenheit für uns.

Auf der andern Seite, lasset uns auch die Neuern nicht ohne Ursache tadeln. Ich will ihre »durch die häßlichsten Verzerrungen des Gesichts verunstalteten Ungeheuer,« die Hrn. Kl. vornehmes Auge beleidigen, »das sich an die griechische Schönheit gewöhnt hat« nicht vertheidigen; aber so billig sollte man doch auch seyn, zu fragen: ist dieses Ungeheuer die Haupt- oder nur eine Nebenvorstellung? Wenn z.E. ein Herkules, als Drachentödter, zum Sinnbilde der Tapferkeit da stünde, und der Drache selbst ein häßliches Ungeheuer wäre: nicht der Drache, der Drachentödter ist das Bild, und jener nur eine unterliegende Vorstellung. Daß die Alten eben so gedacht haben, bezeugen eine Menge Gemmen, und Gemälde, die ja doch eigentlichere Kunstwerke, als Münzen, sind. –[419]

Nebenfiguren also; aber, wenn sie auch selbst Hauptfiguren wären: noch sind sie auf Münzen nichts, als Revers; man kehre um, so hat man die Deutung. Das ekle Auge meines Verfassers, das sich an Griechische Schönheit gewöhnt hat, wird am meisten von Holländischen Münzen beleidigt. »Die Zwietracht, die Tyrannei, die Grausamkeit sind als Ungeheuer mit der größten Häßlichkeit vorgestellt,« und so gleich hat Hr. Kl. den bekanntesten Tadel ihrer Maler und ein Sprüchlein aus Hagedorn fertig, das hier so hingehört, als Faust aufs Auge. Auch ich sehe lieber das Schöne, als das Häßliche, lieber das Liebliche, als Carrikaturen; wie aber? wenn die Enthauptung Karls des ersten durch kein lachendes Gesicht, und durch keine Amors angedeutet werden konnte, und das wütende vielköpfichte Volk also als ein vielköpfichtes Schlangenungeheuer erscheint – und neben an das traurige Haupt des Königes auf dem Boden – wird da nicht die Vorstellung von dem Sinne, von der Allegorie gleichsam verschlungen? Und ist dies Bild denn anders geschlagen, als um so verschlungen zu werden? und wird je eine Münze als absolutes Kunstwerk gepräget? Ist sie je unter den Griechen anders, als zum Denkmale gepräget worden? – – Man denke sich einen Autor, der so ganz die ersten Grundsätze der Künste vergißt, der so sehr ihre Gränzen verwirret, und eben auf diese Verwirrung den halben Theil seines Buchs bauet, wie schief, wie elend wird er bauen? Alle die süßen Anmerkungen über die Griechische Lieblichkeit und Schönheit sind entweder hier Halbsachen, oder Hr. Kl. kennt die Natur der Münzen halb. Er nimmt sie als Kunstwerke und nicht als Denkmale; die Kunst bei ihnen nicht als Hülfsmittel des bedeutenden, den Künstler nicht als Handarbeiter – so schreibt er von ihnen, und verkennet ihre Natur.

Und das ist Alles, was Hr. Klotz unter den Griechen fand, um ihnen ihren Rang im Münzengeschmacke zu geben? – ja! und unter den Römern an ihrem Theil nichts besondres? Wenig, als eine sichre Parallele mit den Griechen, die hier nicht hingehört, und über die ich zu anderer Zeit reden werde. Und nichts bestimmtes[420] an Ursachen, die den guten Geschmack herunter gebracht? Nein! und nichts vom Diplomatischen, Heraldischen und Rechtlichen Ursprunge unsers Münzengeschmacks? Auch nein! – O des sonderbaren Beitrages zu einer Geschichte!

1

S. 40. [42.]

2

S. 43.

3

S. 46.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 415-421.
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