4.

[394] Noch hab' ich erst nach Grundsätzen zur Theorie des Geschmacks auf Münzen nachgesucht: nun aber ein Beitrag zur Geschichte des Geschmacks? Auch mir ist die Numismatik vorzüglich eine Aesthetik des Schönen, und eine Urkunde zur Geschichte der Völker, und da ich in dieser überhaupt am liebsten die Geschichte des Menschlichen Geistes studire: nach allem Betracht eine Geschichte des Geschmacks auf Münzen; welch ein Geschenk! So nahm ich das Klotzische Schriftchen zur Hand und – – legte es mit der beschämten Mine weg, mit der ein Bogenschütze den lieben Bogen weghängt, den er freudig und Hoffnungsvoll nahm, mit dem er aber – – nichts getroffen.

Nichts thun, als den Geschmack der Alten auch von Münzen herab loben, und in allgemeinen Ausdrücken preisen – kommt heute etwas zu spät: Hierüber liegen schon Denkmale und Sammlungen der Welt vor Augen, daß man sich eine Lobrede ins Allgemeine hin, ohne Beispiele und fast ohne Grundsätze, ersparen kann. Nichts thun, als den Geschmack der mitlern und neuen Zeiten fein lächelnd auszischen, oder ansehnlich ausschelten – immer auch zu spät, da schon so viele Klagen vergebens in die Winde verflogen sind, und selbst bessere Bemühungen nichts ausrichten können. Am besten also, weder preisen, noch tadeln; sondern – erklären. Die Alten sind auch in diesem Stücke so weit vor; was hat ihnen dahin geholfen? wir ihnen so weit nach; was hält uns zurück? was hat uns so lang zurück gehalten? – – Auf die Weise steigt man in die Tiefen der Geschichte alter und neuer Zeiten, und kann die schwere Frage lösen: wie weit können wir ihnen auch in diesem Felde nachahmen? wo sie erreichen? wo sie übertreffen? und so wird eine Geschichte des Geschmacks auch auf Münzen für unsre Zeit Pragmatisch.

Da Hr. Kl. sich auf diesen schlüpfrigen Weg nicht hat begeben wollen, und ich in allem, ohne welches ich keinen Beitrag zur Geschichte des Geschmacks mir denken konnte, meine Erwartung betrogen[395] fand, so entwarf ich, wie sie mir einfielen, einige Linien, die wenigstens zeigen mögen, daß ich über diese Materie Geschichtmäßig und Antiquarisch nachgedacht hatte: ein Riß, aber nur ein unvollendeter Schattenriß, den ich dem künftigen Verfasser einer Theorie und Geschichte der Medaillen übergebe.

Die Numismatik, als Kunst und als Wissenschaft ist, so wie jede Wissenschaft und Kunst, die Produktion einer Nationalgesellschaft. Aus der Verfassung, der Regierung, der Denkart, der Religion, den Unternehmungen, den Zwecken, den Bestrebungen eines Volks muß sich also Ursprung, Blüthe, und Verfall dieser so wohl als jeder andern Kunst und Wissenschaft, erklären. Nun will ich nicht vom Ei der Leda anfangen, wie es mit Nationen stehe, die keine Münzen haben und brauchen? welches Volk sie in Gang gebracht? wie die ersten Münzen, die niemand gesehen, ausgesehen haben? u.f. Warum, frage ich allein, warum kamen die Münzen in Griechenland und Rom zu dem Glanze, daß sie Vorbilder, und meist unerreichte Vorbilder der Neuern seyn können?

Die Liebe der Griechen zum Schönen bleibt wohl die erste Triebfeder auch hier. Sie, die von Dichterideen die erste Bildung ihrer Jugend erhielten: sie, deren Auge überall das Schöne zu erblicken gewohnt war, im Schooße der wohllüstigen Natur geboren, und an den Brüsten schöner Kunst genähret – sie sollten das Metall, das ein Kennzeichen des Werths für ihre Hand war, ohne Werth für Aug' und Seele lassen? sie eine Gold- oder Silberfläche, die der Nachkommenschaft bestimmt war, leer in die Hände derselben senden? sie Tafeln, die täglich ihren Blick auf sich zogen, ohne Augenweide bei sich vorbeistreichen lassen? Das Griechische Auge suchte Schönheit; eine Griechische Seele Weisheit in Schönheit, und so ward auch ihre Münze der Schönheit, und der schönen Weisheit, der Allegorie, gewidmet. Gewiß! so natürlich, daß, wenn in dem Cirkellaufe der Weltveränderungen ein Nordisches Volk auf den Platz des Commerzes und der Cultur getroffen wäre, auf dem jetzt die Griechen stehen, so gewiß ihre Münzen mit Nordischer Wissenschaft, mit Buchstaben und Amuleten und Fratzengestalten[396] überhäuft wären, so natürlich, daß der Grieche seine Münze der Schönheit und offnen Allegorie weihete – –

Der Charakter der Griechischen Nation, der sich in allen ihren Nationalproduktionen, (ich will es Hr. Klotzen überlassen, sie herzurechnen) zeigte, der muß sich, die Numismatik sei auch eine kleine, eine unbeträchtliche Nationalproduktion, nach Maaß auch in ihr zeigen, und welche Triebfedern lagen also für diese, wie für alle Künste des Schönen, in der Nation!

Die vortreflichste Bildersprache war ihr. Sie, die im Plane des Schicksals der Völker zunächst hinter die Aegypter trafen, und Cultur, Kunst und Weisheit, ja wenn man will, auch Politische Glückseligkeit aus den Händen dieses Reichs, wie einer ablebenden Matrone, empfangen, sie, die den über Völker und Zeiten fortgehenden Faden der Cultur des Menschlichen Geschlechts da auffassen sollten, wo er zunächst aus Aegyptischen Händen kam: sie erbten von diesen Allegoristen auch die reichste, die bedeutendste Bildersprache, die auf der Welt gewesen. Aus den Händen einer Nation, die überall Bedeutung suchte, und Bedeutung gnug in ihn gelegt hatte, kam also ein Bilderschatz in die Hände einer Erbin, die für ihr Theil nichts als Schönheit sehen und denken wollte. Reich, Bedeutungsvoll, schön, was kann man von einer Bildersprache mehr sagen?

So manche gelehrte Werke wir über dies Allegorische Alterthum haben: so fehlt uns eine wahre Geschichte der Allegorie noch, die das insonderheit zeige, wie aus der Bedeutungsvollen Bilderlehre Aegyptens die schöne Ikonologie Griechenlandes zum Theil geworden? Und die Untersuchung hierüber ist sie nicht oft der Schlüssel zur Bildergallerie Griechischer Dichtkunst, Kunst und Weisheit? Die Hieroglyphen der Aegypter, ihre Hierographische und Kyriologische Bildersprache, behalten, oder verschönert, oder verbessert, wie manches hat sie in Griechenland hervor bringen können? Und wenn auch nur dies, daß da auf solche Art die Griechen einen Schatz von Bildern aus der Geheimnißdunkelheit der Aegypter gezogen, und auf den Märkten gleichsam dem Volke gemein machten, die[397] schöne Bilderdenkart einer Nation entstehen können, die sich in allen Werken der Griechen und auch auf Münzen äussert –

In solcher Bildersprache sprach ihre Religion. Ihre Gottheiten waren dem Auge sichtbar, in schönen Gestalten sichtbar, in ihren Verrichtungen Menschlich, in der Geschichte ihrer Tugenden und Schwachheiten Dichterisch, in allem sinnlich. Es ist bekannt, welche vortrefliche Münzenfolge mit den Bildern der Götter und Göttinnen, der Schutzgottheiten einzelner Länder, Provinzen, Städte, Familien und Personen prangen – wer kann ihnen diese nun nachbilden, so daß jede Gottheit, das, was sie ihnen war, bliebe? Ueber eine Dreifaltigkeit unter dem Bilde eines dreiköpfichten Janus lachen,1 ist leicht, sehr leicht; aber ein beßres Bild der Dreifaltigkeit angeben, das die Probe Griechischer Bildsamkeit hielte, wäre schwerer, ja unmöglich: dieses Bild also gar zur Vergleichung unsrer mit den Alten nehmen, ist unzeitig. Die Griechen hatten keine Dreifaltigkeit, wie wir; sonst würden sie dieselbe so wenig, als wir, haben bilden können. Unser Gott ist ganz über das Sinnliche der Kunst erhaben: die gewöhnlichen Vorstellungen der Dreieinigkeit in den Gestalten einzelner Personen von dem göttlichen Greise an bis an die himmlische Taube sind nicht gnugthuend: der Triangel blos eine tropische Symbole: die Glorie mit dem heiligen Namen nichts als eine Epistolische Hieroglyphe: die Wirksamkeit unsrer Gottheit ist nicht bildsam: einzelne Schutzgötter hat unsre Religion nicht: die Vorsteherschaft besondrer Wesen über besondre Dinge kennet sie nicht – wer wird sich hier mit den Heiden vergleichen wollen?

Wo unsre Religion noch sinnlichen Vorstellungen Raum gibt, wo sie sich einer Poetischen Bildersprache bequemt: da ist sie – Orientalisch. Unter einem Volke gebildet, das ihr Gott auf alle Art von Bildnissen abwenden wollte, in Gegenden, die das Uebermenschliche suchten, in Nationen, die Verhüllungen des Körpers, und Geheimnisse des Geistes lieber verehren, als das offne Schöne lieben wollten – im Geist und in der Sprache dieses Volks die[398] sinnliche Bildersprache unsrer Religion also geoffenbaret; wer wird in ihr Offenbarungen für die Kunst suchen wollen. Ueber das Bild von der seligen Abfahrt Gustav Adolphs ist wieder leicht spotten,2 und der Spott fast so verächtlich, als das Bild selbst; gar aber dieses Bild als einen Revers mit der Römischen Vergötterung anführen, vergleichen wollen? Der Spötter gebe uns nach Christlichen Begriffen eine Reihe solcher Verhimmelungen, als sich auf Griechischen und Römischen Münzen Vergötterungen finden, und wir wollen ihm danken.

Ich ward auf eine unangenehme Weise hintergangen, da ich des Mery Malertheologie in die Hand nahm, um meinen alten Wunsch ausgeführt zu lesen: wie weit sich von den vornehmsten Gegenständen unsrer Religion Malerische Vorstellungen geben lassen? Und eben so unangenehm getäuschet, da ich bei der Recension dieses Buchs in den actis literariis3 ein genaues Urtheil, und die tief eindringenden Ergänzungen erwartete, die ein würdiger Kunstrichter jedesmal seinem Autor über solch eine Sache wiederfahren lässet. Unser Künstler hat noch eine Ikonologie unsrer Religion zu wünschen, die ihn nicht blos vor unwürdigen Vorstellungen bewahre, sondern ihn mit würdigen Bildern versehe. – Auch auf Münzen ließe sich in keiner Sorte von Abbildungen eine solche Reihe abentheuerlicher, lächerlicher, und unwürdiger Vorstellungen geben, als in dem, was an Religion trift: wer wird aber durch solch ein Lachen Geschmack zeigen wollen? den ersten besten Griff in eine Münzensammlung Christlicher, und insonderheit der mitlern Barbarischen Mönchszeiten, und man wird von Gott und Belial, von Himmel und Hölle, von Engeln und Teufeln, von Märtrern und Heiligen Bilder finden, nicht geschwind gnug zu überschlagen. Selbst die beste Vorstellung des Christenthums, die betende Mine, die kniende Figur der Andacht scheint nicht für einen ewigen, offnen Anblick der Kunst die beste, so häufig uns der Gothischpapistische Mönchsgeschmack damit beschenket hat. Das wahre Gebet flieht in[399] eine stille Kammer: es will sich nicht zur Schau stellen lassen: die vor allem anschauenden Volke verzückte Mine kommt bei dem langen Anblicke, der ärgernden Mine des Heuchlers zu nahe, und das ist noch eine der würdigsten Kunstvorstellungen aus unsrer Religion!

2. Sinnbilder von Städten, Provinzen, Ländern geben auf den alten Münzen eine einfachere Bildersprache, als in Zeiten, da die Heraldik eine zusammengesetzte, künstliche Wissenschaft geworden, die allein beinahe die Lebenszeit eines Mannes fodert. Eine einfache Figur war dort die Symbole einer Stadt, einer Kolonie, eines Landes; unsre Wapen sind eine Zusammensetzung vieler Figuren, um deren Eine oft Ströme von Menschenblut vergossen, deren keine also, wo es die Ehre und das Erbrecht des Münzherrn erfodert, ausgelassen werden darf, an deren Einer in künftigen Zeiten vielleicht ein ganzes Land gelegen seyn kann. Nun ists leicht, in solchem Fall über die mit Bildern beladnen Münzen der Neuern Geschmackvoll zu spotten:4 aber wie zu ändern? Der Rechtsgelehrte, der Staatskundige, der Heraldikus künftiger Zeiten wird, da die Sache einmal so ist, uns für die Geschmacklose Ueberladung der Münzfiguren vielleicht so danken, als ein Grieche vergangener Zeiten sie wegwerfen würde. Wie also, da es höherer Ursachen wegen nicht anders seyn kann?

Die Wapen, wie bekannt, sind eine Erfindung und Anordnung der mitlern Gothisch-Barbarischen Turnierzeiten; ihre Schilde und Kreuze, und Sparren und Bandstreifen, und Thierfiguren und Fahnen haben ihren Ursprung dem Zeitgeschmacke zu danken, der sich, als eine Vermischung des Nordischgothischen, des Spanisch-Arabisch Ritterlichen, des Barbarisch-Christlichen Mönchsgeschmacks über Europa daher zog, Ritter- und Riesenkämpfe, Turnier- und Kreuzzüge gebar, und er wäre, was er wolle, nur wenig Ideen von der Tapferkeit eines Griechischen oder Römischen Helden in sich hält – welcher Thor wird also diese unter jenen suchen? So verschiedne Geschöpfe ein alter Griechischer und ein Gothischer Held[400] der mitlern Zeiten: ein Römischer Patriot, der für sein Vaterland, und ein andächtiger Kreuzkrieger, der auch, aber für ein anders Rom, Römisch gesinnet, für Papst und Kirche fochte – so verschieden diese: so verschieden auch die Bilder ihrer Tapferkeit. In den Schilden und Helmen, in den Heroldsfiguren und Ehrenstücken, in den Lilien, die keine Lilien sind, in Drutenfüßen und Alpenkreuzen, in Kronen und Mützen, Helmdecken und Wapenzelten wird da wohl eine Dea Roma oder das einfache Sinnbild einer Griechischen Stadt wohnen? – Einmal sind schon die Wapen höchst verwilligte oder brüderlich beliebte Charakterzeichen der Personen, Familien und Länder, daher die Anordnung und der Plan der Wapen; das Herkommen hat sie geschlagen: jedes Fähnlein hat seine Rechte und Deutung, woran nach unsrer Verfassung mehr liegt, als an einem Gericht Geschmack: sie sind Urkunden und Diplome – wer will sie ändern? wer, wo sie erscheinen müssen, als überladen schelten? wer den Kaisern, Königen, Fürsten, Grafen und Herren, Erzbischöfen, Bischöfen und Aebten, Ländern und Städten, Aemtern und Familien in Europa neue Gnadenwapen nach altem Griechischen Geschmacke geben, daß sie doch nicht so Gothisch-Papistisch-Barbarisch überladen aussehen – wer ist der Münzenlehrer vom Geschmack?

Zu dem waren in den alten Zeiten der Griechen weniger Städte und Länder, die als Unterscheidungszeichen auf Münzen kamen, als jetzt. Ich weiß die ansehnliche Zahl Griechischer Münzen von Städten und Colonien, und auf Römischen die öftern Bilder von eroberten Ländern und Provinzen; alles aber reicht auf keine Art, an die dreißig tausend Wapen unsrer Zeit, die Gatterer als die mindeste Zahl der zuverläßigen angibt. Die Münzen Griechischer Städte waren Patronymisch; jede hatte den Genius, oder den höhern Schutzgott, oder die Symbole ihres Orts, und damit wohl! Die Römischen Münzen stellen die eroberten Provinzen nicht anders, als erobert vor: sie wählten sich also ein Merkmal des Landes, wodurch sich dasselbe für sie, nach dem Gesichtspunkte ihrer Unwissenheit oder Politischen Absichten unterschied,[401] personificirten es zur Symbole: damit wohl! Wo reicht dies aber an die Menge, an die Beschaffenheit, an die Bestandheit, an die Politischen Rechte und Absichten der Wapen, der Unterscheidungszeichen unsrer Länder, Städte und Provinzen? Man erlasse mir über Sachen von solchem Augenscheine alle leidige Gelehrsamkeit, die ich in solchem Falle immer lieber bei Hrn. Klotz lesen mag. Die mittelmäßigste Känntniß der alten und neuen Geschichte, so fern sie alte und neue Münzen erläutert, macht den Himmelweiten Unterschied begreiflich, wie die Alten ihre Städte und Länder symbolisiren und personificiren und allegorisiren konnten, nach dem damaligen Zustande der Länderkenntniß, oder der Politischen Absicht: und wie wir sie nach der Verfassung unsrer Welt andeuten müssen – hier vergleichen, heißt in den Wind vergleichen!5

3. In Ansehung der abzubildenden Sachen, und Begebenheiten überhaupt hat die Numismatische Welt der Alten vor der unsern große Vorzüge –

Selten waren die dort vorzustellenden Sachen und Begebenheiten so verwickelt, so sehr mit Umständen begleitet, mit Bestimmungen umlagert, als in jetzigen Zeitläuften. Ein Sieg zu Lande oder Wasser hatte einmal seine Victorie mit dem Kranze in der Hand, seine Minerva, seinen Jupiter mit dem Adler, und andre Symbole, die in ihrer schönen Einförmigkeit so gern auf alten Münzen wiederkommen, und so oft sie wiederkommen, noch immer dem Auge gefallen. Die öffentlichen Anreden und Geschenke, die Vergötterungen, Adoptionen, Vermählungen, Spiele, überhaupt die öffentlichen Gelegenheiten zu Münzen waren unverworrener, als jetzt, da man oft mit allen Bildern rings um die zusammengesetzte Idee herum gehet, ohne sie zu treffen, sie entweder halb und schielend ausdrückt, oder die Münze mit Symbolen überladen muß. Die Anlässe zu Münzen haben sich ins Große, und im Detail der anzudeutenden Umstände so sehr ins Kleine vermehret, daß mir grauet, über alle Politische, kirchliche, gelehrte, Kunst- und wissenschaftliche[402] Situationen und Merkwürdigkeiten unserer Zeit Münzen nach alter Art anzugeben, wo man sie fodert, und fodern kann. Gatterer hat angemerkt, daß die Französischen Münzen auf die Geburt eines Kronprinzen sämtlich nicht die concrete Idee ausdrücken, die sie ausdrücken sollen, sie sagen entweder zu viel, oder zu wenig – und wie, wenn sich ein Philosophischer Theorist der Medaillenwissenschaft nun überhaupt darauf einlassen müßte, die Vorstellung aller vornehmsten Merkwürdigkeiten unsrer Politisch so verfeinerten Zeiten, nach dem Geschmacke der Alten zu verbessern – welch Labyrinth! Ich sage kein Wort davon; denn wie viel wäre sonst zu sagen?

Wenigstens also nicht so ganz unsinnig, daß die neuern Münzen in ein Topographisches, oder historisches, oder Ceremoniendetail6 abgewichen sind, das die Alten nicht haben: die heutigen Zeit- und Staatsläufte sind damit überhäuft, wie konnten die Bilder derselben frei bleiben? Geburt und Tod, Schlachten und Siege, Belagerungen und Eroberungen, Krönungen und Jubelfeste, Stiftungen und Friedensschlüsse, Aemter und Stände sind mit einem Getümmel individualisirender Umstände begleitet, die diese Begebenheit von allen ähnlichen Begebenheiten unterscheiden sollen. Nun ist freilich hier die Regel leicht zu geben: Abstrahire von allen diesen concreten Umständen einen Hauptbegrif, kleide ihn in [ein] Bild nach Art der Alten und du hast eine Münze von Geschmack: allgemein hingesagt, ist dies Recipe, misce, fiet, leicht; aber anzuwenden? Daß jedesmal die Sache nur eben die bleibt und keine andre wird? Daß unter dem abstrakten Begriffe im Bilde, nicht die concrete Begebenheit verschwinde? Wahrhaftig schwerer! und ein vollständiges Repertorium besserer Vorstellungen geben im Geschmacke der Alten, und doch, daß unsre Welt omnimod angedeutet werde, vielleicht unmöglich. Ueberweg also vergleichen, trift nicht. Das Mittelstück der Vergleichung schwankt; die sinnlich abzubildende und abgebildete Welt der Alten ist nicht mehr unsre Welt.[403]

Nichts weniger, als daß ich hiemit die Topographischen Beschreibungen unserer Schlachten und Siege, die Risse unsrer Städte und Vestungen, das Getümmel von Figuren bei einer Krönung, oder Ankunft, das Gewühl von Kriegsgeräthschaft bei einer Belagerung, das lächerliche Freudenleben bei manchen Jubelfesten, alles Kinderzeug bei Geburten, und Himmelsanstalten bei dem Hintritt eines Wohl- oder Hochseligen retten oder loben wolle. Wer mag alle unzeitige oder gar lächerliche Münzhistorien lange ansehen? Daß aber überhaupt unsere Münzvorstellungen mehr ins Historische, ins genau bestimmende einschlagen, als die alten, das, sage ich, ist oft unvermeidlich, oft nöthig, und wenn man erlauben will, auch nützlich. Münzen sind Denkmale einer Merkwürdigkeit an die Nachwelt – was sind sie, wenn sie nicht deutlich, nicht bestimmt reden? und wenn sie über unsre Welt von Denkwürdigkeiten nicht immer nach der Weise der Alten reden können? Immer lasset sie sich alsdenn ihre eigne Weise nehmen. Mit allen Vorzügen der Alten hierinn sind nicht viele ihrer Münzen deswegen für uns undeutlich, weil sie zu wenig historisch, zu wenig individuell, zu abstrakt, zu allegorisch sind?

Nun stelle man sich nach Jahrhunderten eine Nachkommenschaft auf unsern Gräbern vor; eine gegen uns so fremde Nation, als wir gegen Griechen und Römer, eine, die mit eben der Begierde in der Geschichte von uns forschen wollte, mit der wir unter den Alten forschen – Oder wenn mir ein solches Gericht einer Nation nicht erwarten dörfen: so lasset nur im Verfolg der Zeiten nachkommenden Gelehrten und Staatskundigen an genauen Denkmalen der Vorwelt gelegen seyn dörfen: wird ihnen etwa eine reine würdige historische Vorstellung nicht gelegner kommen, als eine hinter die Allegorie versteckte? als eine allegorisch halb gesagte? als eine nur im Nebenbegriffe angedeutete? – In diesem Falle ist der Unterschied so, wie in den mancherlei Erzählungsarten der Geschichte. Die älteste Geschichte war Gedicht, war Epischer Gesang – schön allerdings, in rührende Bilder gekleidet freilich, so gar mit täuschenden Fiktionen untermischt; aber Geschichte? Trockne Zeugnisse der[404] Wahrheit? Wie verlassen ist der Geschichtschreiber in diesen Gegenden schöner Poetischer Halbwahrheit, oder schöner halbwahrer Dichtung! Und was diese Mischung einen langen Mythologischen Gesang hinunter; das ist sie, wenn eine neue Begebenheit hinter eine halb andeutende Allegorie versteckt wird, auf einer Münze, auf einem Denkmale für die Nachwelt.

Eben dazu ists schon, daß die Neuern ihren Medaillenvorstellungen eine grössere Fläche, als je die Alten, eingeräumt haben. Möchten sie nur auch die historische Begebenheit so kurz, so anschaulich, so entladen von entbehrlichen Nebenumständen, von Zierrathen einer fremden Zeit, und von verwirrender Dichtung vorstellen: möchten sie nur statt immer neue Vorstellungen zu erkünsteln, bei wiederkommender Veranlassung auch gute, obgleich schon gebrauchte, Abbildungen wiederholen, und das Individuelle des gegenwärtigen Falls nur so leicht bestimmen, als möglich: freilich, so könnten wir, weil sich auch unsre Welt von Merkwürdigkeiten doch so oft wiederholet, auch einmal zu einer für uns eignen Ikonologie kommen, so bestimmt, als die Antike in ihrer Art; nur freilich ein gut Theil historischer, Politischer, detaillirter.

4. Die vorzustellenden Personen nehmen in etwas an dieser Schwürigkeit Theil. Wenn es in den mitlern Zeiten Reichsgängig war, den Kaiser sitzend auf einem halben Cirkel, oder auf einem Thore zwischen zween Thürmen abzubilden, als wären die Füße dem Bauche entwachsen; wer dörfte da bei solcher kaiserlichen majestätischen Stellung nicht an die Mine Vespasians beim Sueton gedenken: velut nitentis! Er mit Kron und Scepter, Schwert und Reichsapfel – einen Fürsten mit Helm und Panzer, in seiner Hermelindecke und Hermelinmütze, mit Fahn und Wapen reitend – der Bischof mit Hut und Stab und Kreuz und Oberrock – drei Heilige auf einer Zürcher Münze, mit einem Nimbus oben statt des Haupts, das jeder Rumpf zum Zeichen ihres Märtrerthums in der Hand hält. – Diese erzwungene Tracht und Stellung, die fast jedes Land des guten Herkommens wegen seinen Fürsten und Herren gibt, durchlaufen; und denn an das freie[405] Kopfbild eines Alexanders, zurück gedacht – welch ein Unterschied! wo wohnt das freie Schöne?

Mich wundert, wie Hr. Kl. über die geharnischten Brustbilder auf unsern Münzen so fremde wie ein Kind thut:7 »Wider das Costume sind sie doch: den alten Römern sind sie nicht nachgeahmt, den byzantinischen Kaisern auch nicht so recht: sie müssen endlich wohl aus Rüstungen verschiedner Zeiten zusammen gesetzt sein.« – – So wenig ich in dergleichen Reichsurkundlichen Sachen belesen seyn mag, so weiß ich doch außer der Zeit unsres Costume, (in die kein Schüler der Numismatik ihre Erfindung setzen wird,) außer der Römischen und Byzantinischen Rüstung, noch eine mitlere Zeit Deutschen Ritterthums, da die Herzoge und Grafen von den Kaisern in denen ihnen anvertraueten Ländern zu Heerführern der Ritterschaft verordnet gewesen, da diese durch solche Turnier- und Heldenrüstung sich unterschieden, da also die Herzoge ihr Heerführerthum durch Harnische und Ritteraufzüge auch auf Münzen signalisirten, sie als herzogliche Insignien und Gerechtsame behielten u.s.w. Dies weiß ich, und wer sollte das nicht wissen?

Und weiß man das; wem wird die weitläuftige prächtige Anmahnung: »die Fürsten sollten doch bedenken, daß sie ihre Münzen für die Nachwelt schlagen lassen, daß diese ja der spätesten Nachkommenschaft ihren Geschmack verkündigen sollen: die geharnischten Brustbilder wären doch wider das Uebliche unsrer Zeiten: an Münzen und Statuen des Alterthums fände er doch solche Rüstung nicht: an byzantinischen Kaisern auch nicht so ganz; sie bleibe doch für unsre Zeiten fremde: sie stelle doch eine Sache vor, die wir in der Natur nicht mehr sehen: die Römer hätten sich doch nie in ägyptischer Kleidung, oder mit parthischen Tiaren abbilden lassen: man brächte damit der Nachkommenschaft nichts, als ganz falsche Begriffe von den Trachten unsrer Zeit bei« – – und was der Verf. darüber auf sieben Seiten Gelehrtes,[406] Wohlschmeckendes und Zurechtweisendes von Heliogabalus und Childerich, von Alexander und Aristobulus sagen möge, das artige Gebet des Hrn. Watelets, und den artigen Spaas vom Löwen und Affen d.i. vom Fürsten und seinem Künstler, von der friedfertigen und mit frommem Abscheu gegen alles Morden und Blutvergießen verwahrten Bürgerkompagnie, von der lockichten Perucke und Ihrer Herrlichkeiten breitem Halskragen – – diesen artigen Spaas mit eingeschlossen, wer wird die ganze Ermahnungsrede nicht so fade, als möglich, finden? Wenn die liebe Nachkommenschaft nur etwas weiß, so weiß sie, daß dies nicht eine Tracht unseres Ueblichen im gemeinen Leben, sondern ein fürstliches Herkommen, das Insigne eines gewissen Ranges, gewesen: so weiß sie, daß, wenn den Geheimden Räthen unsrer Zeit diese Kleidungstracht, wie billig, unbräuchlich ist: sie bei fürstlichen Installationen in Deutschland urkundlich sey: so weiß sie, daß, wenn der Papst nicht täglich seine dreifache Krone trage, er sich dieselbe doch anmaaße, und daß, wenn Ihre Herrlichkeiten den breiten Halskragen nicht über den Harnisch zu binden befugt sind, sie es auch nicht thun werden, wie der Hr. Verf. meinet: so weiß sie – – und das weiß ja jeder Schüler der Reichsgeschichte.

Nun mag es etwa der Affe eines Löwen, das ist nach Hr. Kl. Fabeldeutung der Künstler und Historiograph eines Fürsten ausmachen, wie weit Seine Durchlauchten dies Erz abschütteln könne, oder nicht? Aber dazu gehört wahrhaftig kein Geheimder Rath, es auszumachen, daß kein Fürst unsrer Zeiten diese Rüstung ersonnen, um »der spätesten Nachkommenschaft seinen Geschmack zu verkündigen, um den Enkeln die vortheilhafteste Schilderung von sich zu überlassen.« Dazu gehört auch kein erster Philologe der Nachwelt, um etwa das Costume unsrer Zeit daher zu muthmaßen, so wenig die Ammonshörner Alexanders und Lysimachus uns auf den Verdacht bringen, als wäre er eine gehörnte Mißgeburt gewesen. Wenn sich indessen ein Fürst einem solchen Insigne auch nur des Herkommens, des Ranges, des Nationellen bei seiner Huldigung und Krönung wegen bequemt – immer sei er zu[407] beklagen; denn hinter welchen Fässern und Gewändern muß ich nicht einen solchen König Saul suchen? aber auch der Unterschied werde erwogen zwischen einer Zeit, die ihre Fürsten frei hinstellt, und einer Zeit, die sie nach Recht und Herkommen zu einem spanischen Mantel, oder zur Tonne des Diogenes, verurtheilt – wer wird das verkennen?

5. Ich komme auf die Inschriften, zu denen ich hier so wohl Titel, als Legenden rechne. Titel! mit welchem Ballast sind unsre Fürsten nicht überladen? mit diesem des Erbrechts, der Familie, eines historischen Umstandes, einer Protestation wegen, mit jenem der wirklichen Besitze halben – wo ist hier die edle Armuth der Griechen und Römer? Der Römer war Herr und Kaiser der Welt, nichts mehr dünkte er sich, aber auch nichts weniger: Ein Titel also seiner Römischen Größe und Hoheit; jeder übrige Zusatz nach Provinzen und Ländern wäre für ihn (ich nehme den Fall der Eroberung aus) verkleinernd. Ein Imperator, Caesar, Dictator, Pater Patriae, war genug, um gleichsam den Einen zu bezeichnen, der nicht seines gleichen hat –


Vnde nil maius generatur ipso

Nec viget quidquam simile aut secundum.


Das Titulaturrecht unsrer heutigen Fürsten muß von dieser Römischen Größe mehr in die Currentmünze der Titel gehen. Hier diese Acquisition, dort jene Gerechtsame, dort jene Anwartschaft von Gottes Gnaden: sie muß nicht vergessen werden, und so kommt eine Titelreihe heraus, die oft auch die Münze besäet. So mache man, wird man sagen, diese zu keiner Heroldstafel, und lasse sie weg! Gut, aber die lasse man doch nicht weg, die in dieser Situation mit zur Bestimmung, zur historischen Erklärung gehören? Und eben dies, wie sehr läufts oft ins Detail? Um nur der Nachwelt deutlich zu seyn, um diesen von so manchen andern Fürsten zu unterscheiden – welche Unterschiedenheit, von der ein Grieche und Römer nichts wußte! Um eben diese und keine andre Denkwürdigkeit der Nachwelt aus unsrer Staatsverfassung zu erklären – welche Unterschiedenheit, von der ein Grieche[408] und Römer nichts wußte. Die bloße Schuldeklamation des Hrn. Geheimdenraths8 über die Schwachheiten der Fürsten, über eine Eitelkeit, von der sie keinen Nutzen ziehen, reicht hier kaum zu: in diesem und jenem einzelnen Falle würde ihn mancher andre Geheimderath eines bessern belehren.

Griechen und Römer inscribirten in ihrer Sprache, und man kennet dieselben nach ihrer Stärke und Hoheit, nach ihrer Kürze und Nachdruck; verläumden will ich die unsrige nicht: sie hat in manchem so gar Vorzüge; aber zur schönen Aufschrift einer schönen Münzallegorie ist sie nicht gebildet. Nicht gebildet dazu in der Form der Buchstaben, in den hart und vielfach zusammengesetzten Bestandtheilen der Wörter, in dem Bau der Rede, der sich weniger mit einem ausgerißnen Casu, oder einer ellipsirten Construktion verträgt, in dem Geiste der Sprache, der sich hierinn eben so weit von der offnen χαρις der Griechen, von der elegantia inscriptionum der Römer, als von der Französischen Pointe, entfernen dörfte. Unsre Sprache hat ihre Gothischen Buchstaben, die gut erscheinen mögen, nur nicht auf Metall: sie hat ihre vielen Konsonanten, die in einem starken Gedichte so prächtig klingen, als sie auf einer Münze schwer zu buchstabiren, noch schwerer abzukürzen sind: sie liebt den vollen Bau der Rede mit Artikeln, Verschränkungen und Construktionen ohne Ellipsen, ohne einzelne Redetheile: sie liebt auch im Sinne mehr das voll- und ausführlich gesagte, als das schön Andeutende der Griechen und Römer: sie ist also nicht, wie diese, zur Münzenaufschrift. Was soll hier ein Geschmackvoller Tadel über den Mangel an Geschmack in einer Sache, wo es an etwas mehr fehlt, als diesem?

So nehme man die Römische Sprache statt der unsrigen! Gut gesagt! aber ist denn auch die Münze so National, als die Römische war? so einem jeden verständlich? so fürs Publikum, als jene? – Zudem: »man brauche die Römische:« aber, ans Landübliche, ans Costume nicht zu denken, wird man sie auch als[409] ein Römer brauchen? Ist die Römische denn auch für unsre Welt von Münzdenkwürdigkeiten gebildet? wird man nicht oft, indem man alte Worte auf neue Gebräuche anwendet, Centauren schmieden? Vermischungen der Zeiten und Länder, die einem Nachkommen befremdlich seyn müssen, schielende Uebertragungen Römischer Worte und Begriffe unter Deutsche oder neuere Begriffe überhaupt, für einen Kenner beider Zeiten unausstehlich. Die Griechische und Römische Sprache war National: die Denkwürdigkeiten, welche auf Münzen kamen, National, eines also für das andre gebildet: Körper und Seele. Ist aber die Römische Sprache für unsre Welt von Merkwürdigkeiten, oder diese für jene ursprünglich gebildet worden? und doch soll eine die andre ausdrücken? So stoßen sich zwo Zeiten und Völker, wie jene Zwillinge im Leibe der Mutter! – –

Will man also zur Nationalsprache zurück kehren, und einiger maaßen doch die sinnreiche Einfalt, die edle Kürze, gleichsam die Poesie in Gedanken und Worten ersetzen, die sich bei den Alten findet – ach! unsre Sprache bietet uns auch eine Poesie dar, aber sinnreiche Leberreime, oder gar frostige Wortspiele. So wie die Nordländer in der Dichtkunst die Harmonie der Alten durch Reime nach ihrer Art zu ersetzen gesucht: so auch auf Münzen durch Reime – aber welche Ersetzung? National freilich, oft sinnreich gnug und oft nicht blos für den Pöbel, sondern auch für den Weisen, sinnreich; aber eine Ersetzung der Griechischen und Römischen Einfalt? Ich sehe von beiden Seiten Schwürigkeiten: Hr. Kl. sieht keine, er stimmt eine Elegie über den Pöbelhaften Geschmack der Neuern an – wie vornehm!

Weiter mag ich mich nicht einlassen in die unendliche Verschiedenheit der alten und neuen Numismatischen Münzgesetze, Künstler, einzelnen Veranlassungen, des äußern Werths und Zubehörs; noch zum Schluß eine allgemeine Anmerkung, die Anfang hätte seyn sollen.

6. Die Alten hatten überhaupt mehr Bildersprache, mehr Allegorische Dichtung, als wir. Von Dichtern war ihre Sprache[410] gebildet, und da bei den Griechen insonderheit die ältesten Dichter Liebhaber von Bildern, Metaphern, und Allegorien waren, welch ein Schatz lag gleichsam schon in der Sprache theils im Geschlechte, theils in Form, theils in Bedeutung der Worte! Ihre Dichterische Sprache war Allegorischen Aufschriften gleichsam in die Hand gebildet! Allegorien wurden aus der Sprache geschöpft, und mit der Sprache, aus der sie geschöpft waren, begleitet – welche gute Lage!

Zudem: Die erste Schrift und die erste Sprache ist eine Malerei von Begriffen: mit der Zeit kommen in beide künstliche Abkürzungen der Bilder: mit der Zeit verlieren sich gar viele Bilder selbst, und es bleiben allgemeine Begriffe. Wo sind wir nun in der Reihe der Völker und Zeiten? ohne Zweifel diesem Ende näher, als jenem. Die meisten Allegorien allgemeiner Begriffe nach Griechen, Römern, zumal Aegyptern, sind uns schon fremde: die meisten, die z.E. auch Winkelmann aus den Alten anführt, erkennen wir kaum mehr unter solcher Gestalt: sie sind nach unsrer Horizonthöhe beinahe schon über das sinnliche Bild erhoben, oder wenigstens so oft von jenen Vorstellungen abgewichen, als wären sie nicht mehr dieselben. In dieser, meines Wissens noch nicht so bemerkten Aussicht sollte man das Winckelmannische Werk9 durchgehen, so würde man sehen, wie vorzüglich bei den Aegyptern, (denn sie sind die ältesten,) so dann bei Griechen und Römern Tugenden und Laster, und abstrakte Ideen von allerlei Art fast immer eine andre Gestalt gehabt, als bei uns, wenigstens hie und da von einer Nebenseite angesehen worden, die sie bei uns verlohren. Oft ist das Allegorische Bild einer Tugend, einer abstrakten Idee nach Griechischer Art mit dem Namen derselben nach dem[411] Sinne unsrer Zeit, eine Gesellschaft zwoer Personen, die sich sehr seltsam zusammen finden.

Noch eine augenscheinliche Folge. Dichter haben den Alten ihre Allegorie und Sprache angebildet: National war also ihre Bildersprache, und wenn sie entlehnt war, so wurde sie nationalisiret. Der Unterschied wird wichtig: denn bei uns ist eine Bildersprache so Patronymisch nicht. Dort konnte alles auf einem Wege fortgehen: der Dichter hatte durch seine Poetische Bildersprache das Volk gebildet: der Weise, der nach ihm kam, trat, so viel er konnte, in seine Fußstapfen: er bediente sich des Bilderschatzes, den jener in die Sprache gelegt, nach seinen Zwecken: er bildete die Allegorien des erstern zu Wesen seiner Art um: er wurde ein Plato gegen einen Homer. An seiner Hand gieng der dritte Mann, der Künstler, und erhob jene Bildersprache der Dichter und Weisen zum schönsten Anschauen. Die Götter, die der Dichter dem Volke sang, und der Weise erklärte, schuff der Künstler ihm vor: die Ideen, die es in alten geerbten und früherlernten Gesängen auf der Zunge, und aus dem Munde des Weisen gleichsam im Ohr hatte, standen ihm in den Werken des Künstlers vor Augen – durch alles ward also ein Poetisches, ein Allegorisches Publikum gebildet, das die Bildersprache verstand, fühlte, beurtheilte, fortpflanzte. Die Allegorie hatte tiefe Wurzeln in allem was National heißt, geschlagen, in Sprache, Gedichten, Philosophien, Kunstwerken: sie gehörte zur Cultur des Volks, sie ward Denkart des Publikum.

Unser Publikum ist aus diesem Gleise der Cultur, aus diesem Vehikulum der Denkart hinaus. Wenige Bilder ausgenommen, und die Ikonographie der Alten ist uns nicht Nationell. Nicht aus unsrer Sprache geschöpft, und oft nicht einmal mit dieser stimmend; nicht aus unsern angebohrnen Idolen, in denen wir uns als Kinder allgemeine Begriffe denken, gebildet, und oft denselben wiedersprechend – nicht also dem Auge des gemeinen guten[412] Verstandes unter uns kennbar, nicht also National. Die Idole etwa und Märchen, in die unsre Kindheit allgemeine Begriffe kleidet, sind Gothisch, oft ungeheuer, fast niemals für die Kunst. Sie sind nicht von Griechischen Dichtern der Schönheit, sondern durch Nordische Märchen eingepflanzet: einige von ihnen bestätigt unsre Sprache, die sich nach ihnen bequemet: alle aber sind gegen die Menge Griechischer Nationalbilder ein verschwindendes Zwei oder Drei. In den Schatten der Jahrhunderte sind sie verschwunden; und für die Kunst haben wir auch an solchen Gothischen Gestalten der Einbildungskraft nichts verlohren. Die reinere Wissenschaft, die in unsern Nordischen Gegenden durchaus freier von solchen Hüllen der Mittagsländer gedacht wird, die Cultur des Publikum nach unsrer unsinnlichen Religion, und unsinnlichen Philosophie hat sie vertrieben: wir haben also kein Dichterisches, Allegorisches Publikum mehr.

Und können uns die Allegorien der Alten dazu machen? Selten sind diese ja unserm Volke, (ich sage nicht, unserm Pöbel,) kennbar: oft ihm ja so unverständlich, als die Lateinische Ueberschrift ringsum. So wie es nach unsrer gelehrten Handwerksbildung in manchen Ländern dem Pöbel zur Synonyme geworden: er ist ein Lateiner, das ist ein Gelehrter: so wenigstens in diesem Falle ist die Ikonologie der Alten eine Ueberpflanzung fremder Nationalbilder, sich in ihnen Götter zu denken, die wir nicht haben, Städte und Länder in Schutzgöttinnen und Genien zu denken, die wir nicht kennen, Tugenden und Laster zu denken, wie wir sie nicht denken wollen, allgemeine Begriffe zu denken, ohne daß wir sie in der Symbole sehen. Sie ist also ein gelehrtes Rüst- ich will nicht sagen Spielzeug aus fremden Ländern, das unter uns keinen Markt des Anschauens, kein Publikum hat.

Eben hiemit ist Herrn Klotzen ein unerklärlicher Leidesvoller Unterschied erklärt;10 »Mit den Sinnbildern auf alten Münzen konnte der Lehrer des Geschmacks, der Dichter, der Künstler[413] zufrieden seyn. Den neuern Vorstellungen widerspricht oft Vernunft, Geschmack und Kunst. Wer wollte es wagen, die Vorstellungen auf neuern Münzen mit den Bildern unsrer Dichter zu vergleichen? Gleichwohl hat Addison mit den alten Münzen und Versen dieses gethan: Er hat oft eine große Aehnlichkeit zwischen beiden bemerkt, und Ursache gefunden, den feinen Geschmack dessen zu loben, der die Vorstellung zu einer Münze angegeben. Der Poet hat die Idee mit eben dem Bilde ausgedruckt, welches der Stempelschneider gebraucht, um einen Gedanken sinnlich zu machen.« Wie man sieht, bleibt Alles im Unterschiede der Alten und Neuern bei ihm eine qualitas occulta des Geschmacks zum Staunen. Freilich konnte der Dichter mit solchen Münzvorstellungen zufrieden seyn: denn sie waren aus ihm geschöpft, oder wenigstens nach der Denkart gebildet, die er dem Weisen, dem Künstler, dem Lehrer des Geschmacks, die alle Söhne seines Geschlechts waren, angeschaffen. Freilich lassen sich Verse und Münzen unter den Alten vergleichen: was aber jetzt in Addison eine solche gelehrte und Geschmackshexerei ist, das konnte unter den Alten ein jeder wohlerzogner gebildeter Mann. Wenn er durch Dichter gebildet war, wenn einem Publikum in Griechenland Dichterverse und Poetische Bilder ihrer Mythologie im Kopfe schwebten, ohngefähr auf die Art, als unserm Volke Kirchenlieder, Bibelsprüche, (eine Vergleichung, die hier blos Nationalunterschied seyn soll,) wenn die Sprache und die Erziehung solchen anschaulichen Vorstellungen entsprach – was natürlicher, als eine Vergleichung zwischen Bildern und Versen? was aber auch unnatürlicher, als bei uns solche Vergleichung zu fodern? Die Münzallegorien sind uns meistens überbrachte Ideen: unsre Dichter, der Muse sei Dank! aber uns National – ich sehe keine Parallele. Die Münzvorstellungen aus den Alten entsprechen höchstens auch den Dichtern der Alten; und so sehr diese auch unsrer lieben Schuljugend eingeprägt werden: so haben wir doch nimmer ein Attisches, ein Römisches Publikum, das, wie jenes, nach diesen Dichtern gebildet wäre. Die[414] lange Deklamation des Hrn. Kl. über die Parallele, vom Geschmack auf Münzen,11 der sich zu unsrer Zeit, unter der Regierung Friederichs des Großen (vermuthlich zu Halle) angefangen, und von Classischen Schriftstellern, die unsern Zeitpunkt allen Völkern und der spätesten Nachkommenschaft bewundernswürdig machen werden, die ganze Parallele ist in Vergleichung der Alten link.

1

S. 53.

2

S. 26.

3

Vol. III.

4

S. 33. u.f.

5

S. 35. 36.

6

S. 32. 33. 34.

7

S. 79. 80. u.f. [Freies Citat]

8

S. 88. 89.

9

Ueber die Allegorie. Getadelt gnug hat man diesen Versuch, der doch nichts als Versuch seyn sollte; aber recensirt, in der vorgesteckten Aussicht durchgegangen? ich weiß nicht. Und sie ist die einzige, nach der man die Frage entscheiden kann, wie weit wir den Alten nachallegorisiren können, oder nicht?

10

S. 55. 56.

11

p. 70–76.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 394-415.
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