Ueber die Gottesgelahrtheit.

Wie kommt Herr Klotz, der Vielschreiber, dazu, daß er sich bei allem Anlasse, zur Zeit und Unzeit, hinter die Basedowe und Heilmanns und Tellers, als ein Märtrer der Wahrheit hindränge, und sich in Klagen und Kontestationen zu Männern nebenansetzet, mit denen er nichts gemein hat? Das Publikum schläft eine Viertheilstunde, oder ist über Feld gegangen; nachher aber machts genau Unterscheid, wohin jemand gehöre, und wohin es ihm beliebt, sich zu classificiren; und spricht alsdenn gerade hin: Freund! rücke hinweg!

Herr Klotz hat die Namen einiger Theologen auf der Zunge, selten mit Ehren, ohne daß Er doch über sie Richter und der Ueberweiser ihrer Meinungen gewesen wäre. Einer davon ist Götze. Senior Götze mag seine Fehler, und wenn man will, seine Irrthümer haben: gut oder nicht gut, daß er dieselbe vertheidigt: aber was gewinnt der liebe Leser für Wahrheit und Ueberzeugung, wenn er in einer Klotzischen Satyre das Pasquill lieset:
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Goetzius Hamburgi clamoribus omnia complet,

Voce tonat rauca, turris templumque tremiscit.


Was hat man damit anders gelesen, als daß Hr. Götze eine durchdringende Stimme habe und Hr. Klotz ein – – Spötter sey. Will der Verf. antworten: das Fehlerhafte, das Irrige haben ihm und seines Gleichen schon andre Theologen gezeigt, worauf ich mich gleichsam mit einer stummen Anzeige berufen darf: o schön! die Richter haben ihr Urtheil gesprochen, und wer sind die nun, die sich auf der Straße hinzufinden, die dem Verurtheilten nachruffen, nachspotten – wer sind die?

In unserm Kritischen Jahrhunderte sollten wir endlich einmal so weit seyn, auf eignem Boden und nicht nach solchen fremden Postulaten zu urtheilen. Alle Annehmenswürdigkeit der Kritik fällt weg, wenn man, ohne Gründe und Beweise, mit einer Schimpfsentenz losbricht, ohne daß man weiß, woher und wo hieher? Solche Fußung auf fremde Machtsprüche, mit einem Machtstreiche begleitet, sind immer Vorboten vom Verfalle der Litteratur gewesen: und zu unsrer Zeit ist dies ja der Lieblingston dieser und jener Zeitungen und Journäle. So bekommt mancher ehrliche Mann einen Banditenstich, wo er sichs am wenigsten versah.

Ferner: Der schöne, reinlateinische Styl ist bei Hrn. Klotz so nahe mit dem Herzen seiner Litteratur verwandt, daß er an mehr als einem Orte die Dogmatische Barbarei der Theologen, aus ihres Königs theologia positiva, oder Neumanns aphorismis sich sehr vornehm leid seyn läßt. Mich dauert der manchmal unnöthig verflogne Seufzer. Barbarei ist nirgends gut, und bei dem Lehrer der Religion, der uns Geschmack an den Wahrheiten derselben beibringen soll, am wenigsten; nie aber kann die Reinigkeit des Styls, die Süßigkeit der Lateinischen Schreibart, nach Hrn. Klotz Halbbegriffen in der Theologie Souveraine seyn, oder es wird noch ärger. Die Wahrheiten der Religion sind uns nicht in Cicerons Büchern von der Natur der Götter, sondern in andern Sprachen, offenbart aus denen in ihren Vortrag bei aller einzelnen Wortreinigkeit sich ein Orientalischer Hellenismus einschleichen wird, und vielleicht[460] als Geist des Ganzen. Der gute Geßner hat mit Recht aus Cellars Latinitas ecclesiastica viele Barbarismen canonisirt: und der strenge Schriftausleger wird noch weit mehr canonisiren: wo ihm an dem Ganzen, dem Unverfälschten, dem Unverworrenen des Begriffs Alles gelegen ist. Wer will nun lieber eine nach den Büchern der Offenbarung streng gesagte, unhalbirte Theologie; oder süßes Lateinisches Geschwätz, wo das Runde des Biblischen Begriffes in dem Spülwasser schöner Umschreibungen zerfließt? Wem ist nicht die Sicherheit seines theoretischen Glaubens mehr, als Alles? – Zweytens: Aus den Händen der Exegeten, wird nun erst die Wahrheit in die Hände der Dogmatiker geliefert, denen es wiederum Hauptgesichtspunkt ist, ihre Sätze von den Verwirrungen so vieler Jahrhunderte, von dem Gewebe so mancher Ketzer und Ketzermacher loszuwickeln, und sie so rund, so gewiß, so klar darzustellen, als es hinter den Denkarten und Vermischungen so vieler Perioden der Religion geschehen kann. Auch hier also ist die Strenge des Begriffes und Beweises Alles. Wer will jenen und diesen im Gefolge süßer und reiner Worte erst aufsuchen? Ein Ernesti, (und wessen Zeugniß kann hierinn mehr seyn, als dieses theologischen Cicero?) hat über Materien, die hiezu die Grundlage seyn müssen, geredet, und selbst an Heilmann die Schwürigkeit gezeigt, Lateinische Worte und Ausdrücke Gedanken des Systems zu substituiren. Einige neuere Dogmatiken, wovon ich selbst die Schriften Mosheims nicht ausnehme, bestätigen es, wie viel von der genauen Präcision und Dogmatischen Vestigkeit oft durch den schönen Styl verloren gehe, und denn selbst in Reden sind die Bergerschen Orationes selectiores Zeugen von den Schwürigkeiten, beides zu gatten. – – Geschmackvoll also mögen solche Klagen über die Dogmatische Barbarei der Theologen immer seyn; nur gründlich? – – Am besten, daß sich Hr. Kl. nicht darein mische, und die Namen guter und böser Theologen dem Urtheile andrer überlasse.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 459-461.
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