16.

[133] Ueberhaupt muß man nicht denken, daß ein Philosoph, der den Unterschied zwischen Poesie und einer schönen Kunst zu entwickeln unternimmt, damit das ganze Wesen der Dichtkunst vollständig erklären wolle. Hr. L. zeigt, was die Dichtkunst gegen Malerei gehalten nicht sey; um aber zu sehen, was sie denn an sich in ihrem ganzen Wesen völlig sey, müßte sie mit allen schwesterlichen Künsten und Wissenschaften z.E. Musik, Tanzkunst und Redekunst verglichen, und Philosophisch unterschieden werden.[133]

»Malerei wirkt im Raume; Poesie durch Zeitfolge. Jene durch Figuren und Farben; diese durch artikulirte Töne. Jene hat also Körper, diese Handlungen zu eigentlichen Gegenständen«. So weit ist Hr. Leßing in seiner Entwicklung gekommen. Nun nehme ein Philosophischer Tonkünstler sein Werk auf: wie fern haben Poesie und Tonkunst gemeine Regeln, da sie beide durch die Zeitfolge wirken? Wie geht jene ab, da sie Handlung singet? Der Redekünstler fahre fort: jede Rede kann Handlung schildern: wie denn die Poesie? wie in ihren verschiednen Gattungen und Arten? – Endlich diese Theorien zusammen: so hat man das Wesen der Poesie.

Auch bei der jetzigen einen Seite der Vergleichung ists indessen, als ob mir an dem Wesen der Poesie immer etwas zur Berechnung fehle. – – Ich nehme Leßingen da das Wort auf, wo er die Sache aus ihren ersten Gründen herzuleiten verspricht.1

Er schließet so. »Wenn es wahr ist, daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andre Mittel, oder Zeichen gebrauchet, als die Poesie; jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulirte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältniß zu dem Bezeichneten haben müssen: so können neben einander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die neben einander, oder deren Theile neben einander existiren, auf einander folgende Zeichen aber, auch nur Gegenstände ausdrücken, die auf einander, oder deren Theile auf einander folgen.

Gegenstände, die neben einander, oder deren Theile neben einander existiren, heißen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften, die eigentlichen Gegenstände der Malerei.

Gegenstände, die auf einander, oder deren Theile auf einander folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.«[134]

Vielleicht würde die ganze Schlußkette untrüglich seyn, wenn sie von einem vesten Punkte anfienge: nun aber lasset uns zu ihm hinan. »Wenn es wahr ist, daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andre Mittel oder Zeichen gebraucht, als die Poesie;« allerdings wahr!

»Jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulirte Töne in der Zeit.« Schon nicht so bestimmt! denn der Poesie sind die artikulirten Töne nicht das, was Farben und Figuren der Malerei sind!

»Wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältniß zu dem Bezeichneten haben müssen.« Eben damit fällt alle Vergleichung weg. Die artikulirten Töne haben in der Poesie nicht eben dasselbe Verhältniß zu ihrem Bezeichneten, was in der Malerei Figuren und Farben zu dem Ihrigen haben. Können also zwei so verschiedne Dinge ein Drittes, einen ersten Grundsatz zum Unterschiede, zum Wesen beider Künste geben?

Die Zeichen der Malerei sind natürlich: die Verbindung der Zeichen mit der bezeichneten Sache ist in den Eigenschaften des Bezeichneten selbst gegründet. Die Zeichen der Poesie sind willkührlich: die artikulirten Töne haben mit der Sache nichts gemein, die sie ausdrücken sollen; sondern sind nur durch eine allgemeine Convention für Zeichen angenommen. Ihre Natur ist also sich völlig ungleich, und das Tertium comparationis schwindet.

Malerei wirkt ganz im Raume, neben einander, durch Zeichen, die die Sache natürlich zeigen. Poesie aber nicht so durch die Succession, wie jene durch den Raum. Auf der Folge ihrer artikulirten Töne beruhet das nicht, was in der Malerei auf dem Nebeneinanderseyn der Theile beruhete. Das Successive ihrer Zeichen ist nichts als conditio, sine qua non, und also blos einige Einschränkung: das Coexsistiren der Zeichen in der Malerei aber ist Natur der Kunst, und der Grund der Malerischen Schönheit. Poesie, wenn sie freilich durch auf einander folgende Töne, das ist, Worte wirkt: so ist doch das Aufeinanderfolgen der Töne, die Succession der Worte nicht der Mittelpunkt ihrer Wirkung.[135]

Um diesen Unterschied deutlicher zu machen: muß eine Vergleichung zwischen zweien durch natürliche Mittel wirkenden Künsten gemacht werden, zwischen Malerei und Tonkunst. Hier kann ich sagen: Malerei wirkt ganz durch den Raum, so wie Musik durch die Zeitfolge. Was bei jener das Nebeneinanderseyn der Farben und Figuren ist, der Grund der Schönheit, das ist bei dieser das Aufeinanderfolgen der Töne, der Grund des Wohlklanges. Wie bei jener auf dem Anblicke des Coexststirenden das Wohlgefallen, die Wirkung der Kunst beruhet; so ist in dieser das Successive, die Verknüpfung und Abwechselung der Töne das Mittel der Musikalischen Wirkung. Wie also, kann ich fortfahren, jene, die Malerei, blos durch ein Blendwerk, den Begriff der Zeit folge in uns erwecken kann: so mache sie dies Nebenwerk nie zu ihrer Hauptsache, nämlich: als Malerei durch Farben, und doch in der Zeitfolge zu wirken: sonst gehet das Wesen und alle Wirkung der Kunst verlohren. Hierüber ist das Farbenklavier Zeuge. Und also im Gegentheile die Musik, die ganz durch Zeitfolge wirkt, mache es nie zum Hauptzwecke, Gegenstände des Raums Musikalisch zu schildern, wie unerfahrne Stümper thun. Jene verliere sich nie aus dem Coexsistenten, diese nie aus der Succession: denn beide sind die natürlichen Mittel ihrer Wirkung.

Bei der Poesie aber ist der Auftritt geändert. Hier ist das Natürliche in den Zeichen, z.E. Buchstaben, Klang, Tonfolge, zur Wirkung der Poesie wenig oder nichts: der Sinn, der durch eine willkührliche Uebereinstimmung in den Worten liegt, die Seele, die den artikulirten Tönen einwohnet, ist alles. Die Succession der Töne kann der Poesie nicht so wesentlich berechnet werden, als der Malerei das Coexsistiren der Farben; denn »die Zeichen haben gar nicht einerlei Verhältniß zu der bezeichneten Sache.«2,[136]

Der Grund ist wankend: wie wird das Gebäude seyn? Ehe wir dieses sehen, lasset uns jenen erst auf andre Art sichern. Malerei wirkt im Raume, und durch eine künstliche Vorstellung des Raums. Musik, und alle energische Künste wirken nicht blos in, sondern auch durch die Zeitfolge, durch einen künstlichen Zeitwechsel der Töne. Ließe sich nicht das Wesen der Poesie auch auf einen solchen Hauptbegrif bringen, da sie durch willkührliche Zeichen, durch den Sinn der Worte auf die Seele wirkt? Wir wollen das Mittel dieser Wirkung Kraft nennen: und so, wie in der Metaphysik Raum, Zeit und Kraft drei Grundbegriffe sind, wie die Mathematischen Wissenschaften sich alle auf einen dieser Begriffe zurückführen lassen; so wollen wir auch in der Theorie der schönen Wissenschaften und Künste sagen: die Künste, die Werke liefern, wirken im Raume; die Künste, die durch Energie wirken, in der Zeitfolge; die schönen Wissenschaften, oder vielmehr die einzige schöne Wissenschaft, die Poesie, wirkt durch Kraft. – Durch Kraft, die einmal den Worten beiwohnt, durch Kraft, die zwar durch das Ohr geht, aber unmittelbar auf die Seele wirket. Diese Kraft ist das Wesen der Poesie, nicht aber das Coexsistente, oder die Succession.

Nun wird die Frage: welche Gegenstände kann diese Poetische Kraft besser an die Seele bringen, Gegenstände des Raums, coexsistirende Gegenstände, oder Gegenstände der Zeitsuccessionen? Und um wieder sinnlich zu reden: in welchem Medium wirkt die Poetische Kraft freier, im Raume, oder in der Zeit? –

Sie wirkt im Raume: dadurch, daß sie ihre ganze Rede sinnlich macht. Bei keinem Zeichen muß das Zeichen selbst, sondern der Sinn des Zeichens empfunden werden; die Seele muß nicht das Vehikulum der Kraft, die Worte, sondern die Kraft selbst, den Sinn, empfinden. Erste Art der anschauenden Erkänntniß. Sie bringt aber auch jeden Gegenstand gleichsam sichtlich vor die Seele, d.i. sie nimmt so viel Merkmaale zusammen,[137] um mit Einmal den Eindruck zu machen, der Phantasie ihn vor Augen zu führen, sie mit dem Anblicke zu täuschen: zweite Art der anschauenden Känntniß, und das Wesen der Poesie. Jene Art kann jeder lebhaften Rede, die nicht Wortklauberei oder Philosophie ist: diese Art der Poesie allein zukommen und macht ihr Wesen, das sinnlich Vollkommene in der Rede. Man kann also sagen, daß das erste Wesentliche der Poesie wirklich eine Art von Malerei, sinnliche Vorstellung sey.

Sie wirkt in der Zeit: denn sie ist Rede. Nicht blos erstlich, so fern die Rede natürlicher Ausdruck ist, z.E. der Leidenschaften, der Bewegungen: denn dies ist der Rand der Poesie; sondern vorzüglich, indem sie durch die Schnelligkeit, durch das Gehen und Kommen ihrer Vorstellungen, auf die Seele wirkt, und in der Abwechselung theils, theils in dem Ganzen, das sie durch die Zeitfolge erbauet, energisch wirket. Das erste hat sie auch mit einer andern Gattung der Rede gemein; das letzte aber, daß sie einer Abwechselung, und gleichsam Melodie der Vorstellungen, und Eines Ganzen fähig sey, dessen Theile sich nach und nach äußern, dessen Vollkommenheit also energesiret – dies macht sie zu einer Musik der Seele, wie sie die Griechen nannten: und diese zweite Succession hat Hr. Leßing nie berühret.

Keines von beiden, allein genommen, ist ihr ganzes Wesen Nicht die Energie, das Musikalische in ihr; denn dies kann nicht Statt finden, wenn nicht das Sinnliche ihrer Vorstellungen, das sie der Seele vormalet, vorausgesetzt wird. Nicht aber das Malerische in ihr; denn sie wirkt energisch, eben in dem Nacheinander bauet sie den Begriff vom sinnlich vollkommnen Ganzen in die Seele: nur beides zusammen genommen, kann ich sagen, das Wesen der Poesie ist Kraft, die aus dem Raum, (Gegenstände, die sie sinnlich macht) in der Zeit (durch eine Folge vieler Theile zu Einem Poetischen Ganzen) wirkt: kurz also sinnlich vollkommene Rede.

Nach diesen Voraussetzungen wollen wir zu Hrn. Leßing zurück. Bei ihm ist der vornehmste Gegenstand der Poesie Handlungen;[138] nur aber Er kann aus seinem Begriffe der Succession diesen Begrif ausfinden; ich gestehe es gerne, ich nicht.

»Gegenstände, die auf einander, oder deren Theile auf einander folgen, sind Handlungen.«3 Wie? ich lasse so viel ich will auf einander folgen, jedes soll ein Körper, ein todter Anblick seyn; vermöge der Succession ist keines noch Handlung. Ich sehe die Zeit fliehen, jeden Augenblick den andern jagen – sehe ich damit Handlung? Verschiedene Auftritte der Natur kommen mir vor Augen: einzeln: todte: einander nachfolgend: sehe ich Handlung? Nie wird P. Kastells Farbenklavier mit seinem successiven Vorspielen der Farben, und wenn es auch Wellen- und Schlangenlinien wären, Handlungen liefern: nie wird eine Melodische Kette von Tönen, eine Kette von Handlungen heißen. Ich läugne es also, daß Gegenstände, die auf einander oder deren Theile auf einander folgen, deßwegen überhaupt Handlungen heißen: und eben so läugne ich, daß weil die Dichtkunst Successionen liefre, sie deßwegen Handlungen zum Gegenstande habe.

Der Begriff des Successiven ist zu einer Handlung nur die halbe Idee: es muß ein Successives durch Kraft seyn: so wird Handlung. Ich denke mir ein in der Zeitfolge wirkendes Wesen, ich denke mir Veränderungen, die durch die Kraft einer Substanz auf einander folgen: so wird Handlung. Und sind Handlungen der Gegenstand der Dichtkunst, so wette ich, wird dieser Gegenstand nie aus dem trocknen Begrif der Succession bestimmt werden können: Kraft ist der Mittelpunkt ihrer Sphäre.

Und dies ist die Kraft, die dem Innern der Worte anklebt, die Zauberkraft, die auf meine Seele durch die Phantasie und Erinnerung wirkt: sie ist das Wesen der Poesie. – Der Leser sieht, daß wir sind, wo wir waren, daß nämlich die Poesie durch willkührliche Zeichen wirke; daß in diesem Willkührlichen, in dem Sinne der Worte ganz und gar die Kraft der Poesie liege; nicht[139] aber in der Folge der Töne und Worte, in den Lauten, so fern sie natürliche Laute sind. –

Hr. L. indessen schließt aus dieser Folge von Tönen und Worten alles; nur sehr spät fällt es ihm ein,4 daß die Zeichen der Poesie willkührlich wären: allein auch denn ponderirt er nicht, was der Einwurf: Poesie wirkt durch willkührliche Zeichen, sagen wolle.

Denn wie löset er diesen Einwurf? »Dadurch, daß mit der Schilderung körperlicher Gegenstände die Täuschung, das Hauptwerk der Poesie, verlohren gehe, daß also zwar Rede an sich, aber nicht die sinnlich vollkommenste Rede, die Poesie, Körper schildern könne.«5 Die Sache scheint jetzt an besserm Orte. Eben weil die Poesie nicht Malerisch gnug seyn kann, bei Schilderung körperlicher Gegenstände: so muß sie sie nicht schildern. Nicht, damit sie nicht Malerei sey, nicht weil sie in successiven Tönen schildert: nicht weil der Raum das Gebiet des Malers, und blos Zeitfolge das Gebiet des Dichters sey – ich sehe bei allem keine Ursache. Das Successive in den Tönen ist, wie gesagt, dem Poeten wenig: er wirkt nicht durch sie, als natürliche Zeichen. Aber wenn ihn seine Kraft verläßt, wenn er mit seinen Vorstellungen unabhängig von seinen Tönen die Seele nicht täuschen kann: ja, dann geht der Poet verlohren, dann bleibt nichts als ein Wortmaler, als ein symbolischer Namenerklärer. Aber daß sie hier noch nicht am besten Orte sey, mag – sein eignes Beispiel zeugen.6 Wenn es Hallers Endzweck ist, uns in seinen Alpen, den Enzian, und seinen blauen Bruder, und die ihm ähnlichen oder unähnlichen Kräuter Versmäßig kennen zu lehren; allerdings verliert er alsdenn den Zweck des Dichters, mich zu täuschen, und ich, als Leser, meinen Zweck, mich täuschen zu lassen: Dies ist alsdenn der Grund, und kein andrer. Aber wenn ich nun von Hallers Gedichte zu einem Botanischen Lehrbuche gehe: wie werde[140] ich da den Enzian und seine Brüder kennen lernen? Wie anders, als wider durch successive Töne, durch Rede? Der Botanist wird mich von einem Theile zum andern führen: er wird mir die Verbindung dieser Theile klar machen: er wird das Kraut meiner Einbildungskraft theilweise und im Ganzen vorzuzählen suchen, was freilich das Auge mit Einmal übersiehet: er wird alles thun, was bei Hrn. L. der Dichter nicht thun soll. Wird er mir verständlich werden? Darum ist nicht die Frage, wenn ich seine Worte verstehe: er muß mir klar werden, er muß mich auf gewisse Art täuschen. Kann er dies nicht: sehe ich die Sache blos im Einzelnen, deutlich, nicht aber im Ganzen, anschauend, ein: so werde ich alsdenn alle Regeln, die Hr. Leßing dem Dichter giebt, auch dem Verfasser eines Botanischen Lehrbuchs geben können. Ich werde zu ihm sehr ernsthaft sagen:7 »Wie gelangen wir zu der deutlichen Vorstellung eines Dinges im Raume, eines Krauts? Erst betrachten wir die Theile desselben einzeln, hierauf die Verbindung dieser Theile, und endlich das Ganze. Unsre Sinne verrichten diese verschiedenen Operationen mit einer so erstaunlichen Schnelligkeit, daß sie uns nur eine einige zu seyn bedünken, und diese Schnelligkeit ist unumgänglich nothwendig – Gesetzt nun also auch, der schriftliche Kräuterlehrer führe uns in der schönsten Ordnung von einem Theile des Gegenstandes zu dem andern; gesetzt, er wisse uns die Verbindung dieser Theile auch noch so klar zu machen: wie viel Zeit gebraucht er dazu? Was das Auge mit Einmal übersiehet, zählt er uns merklich langsam nach und nach zu, und oft geschieht es, daß wir bei dem letzten Zuge den ersten schon vergessen haben. Jedennoch sollen wir uns aus diesen Zügen ein Ganzes bilden: dem Auge bleiben die betrachteten Theile beständig gegenwärtig: es kann sie abermals und abermals überlaufen; für das Ohr hingegen sind[141] die vernommenen Theile verlohren, wenn sie nicht in dem Gedächtnisse zurückbleiben. Und bleiben sie schon da zurück: welche Mühe, welche Anstrengung kostet es, ihre Eindrücke alle in eben der Ordnung so lebhaft zu erneuern, sie nur mit einer mäßigen Geschwindigkeit auf einmal zu überdenken, um zu einem etwanigen Begriffe des Ganzen zu gelangen! – Solche Beschreibungen mögen sich, wenn man die Blume selbst in der Hand hat, sehr schön dagegen recitiren lassen; nur für sich allein sagen sie wenig oder nichts.« –

So spricht Hr. L. zum Dichter, und warum soll ich nicht eben so zum Kräuterlehrer sprechen, der mich blos durch Worte lehren will? Ich sehe keine Veränderung des Falles, eben denselben Gegenstand, einen Körper, eben dasselbe Mittel, ihn zu schildern, Rede, eben dieselbe Hinderung in diesem Mittel, das Successive der Rede, Worte. Folglich muß die Lection sich so gut auf ihn, als auf jeden Wortschilderer passen.

Folglich muß die Ursache: »Succession verhindert Körper zu schildern,« da sie auf jede Rede trifft, da jede Rede in solchem Falle nicht das Definitum, als ein Wort, verständlich, sondern als eine Sache, anschauend machen will – eigentlich außer dem Gebiete der Poesie liegen.

Folglich auch in demselben kein eigentliches, wenigstens kein höchstes Gesetz geben können, sondern nur ein Nebenbegrif bleiben, aus dem Wenig oder Nichts gefolgert werden kann. – Meine ganze Schlußkette fängt von dem doppelten Grunde an: daß das Successive in den Tönen der Poesie kein Haupt-kein natürliches Mittel ihrer Wirkung sey; sondern die Kraft, die diesen Tönen willkührlich anhängt, und nach andern Gesetzen, als der Succession der Töne, auf die Seele wirkt. Zweitens: daß das Successive der Töne ja nicht der Poesie allein, vielmehr jeder Rede zukommt, und also wenig in ihrem innern Wesen bestimmen[142] oder unterscheiden könne. Wenn nun Hr. L. Succession in seinem Buche zum Hauptgrunde des Unterschiedes zwischen Poesie und Malerei macht; ist da wohl die richtigste Gränzscheidung zu erwarten? –

1

Laok. p. 153. [463]

2

Laok. p. 153. [463]

3

Laok. p. 154. [464]

4

p. 165. [470].

5

p. 168. [472]

6

[p. 166. 171. 172 = 471. 473–4. Freies Citat.]

7

p. 166. 167. [471. 2]

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 133-143.
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