III. Im Hôtel de Bavière zu Leipzig.


»Faust? Doctor Faust?« fragte der dicke Commerzienrath von Goldstein, »höchst verwundert eine sehr einfache Karte zwischen seinen beringten Fingern haltend, Doctor Johann Faust, ich bin nicht krank, Georges, ich bin niemals krank, ich brauche keinen Doctor, es ist abscheulich mich für krank zu halten,« und das volle, burgunderrothe Gesicht des königlich preußischen Commerzienrathes und Ritters des rothen Adlerordens vierter Classe glühte vor Unwillen.

»Verzeihen Sie, Herr Commerzienrath,« entgegnete der schlanke Georges mit dem mühsam gebürsteten Touppée, der schöne Georges, der sich schmeichelte Oberkellner im Hôtel de Bavière zu sein, wie er sich auszudrücken pflegte; »verzeihen Sie, Herr Commerzienrath, der Herr Doctor sind kein Krankendoctor, sondern ein Schriftsteller.«

»Ein Schriftsteller!« schrie Herr von Goldstein und knöpfte ängstlich seinen superfeinen, braunen[65] Ueberrock zu, »mein Gott, er will gewiß Geld von mir borgen? Vor drei Jahren in Berlin borgte mir auch ein Schriftsteller zehn Louisd'or ab, noch heute habe ich sie nicht wieder!«

»Bedaure sehr, Herr Commerzienrath,« erklärte Georges mit hinreißendem Lächeln, »aber der Herr Doctor Faust wird nicht bei Ihnen borgen, denn er ist bei Cammerrath Frege accreditirt und war neulich sogar daselbst zum Souper!« »Das wäre, i, nicht möglich,« brummte Herr von Goldstein und spielte mit dem rothen Adlerorden im Knopfloch.

»Was befehlen Sie, das ich dem Herrn Doctor sagen soll?« drängte Georges mit gracieuser Eile und wedelte mit der Serviette.

»Nun, was werden Sie sagen sollen? Georges, daß ich den Herrn Doctor erwarte, daß ich mich nach der Ehre sehne mit ihm bekannt zu werden!« antwortete der kleine, dicke Commerzienrath und setzte sich gravitätisch in einen Lehnstuhl.

Georges verschwand mit geisterhafter Geschwindigkeit.

»Was kann ein Schriftsteller von mir wollen?« murmelte der reiche, westphälische Fabrikherr, der in[66] Geschäften nach Leipzig gekommen war, und sah mit einiger Ungeduld dem angemeldeten Besuche entgegen. Er brauchte nicht lange zu warten, die Thür öffnete sich und Georges Stimme rief: »Herr Doctor Faust!« Der Commerzienrath erhob sich etwas schwerfällig und und stand vor einem langgewachsenen, schmächtigen, jungen Manne, dessen sanfte, einnehmende Züge Nachdenken und Ernst verriethen, dessen blaue Augen hell und durchdringend auf dem Fabrikherrn ruhten, dessen Lippen in frischem Roth prangten zwischen dem dichten, weichen, blonden Schnurrbart und der obern Reihe blendend weißen Zähne. Der Doctor Johann Faust trug sein schlichtes, dunkelblondes Haar kurz verschnitten, hatte in dem obersten Knopfloch seines braunen Leibrocks kein Ordensband, sondern eine Maiblume, seine Lorgnette hing an einem feinen Goldkettchen und die mit Glacéehandschuhen bedeckten Hände hielten einen eleganten Hut.

Doctor Faust verneigte sich anständig vor dem Commerzienrath und dieser, die Verneigung leicht erwiedernd, fragte kurz; »Was wünschen Sie von mir, Herr Doctor?« Der reiche Fabrikherr glaubte bei einem jungen Schriftsteller der Complimente eben nicht nöthig zu haben, er beging die Ungezogenheit seinen[67] Besuch nicht zum Sitzen einzuladen, während er doch selbst ruhig auf seinem Lehnstuhl wieder Platz nahm.

Doctor Faust gerieth durch diese Ungezogenheit des Geldmenschen keineswegs in Verwirrung, er legte seinen Hut ab, zog ruhig einen Stuhl an den Tisch, vor dem der Plutokrat saß, setzte sich nieder und sagte ganz gelassen und mit freundlichem Gesicht: »Da ich Ihnen so mancherlei zu sagen habe, mein Herr, so werden Sie mir erlauben mich zu setzen!«

»Herr!« rief der Commerzienrath in vollster Verwirrung, »Herr, ich bin der königlich preußische Commerzienrath von Goldstein, auch Ritter des rothen Adlerordens ...«

»Vierter Classe,« setzte Doctor Faust mit leichtem Spott hinzu, »ich habe die Ehre das bereits zu wissen, ich komme, um mit Ihnen in Geschäften zu reden.«

»In Geschäften?« stammelte der reiche Mann halb außer sich, denn nichts konnte ihn mehr ärgern, als wenn man seinen Titel und seinen theuer erkauften Adelsbrief ignorirte.

»Ja, in Geschäften!« fuhr Doctor Faust, der den Aerger des Commerzienrathes gar nicht zu bemerken schien, unbefangen fort; »ich bereis'te vor Kurzem[68] Westphalen und lernte eine bedeutende Anzahl der unglücklichen Menschen kennen, die für Sie arbeiten, die sich zu Tode arbeiten für Sie, mein Herr!«

»Nun, was soll das? was wollen Sie damit sagen?« polterte der Commerzienrath, hochroth vor Zorn.

»Mein Herr,« sprach Faust ganz gelassen, »es ist ein ganz abscheuliches, immoralisches und ungesetzliches System, das Sie bei Bezahlung Ihrer Arbeiter befolgen –«

»Sie beleidigen mich, ich rufe Hülfe, was geht Sie mein System und meine Arbeiter an?« tobte der Fabrikherr.

Doctor Faust lächelte auf eine seltsame Weise, dann warf er einen so durchdringenden Blick auf den reichen Mann, daß dieser die Augen niederschlug und sagte gelassen: »Mein Herr, ich eile zu Hülfe, wenn ich sehe, daß ein Mörder im Begriff ist einen Wehrlosen zu überfallen, soll ich ruhig zusehen, wenn ich einen Mann hunderte von Wehrlosen, ganze Familien mitleidlos zertreten, vernichten, leiblich und geistig morden sehe?«

»Was wollen Sie mit dieser Vergleichung?« fragte Herr von Goldstein mit einem komisch-ängstlichen Gesichte.[69] Der reiche Mann war nicht mehr zornig, die Sprache, das Wesen Faust's imponirten ihm.

»Sie, mein Herr,« entgegnete Faust kurz, »Sie sind der Mörder und Ihre armen Fabrikarbeiter sind die unglücklichen Opfer Ihrer Geldsucht, Ihrer Eigensucht, Ihrer Eitelkeit!«

»Mein Herr!« rief der Commerzienrath beinahe bittend.

»Ja, Ihrer Eitelkeit, Ihrer lächerlichen Eitelkeit!« fuhr Doctor Faust immer wärmer werdend fort, »Sie haben sich ein lächerliches Adelsdiplom gekauft, womit? mit den Schweiß- und den Blutstropfen Ihrer elenden Fabrikarbeiter, mit den Kummerthränen von Wittwen und Kindern; Sie tragen einen Orden; Ihr König hat Ihnen denselben für die Dauerbarkeit und Schönheit Ihrer Fabrikate verliehen – wem verdanken Sie den Orden, auf den Ihre Eitelkeit ein solches Gewicht legt? Ihren Arbeitern, denselben Arbeitern, denen Sie nicht einmal den erbärmlichen Lohn zahlen, für den sie sich Ihnen verkauft haben – was sagen Sie dazu?«

»Mein Herr!« rief der Commerzienrath in tödtlicher Angst, »ich bezahle meine Arbeiter, wer giebt Ihnen ein Recht so mit mir zu sprechen?«[70]

»Mein Recht?« erwiederte Doctor Faust stolz, »mein Recht ist von Gottes Gnaden, die Menschheit bevollmächtigt mich zu dieser Sprache.«

»Alle Achtung vor diesem Constituenten, aber –« stammelte der reiche Mann, der in der Verlegenheit witzig wurde.

»Sie lügen, Sie lügen übrigens ganz unverschämt, wenn Sie sagen, daß Sie Ihre Arbeiter bezahlen –«

»Mein Herr, Sie sagen mir Injurien, mir –«

»Und Sie der Menschheit, sehen Sie hier,« der Doctor zog eine Brieftasche hervor, nahm einen Bogen heraus, entfaltete ihn und las: »Der Arbeiter F. G., Vater von sechs Kindern, verdiente durch seinen beinahe übermenschlichen Fleiß im vorigen Jahre hundert und zehn Thaler, haben Sie dieselben bezahlt?«

Der Commerzienrath antwortete nicht.

»Nein, Sie haben nicht einen Pfennig bezahlt, Sie haben dem armen Manne für hundert und einundzwanzig Thaler Waaren aufgezwungen, Waaren, die er zum größten Theil nicht brauchen konnte, an denen er beim Wiederverkauf gewöhnlich zwei Drittel verlor, oft auch mehr und jetzt haben Sie den treuen, fleißigen Arbeiter, der in einem ganzen Jahre auch[71] keinen Heller von Ihnen erhielt, jetzt haben Sie ihm der eilf Thaler wegen, die er Ihnen scheinbar für die ihm aufgedrungene, schlechte Waare schuldete, sein geringes Hausgeräth pfänden lassen. – Mann, wissen Sie, daß der arme Mensch sich verzweifelt den Tod gegeben hat? Wissen Sie, daß Sie sein Mörder sind? Wissen Sie, daß Sie durch Ihr nichtswürdiges Handeln gegen diesen Mann, eine kranke Frau und sechs Kinder dem Hungertode überliefert haben?«

Dem Commerzienrath standen helle Schweißtropfen auf der Stirn, er sagte nichts und Faust fuhr fort: »Der Arbeiter L. J. wollte heirathen, er hatte nichts, das Mädchen hatte nichts, aber er war ein tüchtiger Arbeiter und das Gesetz ist verständig genug, den unglücklichen Sclaven des Geldwuchers wenigstens die Heirath zu gestatten; die Gesetzgeber haben begriffen, daß es gefährlich sei, das letzte Band zu zerreißen, was die unglücklichen, weißen Sclaven noch an die Menschheit bindet, sie haben begriffen, daß mit einem Verbot der Ehe der letzte, sittliche Halt der Besitzlosen fallen würde. Der Arbeiter L. J. bat Sie um einen Vorschuß zu seiner Einrichtung, Sie versprachen ihm achtzig Thaler, wenn er dafür ein Jahr lang, zehn Stunden täglich, in Ihrer Fabrik arbeiten wolle; was[72] haben Sie gethan? Mensch, Sie haben den Mann, der auf Ihr Versprechen hin heirathete, statt der achtzig Thaler, Tuch, Colonialwaaren, Eau de Cologne, Siegellack, Oblaten und Papier gegeben. War es ein teuflischer Hohn, der Sie antrieb gerade dergleichen Waaren auszusuchen? Wissen Sie, was er dafür bekommen hat? Denn verkaufen mußte er die Waare doch, da er durchaus keinen Gebrauch davon machen konnte, wissen Sie, daß er sechzehn Thaler zwölf Groschen dafür erhielt? Sie wußten es und ließen ihn für sechzehn Thaler zwölf Groschen ein ganzes Jahr lang arbeiten; Sie wußten es und warfen ihm ein Viergroschenstück großprahlerisch hin, als er in Verzweiflung zu Ihren Füßen sank und um Brod bettelte, nicht für sich, nein, für seine Frau und das noch nicht geborne Kind. Mann, haben Sie denn kein Herz? Tragen Sie denn an der Stelle, wo bei andern Menschen ein Herz klopft, tragen Sie denn einen Geldsack in der Brust? Weiter – die Wittwe eines Arbeiters, der vor Entkräftung gestorben war in Ihrem Dienst, trat zu Ihnen und bat Sie höflich um einige Thaler, die ihr verstorbener Mann noch gut hatte, sie brauchte das Geld, sie wollte ihren unglücklichen Gatten damit beerdigen lassen – aber Sie, was thaten Sie? Nun,[73] reden Sie doch! Ich will es Ihnen sagen, der vornehme Mann hatte gerade keine Zeit, oder keine Lust, er wies das arme Weib grollend ab und beschied sie zum nächsten Zahltage wieder. In stummen Schmerz entfernte sich die Wittwe, sie versetzte alle ihre Haabe, um ihren Mann begraben zu können, aber der schmutzige Pfandjude übertraf Sie, Sie, der Sie sich des Adels rühmen, freilich eines papiernen, der Pfandjude gab der armen Arbeiterwittwe das Geld zum Begräbniß ohne Zinsen. Und was weiter? Am nächsten Zahltage, bezahlten Sie da? O wie großartig! Zwanzig Groschen gaben Sie dem armen Weibe und für vier Thaler mußte sie englische Nähnadeln annehmen, die Sie billig angekauft hatten, aber ihr hoch genug anrechneten. Einen Thaler bot man der armen Frau dafür, hören Sie, der schmutzige Pfandjude war noch einmal größer als Sie, er schenkte dem Weibe die geliehenen vier Thaler, denn er nahm ihre Nähnadeln dafür. Giebt Ihnen nicht jede dieser Nähnadeln einen Stich ins Herz? Ach so, Sie haben ja kein Herz! Weiter –«

»Hören Sie auf, Herr, ich kann nicht mehr –« bat der Commerzienrath mit erlöschender Stimme.

»Mensch! hast Du nicht einmal Muth genug um[74] das zu hören, was Du den Muth hattest zu thun?« fragte Faust verächtlich.

»Herr, ich bitte Sie, hören Sie auf, was wollen Sie? Andre machen es eben so –«

»Gott im Himmel, sieh darein!« rief Faust höchst aufgeregt und sein Gesicht glühte in edelm Unwillen. »Mensch bedenke, daß es Menschen sind, die Du zu Tode quälst mit deiner Arbeit, die Du verhungern läßt für Deine Arbeit, die Du betrügst um den magern Hungersold, den Du ihnen versprichst. Nein keine Schonung mehr mit euch hartnäckigen Sündern! Mein Herr, Sie werden ein Capital aussetzen für die Kinder des Mannes, den Sie zum Selbstmörder gemacht haben, Sie werden dem armen L. J. sein Arbeitslohn bezahlen, baar bezahlen, Sie werden von nun an überhaupt das schändliche Trucksystem verlassen und den jämmerlichen Hungerlohn, den Sie Ihren Arbeitern versprechen, baar auszahlen, sie nicht mit Waaren, seien sie nützlich oder nicht, betrügen – haben Sie mich veestanden? Wehe Ihnen, wenn Sie es nicht thun; Sie sehen, ich bin gut unterrichtet.«

»Herr Doctor,« entgegnete der Commerzienrath, der sich indeß wieder etwas gesammelt hatte, »zwingen[75] lasse ich mich nicht, ich verachte Ihre Drohungen, das Gesetz wird mich schützen –«

»Provocire nur auf Dein armes Gesetz, Mensch Du, ich werde Dich zwingen meinen Willen zu thun, wisse, daß ich eine Macht für mich habe, die mächtiger als Dein Gesetz ist, die Oeffentlichkeit; wisse, daß ich Dir drei Tage Bedenkzeit gebe – hast Du nach drei Tagen nicht schriftlich erklärt, meinen Willen thun zu wollen, so brandmarke ich Deinen Namen vor ganz Deutschland, indem ich Dein Thun und Treiben in Zeitungsartikeln, in Büchern, in zahllosen Brochüren enthülle, oder durch meine Freunde enthüllen lasse. Ich klage Dich an vor dem Richterstuhl der Menschheit, öffentlich ohne Scheu und daß Du verdammt werden wirst, daß Du schon verdammt bist, das weißt Du. Man wird Dir Deinen papiernen Adel nehmen, auf den Du so eitel bist, denn der Adel duldet, und mit Recht, keinen offenkundigen Schuft in seinen, im Zeitensturm wankenden, Reihen, Schande über den Bürger, daß er einem solchen Verbrecher nicht auch seinen bürgerlichen Namen nimmt1 – das Ehrenzeichen[76] wird man Dir abreißen, denn der König, der es Dir gegeben, ist zu menschlich, als daß er seinen Orden einem solchen Unmenschen lassen sollte – Du wirst nichts behalten als den Fluch der Menschheit, Dein Geld und die ewige Verdammniß!«

Faust hatte sich erhitzt, er nahm seinen Hut und ging ohne zu grüßen hinaus. Verzweiflungsvoll, die Hände ineinander gepreßt, lag der Commerzienrath in seinem Stuhl.

»Werden der Herr Commerzienrath auf dem Zimmer speisen, oder unten im Saal?« fragte Georges zur Thür herein.

»Ich, ich komme hinunter, Georges!« stammelte der reiche Fabrikherr und stand auf.

Ungefähr eine halbe Stunde nach der eben geschilderten Scene hörte man das dumpfe Rollen eines Wagens auf dem Holzpflaster des Flurganges, die Klingel des Portiers wurde heftig gezogen und von allen Seiten eilte die Dienerschaft des Hôtels herbei, um dem Reisenden aus dem Wagen zu helfen. Die Berline[77] war schwer bepackt und mit vier Postpferden bespannt, ein reich gekleideter Neger saß mit einer weißen, schon ältlichen Dienerin, auf dem Bock.

Der schöne Georges half zuerst einer verschleierten Dame, dann aber einem stattlichen, alten Herrn in Civil aus dem Wagen und führte beide nach den Zimmern, die schon Tags vorher für sie bestellt worden waren.

»Ist der Doctor, Herr Faust, schon hier, oder sind Zimmer für ihn bestellt?« fragte Don Juan von Aurinia, denn dieser ist der Ankommende, den Oberkellner.

»Der Herr Doctor sind schon seit voriger Woche hier;« antwortete Georges mit tiefer Verneigung und öffnete die Thür des Zimmers.

»So lassen Sie ihm wissen, daß der General Aurinia angekommen ist und senden Sie mir meinen schwarzen Diener herauf.«

»Zu Befehl, Excellenz!« entgegnete Georges verschwindend.

»Wie heißt diese Stadt, Senhor?« fragte Incarnacion, indem sie den Hut von sich warf und in einem dunkeln, seidenen Reiseüberrock mit weißem Spitzenkragen[78] stand sie vor Don Juan, der ein leises Lächeln nicht zu unterdrücken vermochte.

In der That, Incarnacion bot einen ganz eigenthümlichen, seltsamen, wenn auch keineswegs unschönen, Anblick in europäischer Kleidung; sie war ihr nicht natürlich diese Kleidung, man sah, daß sich das Kind der Sonne und der Freiheit belästigt fühlte durch die langen Gewänder, aber sie trug diese Fesseln mit einer so unnachahmlichen Grazie der Verlegenheit, daß ihr Anblick höchst pikant wurde.

»Diese Stadt heißt Leipzig, meine Blume!« antwortete Don Juan lächelnd und bat sie, der ältlichen Duenna zu folgen, die er in Hamburg für sie angenommen. Diese Dame trat soeben mit dem »doppelten Kopf« ein, den sie mit einer Unzahl von Schachteln und Beuteln beladen hatte.

»Geh mit der Duenna mein Kind!« bat Don Juan, »mache ein wenig Toilette und komm dann wieder zu mir.«

Incarnacion trat mit ihrer Dienerin in ein, für sie bestimmtes Nebenzimmer und der »doppelte Kopf« entfernte sich, um bald nachher mit den Koffer tragenden[79] Genien des Hôtels, den Hausknechten, wieder zu erscheinen.

Don Juan ließ seine Zimmer nach seiner Bequemlichkeit einrichten und gab eben seine letzten Befehle als die Thür hastig geöffnet wurde und Doctor Faust eilig eintrat.

»Willkommen, willkommen in Europa, Don Juan!« rief der junge Mann freudig und eilte in Don Juan's Arme, der ihn herzlich an seine Brust drückte.

»Bin ich Dir willkommen, wirklich, Faust?« fragte Don Juan mit unverhehlter Rührung.

»Willkommen, gewiß, noch viel willkommener als das letzte Mal, ich habe sehnlichst Deiner Ankunft geharrt.«

»Glaubtest wohl schon, ich käme nicht, he!«

»Nein, Don Juan, ich weiß, daß Du stets Dein Wort hältst, aber ich weiß auch, daß Du immer etwas später kommst, wenn Du den Süden verläßt, das letzte Mal warst Du mehr als pünktlich hier, weil Du kein amerikanisches Wunderland, sondern Rußland zu verlassen hattest.«

»Ja, ich weiß,« antwortete Don Juan trüb lächelnd, »der Mann, der zu gut war, um groß sein zu können, Alexander Paulowitsch, lebte noch.«[80]

»Sind wir hier allein, Don Juan?« fragte Faust sich umsehend.

»Mein Neger versteht nicht deutsch, aber komm hier herein.«

Don Juan zog den Doctor in ein Nebenzimmer, schloß die Thür hinter sich und setzte sich mit Faust auf einen Sopha, dann sagte er: »Nun das Wichtigste zuerst, lieber Freund, was ist geschehen seit Deiner letzten Botschaft, die ich am Amazonenstrom erhielt?«

Faust sah sinnend eine Weile in Don Juan's Antlitz, dann antwortete er: »Ich weiß, meine Nachrichten werden Dich nicht heiter stimmen, aber Du bist seit Jahrhunderten auf sie vorbereitet, so wie Dir Frankreich verloren ging in dem Sturme, der das letzte Jahrhundert zu Grabe sang, so ist Dir nun auch Portugal verloren und auch Dein Spanien –«

»Wie? ohne Hoffnung?«

»Ja, Don Juan, Preußen und Oestreich sind bereit die constitutionelle Königin anzuerkennen, sie zögern nur, weil sie im Concert mit Rußland handeln wollen, was sich bisher noch weigert.«[81]

Don Juan kreuzte die Arme und fragte dann ruhig: »Und die Art der Bewegung?«

»Ist in beiden Staaten französisch –«

»Also keine Hoffnung! Fahrt hin ihr Ritter und ihr Heiligen, die ihr der Welt einst Gebote gabt!« rief Don Juan mit tiefer Wehmuth.

»Don Juan, lieber Freund, wollt Ihr denn in Ewigkeit der alte Träumer bleiben, lehrt Euch denn die Geschichte nicht endlich, daß die hierarchisch-aristocratischen Institutionen nur ein Mittel-, aber nicht das Endglied der Kette sind.«

»Laßt mich, Faust, wir haben so oft disputirt über dieses Thema gerade, wir können es nicht mehr variiren, aber soll ich nicht traurig sein, wenn ich das untergehen sehe, was ein Theil meines Wesens ist?«

»Nein, Don Juan, Ihr dürft trauern bei dem Untergange einer mächtigen, riesenhaften Institution, Ihr dürft klagen bei dem Tode dessen, was Ihr geliebt, aber Ihr sollt den Leichnam nicht unbegraben liegen lassen, sondern Ihr sollt ihn beerdigen und Euch dann freuen über das neue Leben, das lustig aufblüht auf dem Grabe des alten. Deine Monarchie[82] von Gottes Gnaden, edler Freund, mit ihren Rittern und Heiligen, war schön und herrlich als – als sie jung und lebensvoll war, jetzt ruht sie, da, wo man sie noch nicht begraben hat, todesröchelnd auf dem Siechbett.«

»Wenn dem so ist, Faust, so ist meine Mission beendet.«

»Das ist sie nicht, Don Juan, die Völker Europa's sind Männer geworden, zum Theil wenigstens, es giebt aber außer Europa noch viele Völker, die Kinder sind; laß Dich nicht täuschen, ein Volk, ein Staat, kann keine Sprünge machen. Deine amerikanischen Staaten z.B. können jetzt noch weder Republiken, noch constitutionelle Monarchien sein. Sie müssen sich erst beugen lernen unter die schwere Hand der hierarchisch-aristocratischen Form, ehe sie das nicht thun, werden sie nicht frei, wenn sie es niemals thun, werden sie niemals frei. Zum Republikaner gehört ein antikes Selbst- und Weltbewußtsein, was unmöglich ist, unsere Civilisation vernichtet es; zum constitutionellen Staat aber führt kein Sprung, sondern der einzige Weg dazu geht durch die aristocratisch-hierarchi sche Monarchie. Das ist Deine Aufgabe, Freund, Du und die Deinigen, Ihr sollt die kindischen Völker[83] zu Jünglingen machen, jetzt wollen die Kinder Männer sein, sie vermögen es aber nicht. Sieh! Rußland sollte, nach Peters Riesenwillen, die Kinderschuhe ausziehen und ein Mann werden über Nacht – es ist anders gekommen, Rußland wurde um seine Jugend betrogen und mit ihr um seine Mannheit, Rußland ist ein ungeheures, entnervtes Scheinwesen, auf dem Schein allein beruht seine Macht, der große eherne Koloß hat thönerne Füße und einen hohlen Kopf, er wird zusammenbrechen und verschwinden ganz von selbst, ohne fremdes Zuthun. Rußlands Geschichte giebt eine große politische Lehre. Deine Mission ist nicht erfüllt, Freund, erziehe die Völker zu Jünglingen, das ist Deine schöne und große Aufgabe!«

»Gut,« erwiederte Don Juan ernst, »aber warum warest Du so dringend? warum mußte ich meine Ankunft so beschleunigen?«

»Theurer Freund, es droht uns eine große Gefahr, alle Früchte unseres beiderseitigen Strebens stehen auf dem Spiel, Du hast die Völker umsonst zu Jünglingen erzogen, ich habe mich umsonst bemüht, sie der Freiheit würdig zu machen, sie stehen jetzt an einer gefährlichen Klippe, es ist zu fürchten, daß sie[84] Sclaven werden, Sclaven des fürchterlichsten Tyrannen, des Geldes.«

»Ha, meine Ahnung!« murmelte Don Juan.

In diesem Augenblick öffnete sich die Thür und Incarnacion stand in einer eleganten, europäischen Kleidung auf der Schwelle. Faust erhob sich.

»Meine Freundin Incarnacion, mein Freund Faust!« sprach Don Juan spanisch.

»O wie ist er schön!« lispelte Incarnacion und ihre funkelnden Augen hefteten sich auf Faust.

Die beiden Männer lächelten und Faust ergriff Incarnacion's Hand, um sie nach dem Sopha zu führen; das schöne Mädchen aber schlang ihren Arm um Faust's Nacken, zog seinen Kopf sanft nieder und drückte einen glühenden Kuß auf die frischen Lippen des Deutschen. Don Juan lachte laut.

»Was lacht Ihr, Senhor,« fragte die Schöne, »soll ich ihn nicht küssen, da er so helle Augen und so rothe Lippen hat?«

»Senhora,« sprach Faust sanft, »ich danke Euch für Euern herzlichen Kuß, aber in Deutschland ist es[85] nicht Sitte, daß man jeden Mann küßt, der rothe Lippen hat!«

»Nicht?« fragte Incarnacion naiv, »ich glaubte es sei wie bei uns, dort küßt man Alles, was schön ist!«

»Nun, warum hast Du denn niemals meinen alten, würdigen Freund Don José geküßt,« fragte Don Juan lachend.

»O, weil er alt ist und häßlich!«

»Ich bin doch auch alt, meine Blume?«

»Du bist nicht alt und nicht jung, Du bist ewig, wie die Sonne!« rief Incarnacion und zärtlich lehnte sie ihr braunes Antlitz an Don Juan's Schulter.

»Was willst Du Freund,« fragte Faust deutsch, »mit dieser prächtigen exotischen Wunderblume in Europa, in Deutschland? Willst Du sie für Geld sehen, verwelken lassen in den unzüchtigen Blicken unserer dreißigjährigen Greise?«

»Redet weiter, Senhor!« bat Incarnacion mit geschlossenen Augen.

»Warum, meine Blume, verstehst Du, was unser Freund sagt?« fragte Don Juan.[86]

»O nein, ich verstehe nichts, aber die vollen, kräftigen Töne der Sprache dieses Landes, sie dringen an mein Herz, wie das laute Rauschen des Maranhon, es träumt sich so schön dabei.«

»Sie ist ganz Blume, ganz Gedicht, Faust; es lag nicht in meiner Absicht sie herüber zu führen in das alte, kluge Europa, aber mit der eigensinnigen List der Liebe setzte sie es durch, sie war in einem Korbe Orangen versteckt und kam erst zum Vorschein, als an ein Zurückschicken nicht mehr zu denken war.«

Doctor Faust warf einen ausdrucksvollen Blick auf das Mädchen, das zu schlafen schien.

»Reden wir weiter Don Juan, was meinst Du, welche Macht stellen wir dem Gelde entgegen, damit der constitutionelle Staat nicht eine Gelddespotie werde, eine Despotie, in welcher der Reiche schwelgt und der Arme verhungert?«

»Gewalt!« entgegnete Don Juan nach kurzem Besinnen, »laß die hungernden Massen los gegen die Geldtirannen, laß sie sich nehmen, was sie gar nicht und jene im Ueberfluß haben. Ihr constitutionellen Menschen habt ja nicht gezaudert die hungernde Menge loszulassen gegen uns Edelleute –«[87]

»Still, still, Don Juan,« rief Faust, »wir haben gezögert Jahrhunderte lang, aber Ihr war't versteint in Euren Institutionen, wir mußten jeden Stein derselben lockern und dann das alte, stolze Gebäude noch mit Gewalt zertrümmern. Euere Adelsgewalt, Freund, war eine wirkliche, reale Gewalt und bei ihr hieß es: Gewalt gegen Gewalt, aber hier, die Macht des Geldes, ist nur eine scheinbare und eben darum so gefährliche und schwer angreifbare, ich weiß nur einen Weg das Geld zu besiegen, nur eine Kraft, die das Geld von seinem Herrscherthron herabzuwerfen vermag und diese Kraft ist der Geist

»Der Geist?« fragte Don Juan zweifelnd.

»Ja, der Geist, Freund, es muß sich eine geistige Macht erheben, diese muß die Macht des Geldes beherrschen, muß nicht dulden, daß die Besitzlosen als Rechtlose behandelt werden, muß den Staat zwingen den Lohn nach der Arbeit zu bestimmen, das heißt, Lohn und Arbeit in ein gerechtes Verhältniß zu setzen.«

»Träume, Freund, Communismus!«

»Nein nicht Träume und nicht Communismus, es ist ein Unsinn eine Gleichheit der Güter zu erstreben im Staat, es ist ein Unsinn, ein verdammlicher Unsinn,[88] er zerreißt das Staatenleben gleichermaßen wie das Staatsleben, er wirft die Altäre nieder und vernichtet die Familie, er macht den Menschen, im besten Falle, zu einer großen Arbeitsbiene mit zwei Füßen. Nein, nicht Communismus, aber Humanismus, um auf deutsche Weise ein deutsches Streben mit einem fremden Worte zu bezeichnen. Höre mir zu, Freund, ich habe den Kampf mit der Geldherrschaft bereits begonnen, denn ich habe die Gefahr im Verzug erkannt. Der Geist schafft die Association, die Association schafft Kämpfer, Mittel zum Kampfe, die Association siegt und bleibt Sieger. Höre mich, dieses Leipzig ist ein wichtiger Ort für uns, ein Waffendepot, denn zahlreich ist hier die Klasse der sogenannten Schriftsteller, der Literaten, vertreten und gerade diese brauchen wir. Sieh, jeder Schriftsteller bekommt einen Kreis zugewiesen, einen Kreis, den er zu bewachen hat. Man wird dafür sorgen, daß er gut unterrichtet und zwar durch die Besitzlosen selbst unterrichtet wird, erfährt er nun, daß ein Reicher die Armen drückt, daß ein Fabrikherr die Arbeiter betrügt, so fordert er den Reichen, unter Androhung der Veröffentlichung seines Treibens, auf, die Unterdrückungen einzustellen, gerechten Anforderungen gerecht zu werden u.s.w. und stellt ihm dazu[89] schließlich einen Termin, nimmt der Geldmensch keine Notiz davon und trotzt auf seine Geldsäcke, so veröffentlicht der Literat die Erzählung eines Factums und sämmtliche Zeitungen und Blätter, an denen sich irgend Literaten, die Vereinsmitglieder sind, betheiligen können, nehmen diese Erzählung in ihre Spalten auf. Auf diese Weise ist der Geldmensch öffentlich gebrandmarkt und, Du glaubst es nicht Don Juan, welche Angst diese Geldtirannen vor der öffentlichen Meinung haben. Fruchtet, wider Erwarten, eine solche erste Lection noch nicht, so wird ein zweites Factum erzählt und so immer fort und immer fort, bis einem solchen Subject der Respect gegen die Menschenwürde, auch armer Arbeiter, eingepeitscht ist. Auf der andern Seite wird man aber auch öffentlich diejenigen Menschen beloben, die von ihrem Reichthum einen würdigen Gebrauch machen, man wird öffentlich ihre Namen nennen und aus Eitelkeit schon werden Viele eine humane Gesinnung bethätigen. Dieser Verein von Schriftstellern wird, unterstützt von allen wahrhaft Wohlmeinenden, gar bald eine höhere Macht sein, als die der reichen Tirannen, die Macht des Geistes wird die Macht des Geldes controlliren und sie hindern an Eingriffen in das Menschenrecht der Armen. Die Regierungen[90] können einer solchen Schriftstellerassociation nicht hinderlich sein, denn ihr Vortheil ist es ja, wenn sie, anstatt eine kleine Anzahl von Millionairen und Millionen von Gesindel zu beherrschen, ein Volk regieren, in welchem ein kräftiger, wohlhabender Mittelstand, den Reichen von dem zwar armen, aber doch sittlichen und nicht verhungernden, Theile trennt. Läßt man das Geld so fort regieren, wie es zu regieren begonnen, so wird der Mittelstand allgemach verschwinden und die Massenarmuth immer furchtbarer überhand nehmen und dann – welche Aussicht für die Zukunft?«

»Aber das ist nur eine Seite der Thätigkeit jener Schriftstellerassociation, die ich stiften will; die Literaten, die auf die eben angegebene Weise dafür zu sorgen haben, daß der Arbeiter, der Besitzlose, nicht gezwungen ist ewig zu arbeiten, daß er Zeit behält zum Nachdenken, zur Freude u.s.w. werden ebenfalls dafür sorgen, daß der Geist eines solchen Mannes Nahrung erhalte durch eine gute Lectüre. Jeder Literat wird in seinem Kreise Volksbibliotheken errichten, es giebt brave und geistig gesunde Menschen genug, die ihn unterstützen, gern unterstützen und die Association wird durch diese Mittel den Zustand des Besitzlosen, den sie leiblich zu bessern sich bemüht, auch geistig veredeln.[91] Nicht frömmelnde Tractätlein, oder hirnlose, politische Sudeleien wird eine solche Volksbibliothek enthalten, zuerst ist's auf leichte Unterhaltung abgesehen, damit es den armen, gedrückten Arbeitern nicht zu schwer werde, Lust an geistiger Beschäftigung zu finden. Freilich hat unsere Literatur wenig hierher passendes aufzuweisen, aber je mehr sich die Literaten mit dem Volk und seinem Elend beschäftigen, desto mehr werden sie auch einsehen, was ihm fehlt. Hat der arme Arbeiter einmal Geschmack daran gefunden, seine Mußestunde, denn er soll Mußestunden haben, mit geistiger Beschäftigung zu füllen, dann öffne man ihm den reichen Schatz der poetischen Literatur und man wird bald die Wirkungen erkennen. So, Freund Don Juan, wird die Association die Geldmacht controlliren, sie im Zaum halten und sie dahin stellen, wohin sie gehört.«

»Dein Plan scheint so einfach und leicht, Faust,« versetzte Don Juan nach einigem Bedenken, indem er Incarnacions Wange streichelte, »aber er bietet je mehr Schwierigkeiten, je mehr man ihn bedenkt.«

»Das weiß ich, Don Juan, aber Schwierigkeiten schrecken mich nicht, es muß gehen, weil es gehn kann, aber ich brauche Deine Hülfe.«[92]

»Ich bin bereit, ich weiß, was Du willst, meine Freunde werden Dich nach Kräften unterstützen, Du brauchst Geld, sehr viel Geld zum Anfang, denn Geld kann nur mit Geld angegriffen werden, nimm, was Du brauchst.«

Faust drückte Don Juan's Hand und sprach: »Ich kannte Deinen großmüthigen Sinn, Freund, aber ich brauche Deine persönliche Hülfe, der alte Klingsohr wird nur durch Dich bewogen werden können seine Hand zu dem großen Plane zu bieten und dann bedürfen wir Deiner Fürsprache beim Könige von R.; willst Du Freund, willst Du auf diese Weise einen Plan unterstützen, der das wahre Wohl der Menschheit bezweckt?«

»Gewiß, Faust, ich werde es, der wahre Edelmann vergißt nie, daß er ein Mensch ist, mein Edelmannswort, ich helfe Dir, so lange ich in Europa bleibe.«

»Ach, beinahe hätte ich es über meinen Plan vergessen, ich muß Dir die Ursache sagen, warum ich Dich so dringend, fast ein Jahr vor der Zeit, nach Europa gerufen. Ein Mann, der seinem Ende nahe zu sein glaubt, hat mich dringend darum gebeten, Dich[93] zu ihm zu senden, ich schrieb Dir nicht davon, mit Willen nicht, aber ich weiß, mein großherziger Don Juan wird ohne Groll an das Sterbebette vielleicht eines seiner Feinde treten.«

»Ich verzeihe allen meinen Feinden!« sagte Don Juan und heftete einen fragenden Blick auf Faust.

»Allen?«

»Ja, Allen, nur einen von ihnen kann ich nicht sehen, aber auch ihm verzeihe ich!«

»Das ist nur eine halbe Verzeihung, Don Juan, o Du solltest ihn sehen, er ist entsetzlich alt geworden –«

»Er ist es? ist er's?« rief Don Juan mit erhöhter Stimme, und sprang so hastig und aufgeregt auf von seinem Sitze, daß Incarnacion ihn mit verwunderten Blicken anstarrte.

»Er ist es,« bejahte Faust traurig, »Cornelius van der Valcke bittet Dich um Deinen Besuch!«

Don Juan sank leichenblaß in seine Sophaecke zurück, eine mächtige Aufregung war sichtbar in seinen regelmäßigen Zügen; ängstlich bewachte Incarnacion jede Bewegung ihres Freundes.[94]

»Sage mir Alles, Faust,« bat der alte Edelmann nach einer kleinen Pause mit matter Stimme, »er war Räuber?«

»Hast Du je daran gezweifelt, armer Freund?«

»Und sie, sie, lebt sie noch?«

»Sie ist todt, seit drei Jahren.«

»Todt, wohl ihr, daß sie todt ist!« sagte Don Juan leise und wischte sich den Schweiß von der Stirn, die Incarnacion tröstend küßte.

»Seit wie lange wußtest Du ihren Aufenthalt?«

»Seit zehn Jahren fast, Don Juan.«

»Ich danke Dir, mein Faust, daß Du erst heute, erst nach ihrem Tode, mir diese Mittheilung machst, ich will ihn sehen, ihr Tod versöhnt mich, gieb mir seine Adresse.«

Faust reichte dem Edelmann ein kleines Blatt und langsam las Don Juan: Graf Vavel de Versay, Eishausen bei Hildburghausen! »so,« setzte er hinzu, »hat der republikanische Geschäftsträger einer Republik bei der andern Republik, hat selbst der einen aristocratischen Titel nicht verschmäht?« dann steckte er die Karte zu sich und schüttelte Faust's Hand freundschaftlich; dieser, der sich empfahl, versprach gegen Abend wieder zu kommen.[95]

Incarnacion und Don Juan blieben allein. –

Faust aber fand auf seinem Zimmer ein Billet, welches unterzeichnet war: Lionel von Goldstein, königl. preuß. Commerzienrath und Ritter. Es lautete also: Auf Ihre gef., mir heute mündlich gemachte, Proposition, erwiedere ich Ihnen, daß ich mir jede Einmischung Ihrerseits in meine Verhältnisse durchaus verbitten muß. Ihre Drohungen betreffend, so kann ich sie verachten, denn ein bedeutender Schriftsteller hat mir versprochen mich, für ein Honorar, gegen Sie überall zu vertreten. Ich kann für mein Geld noch viele Vertheidiger finden und ich habe viel Geld; ich könnte, wenn ich wollte, Sie angreifen und blamiren lassen; da ich jedoch ein friedfertiger Mann bin, so will ich das nicht thun, ja ich will noch mehr thun, ich will Ihnen auf der Stelle 25 Stück neue Friedrichsd'or zahlen, wenn Sie versprechen, meiner in den Zeitungen nicht Erwähnung zu thun. Sollten Sie Lust haben meine Fabrikate öffentlich zu loben, oder meinen persönlichen Verdiensten Anerkennung zu verschaffen, so bin ich zu einem anständigen Honorar bereit. Ihr ergebener u.s.w.

Faust ließ das Billet auf den Tisch fallen und warf einen Blick der tiefsten, gründlichsten Verachtung[96] darauf; »arme Geldseele!« murmelte er endlich, »willst den Faust kaufen, o und wie einfältig! Mann des Geldes, hast du denn gar keine Nachgedanken, daß du mir ein solches Billet schreibst, fühlst du denn nicht, daß du dich selbst verdammst mit diesen Zeilen? Fort, an den Pranger mit dir!«

An diesem Tage erschien Adele Bulart in Mühlhausen und bewies so, daß der unbekannte Leichnam nicht der ihrige sein könne. Aber, weit entfernt, daß ihre Erscheinung dem armen Bletry und seinen Unglücksgefährten genützt hätte, sie diente nur dazu, das Gerücht von der vornehmen Dame mit der goldenen Kette wieder zu Ehren zu bringen und hartnäckiger noch, als vorher, beharrte man darauf in Bletry den Mörder der unbekannten Dame zu sehen.

Einige Tage später erschien in einer westphälischen Zeitung ein Artikel über das immoralische Verfahren der Fabrikbesitzer, ihren armen Arbeitern gegenüber, das Trucksystem wurde enthüllt und mit Factis belegt, Herr von Goldstein war zwar nicht genannt, aber doch so bezeichnet, daß er nicht zu verkennen war. Acht Tage später wurde sein Name in einem ausländischen Blatte der Erzählung hinzugefügt und mußte nun Spießruthen durch die gesammte deutsche Presse[97] laufen. Jeder, der nur einigermaßen ein menschliches Gefühl noch hatte, war empört und der Literat, der die Frechheit gehabt hatte, Herrn von Goldstein vertheidigen zu wollen, sah sich durch die Bekanntmachung des, Oben mitgetheilten, Billets Goldsteins an den Doctor Johann Faust öffentlich entehrt.

So begann Faust seinen Kampf mit der Plutokratie.

Fußnoten

1 Nichts als den Vornamen sollte ein Verbrecher behalten, NN. NNssohn, sollte man den Verbrecher nennen, damit Jeder wüßte, daß er ausgestoßen sei aus allen Klassen der Gesellschaft. So geschah es früher in Schweden und damit würde der Beschwerde der Nichtadeligen abgeholfen sein, die jetzt, wohl oder übel, entadelte Verbrecher in ihre Reihen aufnehmen müssen.


Quelle:
Hesekiel, George: Faust und Don Juan. Aus den weitesten Kreisen unserer Gesellschaft, Teil 1, Altenburg 1846, S. 99.
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