Die Tote im Wasser

Die Masten ragen an dem grauen Wall

Wie ein verbrannter Wald ins frühe Rot,

So schwarz wie Schlacke. Wo das Wasser tot

Zu Speichern stiert, die morsch und im Verfall.


Dumpf tönt der Schall, da wiederkehrt die Flut,

Den Kai entlang. Der Stadtnacht Spülicht treibt

Wie eine weiße Haut im Strom und reibt

Sich an dem Dampfer, der im Docke ruht.


Staub, Obst, Papier, in einer dicken Schicht,

So treibt der Kot aus seinen Röhren ganz.

Ein weißes Tanzkleid kommt, in fettem Glanz

Ein nackter Hals und bleiweiß ein Gesicht.


Die Leiche wälzt sich ganz heraus. Es bläht

Das Kleid sich wie ein weißes Schiff im Wind.

Die toten Augen starren groß und blind

Zum Himmel, der voll rosa Wolken steht.


Das lila Wasser bebt von kleiner Welle.

– Der Wasserratten Fährte, die bemannen

Das weiße Schiff. Nun treibt es stolz von dannen,

Voll grauer Köpfe und voll schwarzer Felle.


Die Tote segelt froh hinaus, gerissen

Von Wind und Flut. Ihr dicker Bauch entragt

Dem Wasser groß, zerhöhlt und fast zernagt.

Wie eine Grotte dröhnt er von den Bissen.
[117]

Sie treibt ins Meer. Ihr salutiert Neptun

Von einem Wrack, da sie das Meer verschlingt,

Darinnen sie zur grünen Tiefe sinkt,

Im Arm der feisten Kraken auszuruhn.
[118]

Quelle:
Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 1, Hamburg, München 1960 ff., S. 112-113,117-119.
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