1.

[212] Du ruhst im Dunkel trauriger Askesen

In deinem weißen Tuch, ein Eremit,

Und deine Locken, die in Nacht verwesen,

Bedecken tief dein eingesunknes Lid.


Auf deinen Lippen gruben sich die Male

Der toten Küsse schon in Trichtern ein.

Die ersten Würmer tanzen um das fahle

Vom Grubenwasser bleiche Schläfenbein.


Wie Ärzte stechen lang sie die Pinzette

Der Rüssel, die im Fleische Wurzel schlägt.

Du jagst sie nicht von deinem Totenbette,

Du bist verflucht, zu leiden unbewegt.


Des schwarzen Himmels große Grabesglocke

Dreht trüb sich rund um deine Winterzeit.

Und es erstickt der Schneefall, dicke Flocke,

Was unten in den Gräbern weint und schreit.

Quelle:
Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 1, Hamburg, München 1960 ff., S. 212.
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