Zweite Scene.


[299] Don Juan. Gianotto.


DON JUAN setzt sich. Ihr werdet hier sehr geliebt, mein junger Freund.

GIANOTTO der zerstreut hin und her geht. Ich bin hier aufgewachsen. Die guten Leute rechnen mich zur Familie.

DON JUAN. Und im Hause Eures gräflichen Gönners – werdet Ihr da auch zur Familie gerechnet?

GIANOTTO. Was meint Ihr?

DON JUAN. Eure Mutter, sagtet Ihr, sei die Beschließerin im Hause. Wird ihr Sohn am Tische ihrer Herrschaft geduldet? Und wenn er sich herausnimmt, die Augen zu der Tochter des Hauses zu erheben –

GIANOTTO erröthend. Wie könnt' Ihr wagen, Herr – wer hat Euch gesagt –

BIONDETTA kommt mit dem Wein. Hab' ich die Herren warten lassen? Sie zupfen und zerren alle an mir. Und seht, da strömt's noch herein. Neue Gäste treten durch die Gitterthür ein. Nicht soviel Zeit, mich fünf Minuten zu Euch zu setzen, lieber Herr Gianotto, und mir erzählen zu lassen. Zu Don Juan. Darf ich Euch einschenken, Herr?

DON JUAN nickt. Wenn Ihr mir kredenzen wollt, Allerschönste! Ein Mund wie der Eure giebt dem edelsten Wein erst die rechte Blume.[299]

BIONDETTA. Ha, Ihr seid galant. Nippt an dem Glase. Auf Euer Wohl! Und Eures, Herr Gianotto – und der Gräfin – und der Contessina – Was Die Augen machen wird!

GIANOTTO leise zu ihr. O Biondetta, nur ein Wort! Hat sie je von mir gesprochen? Was hat sie gesagt?

BIONDETTA. Die Contessina? Ihr kennt sie doch! Sie ist keine Schwätzerin – Aber wer ist der Fremde? Er hat Schlangenaugen!

SALVATORE'S STIMME. Biondetta! He, Biondetta!

BIONDETTA. Ich komm', ich komme! – Verwünscht! man soll überall sein. Da Don Juan sie halten will. Nein, gnädiger Herr, laßt mich gehn! Mein Salvatore ruft nach mir. Im Abgehn für sich. Ist das ein Mann! So sah ich noch keinen. Läuft fort.

DON JUAN langsam seinen Wein schlürfend. Ein lieblicher Wein! Und eine allerliebste Schenkin. Wenn Euch die beiden ein wenig zu Kopfe stiegen, junger Träumer, wär's heilsamer für Euch, als daß Ihr nach gräflichen Trauben schielt, die Euch zu hoch hängen.

GIANOTTO. Ich versuche Euch in allem Ernst –

DON JUAN. Zwar, daß Ihr diese junge Gräfin liebt, kann ich Euch nicht verdenken. Sie ist schön genug, um selbst vor schärferen Augen, als Eure zwanzigjährigen, Gnade zu finden.

GIANOTTO betroffen. Ihr sprecht, als hättet Ihr – wo habt Ihr sie gesehen?

DON JUAN. Gesehen und gesprochen und gefunden, daß sie jeder Sünde werth ist.[300]

GIANOTTO rasch einfallend. Wo? Wann?

DON JUAN. Der Ort ist gleichgültig. Auch würde ich Euch nicht vor ihr warnen, wenn Ihr ein munterer, verwegener Geselle wäret, der die Weiber zu nehmen wüßte, wie sie genommen sein wollen. Ihr aber, mit Eurer Kinderseele –

GIANOTTO aufbrausend. Herr –!

DON JUAN. Denn trotz Eures Bärtchens und der Doktorwürde liebt Ihr noch wie ein Knabe. Ihr werdet zu diesem Grafenkinde hinaufschmachten in aller Ehrfurcht, und sie wird es sich in Gnaden gefallen lassen. Dann werden ihre zärtlichen Eltern, die Euch als ungefährliches Spielzeug im Hause geduldet, ihre Tochter standesgemäß vermählen, und Ihr werdet – nachdem Ihr ein Trauerjahr durchseufzt – ein hübsches, bescheidenes Bürgerskind mit einer artigen Mitgift heimführen, Euren Besitz und Euren Kindersegen von Jahr zu Jahr wachsen sehen und endlich eines gottseligen Todes sterben. Könnt Ihr behaupten, daß es sich verlohnte, mit Euren Gaben und Anlagen auf die Welt zu kommen, um dies ehrenvolle Ende zu nehmen?

GIANOTTO. Nein! nein! nein! Ihr kennt sie nicht. Sie einen Andern? Sie meines Herzens spotten, meiner Liebe, die mit uns Beiden groß geworden – Ihr kennt sie nicht!

DON JUAN. Dieses Glas auf die Gesundheit Eures Herzens. Denn wahrlich, es ist krank. Wie? Ich kenne sie nicht? Ist sie nicht ein Weib?

GIANOTTO. Keines wie alle andern, keins, das auf den ersten Blick von Euch durchschaut werden könnte, und wäret Ihr –

DON JUAN. Der Teufel in Person – warum sprecht Ihr es nicht aus?[301] Aber Ihr seid im Irrthum, Freund. Man braucht kein Teufel zu sein, um die Weiber für nichts Besseres zu halten, als sie selbst, unter vier Augen mit ihrem Spiegel, sich eingestehn. Fragt ihren Schutzengel, der weiß am besten, auf wie schwachen Füßen die Tugend der Besten steht, ihre gepriesene Lieb' und Treue. Ihr Gelüst ist ihr Gott, dem bringen sie jedes Opfer, und müßten's Menschenopfer sein. Bei alledem sind sie noch immer der gescheiteste Gedanke, den der Schöpfer am siebenten Tage gehabt hat, und die süßeste Erfrischung, die ein Mann auf dem heißen, staubigen Weltpfade sich gönnen mag.

GIANOTTO. Jedes Wort, das Ihr sprecht, beweis't mir, daß ein Wesen, wie Ghita, Euch ewig fremd geblieben.

DON JUAN. Meint Ihr? Weil sie sich kühl und unnahbar stellt? Gutes Kind, hast du nie eine Schale Sorbet geschlürft, die dich eisig anhauchte, wie ein süßer Gletscher, und um so williger dir auf der Zunge zerschmolz? Ich will dir nicht wehthun; aber den Beweis zu führen, daß auch dieses Eis unter dem rechten Anhauch sich in laue Frühlingsflut verwandeln müsse –

GIANOTTO der immer von Zeit zu Zeit nach dem Hintergrunde geblickt hat. O Gott – da ist sie!


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 11, Berlin 1872–1910, S. 299-302.
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