Sechste Scene.


[308] Gianotto allein. Dann Ghita. Der Mond ist aufgegangen, scheint von links in den Garten hinein; unter der Veranda ist's dunkel.


GIANOTTO. Männliche Entschlüsse? O ich wüßte einen, den männlichsten von allen: das Hirn an einem Felsen zerschmettern, daß ich die Gedanken drin morde, die den kindischen Träumer, den betrogenen Thoren verhöhnen! – Weggeworfen, wie ein durchgetanzter Schuh – ausgelöscht, wie die Buchstaben, die sie als Kind auf ihr Täflein kritzelte – O und darum dies[308] Herzweh drei unendliche Jahre – die Stachelreden der Freunde, wenn ich einsam am Strande ging, während sie im einen Arm die Laute, im andern ein schwarzäugiges Liebchen – ich komme von Sinnen! – Nein, ich mach' ein Ende, ich machs – gleich heut – nur noch ein Wort mit meiner Mutter – Die Musik schweigt. Ha, der Tanz ist aus! Sie wird hieherkommen mit ihrem Marchetto, ein Glas Wein mit ihm trinken – denn hochmüthig ist sie durchaus nicht, o nein! Für einen Saltarello ist ihr Keiner zu schlecht. Nur wenn ein namenloser Wicht sich anmaßt, ein Herz zu haben, ein Herz von ihr zu verlangen – fort, fort! Nicht einen Blick – nicht ein Wort weiter!


Wendet sich zum Fortgehen. Plötzlich steht Ghita im vollen Licht des Mondes vor ihm.


GHITA. Gianotto – wohin willst du?

GIANOTTO wendet sich ab. Ghitha!

GHITA tritt in die Veranda, bleibt wieder stehen. Du bist allein. Wo blieb der Spanier, der sich deinen Freund nannte? Ist er wirklich dein Freund?

GIANOTTO düster. Er betheuert es. Ich glaub' es ihm. Warum sollt' ich es ihm nicht glauben?

GHITA mit Nachdruck. Glaub ihm Nichts, was sein Mund betheuert, nur was aus seinen Augen spricht. Ein Dämon glüht darin, der Macht hat über arglose Seelen. Auch deiner hat er's angethan.

GIANOTTO immer abgewandt. Wer an Liebe verarmt ist, nimmt vorlieb mit der Zuneigung eines Hundes oder Teufels. Lebt wohl, Contessina!

GHITA tritt dicht vor ihn hin sanft. Gianotto! kennst du deine Ghita nicht mehr?[309]

GIANOTTO sie anstarrend, mit aufdämmernder Erkenntniß. Heiliger Gott – was sagst du? Meine – meine Ghita?

GHITA mit leisem Lächeln. Deine, du böser, wilder, liebster aller Menschen – deine und keines Andern unter der Sonne.

GIANOTTO stürzt ihr zu Füßen, umfaßt sie stürmisch. Ihr Ewigen! Und ich Elender, ich konnte glauben – O ich bin's nicht werth –

GHITA zu ihm hinabgezeugt, zieht ihn hastig empor. Steh auf – was thust du? Willst du uns verderben? Er erhebt sich. O wenn du wüßtest, was es mich gekostet hat, mich gefühllos zu stellen! Wie ich deine Stimme hörte – ein himmlischer Strahl zuckte mir durch den ganzen Leib – ich dacht', ich müßte umsinken vor stürmischer Wonne – aber fremde Augen sahen auf uns, und dieser Fremde! Gestorben wär' ich lieber, als diese bösen Augen in mein Herz blicken zu lassen. Du aber – o du einfältiger Gianotto! mit all deiner Weisheit und Gelehrsamkeit verstandest du mich nicht! Ist es denn möglich, daß du so ganz an mir verzweifeln konntest?

GIANOTTO. Mußt' ich nicht? Frag' ich mich nicht jetzt noch vergebens, wie ich ein solches Glück verdiene?

GHITA. O thu es nie wieder, mein Freund! Zweifle nie wieder am Herzen deiner Ghita! Sieh, Liebster, ich stelle mich wohl tapfer, aber ich habe Stunden, wo ich selbst verzagen möchte, daß ich mein einziges Glück, von dem ich seit meinen Kindertagen träume, daß ich dich je gewinnen könnte. Nur wenn nicht ein Hauch zwischen uns ist, wenn deine Gedanken meine sind und mein Herz in deinem lebt, dann fühl' ich mich unüberwindlich, dann weiß ich: es ist Gottes Wille, daß Nichts uns trennen soll. Geht es dir nicht auch so? Ist dir's nicht[310] auch, als müsse die Welt um dich her versinken in einen unermeßlichen Abgrund, wenn der Gedanke dir kommt, du und deine Ghita, ihr könntet je verschieden Sinnes sein?

GIANOTTO. Du sagst es. So – ganz so war mir's eben jetzt! Doch nun – nun – Will sie stürmisch an sich ziehn, sie tritt zurück.

GHITA. Nein, Liebster! Nicht so! Noch nicht! Erst müssen wir uns erkämpfen. Zweifelst du am Siege?

GIANOTTO. O Ghita – deine Eltern!

GHITA eifrig und mit Nachdruck. Ich werde vor sie hin treten und ihnen Alles sagen. Sie lieben mich, und wenn sie hören, daß ich sterben würde, getrennt von dir – Höre, Gianotto, ich hab' eine Sünde begangen, deinetwegen.

GIANOTTO. Eine Sünde? Kannst du auch sündigen, liebe Heilige?

GHITA. Ich habe meine Mutter belogen. Es war meine erste Lüge. Ich sollte mit nach Neapel. Da träumt mir in der Nacht vor der Abreise, ich sei allein auf dem Dach der Villa – und die Sterne schienen so hell, und das Meer donnerte so laut gegen den Strand, sonst war Alles still. Und plötzlich hör' ich klopfen unten am Hausthor und deine Stimme: Oeffnet! Ich bin's! Gianotto! – aber Niemand öffnete. Und ich will rufen: Warte, Gianotto, ich komm' hinab – aber die Kehle ist mir wie zugeschnürt und die Kniee wie mit Stricken umwunden, und immer wieder pochtest du unten und riefst – immer leiser und leiser – immer verzweifelter rang ich nach einem Laut – und endlich schwiegst du ganz, und ich hörte deinen Schritt sich vom Hause entfernen – und als er fern verklang, da erst konnt' ich schreien: Ich komme, Gianotto! – aber es war zu spät, und ich erwachte in Thränen.[311]

GIANOTTO ihre Hände an die Brust drückend. Armes, geliebtes Herz!

GHITA lächelnd. Nicht wahr? Ein böser Traum, und doch so gut für mich; denn nun wußt' ich, du würdest früher kommen und durftest doch das Haus nicht leer finden. Da log ich, daß ich krank sei – halb war ich's auch an fieberhafter Ungeduld – und jetzt hab' ich dich – und bin geheilt – und bin selig!


Legt ihm die Hände auf die Schultern.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 11, Berlin 1872–1910, S. 308-312.
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