Vierte Scene


[356] Don Juan. Gianotto auf der Straße draußen von rechts, als Wanderer mit Stab und Tasche.


DON JUAN halblaut, mit sichtbarem Kampf. Gianotto! – Lauter. Mein Sohn!

GIANOTTO fährt zusammen, bleibt stehen, ohne umzublicken. Wer ruft mich mit diesem Namen? Ich verbiete Jedem, mich Sohn zu nennen. Ich habe keinen Vater mehr.[357]

DON JUAN. Du hast Recht, junger Mann: keinen Vater, dem du noch etwas schuldig wärst, weder Gehorsam, noch weniger Liebe. Selbst das Geschenk des Lebens hast du ihm ja zurückgezahlt, gestern an diesem Ort. Wenn du den fremden Mann hier als deinen Todfeind hassen willst, Niemand kann dich darum tadeln. Doch selbst dem Todseind schuldet man Gerechtigkeit, darum fordre ich Gehör von dir.

GIANOTTO dumpf. Ich bin Euer Richter nicht. Dankt Gott, daß ich es nicht bin, und daß die Erde weit genug ist, um einander aus dem Wege zu gehn! Wendet sich zum Gehen.

DON JUAN ohne sich zu regen, mit größerem Nachdruck. Nun denn: im Namen Einer, die du gerichtet hast, fordr' ich Gehör von dir. Dein Spruch, der sie verdammte, war falsch; deine Ghita ist rein, wie der Tropfen Thau, der vom Himmel fällt.

GIANOTTO heftig erregt ihm einige Schritte entgegengehend. Ha das – Ihr wagt, diesen Namen noch über Eure Lippen zu bringen – mir ins Gesicht? Sich bezwingend. Zu Eurer Ehre will ich glauben, daß Ihr mitleidig genug denkt, dem Bettler, der in die weite Welt zieht, ein Almosen mit auf den Weg zu geben. Habt also Dank; doch erlaubt, daß ich es Euch vor die Füße werfe.

DON JUAN gelassen. Wie dir beliebt, mein Sohn. Doch wirfst du damit eine Perle in den Staub: das einzige Weib, außer deiner Mutter, zu dem ich voll Ehrfurcht als zu einem höheren Wesen aufblicke.

GIANOTTO ihn anstarrend. Mensch – Teufel – Doch nein, nein, er lügt! Wenn es Wahrheit wäre, wie hätt' er's gestern Nacht übers Herz gebracht, zu schweigen, als er zwei Seelen in Todesqualen sich winden sah!

DON JUAN. Gestern Nacht hätte dieser heißblütige Jüngling die schönste Wahrheit vielleicht für eine häßliche Lüge gehalten.[358] Doch immerhin: wenn du mich jetzt den elendesten Schurken nennst, der je ein edles Weib verleumdet, wirst du nicht weit von der Wahrheit abirren. Ich habe diesen Engel, dessen irdischer Name Ghita ist, mit keinem Finger berührt, und in keiner Falte ihres Herzens hat Anderes gelebt, als Abscheu vor mir und Lieb' und Qual um dich, der sie verschmähte.

GIANOTTO. Daß sich die Erde aufthäte, mich hinabzuschlingen! Ghita! Ghita! Wirft sich auf den Boden.

DON JUAN steht auf. Zwar könnt' ich sagen: diese Niedertracht entsprang keiner gemeinen Quelle. Ich hatt' es gut mit meinem Sohne vor, als ich ihn elend machte. Ich wollt' ihn losreißen von dieser hoffnungslosen Liebe, um jeden Preis, selbst um den, daß er mich Anfangs ein wenig hassen müßte, wenn er mich für den glücklichern Rivalen hielte. Die Täuschung mag unritterlich und unedel gewesen sein, unväterlich war sie nicht. So könnt' ich vor dem ewigen Richter sprechen. Was aber hülf' es mir vor meinem Sohn, vor einem Sohn, der seinem Vater darum geflucht hat!

GIANOTTO springt auf. Fort – fort von hier!

DON JUAN. Halt, junger Mann! Wohin wollt Ihr?

GIANOTTO. Zu ihr – ihr sagen – zu ihren Füßen im Staube – Doch nein: sie kann nicht – kann nicht verzeihen! Ich sah etwas in ihren Augen, einen furchtbar drohenden Glanz wie bei einer Sterbenden. In jener Stunde schied Etwas von hinnen, das nie wieder auflebt!

DON JUAN. Sie hat dich geliebt. Ein liebendes Weib verzeiht nur Eine Sünde nicht: Gleichgültigkeit. Und wahrlich, selbst eine Heilige wäre nicht gefeit gegen jeden Verdacht, wenn man sie Nachts in meiner Gesellschaft gefunden hätte. Auch weiß Niemand darum, als wir Drei.[359]

GIANOTTO. Was kümmert sie und mich die Welt! Von ihr erwart' ich Leben oder Tod. Wenn es wahr ist, daß sie mich noch liebt, noch lieben kann, will ich vor ihre Eltern hintreten und ihnen sagen –

DON JUAN. Daß sie ihre Tochter dem Sohn des Mannes geben möchten, der als der Feind und Verderber ihres Hauses gilt? Armes Kind, erwache und sieh die Welt, wie sie ist.

GIANOTTO ihn anstierend. Ihr – Ihr wäret –

DON JUAN Don Juan Tenorio, um den Doña Anna starb.

GIANOTTO. O ewiger Gott! Nein, nein! Es ist unmöglich. Du kannst die Sünden der Väter so grausam nicht heimsuchen an den Kindern!

DON JUAN. So dacht' auch ich, und darum trat ich vor Doña Maria und warb bei ihr um ihre edle Tochter für meinen unschuldigen Sohn.

GIANOTTO. Ihr – Ihr hättet für mich –

DON JUAN. Kurz, ehe du deinem Vater fluchtest.

GIANOTTO. War's möglich! – Und sie, die Hohe, Gütige – was antwortete sie?

DON JUAN. Daß ich älter geworden sei, aber nicht weiser!

GIANOTTO. O ich Unseliger! Verloren, Alles verloren!


Sinkt auf die Bank, verbirgt das Gesicht in den Händen.


DON JUAN tritt zu ihm, betrachtet ihn in tiefer Bewegung. Mein theurer Sohn, – ermanne dich! Wie? spricht so ein Liebender, dem auch nur ein Tropfen meines Bluts in den[360] Adern rinnt? Auf, Don Juanito! Bedenkt, daß Liebe und Leben dieser holden Jugend in Eurer Hand liegt. Eilt verstohlen zu ihr hin, versöhnt sie Euch und macht sie Euch ganz zu eigen, daß sie keinen Willen mehr hat als den Euren. Ich habe dafür gesorgt, daß um Mitternacht drei rasche Pferde bereit sind. Wenn sie Scrupel vorschützen sollte, fromm wie sie ist, führ' ich Euch auf demselben Wege, auf dem ich gestern mich einschlich, in ihre Kammer, und wir tragen die süße Beute mit sanfter Gewalt hinweg. Den Rest ihres Gewissens mögen Eure Küsse in Schlaf lullen. – Nun? Ihr bedenkt Euch? Ihr zaudert?

GIANOTTO. Sie rauben, mit Eurer Hülfe? in die Welt mit ihr fliehen in Eurer Gesellschaft?

DON JUAN. O fürchtet nicht, daß der verhaßte Vater sich aufdrängen möchte! Ich werde hinterdrein traben wie ein gemietheter Stallmeister, den manent läßt, wenn man seiner Dienste nicht mehr bedarf. Hab' ich Euch dann in Sicherheit gebracht, in einem Lande, wo der Zorn der gekränkten Eltern Euch nicht mehr erreicht, dann werde ich vor die junge Frau hintreten und sie fragen ob sie mir verzeiht. Und wenn das Glück sie milde gemacht und den Abscheu vor mir verscheucht hat, werde ich sie herzlich bitten, ein Fürwort bei ihrem jungen Gatten einzulegen daß auch er – wenn er mir auch kein freundliches Fahrwohl gönnen mag – doch so weit zu einem reuigen Sünder sich herabläßt, daß er den für immer Scheidenden mit einem gütigen Blick entläßt – und Kaum hörbar. – den Fluch von seinem Haupte nimmt!


Die Stimme versagt ihm, er läßt sich auf ein Knie vor Gianotto nieder und senkt das Haupt.


GIANOTTO ergriffen, doch ohne ihn anzusehen. Vater – o mein Vater was thut Ihr?

DON JUAN aufspringend. O Sohn – ist es wahr? ist's möglich? Du hast mich Vater genannt? Will auf ihn zu, hält sich wieder zurück. Nein, noch[361] nicht – noch kann dir's nicht von Herzen gehen. Aber der Himmel weiß: kein Kosewort von Weiberlippen hat je so sanft mein Ohr berührt, wie dieses erste Lallen einer Sohnesliebe, die ihrer selbst noch nicht bewußt ist. Nun aber ans Werk! Auf! Wir dürfen nicht säumen. Siehst du, wie der Himmel über uns sich mit grauem Dunst überzieht? Der Wirth unten hat mich gewarnt, diese Straße zu meiden, die Zeichen weissagten einen Ausbruch des Berges nach dieser Seite. Komm hinweg, in die Schenke hinab! Du sollst dir Muth trinken zu deinem Abenteuer.

GIANOTTO steht auf. Nein, mein Vater! Ich kann so nicht handeln.

DON JUAN. Nicht? so nicht? Und wenn nur dieser Weg zum Ziele führte?

GIANOTTO. Ich bin wie das Kind im Hause gewesen. Wie könnt' ich den Eltern ihre Tochter rauben wider ihren Willen, ohne ihren Segen?

DON JUAN. Und wenn sie diesen Segen dir ewig weigern?

GIANOTTO. So helf' uns Gott und lehr' uns dulden, hoffen und endlich dennoch erringen! Mein höchstes irdisches Glück will ich keinem Verbrechen danken.

DON JUAN ihn mit Rührung betrachtend. Du bist der Sohn deiner Mutter. Sie war ein Engel; darum erging es ihr übel in dieser argen Welt. Sei's drum! Ich aber – ich gebe Nichts verloren, so lang ich athme. Ich will nach Neapel und dem Grafen ein Wort ins Ohr sagen.

GIANOTTO. Vater, was hast du vor?

DON JUAN. Laß mich! Du hast mich als deinen Vater anerkannt; ich will meine Vaterpflichten erfüllen.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 11, Berlin 1872–1910, S. 356-362.
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