An Beethoven

[538] Wie wer gekostet hat vom Zauberkraut

Und nun versteht der Elemente Lallen,

Das Stammeln der Natur, den Klagelaut

Der stummen Wesen, die dem Tod verfallen,

So gingst du durch die Welt. Dir klang vertraut,

Was allen schwieg, und das verworrne Schallen

Vom ew'gen Fluß der Dinge – deiner Seele

War's Wohllaut, wie ein Lied aus Vogelkehle.


Doch wer das Höchst' und Fremdeste ergründet,

Ein Fremdling wird er in der eignen Welt.

Wann hätt' ein Mensch Dämonen sich verbündet

Und dann zu frohen Menschen sich gesellt?

Vom Schmerz des Daseins, den dein Lied verkündet,

Ward jede flücht'ge Wonne dir vergällt;

Der Einklang, der dir tönt' im Flug der Sterne,

Blieb, wie du kämpftest, deinem Busen ferne.


So rächen sich an dem, der sie belauscht,

Die Überirdischen, die furchtbar Hehren.

Wer sich am Urquell alles Seins berauscht,

Soll nicht den Becher ird'scher Freude leeren.

Einsam, wenn alles Seel' um Seele tauscht,

Muß er die Glut des eignen Herds entbehren,

Und, ihm den Stachel recht ins Blut zu mühlen,

Lehrt Phantasie ihn das Versagte fühlen.
[538]

Er weiß von allem Traulichen und Süßen,

Das armer Menschen Niedrigkeit verklärt,

Sieht in des Weibes Blick die Liebe grüßen,

Die Treue, die das heil'ge Feuer nährt,

Den Glauben: endlich werde siegen müssen

Unschuld und Recht, mit Ketten selbst beschwert,

Und hört nach Kerkernacht und bangem Leide

Die Himmelsstimmen namenloser Freude.


So sprachst du aus in reinen Melodien,

Was du im Traum der Sehnsucht nur erfahren.

Den goldnen Schatz, den Ahnung dir verliehn,

Gabst du den Glücklichern, ihn zu bewahren.

Und wenn die Neunzahl hoher Sinfonien

Das Weltgeheimnis strebt zu offenbaren,

Fidelio klagt und jauchzt das ewig neue

Uralte Trostlied ew'ger Lieb' und Treue.


Dank, daß du dies Vermächtnis uns gelassen!

Schon vor dem Übermenschen will den Geist

Ein Schwindel ehrfurchtsvollen Grauns erfassen,

Als ob zu hoch du unsrer Liebe seist:

Da teilst du unser Dulden, Lieben, Hassen,

Der hohe Fremdling ist nicht mehr verwaist,

Und der vereinsamt ging auf ird'schen Wegen,

Das Herz der Menschheit schlägt ihm nun entgegen.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 538-539.
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