Fürst Bismarck in München

[529] (24.-26. Juni 1892)


Epistel an einen Freund


Du weißt es aus der Zeitung schon: auch wir

In München hatten unsre Bismarcktage,

Denkwürd'ge Tage wahrlich, eingezeichnet

Mit Goldschrift in die Chronik unsrer Stadt,

Von jener Nacht an, wo die Tausende

Die späte Mitternacht herangeharrt,

Nur um mit brausendem Jubel ein Willkommen

Ihm zuzujauchzen, bis zum dritten Tag,

Da das Geleit man gab dem Scheidenden,

Begierig jeder, einmal noch sein Antlitz

Zu schaun, zu hören seiner Stimme Klang,

Und überglücklich gar, wem es vergönnt,

Die Hand zu drücken, die ein Menschenalter

Die eherne Wage hielt der Weltgeschicke

Und um Germanias Haupt den Lorbeer wand.


Mein Häuschen, weißt du ja, liegt nachbarlich

Dem Haus des Freundes, des berühmten Malers,

Drin der erlauchte Wandrer Herberg fand.

Und so von früh bis spät vor meiner Tür

Sah ich die Volksflut hin und wieder wogen

Und aller Blicke scharf hinüberspähn,

Ob am Balkone dort der hohe Gast

Erscheinen möchte, dann in stürmischem Zuruf

Ausströmend alle Lieb' und allen Dank;

Indessen jene dunklen Ehrenmänner,

Die, weil sie zwergenhaft, dem Riesen grollen,

Bei Tag verstummten, um im Diebesschatten

Der Nacht ohnmächtig in den Freudenchor[529]

Des Volks ihr hämisches Gezisch zu mischen,

Bis wütend eines Rächers derbe Faust

Die Schandgesellen züchtigte.

Du lasest

Wohl von den festlich bunten Zügen auch:

Studenten, Künstlern, schlichten Handwerksleuten,

Die mit Musik und Fackeln Nacht für Nacht

Vorüberwallten, manch treuherz'gen Spruch

Hinsendend zur Altane, wo der Gast

An seiner Gattin Seite lauschend saß,

Bis er dann plötzlich die gewalt'gen Glieder

Erhob und aufrecht, mit entblößtem Haupt,

Die Menge streifend mit dem Löwenblick,

In stockender Rede sonder Prunk und Pomp,

Doch sein Gepräg auf jedem Wort, dem Volk

Darbrachte seine Seele, dankbewegt,

Indes der Fackelschein die bleiche Stirn

Umspielte, wie das elfenbeinerne Haupt

Des Zeus, das von ambrosischen Locken freilich

Umwallt war, während unser Donnerer

Nur mit dem Schütteln seiner buschigen Brauen

Heut noch erschüttern könnte den Olymp.


Dann, als verstummt die laute Festlichkeit

Und in des Hausherrn reichgeschmückte Werkstatt

Der Ehrenmüde sich zurückgeflüchtet,

Ruht' er behaglich noch ein Stündlein aus,

Hausväterlich den Wolkensammler spielend,

Um ihn ein Kreis Vertrauterer. Und lieblich

War's anzuschaun, wie er so ritterlich

Zu schönen Fraun sich neigte. Dennoch stets

Umwittert' ihn ein seltsam fremder Hauch.

So menschlich sich uns gab der Übermensch,

Bedacht, es allen wohl zu machen, heimlich

Blieb eine Spannung in uns rege, wie

Genüber einem Gast aus andrer Welt.

Ich selbst, sonst ohne Menschenfurcht, gewohnt,

Vor irdischer Größe nicht den Blick zu senken,

Vor diesem Hohen wandelte mich doch

Ein Schauer andachtsvoller Ehrfurcht an.
[530]

Dies Antlitz, sagt' ich mir, das hier dich grüßt

In Fleisch und Blut, – wenn lange schon der Odem,

Der es beseelt, ins All zurückgeschwebt,

Der letzte Blick aus diesem Herrscherauge

Versprüht ist und der Mund, auf dessen Wort

Der Erdkreis lauschte, stumm für ewig ward,

Dann, wie das Sphinxhaupt, das im Wüstenbrand

Noch unverschüttet auf zur Sonne ragt,

Ob auch jahrtausendalter Flugsand rings

Emporgeweht ist, wird dies Heldenhaupt

In mächt'gem Umriß noch die Blicke bannen,

Die Stirn, die weltenweite Pläne barg,

Von der Geschichte Nebelglanz umhaucht.

So vor dem schicksalsvollen Manne klopfte

Das Herz mir in der Brust, und nur beklommen

Von meinen Lippen löste sich das Wort.

Was hatt' ich ihm zu sagen, der Poet,

Der Mann der Träume, diesem Genius

Der Tat? der Zeichendeuter, der die Schrift

In Menschenherzen zu entziffern sucht,

Ihm, der des Volkes Herz zu lenken wußte

Zu glorreich hohen Zielen? War's nicht auch,

Wenn sinnend er das Ohr der Rede neigte,

Als lausch er doch nur halben Anteils hin,

Da Geisterstimmen, ihm allein vernehmbar,

Ihm Zauberlieder sangen, wundersam

Wie ferner Schwertklang, freud'ger Glockenton,

An seiner Größe Siegeslaufbahn mahnend?

Wie? oder wünscht' er nur sich weit hinweg

Aus allem Festlärm in sein Waldasyl,

Zwiesprach zu halten mit dem eignen Herzen

Und nachzusinnen seines Volks Geschick?

Nur halb der Unsre schien er, halb gehört' er

Sich selber an, in strenger Einsamkeit.

Und so, wie mir, erging's den andern auch,

Die ihn umringten, ja der Hausherr selbst,

Dem alle Geister muntrer Rede sonst

Gehorchen, heute war er seltsam still.

Weißt du, was plötzlich in den Sinn mir kam?

Das Märlein von Admet, dem Thrakerkönig,[531]

In dessen schimmernder Hofburg Herkules

Zuweilen vorsprach, als verehrter Hausfreund

In Zwischenakten seiner Ruhmestaten

Sich menschlicher Gesellschaft zu erfreun.

Damals, wenn des Gewaltigen Schritt erklang

Drauß vor der Halle, wohl erbebte da

Den andern Gästen insgeheim das Herz.

Denn nicht geheuer schien den Sterblichen

Des Halbgotts Nähe. Trat er dann herein,

Mit güt'gem Nicken erst des Hauses Herrin,

Die liebliche Alceste, dann die andern

Begrüßend, atmete die Tafelrunde

Ein wenig auf, weil sie ihn furchtbarer

Gedacht, der nun so höflich sich betrug,

Und fühlte sich geehrt und endlich gar

Ermutigt zu bescheidnem Scherzeswort,

Wozu er menschenfreundlich lächeln mocht',

Indes er übermenschlich aß und trank.

Doch ganz vertraulich trat ihm keiner nah.

Die Keule, die Nemeas Löwen schlug,

Jetzt als ein Wanderstab im Winkel lehnend,

Streiften verlegne Blicke nur. Das Fell

Des Ungeheuers, das die nackten Schultern

Des Siegers als ein Reisekleid umhing,

Wer hätte dran zu zupfen sich getraut,

Als etwa des Admet unmündig Kind?

Alceste nur, der Hausfraunpflicht gedenk,

Trat lächelnd näher, dem durchlaucht'gen Gast

Den bauchigen Krug mit kühlem Bier zu füllen,

Indes sein Leibarzt ihm die frische Pfeife

Darbot – doch halt! Wohin verirr ich mich?

Wir sind in Thracien nicht, in Bayerns Hauptstadt,

In Lenbachs Haus, und unser Heros, hat

Er Taten auch vollbracht herkulischer Art,

Die Hyderköpfe deutscher Stammeszwietracht

Ausbrennend, manchen Diplomatenstall

Ausmistend und im fernen Westen uns

Des Friedens Hesperidenäpfel pflückend,

Nicht eine Keule führt er, nur den langen

Berühmten Stift, und seine Glieder hüllt[532]

Kein Löwenfell, ein Gehrock züchtig ein,

Auch nach der Göttertafel im Olymp,

Wo jenem von der lilienarmigen Hebe

Nektar kredenzt ward, wandelte den Unsern

Wohl schwerlich die geringste Sehnsucht an,

Da seines Gastfreunds blonde junge Hausfrau

Mit echtem Hofbräu ihm den Humpen füllte,

Bis warnend dann sein Arzt den Finger hob:

Durchlaucht, 's ist Schlafenszeit. – Alsbald gehorsam

Erhob er sich, mit freundlicher Gebärde

Uns gute Nacht zuwinkend. Und wir blieben

Noch still beisammen, in Gedanken, daß

Wir eine Stunde lebten, die man noch

Uns neiden wird in fernster Enkelzeit.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 529-533.
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