Der eilfte Auftritt.

[57] Die Vorigen. Der Magister.


ORBIL. Wie so spät, wie so spät, lieber Herr Magister? Ihr Herr Vetter der Herr Simon, hat mir so vorzügliche Gesinnungen von Ihnen beygebracht, daß ichs mir zur Ehre rechne mit Ihnen genauer bekannt zu werden.

DER MAGISTER. Es ist mir gleichfalls ein wahres Vergnügen mit Ihrem Hause in neheren Verbindungen zu stehen. De tanto honore mihi gratulator würde sich hier der Lateiner nicht unschicklich ausdrücken.

LISETTE vor sich. Das ist ohne Zweifel wieder etwas aus dem Programma. – Ich vergehe –

ORBIL. Ihr Herr Vetter hat Ihnen ohnfehlbar gesagt – –

DER MAGISTER. Daß Sie eine liebenswürdige Tochter hätten und sapienti sat. Sie verstehen mich doch?[57]

ORBIL. Nicht so ganz vollkommen Herr Magister! Vor sich. Er geht mir gar zu geschwinde; ich muß ihn erst beßer kennen lernen. Zu ihm. Mit meinem Latein ist es eben nicht so recht bestellt. Gottlob daß ichs nicht nöthig habe. Ich lebe von meinen Renten, und liebe die Ordnung.

DER MAGISTER. Ordo est mater studiorum. Die Ordnung ist die Mutter des Studirens und da ohne die lateinische Sprache, die wir Gelehrten –

ORBIL. Ja, ja Herr Magister! das kann alles seyn! Allein wie ich Ihnen sage, im Latein habe ichs eben nicht weit gebracht. Auf Universitäten bin ich nie gewesen, weil es damals sehr unordentlich auf denselben hergieng, und aus der Schule habe ich auch nichts mehr behalten, als – – Schreit als ein Schulknabe. audita est hora septima – octava – – nona – Wie schön das noch in meinen Ohren klingt, das kann ich Ihnen nicht sagen.

DER MAGISTER. Sie haben recht. Es läßt sich schon hören, und es wundert mich, daß unsere Nachtwächter nicht höheres Orts befehligt werden, auf eine nämliche Weise die Stunden anzuzeigen, wenigstens in den Straßen, wo Gelehrte wohnen.

ORBIL. O laßen Sie mir die Nachtwächter zufrieden. Das sind meine Leute. Der ehrliche Mann in meiner Straße – Er sollte Erzpriester seyn wenn es auf mich ankäme. Eine Stimme wie eine Sturm-Glocke, und so genau! – immer beym ersten Schlage, beim ersten Schlage –

DER MAGISTER. Das ist schon alles gut, lieber Herr Orbil, aber die deutsche Reimlein, die solche Leute – –[58]

ORBIL. Ach! hie kommt es ja nicht auf die Worte, sondern auf die Ordnung und auf die Stimme an. Ich versichere Sie, daß der in unserer Straße – Er sieht nach der Uhr. Es ist über ein Viertel! Wie geschwinde die Zeit verläuft – aber um auf unsere Hauptmaterie zu kommen: so habe ich so wohl aus Ihrem gelehrten Gespräch –

LISETTE vor sich. Vom Nachtwächter.

ORBIL. Als auch aus dem Programma, so mir Herr Simon von Ihnen eingehändiget hat – Er sucht es, indem sagt.

LISETTE vor sich. Wenn es auch von derselben Materie handelt: so muß es eben nicht schwer seyn Magister zu werden.

ORBIL. Zur Gnüge ersehen, wie rühmlich Ihre Art zu leben ist – – – Doch um desto mehr möchte ich gerne die Ursache wissen, warum Sie heute Vormittage – –

DER MAGISTER. Sie bringen mich auf eine Sache, weswegen ich mich eben jetzt mit meinem Vetter, dem Simon, eine halbe Stunde gezankt habe, und es fehlte nicht viel, daß es nicht a verbis ad verbera gekommen wäre.

ORBIL. Nun?

DER MAGISTER vor sich. Der Mann scheinet gar nicht so wunderlich zu seyn, wie mein Vetter ihn beschreibt – Man kann frei mit ihm reden. Zu ihm. Die Wahrheit zu sagen, Herr Orbil, mein Vetter ist ein Kaufmann und solche Leute glauben, daß es mit gelehrten Werken eben so, wie mit Handlungsbriefen zugehe, die man schreiben muß, weil es[59] Posttag ist. Eine Dissertation ist doch zum Henker kein Wechsel! Ich finde Sie billig, Herr Orbil, und gar nicht so, wie Sie mir mein Vetter aufgedrungen hat – – Ich will Ihnen alles sagen – – Ich schreibe eine Dissertationem durch die ich mir wohl Professionem extraordinariam zu weg bringen möchte. Je nun! bey solchen Arbeiten kann man nicht die Stunde halten! Non quauis hora fit Mercurius könnte man hier nicht unfüglich sagen. Man muß abwarten, bis man zu dergleichen Sachen aufgelegt ist – Bei meinem specimine pro gradu bin ich so oft mitten in der Nacht aufgesprungen, wenn mir ein guter Einfall ankam –

LISETTE vor sich. Vortreflich! Sie bekommen einen Korb Herr Magister! würde sich hier der Deutsche nicht unschicklich ausdrücken.

ORBIL vor sich. Was hör ich! Simon ist ein Betrüger. Ich will den Magister ausholen – Zu ihm. Belieben Sie nur fortzufahren, wenn Sie so gütig seyn wollen. Ihre Aufrichtigkeit –

DER MAGISTER. Und nur vor einigen Tagen sagte ich zu meinen auditoribus mitten in der Stunde: Commilitiones generosi atque nobilissimi! mir ist übel! und schafte mir dadurch Gelegenheit, die guten Gedanken zu Papier zu bringen, die mir während dem Lesen eingefallen waren. Bei uns Gelehrten ist es am besten, wenn man schwarz auf weiß hat. Memoria est labilis – Doch Sie scheinen beschäftigt zu seyn, lieber Herr Orbil – Man kann es Ihnen ansehen – Lassen Sie uns ad rem schreiten. Wenn ich erst meinen Endzweck erhalte: so kommt mein Vetter mit der Zeit auch wohl auf andere Gedanken –

ORBIL vor sich. Ich habe gnug gehört! Himmel, ist denn gar kein ordentlicher Mann in der Welt?


Quelle:
Gottlieb Theodor von Hippel: Der Mann nach der Uhr. Halle a.d.S. 1928, S. 57-60.
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