§. 15.


ein Schwindel

[65] den Emsigen, und zwar an heiliger Stätte, auf der Börse, unvorbereitet befiel, so daß seine Füße ihm Knall und Fall den Dienst[65] aufkündigten, und er nach Hause getragen werden mußte. Man sagt, die Nachricht von einem Bankerott in Amsterdam, die, leider! noch überdieß falsch war, habe dem Emsigen diesen Streich versetzt oder gespielt. Es war eben Freitag, als dieser Sterbefall sich ereignete, und die Cousine hatte sich ungewöhnlich, nach förmlicher Einladung, zum Mittagsmahl eingefunden. Sowohl der Nachbar, welcher der Hauptleichenträger war, als das heißhungrige Fräulein bewiesen bei dieser Gelegenheit augenscheinlich, wie sehr Dienstpflicht und Erkenntlichkeit von Freundschaft und Liebe unterschieden sind. Gottlob! daß sie es sind! Was wäre auch sonst in dieser Zwangs- und Dienstwelt anzufangen? Zwar ist man des officiellen Dafürhaltens, daß Liebe und Freundschaft ein paradiesisches, arkadisches, goldenzeitliches Produkt, ein übertriebenes Etwas wären; was nennen aber diese Kaltherzigen Uebertreibung?

Liebe und Freundschaft lassen die Landstraße bei Seite, und schlagen den Richtsteig ein; sie wandeln die enge Straße, die wenige finden und die von wenigen gesucht wird. Dienstpflicht thut, was vorgeschrieben war, ist genau auf Wort und Werk, behutsam auf Punktum und Komma, Kolon und Semikolon; beobachtet eine kalte Vorsicht, einen gewissen Anstand, so daß alles, was hier vorfällt, zur Noth auf Stempelpapier sein säuberlich verzeichnet werden könnte. Dienstpflicht schreibt kanzleimäßig; Theilnehmung hat zu viel zu thun, um auf Buchstaben Zeit zu verwenden. – Nicht Gelehrte, sondern Freunde, schreiben schlecht. Beim Verlust des Freundes will der Freund nachsterben; – was soll ihm das Leben, da seine Hälfte nicht mehr ist? Nichts als dieser Verlust interessirt ihn, und es ist eine schrecklich schöne Lage der Freundschaft, nach jenem Verluste nichts mehr zu verlieren zu haben! Wenn gleich die Zeit, welche die besten Feueranstalten besitzt, den Brand der Leiden des Freundes zuweilen zu löschen scheint, so bricht doch alles sehr leicht wieder in neue Flammen[66] aus, und ein Wort, ein Laut, kann sie aufregen. – In dem Hause des Emsigen war alles kalt wie der Tod! Der Emsige schlug die Augen auf und sah Cousinen, die vorschriftsmäßig ein paar Thränen aus dem Schatzkästlein ihres guten Herzens hervorzog und zum Besten gab. Dieß nöthigte den Sterbenden, in der Ordnungen zu bleiben, und sie dem Nachbar in bester Form Rechtens für die Sonn- und Festtage abzutreten und sogleich zu übergeben. Dieser hatte die Eiskälte, während daß der Emsige starb, mit Cousinen zu capituliren und zum ersten Eingange der Capitulation den Umstand weislich zu überlegen, daß er noch unverheirathet sey. Sie blieb die Antwort nicht schuldig, daß ihre beiderseitige Tugend über denVerdacht erhaben wäre; mit Fleiß vermied sie ihr graues Haupt, das sie stadtkundig mit Ehren trug. Nach diesem ins Reine gebrachten Hauptzweifel wurden noch andere Nebenpunkte in Erwägung gezogen, weil es doch hier weiter nichts zu thun gab, als die Kleinigkeit – daß der Emsige starb. Der Nachbar hatte nämlich wegen eines schrecklichen-Bankrotts, woraus der liebe Gott, wie er sagte, ihn wie Lot aus dem Feuer gezogen, dem Herrn schon vor sechs Jahren ein Gelübde gethan, alle Sonn- und Festtage zu fasten; er tauschte also mit Tagen, welches Cousine, wenn sie gleich an Tagen verlor, doch um so lieber einging, da sie Sonntags einer alten Verwandtin leicht fiel, deren Willen sie in gewisser Art unter dem Schlüssel hielt, und die sie mit Rath speisete, wenn jene ihr That auftischen ließ. – Und so starb denn unser Emsigen, verlassen von allem, was Liebe und Freundschaft vermag, während des Freitischhandels, und nahm noch den völlig abgeschlossenen und berichtigten Gedanken mit, daß die Cousine nicht alle Sonn- und Festtage, sondern Freitags, excipe den Charfreitag, und wenn Weihnachten auf den Freitag fiele, als auf welche Tage sich das Gelübde des Nachbars mit erstreckte, bei dem Nachbar essen würde. Ein Feind selbst würde dem Emsigen mehr[67] Liebe erwiesen, sein Blut wenigstens in sanfte Bewegung gewacht, und seiner Krankheit vielleicht etwa hierdurch eine glücklichere Wendung gegeben haben. Unsere Lebendigtodten nicht also. Zur Steuer der Wahrheit muß ich bemerken, daß es in Absicht des Leibes an innerlichen und äußerlichen Aerzten nicht fehlte; nach dem Seelenarzte ward ein Bote geschickt, der indeß zur Uebereilung keinen innern Beruf fühlte. Der Nachbar, und nicht der Emsige, fiel auf diese geistliche Arznei. Da aber der Seelenarzt nach einer Traurede bei dem Hochzeitsmahle beschäftigt war und zu der Natur des Emsigen das gute Vertrauen unterhielt, daß er dem Tode doch wenigstens so lange Widerstand leisten würde, bis der wohlehrwürdige Magen die erste Verdauung vollendet hätte, so nahm es der Chirurgus über sich, dem Gewissensrathe Gang und Mühe zu sparen und sich wenigstens des Magens eines Mannes anzunehmen, der dießmal seines Beutels so wenig eingedenk schien. Ob die Nachricht des dienstfertigen Chirurgus die Eß-und Trinkfreude des Gewissensrathes unterbrochen, oder dieser aus Ueberzeugung von der freiherrlichen Freigebigkeit sich in den erlitteten Verlust gefunden habe, lass' ich an seinen Ort gestellt. Der


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 65-68.
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