§. 16.


Nachruhm,

[68] den man den Credit nach dem Tode nennen könnte, hatte den Emsigen nicht sonderlich interessirt; vielmehr war sein Dichten und Trachten dahin gegangen, seinen Credit bei seinem Leben, wie er selbst sich ausdrückte, gleich einem rohen Ei zu schonen. Er hatte seinen Lohn im Leben dahin, und hieß nach, wie vor dem Tode, der Emsige. Die Stadt behauptete, der Wohlselige sey am Johanniter-Kreuz und Leiden, und zwar wohlverdient, gestorben obgleich der vermeintliche Bankerott in Amsterdam die einzige Ursache seines plötzlichen Hintrittes war. Hätte man gewußt, daß,[68] als der Emsige seine Tochter besuchte, die schöne Natur auf den Rosenthalschen Gütern, wozu seine Tochter einen so reizenden Beitrag darstellte, dem Emsigen so wenig mißfiel, daß ihm vielmehr die Landluft bei einem Haar einen lebendigen Odem in seine Nase geblasen hätte! – Doch konnte ein solcher Baum nicht auf den ersten Schlag fallen. Es ging ihm wie dem Felix, der auf gelegenere Zeit zur Landluft wartete; und noch blieb unser in Stadtsünden todtester Todter ohne Auferstehungsregung. – Die Eilbotschaft von seinem natürlichen Tode bewirkte bei dem Vater unseres neugeborenen Helden einen Geruch des Lebens zum Leben. Seine Johainniter-Grillen zerstreueten sich wie Spreu vor dem Winde; nicht, als ob er über diesen Hintritt fröhlich gewesen wäre – wahrlich nicht! – sondern weil er jetzt mehr nach eigener Melodie leben zu können glaubte. In diesem Verhältnisse hat das Geld einen entschiedenen Trost. In der That, der Ritter nahm den Hintritt des Emsigen nicht wenig zu Herzen. Er kannte seine Sophie und wußte, wie heilig ihr die Kindespflicht war; dieß vermehrte seinen Schmerz. Dieser Schmerz erhielt indeß eine andere Wendung, und eine Seelenkrankheit, die den Leib außerordentlich angreift, ist nicht besser als durch einen Ableiter zu heilen, welches unsere Herren Aerzte nur zu oft vernachlässigen. Mit der innigsten Verlegenheit ging er zu seinem lieben Weibe. »Du kommst ja heute wie die aufgehende Sonne?« – Und doch bring' ich Regen, erwiederte der Baron. Wie lange ist es, daß Deine Mutter starb? fuhr er fort; – und sie: »Der Vater ist todt!« Er neigte künstlich sein Haupt. Sie blieb natürlich, faltete die Hände, und freute sich, daß er in Segen und nicht in Fluch zum letztenmal ihr Angesicht gesehen hatte. Die höfliche Antwort, welche der Emsige auf die Anmeldung der Tochter, daß sie die Mutter eines Sohnes sey, auf dem Comtoir durch den ältesten Buchhalter schreiben lassen, und zwar mit Buchstaben, die Hilmar-Curas nicht[69] schöner würde gemacht haben, hatte, außer den herrlichen Buchstaben, im eigenhändigen Postscript auch ein paar väterliche Stellen, und die Beilage eines Wechsels à 5000 Rthlr., schreibe fünftausend Reichsthaler, mitgebracht. Ueberhaupt war dieß Postscript (bis auf den Umstand, daß der Alte rieth, das Kino nicht nach der Art der Mennoniten so lange liegen zu lassen, bis es Taufe und Communion auf einmal erhalten könnte, und bis auf das Fraktur-Marginale: »Eine Tochter wäre mir lieber gewesen!«) väterlich und in Rücksicht des Emsigen zärtlich. – Die Thränen, welche die Tochter fallen ließ, konnten keine bessere Stelle finden, als ihren lieben Sohn, den sie bethauten, und zwar so warm, daß der Kleine keinen Mißlaut vorbrachte. Sie ließ den letzten väterlichen Brief mit Hilmar-Curasschen Lettern holen, und drückte ihn an ihr Herz. Der Baron umarmte Mutter und Sohn zärtlich, um in das Trauerhaus zu eilen. Den Brief entriß er mit einiger Gewalt den zärtlichen Händen einer edlen Tochter, – »Zieh in Frieden,« sagte die Baronin, »und sey des väterlichen Postscripts eingedenk!« So ging alles seinen Weg zärtlich und guter Dinge. Selten sterben Kaufleute, die an Brief und Siegel gewöhnt sind, ohne Testament; indessen mochte unser Emsiger, aus bloßem Abscheu gegen die Justizgebühren, keinen zierlichen letzten Willen gemacht haben. Bloß auf einen unzierlichen Zettel hatte er einige Stiftungen angeordnet, wodurch er sich mit dem lieben Gott in Rücksicht so mancher Handlungsgewissensstiche in aller Stille abfinden wollte. »Läßt der Baron sie nicht gelten,« soll er, wie der siebenmal sieben reiche Punktirer versicherte, gesagt haben, »nun, so weiß doch der liebe Gott, daß es nicht an mir gelegen hat.« Der Baron erfüllte jede Stelle dieses unzierlichen Zettels, deren keine von der Hilmar-Curas-Hand des ältesten Buchhalters, vielmehr sehr unleserlich geschrieben war, als wenn der Tod dem Emsigen auf die Hand gesehen hätte. Ueber eine Null bei einem dergleichen[70] Legat, waltete ein nicht geringer Zweifel ob; denn da alle Nullen, wenn sie hinter einer Eins sind, so wie alle Taugenichtse, wenn sie einem regierenden Herrn nachtreten, von einer nicht geringen Bedeutung sind, so war auch hier die Frage zwischen Tausend und Zehntausend. Der Baron setzte es nicht einmal auf das Gutachten des Rechtsfreundes aus, den er den siebenhärigen nannte, sondern nahm geradezu und gutwillig zehntausend an, und fand bei all diesen Vermächtnissen so wenig Anstand, daß der Nachbar selbst sich nicht in die Großmuth des Barons finden konnte, und nicht nur von ihm, sondern von allen Baronen in der Christenheit, wider Willen eine andere Meinung bekam: ob als Kaufmann, ist nicht ausgemacht – als Mensch gewiß; und vielleicht gab es alle Jahre im Durchschnitt zehn Stunden, in denen er noch nicht aufgehört hat, Mensch zu seyn! – Besonders auffallend war ihm der Umstand, daß der Baron, noch ehe er die Erbschaftsmasse mit einem arithmetischen Auge überblickte, sich schon erklärte, diese unzierlichen. Zettel erfüllen zu wollen. Die mit Nullen verstärkten Anordnungen des selig Verstorbenen fielen dem Baron bei weitem nicht so hart, wie


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 68-71.
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