17. Die Leichenpredigt

§. 17.


die Leichenpredigt,

[71] die der Emsige auf dem unzierlichsten aller unzierlichen Flicke verfügt hatte. Der Baron fühlte, daß ihm dieß eine Art von ranger seyn würde; indeß war ihm auf diese Anordnung, die er herzlich gern mit drei Nullen hinter der Eins mehr abgekauft hätte, heilig, so das er sich, rühmlichst entschloß, sie als die letzte Oelung, zu der er sich als Schwiegersohn bequemen mußte, zu ertragen, und dem Gewissensrathe nur beliebte Kürze empfahl, da er wohl wußte, daß mit dieser Leichenpredigt all sein Wechseljammer und Elend, welches er als Schwiegersohn erduldet, begraben seyn und nicht[71] mehr auferstehen würde. Der Baron fand es unerträglich, den Wohlseligen und sich so schrecklich lobpreisen zu hören; indeß war das Volk m Rücklicht der milden Stiftungen so sehr mit Schwiegervater und Schwiegersohn zufrieden, daß sich hier und da die Stimme hören ließ, der Vater sey wohlselig, der Schwiegersohn hochselig, obgleich dem Schwiegersöhne mit der Hochseligkeit sehr wenig gedient war, und er sie gewiß ganz gern so weit als möglich von sich entfernt wünschte. Da wir einmal einer Leiche zu ihrer Ruhestätte folgen und an einer Leichenpredigt gar kläglich laboriren, so ergreife ich diese Gelegenheit, das Fräulein Cousine mit ihrem ehrenvollen grauen Haar zu ihrer Ruhe zu bringen. Meine Leser und Leserinnen werden mir die Gerechtigkeit gewiß nicht versagen, daß ich beiläufige Personen in diesen Kreuz- und Querzügen nicht lange quälen lasse; und warum sollt' ich auch? Zwar würde mir diese rollenfüchtige Schauspielerin keinen Dank dafür wissen, daß ich ihr in dieser Geschichte bloß eine Soubrettenrolle zugetheilt habe, und sie nur so auf- und abtreten lasse; indeß bin ich hier der Wahrheit und Natur zu viel schuldig, als daß ich die Rollen parteiisch verteilen sollte. – Fräulein Cousine hielt sich während der Leichenpredigt in einem vergitterten Stande auf, wo sie, sich selbst überlassen, nicht anders scheinen durfte, als sie wirklich war. Die Erinnerung, daß der Sonn- und Feiertagstisch begraben wurde, brachte eine Thräne in Bewegung; allein die Erinnerung, daß dieser Tisch ihr Freitags (exclusive des Charfreitags und wenn Weihnachten auf einen Freitag fielen) beim Nachbar gedeckt sey, ließ diese Thräne nicht zum Fluß kommen. Ein Schwert hielt das andere in der Scheibe; und das gute Fräulein würde die ganze Zeit über in dem vergitterten Stande zwischen Thür und Angel geblieben seyn, wenn ihr nicht ihr Liebhaber Unseliger eingefallen wäre, der vor 45 Jahren die Gottesvergessenheit gehabt hätte, sie böslich zu verlassen. Das, was sie vor aller Welt zu[72] verbergen gewußt, konnte sie in diesem Gegitter Gott und ihrem Gewissen nicht vorenthalten, und in der That, es war gut, daß sie wieder einmal Gelegenheit fand, an einen Jugendfall zu denken, der ihr dießmal schwerer als sonst fiel. Sie entschloß sich vor Gott, zu thun was sie noch konnte; und dieß war? Ein Testament zu machen, welches ich sogleich entsiegeln und publiciren werde. Der Freitags-Freiwirth heirathete ein schönes und, wohl zu bemerken, reiches Mädchen, die eheleibliche Tochter des Johann Peter Hankel, Vater, Sohn et Compagnie. Weder Vater noch Compagnie hatten zur Existenz der Braut einen Beitrag geliefert; vielmehr war bloß und allein der in der Firma genannte Sohn Vater der Braut. Entweder hatte die Cousine bei dieser Ehegelegenheit sich die Sache zu sehr angelegen seyn lassen, oder ihr Magen war mehr überladen worden, als er tragen konnte; – kurz und gut, Fräulein Cousine starb, und, wie man nach ihrem Tode ganz ohne alle Zurückhaltung sagen konnte, im 60sten Jahre ihres grauen Alters, oder ihrer blühenden Jugend: wie man will; beides war in der Wahrheit gegründet. Ihren Nachlaß hatte sie, dem im vergitterten, Stande genommenen Entschlusse gemäß, einem Menschen zugewendet, der auf einem kleinen Freigute saß 45 Jahr alt war und, wie man sagte, viele Aehnlichkeit von Fräulein Cousine hatte. Er hieß wie das Dorf, und war, nach der Behauptung aller seiner Vorzeitgenossen, ein Findling. Dieser Umstand konnte indeß, wie natürlich, der Cousine keinen Abbruch an ihrer fräulichen Ehre thun; vielmehr hatte der Rechtsfreund quaestionis die Sache so in die Sieben geleitet, daß Cousine, welche wo wohlbedächtig alles was Leichencerimoniell ist und heißt, per expressum verbeten hatte, dennoch bei der Danksagung vom Gewissensrath als Fräulein proclamirt, und so in die selige Ewigkeit als eine unbefleckte, reine Braut eingeführt wurde. – Der Nachbar war glücklich, indem er das Legat gewann. Warum[73] Cousine nicht auf den Rosenthal'schen Rittergut ihr Leben beschlossen? Eine neugierige Frage! Die Wohnung des 45jährigen war den Rosenthal'schen Gütern in der Nähe.


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 71-74.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 1
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 2