§. 23.


Kleck,

[101] und war hinreichend befriedigt, daß man ihren Vornamen gewürdigt hatte, ihn ohne Kleck in den Stammbaum auf- und anzunehmen. Der jüngste Assessor, dem die Cousine je länger, je mehr gefiel, und der sein häßliches, wiewohl sechzehn Ahnen reiches Weib den Augenblick mit ihr vertauscht hätte, ohne einen Dreier als Zugabe zu begehren, trat zu der armen Sünderin, als ob er sie mit Trost zum Richtplatz und Staupenschlage begleiten wollte. Sie dankte ihm anständig für seine Bemühung, zeigte, daß sie keines Zuspruchs bedürfe und starb wie eine Märtyrin den Tod des Kleckes, ohne einen Seufzer fallen zu lassen, was denn allen wohlgefiel. Das Urtheil ward sogleich zur Vollstreckung gebracht, und da dem Senior, welcher Ehren halber diese Hinrichtung zur Pflicht hatte und vigore officii die Namenseintragung besorgte, die Hand zitterte, so ward auch der letzte Buchstabe im Namen Sophie mit Tinte ersäuft und mit dem Zunamen zugleich vertilgt, so daß nur Soph und der Punkt auf dem i zu sehen blieb. Man schüttelte, ohne auf den ersten Edelmann Adam, der auch nur einfach benamt war, Rücksicht zu nehmen, die weinleeren Köpfe, daß die Frau Baronin nur einen Vornamen hatte, und um so mehr bat[101] der Senior sie um Verzeihung, daß er an dem unschuldigen i und e bis auf den Punkt sich widerrechtlich vergriffen, da sie so wenig an Namen zu verlieren hätte. Während der ganzen Verhandlung mußte die Baronin stehen; selbst ihrem Gemahl ward zur Kirchenbuße erst in der Folge, und zwar nur ein Tabouret gesetzt. Man gab sich das Wort, von allem, was vorgefallen war, keine Sylbe zu verlautbaren, obgleich dieses Gelübde der Verschwiegenheit schon an sich zu den Familienstatuten gehörte; indeß schien zu diesem allem die Gegenrede der Baronin, die man Einspruch nannte, nicht gerechnet zu seyn, wobei es ihr übrigens nicht viel besser ging, als jenem Alchymisten, der es auf Gold anlegte und Porzellan zur Welt brachte. – Auch gut! Ist Porzellan zu verachten? – Sie hatte sich, wie wir gesehen haben, schon lange zuvor gegen etwaige Vorwürfe ihrer Geburt in Vertheidigungsstand gesetzt. Schade! denn gewiß hätten wir sonst ein weniger gelehrtes, allein ein ihrem Verstande und Herzen angemesseneres Glück erhalten. Jetzt machte man, so wie es hingegangen war, seinen Rückweg. Nach dem Senior gingen unser Ritter und sein braves Weib, die ihr A B C trug. In pleno, wo die weibliche Gesellschaft, welche bis jetzt in der Gemeinde geschwiegen hatte, zutrat, ward ein Archengang verabredet, der nach Tische gehalten werden sollte; denn dieß Drama, bei dem die Baronin ihr A B C und ihr Gemahl die weinerlichen Rollen gemacht, beschloß ein herrlicher Schmaus cum applausu aller, die am rothen Tische gesessen hatten, und derer, die draußen geblieben waren. Die in effigie bemakelte Baronin war nun wieder ganz die allerliebste, schönste, beste Cousine, und der Senior hätte um vieles den Tintenfleck von dem e und i sondern mögen, wobei er sich doch herzlich freute, daß wenigstens der Punkt zum i unversehrt geblieben war. Man aß und trank fröhlich und guter Dinge. Nach aufgehobener Tafel ging man paarweise nach der Bundeslade und hüpfte mit einer solchen[102] Wohlanständigkeit um sie herum, daß sich viele der Damen bei diesem Tanz aus Rührung der Thränen nicht enthalten konnten. In der Familie hieß er der Todtentanz. – Der Bundeslade ward ein Prunkzimmer eingeräumt, wo sich alle drei Stunden sieben Mann zur Wache ablösten, die vom Senior Parole und Feldgeschrei erhielten; – denn diese Bundeslade konnte nur zu ihrer Zeit wieder, so wie sie hergekommen war, nach Hause gebracht werden. Der Senior mußte sie geleiten! Die Gesellschaft blieb sieben Tage (nach der Zahl des Seniors und seiner Assessoren, wobei Senior für zwei gerechnet ward) einmüthig bei einander. Man hatte den Pfarrer loci am letzten Tage zur Familientafel gezogen, oder ihr einverleibt; und da vieles von dem Vorgegangenen, insoweit es ins Auge fiel und zum Aeußerlichen des Familienfestes gehörte, zu seiner Wissenschaft gediehen war, so konnte er nicht Worte genug finden, die Feierlichkeit zu lobpreisen. Sein unvorgreifliches Gesuch, die Arche unbedeckt zu sehen, ward ihm indeß abgeschlagen – Die wachehabenden Bauern dienten übrigens zu Fuß und ohne Schimmel; doch waren sie mit Unter- und Obergewehr knappenmäßig versehen, welches den Schulmeister am meisten verdroß, der gerne bis zum Allerheiligsten der Bundeslade hohepriesterlich vorgedrungen wäre, jetzt aber aus verbissenem Aerger gegen den Gevatter Nachtwächter behauptete: dieses Unwesen würde mit einer sonnenklaren Finsterniß verdeckt, damit ihm von christfrommen Herzen desto weniger gesteuert werden könnte. Er gab unverschämt vor, die Nuß dieser Handlung mit den Backzähnen aufgebissen zu haben und den Kern zu besitzen. Und dieser Kern war? – Die Baronin hätte eine Feuerprobe ihrer Jungferschaft aushalten müssen. – Rosenfest nach der Hochzeit, versetzte der Nachtwächter. O, des Unbeschnittenen, schrie der Schulmeister, an Herzen und Ohren! Aus der Mutterschaft wird der sicherste Beweis der Jungferschaft geführt. Das nennt man a posteriori;[103] – der Beweis a priori, Gevatter, ist und bleibt eine kitzliche Sache.

Die Damen machten Schwesterschaft, ohne sich zu dutzen. Die Fünfzigtausend Reichsthaler-Schwester, die unter vielen andern Häßlichkeiten schwarze Zähne hatte, wie sie so leicht kein Holländer vom heißen Thee gehabt haben mag, konnte nicht umhin, sich einige Anspielungen auf die Gegenrede oder den Einspruch herauszunehmen. Gern wollte die Ritterin reinen Mund halten; konnte sie aber die Frau Schwester wohl vermögen, daß auch sie die Hand auf den Mund legte? Scharfsinnig wich die Ritterin aus, und brachte unter andern das Kapitel von der Verschwiegenheit mit der Behauptung vor: unser Geschlecht wäre weniger zum Schweigen aufgelegt, als das weibliche. Vielleicht, fuhr sie fort, substituirte man in dieser Rücksicht dem Worte Mann das beschriene Wörtlein Mund: Vormund, statt Vormann. Allein die Frau Schwester wollte nun einmal ihr Müthlein kühlen. Selbst nicht das herrliche Mahl war im Stande, sie zu bändigen, ob es gleich davon nicht heißen konnte, so viel Mund, so viel Pfund; sondern: so viel Mund, so viel Centner. Und am Ende – was wird es seyn, das die Frau Schwester auf dem Herzen hat? Auf dem Herzen, wahrlich nichts mehr und nichts weniger, als die fünfzigtausend Reichsthaler ohne Zinsen. – Noch wich die Mutter unseres Helden ritterlich aus. Gibt es indeß nicht Gedanken und Worte, die man nicht verschmerzen kann? Diese pflegen gemeiniglich mit einer körperlichen Bewegung verbunden zu seyn; sie erregen eine Art von Seelenstoß; sie klopfen nicht bei uns an, sie schlagen eine Thüre ein – und wir mögen wollen oder nicht, wir müssen erwiedern.


»Der Papst, liebe Schwester, bedarf keiner Ahnen.«


Hat aber keine Kinder –[104]

»Und wie viele gekrönte Häupter waren aus der Volksklasse!« –

An gekrönte Häupter sollte eine ehrbare Frau schon Schande halber nicht denken.

»Es wird mir doch erlaubt seyn, des Königs David, des Mannes nach dem Herzen Gottes, zu erwähnen?«

Der liebe Gott kann Ahnen beilegen, so viel er will; das läßt man sich nach der himmlischen Heraldik ganz gern gefallen. Nach der irdischen konnte König David so wenig wie sein Herr Sohn Salomo, Johanniter-Ritter werden –

»Wenn Salomo nur den Namen des Weisesten behält, und Könige und Fürsten sich glücklich dünken, daß sie nach ihm Salomone heißen!« –

Es ist Zeit, daß ich an das


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 101-105.
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