§. 22.


Stammbaum.

[90] verzeichnet werden. Schon §. 3 ist dieses Stammbaums rühmlichst erwähnt worden. Von jeher hielt es die Familie so, daß die neuen Sprossen in dem Wohnsitze des Senioris familiae intabulirt wurden. Dieß schien gegenwärtig bei einer wirklichen Firmelung um so nothwendiger; indeß ward mit unserm Ritter eine preiswürdige Ausnahme gemacht. Und warum? Senior familiae war, die Wahrheit zu sagen, ein armer Schlucker, bei dem die Fingerlein nie Wohnung zu machen für gut gefunden, und der auch keine Gelegenheit gehabt hatte irgend einen Emsigen zu beerben, so daß der Kasten Noä zwar seinem Hause, das Haus aber dem Kasten keinen Glanz beilegte. Er selbst sagte schmarotzerisch, daß die Bundeslade bei ihm weder im Salomonischen noch im zweiten Tempel stände. Auch erscholl das Gerücht von der fürstlichen Einrichtung unseres Ritters weit und breit, und alles war voll Lust und Liebe, ein Augen- und Magenzeuge dieser Pracht[90] zu seyn und lüstern zur Wallfahrt nach Rosenthal. – Unser Ritter, der sich durch diese seinetwegen gemachte Ausnahme von der Formularregel oder den Schmalkaldischen Artikeln, wie man sich zuweilen ausdrückte, nicht wenig beehrt fand, ermangelte nicht, dieß Anerbieten zu begünstigen – und zu den sieben Modifikations-Artikeln die Hände zu bieten. Einer dieser schmalkaldischen Artikel war, daß die Bundeslade unter Bedeckung von 24 Mann zu Schimmel von – nach Rosenthal geholt werden sollte. Sowohl Senior als die vier Assessores oder Kastenherren wurden alle auf Einen Tag nach Rosenthal beschieden, und es ist nicht zu läugnen, daß dieser Aufzug einzig in seiner Art genannt zu werden verdiente. Die 24 Kastenbegleiter waren nun freilich nichts mehr und nichts weniger als vierundzwanzig ehrliche Rosenthalsche Bauern; indeß hatte man sie aufgefordert, Feierkleider, das heißt schwarze Röcke anzulegen, welche den Schimmeln, so wie die Schimmel den schwarzen Röcken zu einem nicht kleinen Ansehen verhalfen. – Die herabgekrämpten Hüte kamen mit den fliegenden Haaren in einen ununterbrochenen Zank, so daß es schien, als wollten die Haare sich an den Hüten vergreifen. Den besten Abstich bewirkten die weißen Pferde, welche diese Bedeckung so feierlich machten, daß man, wie der Krittler Schulmeister selbst eingestehen mußte, in die Verlegenheit gerieth, vor diesem Leichen-Condukt den Hut abzuziehen; er hätte gewiß hinzugefügt: »und ein Vater Unser zu beten,« wenn er nicht der wohlgelahrte Schulmeister gewesen wäre. Der Baron ritt mit zwei Assessoren, die sich schon zeitiger eingestellt, dem Kasten entgegen; und da dieß Triumvirat den Stern gesehen hatte, kehrt' es heim hocherfreut und blieb beim Wagen des Senioris, der den Zug anführte. Als man sich der Kirche näherte, ließ unser Ritter, vermöge des Patronatsrechts, läuten. Der Prediger kam, weil er wohl wußte, daß es sein Schade nicht seyn würde, auf dieß Signum exclamandi sogleich und beim ersten Glockenanschlage[91] in vollständigem Ornat zum Vorschein, und so blieb er auch, ohne zu weichen, bis vom Zuge kein Staubkorn mehr zu sehen war. In dieser Melodie ging es denn bis nach Rosenthal, wo ein herrliches Souper des Senioris und seiner vier Assessoren nebst ihren Frauen und Kindern wartete. Die gute Baronin hieß nicht anders als allerliebste, schönste, beste Cousine, englische Frau; und es gebrach an nichts, um diesem Familienfeste Würde beizulegen, die bei dem Vater unseres Helden gewiß zu Hause gehörte. Man gedachte bei dem Feste der in Gott ruhenden Vorväter, und es ward, nach der in dieser Familie wohlhergebrachten Sitte, auch deren Gesundheit und zwar so kräftig getrunken, daß bei allem Nachdruck, den man seinen Kräften gab, es doch zuletzt am ritterlichen Vermögen fehlte, den Wein ertragen zu können. Senior sagte: die Rosenthaler sind seit Menschengedenken von nichts anderem als vom Wein überwältigt worden.

Der folgende Tag war eigentlich dazu bestimmt, die Baronin und ihren Sohn zu legitimiren. Die Ceremonie war folgende. Die beiden jüngsten Assessoren erhoben sich zum Senior, um ihn zu befragen: wann die Festlichkeit ihren Anfang nehmen sollte? – So stand es in der Rolle; da aber Senior sich nicht bloß vom Wein, sondern auch vom Bett hatte überwältigen lassen, und wegen der gestrigen zu guten Aufnahme ganz aus seinem Concepte gedrückt war, so verpfuschte man den ersten Auftritt dieses weinerlichen Lustspiels völlig. Nur mit vieler Mühe konnten sie den Senior zu sich selbst und in seine Rolle bringen, der er übrigens weit mehr als sein Haus der Bundeslade gewachsen war. Die Damen hatten nicht Stimme und Sitz, und mußten sich begnügen, den Zug anzusehen. Bei Parlamentsversammlungen, sagte die Frau Seniorin, ist es den Damen erlaubt, den Streit und Widerstreit anzuhören. – »Weil er,« erwiederte einer der Assessoren, »mit Ew. Gnaden Erlaubniß, gemeiniglich bloß pro forma geführt wird. Der Staat[92] läßt sein Licht leuchten vor den Leuten, daß sie seine gute Werke hören und den König und die Freiheit lobpreisen.« – Die allerliebste, schönste, beste Cousine und englische Frau erschien jetzt den Damen nicht viel anders als eine arme Sünderin, die man auf dem Richtplatze begnadigen will. In der That die ganze Ceremonie war nicht viel mehr als eine Pardonsertheilung, ein Fahnenschwung und übrigens Paternosterwerk und Rosenkranzandacht.

Der erste Aufzug. Senior ging allein und die vier Assessoren folgten ihm paarweise in das Familienheiligthum. Das Collegium kann eine gute Stunde bei verschlossenen Thüren zugebracht haben. – Es war Probe.

Beim zweiten Akt wurden die Vorhänge aufgezogen. Ehe man aufzog, klingelte Senior dreimal, und ehe das eigentliche corpus delicti eintrat, ward unser Ritter allein vorgelassen, den der Senior anredete wie folgt:


Hochwürdiger Ritter,

Hochwohlwohlgeborner Freiherr,

Freundlich geliebter Herr Vetter!


Wir haben gesehen, was wir schon zum voraus von Ihrer angeerbten Weisheit erwarten konnten, daß Sie Ihr Herz mit keiner Gattin theilen würden, die nicht auch ein Herz in die Theilung zu bringen hätte. Ihre – Frau, kann ich sie statutengemäß noch nicht nennen; es sey mir erlaubt, sie Braut zu heißen: ist sie denn nicht die Braut dieses Tages? – Ihre Braut also hat alle Eigenschaften, welche man haben muß, um sich selbst und einen Cavalier glücklich zu machen. Sie hat Verstand, ohne daß sie Verse macht; sie hat Willen Gutes zu thun, ohne auf ihre Tugend stolz zu seyn und einen andern Herold für dieselbe zu brauchen als ihr Gewissen und dessen zwei äußerliche Stellvertreter: ein Paar große, lebendige, ungezwungene Augen. Die Leuchter zu diesem[93] Lichte, die Augenbrauen, sind Meisterstücke der Kunst – würd' ich sagen, wenn sie nicht geradeswegs aus der Hand der Natur gekommen wären. Doch fehlt ihr etwas, das kein Kaiser und König, das ihr Gott selbst nicht ersetzen kann: der leibliche Adel, der wie ein Kleid den Seelenadel erhebt und ziert. Wir können nicht, wenn wir auch wollten; und wir wollen auch nicht, weil wir nicht können. Schon der Gedanke und der Wunsch, von alten Sitten und altem Brauch abzuweichen, würde uns unwerth machen dieses heilige Feuer zu bewahren, welches so viele Jahre mit vestalischer Keuschheit bewacht worden. Nur was Recht und Gebrauch ist, und nichts, weder zur Rechten noch zur Linken, kann und soll und wird geschehen.

Der Ritter, welcher stehenden Fußes die Rede angehört hatte, bückte sich tief, ohne ein Wort zu erwiedern. Und nun ward aufs neue, wiewohl nur Einmal geklingelt. Senior nannte dießmal das Glöckchen: das Transsubstantiations-Glöckchen.

Die Baronin trat, in einem weißem Kleide, mit fliegenden schwarzen Haaren, die auf ihrem warmen, weißen und marmorfesten Busen mit einander liebkoseten, ins Gericht, wo an einem Tische mit einer pompvollen rothen Decke der Senior und die vier Assessoren auf Lehnstühlen saßen, der Ritter aber in einiger Entfernung stand. Das gute Weib machte eine tiefe vorschriftmäßige Verbeugung, die sie auch ohne Anweisung in puncto der rothen Decke gemacht haben würde. Man hat vor allem Respect was bedeckt ist; und rothe oder grüne Tischdecken sind darum noch ehrwürdiger, weil wir die weißen in der Regel alle Tage zweimal über unsern Eßtischen sehen. – Unsere arme Sünderin fühlte die Wirkung der rothen Decke in allen fünf Sinnen; da sie aber in einer Art von desorganisirtem (entsinntem) Zustande, aus reinem, klarem Herzensgrunde, und der Vorschrift gerade zuwider ihrem Manne die Hand reichte, die er, weil ihre Zeit noch nicht kommen[94] war, verbitten mußte, so gerieth das arme Weib in eine so andächtige Verlegenheit, daß der Senior selbst sie nicht ohne Sinnverdoppelung und Sensation ansehen konnte, und bei einem Haar blitzschnell aus der Rolle gefallen wäre. Noch zu rechter Zeit griff er in seine Patrontasche.

»Was bewog Sie,« fing er, nachdem er sich fest gemacht hatte, in einem starken Ton an, um sein Herz zu überkreischen, das ganz seinen Worten entgegen war – »Was bewog Sie, da Sie eine Null vor der Eins waren, eine hinter der Eins werden zu wollen? – Wissen Sie nicht, daß der Weg zur Ehre schmal und es nur wenigen Auserwählten beschieden ist, ihn zu finden? Verleiteten Sie nicht unsern Vetter zur verbotenen Frucht, wovon er und Ihre Nachkommen den Fluch tragen müssen? Reichthum und Schönheit waren die beiden Bäume, die er hätte meiden sollen; allein warum legten Sie ihm Ihre verbotenen Reize so nahe?«

Nachdem er dem guten Weibe ganz evident gezeigt hatte, daß ihr Vater nur ein Emsiger gewesen wäre, dessen Schätze, und hätte er deren auch noch weit mehr gehabt, keinen Fingerhut, ja keinen Tropfen freiherrliches Blut aufwiegen könnten, fügte er wohlmeinend hinzu, daß ein unadeliger Lazarus, wenn selbst Abraham noch in der andern Welt ihm erlaubte, seinen Flecken mit himmlischem Wasser wegzuwaschen, denselben so wenig, wie ein Leopard die seinigen, verlieren würde in Ewigkeit.

Die Ritterin, welche durch ihren Gemahl mit den sieben Sachen dieser Ceremonie zur Noth bekannt gemacht worden war, hatte sich vorgesetzt, sich alles gefallen zu lassen, was man nach Herkommen und Brauch beginnen würde. Sie war, wie man schon weiß, überhaupt keine Feindin von Feierlichkeiten, welches sie bei der Nothtaufe und bei der Stern- und Kreuzseherei bewies; und es gibt wenige Weiber, die Ceremonien widerstehen können, auch wenn sie nicht, wie hier, einen roth beschlagenen Tisch vor sich haben.[95] Selbst die Vorwürfe, als ob sie dem Ritter zuvorgekommen wäre und ihn zu dieser Mißheirath, wie Eva den Adam zum Apfelbisse, verleitet hätte, brachten sie nicht aus der Fassung, so beleidigend sie auch waren. Als indeß der Herr Senior sich nicht entbrach, die Asche des Emsigen zu beunruhigen, konnte die redliche Tochter nicht umhin, ihren Entschluß plötzlich zu ändern, und, wie es bei dergleichen Gelegenheit nicht auszubleiben pflegt, gerade noch einmal so viel zu sagen, als sie gesagt haben würde, wenn sie nicht zuvor den pythagoräischen Entschluß gefaßt gehabt hätte. – Meine Herren, fing sie trotz der rothen Decke an, ich bin weit entfernt, dem Geburtsadel zu nahe zu treten; vielmehr betracht' ich ihn als heilige Reliquien des Apollo, die zu sehen man nach Italien wallfahrtet. Indeß gehört doch immer der kleine Umstand dazu, daß man in die Kunst verliebt seyn und eine nicht kleine Imagination besitzen muß, wenn man dem Ahnen-Cicerone den Beifall geben soll, auf den seine redselige Zunge richtige Rechnung macht. Wenn man von 16 und 32 Ahnen, und von 16 und 32 Thaten die Rede ist, so weiß ich, was ich wähle. Schon muß man Grundsätze mit Thaten vermischen, wenn man vor jenen Achtung haben soll, sie mögen mit noch so hohen Farben im gemeinen Leben aufgetragen werden; und was hilft der Glaube an die Vorwelt, wenn er nicht durch Werke der Zeitgenossen lebendig wird? Daß das Johanniterkreuz meines Gemahls sehr viel zu meinem ehelichen Ja beigetragen hat, läugne ich nicht; wenn aber der Orden mehr auf brave Männer, als auf die Ahnenreihe Rücksicht zu nehmen geruhete – würde er nicht mehr ausrichten, als jetzt? – Ich will niemanden unter Ihnen, am wenigsten meinem lieben Gemahl, Vorwürfe machen; aber Sie werden mir zugestehen, daß selten ein adeliges Geschlecht sein Alterthum vor das eilfte und zwölfte Jahrhundert hinauszuführen im Stande seyn wird, und daß die Genealogienkünstler es nicht viel besser machen, als die Maler, die, wenn sie die Sündfluth[96] malen, alle die mit ertrinken lassen, gegen die sie etwas haben. Bei der Sündfluth in unserer Kirche kommen Pontius Pilatus, Herodes und Kaiphas ums Leben; auch Judas würde ihnen gewiß Gesellschaft geleistet haben, wenn er sich nicht noch zu rechter Zeit erhängt hätte. Sie selbst werden den Jakob gepudert und frisirt auf manchem Bilde gesehen haben, wie er um Rahel wirbt; und eben in unserer Kirche hat Isaak sich einen Haarbeutel angelegt, als er sich auf die Freierei begibt. Was gilt die Wette: in allen Genealogien werden sich Pontius Pilatus, Herodes und Kaiphas im Wasser der Sündfluth, Jakob gepudert und frisirt, und Isaak mit einem Haarbeutel finden! – Wenn man dem Ursprunge der alten adeligen Familien nachspürt – wann entstanden sie? Zu einer Zeit, wo Straßenraub Modetugend, höchstens Mode-Untugend war; wo der Mordbrenner bei seinen Zeitgenossen mehr gewann, als verlor, wenn seine Unthat bekannt wurde; zu der Zeit des Faustrechts, der Befehdung und der Tollkühnheit. Wie oft sind die Grundsteine des Adels Landesverräthereien und Beförderungen einer himmelschreienden Tyrannei? – Mein Vater war ein Emsiger; und was ist entwürdigender: vermittelst kleiner Papiere, die man (mit Erlaubniß meines Gemahls) Wechsel nennt, Staaten auszukaufen, Regenten in Stand zu setzen, daß sie Krone und Scepter erhalten können, und Schätze aus fremden Gegenden durch Schiffe herbei zu führen; oder auf seinem Gute tausend Thaler intabuliren zu lassen, den Einschnitt des currenten Jahres in der nächsten Stadt zum Verkauf auszubieten, und im Kleinen dem Kaufmanne das zu überlassen, was dieser im Großen verkauft? Seinem adeligen Nachbar ein blindes Pferd für ein sehendes zu verhandeln, oder eine Lieferung von viertausend zu übernehmen? – Ich gebe gern zu, daß sich der Adel und der Kaufmann in einer Person nicht vertragen, daß den Edelmann der Degen und das Gesetzbuch kleidet; handeln indeß nicht oft Kaiser und Könige? Die [97] Fugger zu Augsburg wurden aus Kaufleuten Grafen in Deutschland; und wie vieler Grafen Voreltern waren Kauf- und Handelsleute! Zu Florenz veredelte kaufmännisches Gut kaufmännisches Blut, und die Medicis kamen zur großherzoglichen Herrschaft von Toscana; oder ist der Name Medicis Ihnen nicht schätzbar genug, obgleich aus diesem Hause Katharina und Maria als Königinnen von Frankreich während der Jugend ihrer Söhne herrschten? War der französische Thron nicht einer der stolzesten auf Erden? – Darf ich mir die Erlaubniß nehmen, an den Agathokles zu denken, dessen Vater ein Töpfer und armer Mann war? Der Sohn diente als gemeiner Soldat und schwang sich bis zum Obristen, und vom Obristen bis zum Könige von Sicilien. Es ging ihm, wie es andern geht; er ward ohne Zweifel von den Vornehmen seines Staates verachtet. Und Agathokles? ließ die zum niedrigsten Gebrauche bestimmten goldenen Gefäße in einen Ju piter verschmelzen, dem er einen der heiligsten Plätze im Tempel gab. Alles betete dieß Bild an; und nun erhob Agathokles seine Stimme und sprach: Ihr Männer und Weiber von Sicilien, wisset, ihr, wen ihr anbetet? – »Jupiter.« – Freilich Jupiter, den ich aber aus verächtlichem Geschirr meiner Kammer machen ließ! Und wie? ihr tragt Bedenken, über meinen Jupiter den Töpfer zu vergessen? Dieß wirkte; und der weise Agathokles verfehlte nicht, neben den goldenen Geschirren auch irdene zum Andenken seiner Abkunft zu gebrauchen. In der andern Welt, meine Herren, werden wir weder freien noch uns freien lassen: da werden nur die guten Thaten des Agathokles gelten und seiner Töpfer-Abkunft weiter nicht gedacht werden. Wahrlich, jeder edle Mensch ist in der Welt keine Null; er ist nicht Mittel, er ist Zweck. Je mehr er sich der Unehre, bloß Mittel zu seyn, nähert, je unedler ist er in dem herrlichen Sinne, wenn edel und adelig gleichbedeutende Wörter sind. Menschenrecht und Menschenehre sind[98] Dinge, die wir jedem lassen müssen, und die auch uns jeder lassen muß, vermöge eines Traktats, den die Tugend (verzeihen Sie mir den emsigen Ausdruck, der auch politisch ist) negociirt hat, und der, wie Vernunft und Wahrheit ewig bleibt – (ich rede wie die Tochter eines Kaufmanns) der uns bei der gefährlichen Schifffahrt dieses Lebens leiten muß. – Men schen sterben; das Geschlecht ist unsterblich. – Ich liebe meinen Gemahl zärtlich; allein, war ich seine Anführerin? Er rede, ob ich ihn unglücklich gemacht habe! Ich kenne sein Herz, und weiß gewiß, daß er das meinige kennt; oder hab' ich je in der größten Ehestille ein Wort gegen ihn von dem verloren, was ich jetzt gezwungen bin laut zu sagen? Hab' ich mich nicht mit seinem Johanniter-Mantel bedeckt, und ist mir seine Nothtaufe nicht so erbaulich gewesen, daß ich ihn täglich nothtaufen sehen möchte? Ich werde gewiß meinen Stand als Königin von Sicilien nicht verkennen; allein ich hoffe auch, daß man meinen Vater nicht verkennen wird, der durch sein Töpferhandwerk mich zur Königin von Sicilien gemacht.

Diese Rede schlug den Herrn Senior zu Boden, und der dritte Kastenassessor war versteinert. Er hatte die Dreistigkeit gehabt, nicht weniger als fünfzigtausend Thaler ohne Zinsen von unserm Ritter zu verlangen; und da ihm dieses Darlehen abgeschlagen ward, so ergriff er mit beiden Händen die Gelegenheit, jene so harte Rede für den Herrn Senior zu stylisiren. Die andern Assessoren, besonders der jüngste, den die Ritterin, schon ehe sie zu reden anfing, bezaubert hatte, nahmen das Wort und versicherten, daß die liebe Cousine keine Narbe oder Schmarre, wie sie es nannten, von diesem bösen Stündlein behalten sollte, daß auf den Charfreitag Ostern, auf Peterkettenfeier Peterstuhlfeier folgen würde, und daß alles nur Formalien wären. Vorzüglich beruhigte der Ritter sein braves Weib. Sie selbst brachte den gelähmten Senior wieder zu Kräften und versicherte ihn, daß er nach dieser[99] Erklärung sagen könnte, was er wollte, ohne im mindesten weiter von ihr unterbrochen zu werden. Da er in der Verwirrung nichts an dem Aufsatze, den er von dem erbitterten Herrn Assessor erhalten hatte, ändern konnte, so suchte er alles durch einen sanften Ton zu ersetzen, und befragte die Ritterin liebreich, ob sie ihrem vorigen Stande völlig entsagen, sich ihres heutigen Taufbundes erinnern, ihren Kindern und Kindeskindern eine adelige Erziehung angedeihen lassen, Söhne und Töchter bis ins tausendste Glied vor Mißheirath warnen und durch Segen und Fluch sie vor diesem Falle bewahren wolle für und für? Sie antwortete: Ja! und ein noch lauteres auf die Schlußfrage: Ob sie der Familie ihres Gemahls treu seyn und bleiben wolle bis in den Tod? Daß der Vetter Schriftsteller hier an die fünfzigtausend Thaler ohne Zinsen dachte, war sichtbar; indeß hatte die Baronin ihrem Ja andere und viel engere Grenzen gesteckt, ohne zu wissen, daß der Fünfzigtausendthaler-Assessor der rachsüchtige Verfasser des Uriasaufsatzes gewesen war. Nun erhob sich der Senior vom Stuhle und besprengte sie dreimal mit wohlriechendem Wasser aus einer Patene (einem Oblatenschüsselchen).

Nachdem Vater und Mutter meinen Helden gemeinschaftlich auf einem Kissen dem Senior dargebracht, und dieser auch ihn dreimal mit dem Wasser des Lebens besprengt hatte, ward das Resultat publicirt:


daß dem Herrn Vetter der verbotene Biß zu verzeihen, und der A B C des heiligen römischen Reiches Freiherr von Rosenthal nächstdem unbedenklich in den Stammbaum einzutragen sey.


Was die Mutter anbeträfe, so sollte sie zwar, da ohne Mutter kein Sohn zur Welt kommen könne, auch ins Grüne gebracht werden; indeß müßte sie sich gefallen lassen, daß auf ihren Namen ein Kleck käme. V.R.W.[100]

Ihr Mann, ein zweiter Brutus, war unbeweglich bei diesem Urtheil, und würde, wenn es ihm Amtshalber wäre aufgetragen worden, selbst der Scharf- und Nachrichter gewesen seyn, um diesen Brandmark in Erfüllung zu setzen. Heroismus steckt an wie die Liebe; und so war denn auch die Baronin ihres feierlichst gegebenen Wortes eingedenk, zumal da sie ohnehin wohl wußte, daß Stände in der Welt seyn müssen, und daß nach Peterkettenfeier Peterstuhlfeier eintritt. Willig erduldete sie den


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 90-101.
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