25. Erziehung

§. 25.


Erziehung

[106] unseres Helden war völlig diesen Vermögensumständen angemessen, die, so wie sie zu allen Dingen nütze sind, sich auch bei Erziehungsanstalten ihre Stimme nicht nehmen lassen. Man kann nicht sagen, daß unser Held schwächlich war, und daß er die erhaltene Nothtaufe körperlich bewies; doch gehörte er auch nicht zu jenen Felsenfesten, die unser Ritter, wiewohl sehr uneigentlich, geborne Atheisten nannte – die sich vor nichts fürchten und deren Stärke ihr Gott ist.[106] Die Schwächlichkeit unseres Helden verhinderte gewiß keine seelen- und leibesritterliche Uebung, die der Herr Vater seinem Erstgebornen zudenken mochte. Der väterliche Plan indeß war in Hinsicht dieser ritterlichen Uebung so eingeschränkt, daß man ihm sogleich ansah, es sey mit dem A B C-Junker auf keinen Johanniterritter angelegt. Die Mutter eignete sich die Erstlinge der Erziehung zu, und jede Mutter, wenn gleich ihr Kind ein Sohn ist, bleibt dazu berechtigt. Ohne Zweifel werden wir finden, daß unser Held sich durch so manches Muttermal und durch recht viele Eindrücke, die er von seiner Mutter empfing, und wozu die Stern- und Kreuzseherei gehörte, sein ganzes Leben hindurch auszeichnete. – Warum verhinderte die Mutter nicht, daß schon zeitig unlautere Leidenschaften genährt wurden, um dem Junker eine Elle zuzusetzen, womit die weit klügere Mutter Natur (die aber freilich keine Baronin ist) den Menschen nicht ausgestattet zu haben scheint! War er denn aber nicht zu dieser wohlriechenden Erziehung besprengt? Da mußten Neid, Stolz, Ehrgeiz den glimmenden Docht der Fähigkeiten in dem Junker aufblasen, und mit so mancher Vernachlässigung des Menschen ein Baron ausgearbeitet werden. Das arme Weib war ihrer natürlichen Herzensgüte und ihr Sohn seiner Nothtaufe wegen zu keinen großen Leidenschaften aufgelegt. Gut! warum benutzte man indeß den Boden nicht so, wie man ihn fand? Leidenschaft ist Poesie der Seelen, und Poeten werden geboren – Warum Ilias ante Homerum? Warum ließ man den Kleinen durchaus vom Tanzmeister gehen lernen? Das schlimmste war, daß das arme Weib selbst bei dieser Gelegenheit zusehends einen guten Theil ihres natürlichen Ganges verlor, und es zwischen Kunst und Natur so manchen Zwist gab. Die Natur behielt freilich den Sieg; sollte aber Streit seyn, wo alles entschieden ist? Bedächten die Vornehmen, daß die Pluralität doch immer auf der Seite des Volkes, und daß mit Recht dessen Stimme[107] die göttliche ist; bedächten sie, daß ihre Vota wie Tropfen gegen den Ocean sind, sie würden mehr Achtung für das Ganze beweisen und fürchten und lieben lernen da, wo sie jetzt ohne Furcht und Liebe bloß befehlen. – Durch das Befehlen ist wahrlich wenig oder gar nichts ausgerichtet, wenn die, welche gehorchen sollen, nicht zum Gehorsam vorbereitet und geneigt sind. – Ist bei einer Baronserziehung an einen individuellen Charakter zu denken? Umstände sollte man, so wie Neigungen, dem Kinde unter seine Botmäßigkeit bringen lehren; und wie weit leichter wäre dieß olympische Ziel zu erreichen, wenn man die unendlich mannichfaltigen Anlagen des Kindes zu benutzen wüßte, und wenn man es mit Umständen und Schwierigkeiten bekannt zu machen suchte! Lernte der Lehrer den Zögling kennen, machte ihn mit sich bekannt, und waffnete ihn gegen alle sehr leicht auf ihn zu berechnende Umstände; verstärkte man die individuelle Natur durch künstliche Nachhülfe: – wie leicht müßte es, wo nicht gewiß, so doch wahrscheinlich zu bestimmen seyn, was aus dem Kindlein werden würde? Jetzt soll schlechterdings aus jedem Holz ein Merkur werden; und wie selten gibt es Aepfel, die weit vom Stamme fallen! Neigungen lassen sich verpflanzen, und wenn Kräfte und innere Beschaffenheiten des Kindes ein Wunder in unsern Augen sind – was werden wir ausrichten? Sagt nicht: es befänden sich Anlagen zu allen Neigungen im Menschen; auf seinen Acker könne so gut Weizen als Roggen gesäet werden, und es komme nur auf den Lehrer an, aus seinem Schüler zu machen, was ihm beliebe. Solchen Neigungen, welche die Natur zu Hauptzügen des Charakters bestimmte, kann der Mensch so leicht nicht entsagen. Oft heißt Kampf wider die Natur: Erziehung, und doch sollte Erziehung Naturveredlung seyn. – Gemeiniglich fängt die Erziehung unserer Vornehmen nicht vom Menschen an, um zum bedeutenden Menschen überzugehen, sondern man sagt dem Zöglinge: er sey schon[108] von Natur bedeutend, und werde nicht übel thun, wenn er bei dieser Bedeutung geruhen wolle ein Mensch zu seyn. Man complimentirt ihm den Menschen bloß auf, ohne ihm denselben zum Gesetz zu machen. Was Sie vor sich sehen, sagt man ihm, ist Ihr Untergebener; Gott setzte Sie, wie weiland Adam, ins Paradies, um zu herrschen und zu regieren. Leibes- und Seelenkräfte sind zwar liebe Gottesgaben; indeß gegen Geburt und einmal hundert und fünfzigtausend Reichsthaler baares Geld (ohne die schönen schuldenfreien Rosenthal'schen Güter) wie gar nichts! – Es ist schon alles, was man thun kann, wenn man ihm Gnade und Huld gegen die Würmer, seine Unterthanen, anpreist, weil der liebe Gott ihnen doch die Ehre erwiesen hat, Nase und Ohren an ihren Kopf zu hängen. Wer ist unser Nächster? und sollen wir nicht unsern Nächsten lieben als uns selbst? – Warum diese Ausholung? Unser Junker erhielt eine wohlriechende Erziehung, bei der es nur auf gutes Wetter angelegt ward. An den drückenden Sonnenstrahl des Sommers und an den Nordwind des Winters, als an die beiden Jahreszeiten des Bürger-, und an den noch mühseligern Herbst, als an die Jahreszeit des Bauernstandes, ward gar nicht gedacht, obgleich wahrlich! nur der als Mensch erzogen ist, der, wenn Noth an Mann geht, alle vier Jahreszeiten in den vier Tagszeiten mir nichts dir nichts und so zu überstehen vermag, daß er weder von einem physischen noch von einem moralischen Catarrh oder Fieber oder etwas dergleichen befallen zu werden fürchten darf. – Jetzt mußte nichts, auch nur einen Strohhalm breit, aus seinen einmal angenommenen Grenzen verrückt werden, wenn der Junker nicht der Kälte und Hitze unterliegen sollte. Kein Dreier Zinsen von dem ansehnlichen Capital mußte ausbleiben, kein Kreuz im freiherrlichen Schlosse angegriffen werden, kein Dachziegel sich verschieben, kein Mensch, selbst den regierenden Herrn nicht ausgenommen, sich in einen andern Ton umstimmen. Es mußte[109] immerwährender Frühling auf Erden bleiben und Rosenthal Arkadien werden; Nektar und Ambrosia immer für Geld, nota bene ohne gutes Wort zu haben seyn, wenn unser ABC-Junker grünen und blühen sollte. Freund und Feind, daß ihr euch nur in den Schranken zu halten wißt; denn wenn sich nicht alles in der Welt wie im Einmal-Eins folgt, so kann es unserm Junker nicht wohlgehen und er nicht lange leben auf Erden. Nicht für Gottes Erdball, für Rosenthal ward er erzogen. – Vielleicht ändert sich unser Held, da die Scene sich verändert. Seht! zeitiger als es sonst Sitte im Lande ist, wird ihm durch einen Hofmeister unter die Arme gegriffen: gewöhnlich die zweite Amme, welcher die liebe Jugend an die Brust gelegt wird. Der Ritter – zu seinem Ruhme sey es gesagt – vergaß nicht, die Milch dieser Amme zu untersuchen, eine Ammeninstruktion zu entwerfen, und selbst an seinem Theil dem Hofmeister mit Rath und That zur Hand zu gehen. Er wollte aber nicht die zweite Amme seines Sohnes, sondern die Amme seiner Amme seyn; – das ist freilich leichter! Und diese Instruktion? Der Ritter meinte kraft derselben, daß sein Sohn keines griechischen oder römischen Piedestals bedürfe, um sein Licht leuchten zu lassen vor den Leuten, indem er schon ohne Piedestal groß genug sey, um aufzufallen. Da er nicht überzeugt war, daß der Maßstab unserer Größe bloß in den Händen der Nachwelt ist, so ward es nur auf den Schein angelegt, obgleich hierdurch der Geist der Herrschsucht, der Heuchelei und des Priesterbetrugs eingehaucht wird. Die Erklärung der Biene in der Fabel, die man vor giftigen Blumen warnte: »das Gift lass' ich darin,« war ihm zu hoch, und die ganze freiherrliche Instruktion war ein Gängelband, wodurch eigentlich dem freien Willen ein Streich gespielt werden sollte. Ein paar Stellen dieser Instruktion schienen wirklich auf Veränderung des Wetters calculirt zu seyn; indeß wurde in diesem Falle, da Gott vor sey! ein Amulet von Worten,[110] ein Universale von schönen Phrasen väterlich empfohlen, um, wenn sich Wolken zusammenzögen und Unfälle erhöben, sie durch Scheltworte oder Sentiments abzuwenden. – Das ist der Lauf der Welt! – So wie der Blitz (eigene Worte) sich nie selbst trifft, das Feuer sich nicht selbst verbrennt, das Wasser sich nicht selbst ersäuft: so auch der Mann von Geburt und Vermögen. In der Natur und in der Menschenwelt ist alles wider einander. Der edle Mann muß sich durch erhabene Gesinnungen sichern lernen; und wenn Gleich und Gleich sich mit einander balgen – was ist sein Beruf? Durch einen Vorsprung befehlen, richten und strafen, ohne das Gelübde des Gehorsams zu übernehmen und sich richten und strafen zu lassen. Da ist er denn vor einem blauen Auge sicher, wie im Schooß Abrahams. Ein so wohlerzogener Held wird so selten von seinen Thaten eine Wunde heimbringen, als sich ein Kleck im Grünen in alten Familien findet. – Alle jene schöne Reden des Alterthums über Vaterland und Heroismus waren hier Schulredensarten, die man zu Ehren und Unehren brauchen kann, je nachdem das Exercitium es will. Zu den geheimen Artikeln der Instruktion gehörte, daß der ABC-Junker ohne Schläge groß werden sollte. Strafen, hieß es, sollen durch Empfindung des Unangenehmen bessern; und da es Seelen- und Körperstrafen gibt, so müssen Kinder, je nachdem sie mehr Seele oder mehr Körper haben, mit Seelen- oder Körperstrafen belegt werden. Der Ritter war nicht ganz auf unrichtigem Wege; nur gehört der Kopf eines Meisters dazu, zu bestimmen ob und wie viel das Kind Seele und Körper habe; der Baron thut hier wahrlich nichts zur Sache. Kurz, bei der Art wie unser Held erzogen ward, schien es freilich nicht darauf angelegt, daß der Junker selbst etwas versuchen, selbst etwas erfahren sollte; vielmehr ward die Geschichte ihm als Spiegel, Regel und Riegel aufgeschlagen und ihm die Versicherung gegeben, daß schon andere für ihn versucht und erfahren hätten. Wer wird[111] denn auch auf eine französische Revolution und dergleichen calculiren? Mein Held ward ein Held aus Büchern und lernte reden, handeln aber nicht. Wenn das Dichten und Trachten des Menschenkenners dahin geht, daß der Lehrling alles aus sich selbst herausziehe, daß das Kind durch seine eigenen Handlungen lerne, daß seine Handlungen ihm Fibel und Katechismus werden, so war hier die Geschichte das Götzenbild, welches angebetet ward. Wahrlich! was in der Geschichte nicht übertrieben wird – und das ist vom Uebel – geht täglich vor unsern Augen vor. Ob Fingerlein oder Goliath, ob in Seide oder im Kittel – Mensch ist Mensch. Voltaire ist wahrlich einer der ehrlichsten Geschichtschreiber; denn er dichtete so unverhohlen und war so dreist, daß ein jeder wußte, woran er war. Die aber, die sich ängstlich den Kopf zerbrechen, welches doch wohl die geheime Triebfeder gewesen sey, die dieß und das ans Licht gebracht habe, die sich Mühe geben, Wahrheit von lügenhaften Nachrichten zu destilliren, bedenken nicht, daß wenn zwei Menschen einerlei sehen, wenn zwei Menschen einerlei hören, jeder anders gesehen und gehört hat, und daß niemand weiß, was im Menschen ist, als der Geist in ihm. – Kindern die Geschichte! Ein Mann, dem der Kopf am rechten Orte sitzt, weiß freilich zur Noth, was ein ehrlicher Kerl thun kann, und da die Menschen einander erschrecklich gleichen, wie es denn so ungefähr zugegangen seyn wird. Ihm kann die Geschichte nützlich und selig werden. Ein Kind aber – was soll das mit der Geschichte, die seine Jahre und seine Kräfte übersteigt? Legte man Kindern Kinder- und Jünglingen Jünglingsgeschichte vor: – immerhin! Dann wäre dieser Einwand gestürzt, allein darum auch jeder andere? Was soll aber dem Kinde und dem Jünglinge die Rüstung des Mannes? – Ich fand diese Einwendungen als Glossen und mit vergelbter Tinte hinzugefügt: »Quae qualis quanta!« Mit dem


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 106-112.
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