§. 33.


Trinitatis

[165] zu seinem Lieblinge erkieset, an welchem das ordentliche Evangelium Jerusalem zerstört. »So lange,« pflegte der Ritter zu[165] sagen, »noch ein Stein auf dem andern bei mir ist, so lange diese meine Augen offen stehen, will ich dein nicht vergessen, Jerusalem. An meinem Busen hab' ich dich gezeichnet!« Die gnädige Frau und unser Held, der im hohen Rathe den Collegen Junker machte, trugen zu allen diesen Denkwürdigkeiten die Wetterbeobachtung bei, daß es seit ihrem Gedenken an diesem Sonntage beständig schwül gewesen, als wenn Jerusalem nach dem Untergangsbrande rauche! Sonne und Mond werden ihren Schein verlieren, erklärte die Ritterin (ihrem Gemahl zur Seelenwonne) von Groß- und Heermeistern, die leider! ihren Schein verloren hätten. »Die Sterne, die vom Himmel gefallen,« sagte sie, »scheinen mir die Johanniterritter, welche Gott wie die Wachteln zum Besten der Juden in den Wüsten des alten Testaments (ganz aus der Wüste ist das jüdische Volk nie gekommen) vom Himmel fallen lassen, um für den ersten Anbiß seinem Volke, das sonst vor Hunger gestorben seyn würde, Helden zu schaffen.« Unserm Ritter war die von den Wachteln hergenommene Erläuterung des Sternvergleichs nicht so ganz in optima forma, und der hohe Rathmann Pastor loci konnte von der Exegetik dieses Textes keinen Gebrauch machen, ob er gleich das Ingenium der gnädigen Frau zu lobpreisen nicht ermangelte. Da er die Hauptperson, so wie jedes, so auch dieses Lieblings – Sonntags des Xten nach Trinitatis war, so gab er sich jahrjährlich Mühe, dem hohen ritterlichen Hause mit etwas Neuem vom Jahr und etwas Unvermuthetem aufzuwarten, und je nachdem dieses Neue vom Jahre fiel, je nachdem war auch der Ritter erkenntlich.

Im Jahr 17– beschloß der hohe Rath, diesem X. Sonntag nach Trinitatis den Namen Kreuz- oder Rittersonntag beizulegen und seiner Feier eine besondere Etikette vorzuschreiben; denn da der Ritter je länger je hochwürdiger ward, oder, wie er sich ausdrückte, sich ganz dem heiligen Orden und der heiligen Stadt[166] widmete, so hatte er sich mit der unerläßlichen Pflicht belastet, an diesem Sonntage den Johannitermantel anzulegen und so seinen Einzug in die Kirche zu halten, um sowohl hierdurch, als durch Kniebeugen, eben die Ceremonie zu beobachten, als wenn der Ritter des heiligen Johannes, Freiherr des heiligen römischen Reiches, die heilige Communion empfing. Schwärmerei macht oft den Scheinphilosophen zum Scheindichter, den Scheindichter zum Scheinphilosophen, den Narren klug und den Klugen zum Narren. Begeisterung ist der Geist, wovon die Schwärmerei der Schatten ist; – und eine gewisse Feierlichkeit, welche eine kalt gewordene, eine verrauchte Begeisterung heißen könnte, hilft der Schwachheit derer aus, die entweder jederzeit arm an Begeisterung sind, oder die nur eben heute nicht dazu aufgelegt waren – und wer kann seinen Geist anstrengen, ohne dabei einzubüßen? wer immer in höchster Geistesgalla erscheinen, wenn es angesagt wird? Ist das Alltagskleid rein – was geht denen ab, die es angezogen haben?

Hierauf (so fing der Pfarrer seinen Text nach einem gläubigen und andächtigen Vater Unser an) wolle eine christliche Gemeinde das heutige ordentliche Sonntagsevangelium vorlesen hören, welches am X. Sonntage nach Trinitatis in der Gemeinde des Herrn pflegt verlesen und erklärt zu werden, wie uns solches der Evangelist Lucas im neunzehnten Kapitel vom einundvierzigsten bis achtundvierzigsten Vers beschrieben hat. Es lautet in unserer deutschen Lutherischen Uebersetzung also.

Bei diesen Worten setzte sich unser in der Demuth große Ritter in kniebaren Stand; und bei dem ersten Worte des Textes:

»Und als er nahe hinzu kam,«

fiel er nieder mit seinem ganzen Hause, bis auf den Hofmeister, dem, wenn er gleich aus dem Unter- ins Oberhaus gekommen, und von einem Whig des gesunden Menschenverstands ein Tory des hohen Rathes geworden war, das Knien am X. Sonntage nach[167] Trinitatis bei Vorlesung des ordentlichen Sonntagsevangelii in Rücksicht seines Standes, und weil sein Vater ein bekannter Schneidermeister mit dem Zunamen Heraldikus gewesen, nicht eignete und gebührte.

»Und als er nahe hinzu kam,« wiederholte der Prediger, »sah er die Stadt an,« –

Nämlich Jerusalem, sagte der Ritter auf seinen Knien ganz laut, so daß es die ganze Gemeinde hörte. – Jerusalem! ward von einigen frommen Weibern aus dem Volke kläglich nachgeseufzt:

»und weinte über sie,«

fuhr der Prediger fort, um eine lange Pause zu machen: denn er wußte, was in der ritterlichen Rolle stand, und was dieser Vers zu erwarten hatte. Thränen aus einem alten Hause sind Perlen; auch werden sie, falls man dem Dichter glauben darf, wenn das Stündlein vorhanden ist, um das letzte Diadem zu zieren, sich in tausend Perlen verlieren. – Es sah nicht viel anders aus, als ob der Pastor den Zapfen in der Hand hielte, um diese Thränen laufen zu lassen. Der Ritter war gerührt: die Ritterin weinte und unser Nothtäufling accompagnirte beide. Die Gemeinde konnte natürlich einem so großen Beispiele nicht widerstehen, und zog die andächtigen Schleußen, so daß beinahe, auch ohne das Schluchzen einzurechnen, die Thränen fast hörbar fielen. Zum Zeichen, pflegte der Ritter zu sagen, über sie, zum Zeugniß des Blutes, das in Jerusalem floß. Ueberhaupt waren Wasser und Blut ihm ein wechselseitiges tiefes Symbol; und da er mehr Neigung hatte, Thränen, als Blut zu vergießen, so waren Weinen und Blutlassen ihm im gewissen Verstande gleicbbebeutende Wörter. Blut weinen hieß ihm: große Thränen, Platzthränen fallen lassen, die sich, wie bekannt, gemeiniglich mit Schmerz losreißen, ehe sie ins Auge treten Die Küche und was ihr anhängt, vergießt nicht Blut; Wasser und Feuer sind ihre Waffen, Thränen und Auto da fé.[168]

»Wenn du es wüßtest, so würdest du auch bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient; aber nun ist es vor deinen Augen verborgen.«

Das Wort Nun ward im Stillen gefeiert. Da man sich unter diesem Nun den letzten Athemzug des Lebens dachte, so war jedes bewegt, bis auf den ungläubigen knieunfähigen Hofmeister, der in diesem Nun keinen Todtenkopf, kein Memento finden konnte. Doch übermannte ihn von Jahr zu Jahr bei Gelegen heit dieses Nun ein größerer Grad von Rührung, den er aber bloß auf die Rechnung der guten Gesellschaft schrieb. Der Ritter wiederholte dieß Wort Nun nie, als ob er befürchtete, bei diesem Nun oder Nu in seinen Sünden zu bleiben; und so wagte sich auch niemand aus der Gemeinde an dieß Nun, als ob es ansteckte. Der Prediger selbst, der zuweilen, besonders wenn er seinem Magen zu viele Nächstenliebe erwiesen hatte, von Krämpfen, und seit einiger Zeit, nach dem Beispiele seines Kirchenpatrons, mit der Hauptkrankheit geplagt ward, schlich sich nur so auf den Zehen vorbei, als wenn er mit dem Tode blinde Kuh spielte. – Doch wird dich der Tod fressen, guter Pastor! wenn nicht am Nu, so an einem andern Worte – wenn nicht an Gichten, so an Fiebern.

»Denn es wird die Zeit über dir kommen, daß deine Feinde werden um dich und deine Kinder mit dir, eine Wagenburg schlagen, dich belagern und an allen Orten ängstigen, und werden dich schleifen und keinen Stein auf dem andern lassen, darum, daß du nicht erkennet hast die Zeit, darin du heimgesuchet bist.«

Dieß waren die Verba probantia für unsern Ritter, und kein Wort entging Sr. Hochwürden, das er nicht, da der Würgengel des Wörtleins Nun vorüber war, mit einer lauten Rührung ausgestattet hätte. Bei der Wagenburg pflegte er zu zittern, und diese Gewohnheit brachte ihn im Punkte der Herzhaftigkeit in zweideutigen Ruf, ob ihn gleich nicht seinet- sondern Jerusalems halben[169] Zittern und Zagen ankam, und bei dieser Belagerung, die in seiner friedlichen Patronatskirche vorfiel, nichts zu befürchten war.

Die vier folgenden Verse hörte zwar der Ritter nebst den Seinigen knieend, doch aber ohne alles Accompagnement an, bis auf den merkwürdigen Umstand, daß er jedesmal bei dem Worte Tempel zwar einen tiefen, doch etwas Hoffnung schöpfenden Seufzer, wie Noah seine Taube bei der Sündfluth, fliegen ließ.

»Und er ging in den Tempel und fing an auszutreiben, die darinnen verkauften und kauften, und sprach zu ihnen: Es stehet geschrieben, mein Haus ist ein Bethaus; ihr aber habt es gemacht zur Mördergrube.«

Bei dieser Stelle sah der Ritter die Ritterin an, als wollte er sagen, in diesen Worten liege der Grund, warum kein Emsiger Johaniterritter werden könne.

Die Schlußworte kamen ohne Bemerkung ab.

»Und er lehrte täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten und die Vornehmsten im Volk trachteten ihm nach, daß sie ihn umbrächten, und fanden nicht wie sie ihm thun sollten, denn alles Volk hing ihm an und hörete ihn.«

Jetzt standen unser Ritter und sein kniegebeugtes Haus auf. Der Hofmeister bückte sich vor jedem unter ihnen, als ob sie großmüthiglich seinetwegen diese Pönitenz übernommen hätten; und nun erhob sich die Dedikationspredigt, die als ein gutes Wort auch in alle Wege eine gute Stelle fand. Die eine, um von ihr den Spiritus mitzutheilen, behandelte die Geschichte der Thränen Christi. Ein gewisser Thränenverehrer, Robertus Holcoth, hat behauptet: Christus habe siebenmal geweint; andere, sagte unser Dedikationsprediger, geben vor: er habe viermal Thränen vergossen, und zwar bei der Beschneidung, beim Grabe des Lazarus, bei der Stadt Jerusalem und endlich am Kreuze. Diese Behauptungen schienen Wasser auf seine Mühle; denn er malte die sieben und vier so rein aus,[170] daß nichts als das reine gebeutelte und durchgesiebte Mehl übrig blieb, nämlich, Christus hätte nur dreimal geweint: beim Grabe seines Freundes Lazarus, Joh. 11, 35., beim Anblick Jerusalems, Luc. 19, 41., und außer diesen beiden Malen, nach dem Berichte des heiligen Paulus Ebr. 5, 7., da er am Tage seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Thränen geopfert zu dem, der ihm vom Tode konnte aushelfen. Die Thränen Christi brachten den Pastor zum Vergleich zwischen Christus und Alexander dem Großen, welcher neu und, wie der Ritter betheuerte, nicht ohne Scharfblick war: – Beide Weltüberwinder! aber wie verschieden!

Alexander weinte, da man ihm nach dem Lehrbegriffe des Demokritus bewies, daß es unzählige Welten gebe, weil er noch nicht der Herr einer einzigen zu seyn die Ehre hatte. Wohl dir, Weltüberwinder, daß du nicht zu Herschel's Zeit lebtest! wie klein hätte dir das Sandkorn eingeleuchtet, auf welchem du den Großen spieltest, und ihn nur sehr klein machtest! – Auch vergoß er Thränen in seiner Jugend, wenn sein Herr Vater mit seinen Potsdamern siegte, weil er besorgte, es würde nichts weiter für seine Großmächtigkeit übrig bleiben.

Nur mit Königen wollte Alexander als Jüngling wettlaufen. Sein Reich war von dieser Welt. Zwar sah er es gern, daß Raketen seines Ruhms in seinem kleinen Geburtsstaate aufstiegen, und daß man hier in den Zeitungen von seinen Thaten las; doch war sein Plan auf die ganze Welt angelegt, die er nicht befreien, sondern unterjochen wollte.

Sein Geschlecht war fürstlich, sein Lehrer ein großer und feiner Kopf. Wiegt beide ab Seht, wie Aristoteles Schale sinkt, und Alexanders Schale steigt! seht! – Doch suchte Alexander, mit seiner Abkunft, kraft deren er des Aristoteles Schüler ward,[171] und mit seiner Menschheit unzufrieden, sich eine Gottheit zu erkaufen.

Sind dieß Resultate der Aristotelischen Philosophie?

Seine Logik war in seinem Stolze, so wie viele sie im Magen haben. O, des kleinstädtischen Thoren! des Gottes, der, zügelloser Leidenschaften halber, bei weitem nicht den Namen Mensch verdiente, und der im zweiunddreißigsten Jahre starb, ohne gelebt zu haben!

Er wollte im Leben Ruhm und Ehre ernten; doch fallen Ruhm und Ehre keinem wirklich großen Mann im Leben zu: nach dem Tode wird diese Saat reif. Edle Menschen bitten, wie Buttler, um Brod, und man gibt ihnen einen Stein. Nur durch Hindernisse, Unterdrückung und Leiden werden Menschen groß. Sind Titel und Bänder und Ehrenstellen mehr als Schminke, um kleine Seelen zu gewinnen und zu verführen?

Er ward an eben dem Tage geboren, an welchem Herostrat den Tempel der Diana in Ephesus, dessen Apostelgeschichte 19. gedacht wird, in Brand steckte, um sich unsterblich zu machen. Schmeichler nahmen sich die Erlaubniß, zu behaupten, Diana hätte der Olympias, der Frau Mutter Alexanders, als weise Frau gedient. – War Alexander mehr als ein Welt-Herostrat? und konnte sein Geburtstag durch eine bessere That bezeichnet werden? Ich bin in Versuchung, sie Pathengeschenk zu nennen. – Man sagt, die Epheser hätten, um Herostrats Absicht zu vereiteln, im Criminalurtheil festgesetzt, wer ihn nennen würde, sollte mit dem Tode bestraft werden. Welche Schwäche! Sie scheint wohl von jeher das Erbtheil der Richterstühle gewesen zu seyn. Jene Richter zu Ephesus liegen im tiefsten Todesschlummer, ohne daß ein Mensch ihren Namen weiß, da hingegen Herostrat noch jetzt genannt wird.

Alexander war im zwanzigsten Jahre König über Griechenland. – Er zerhieb den gordischen Knoten, anstatt ihn zu lösen.[172]

Er erwiederte dem Darius seinen Sack voll Mohnsamen mit einem Säcklein Pfefferkörner, zum Beweise, daß nicht die Zahl, sondern die Würde es ausmache.

Er eroberte Jerusalem; – da ihm aber der Hohepriester und die hochwohlehrwürdige Priesterschaar entgegen kam, zertheilten sich die Donnerwolken und der Würgengel ging vorüber.

Er erstach den Generallieutenant Klitus, der nicht nur seinem Königlichen Herrn Vater Philippus allerunterthänigst treugehorsamste Dienste geleistet, sondern auch dem Alexander das Leben gerettet hatte. Warum? Weil Klitus nicht schmeicheln konnte! – Auch war Alexander voll süßen Weins.

Diogenes verlangte nichts mehr von Alexandern, als daß er ihm die Sonne nicht vertreten möchte. War es Wunder, da Alexander der Knecht der Knechte des Diogenes war, der Leidenschaften, über welche Diogenes zum Alexander geworden?

Er wollte bloß erobern; nähere Verbindung der Nationen unter sich lag außer den Grenzen seines Plans. Er war einer der stärksten Egoisten, die bei dem Geräusch, alles gethan zu haben – nichts thun. – Sein Gebet an den Ufern des Ganges, daß kein Mensch nach ihm die Grenzen seiner Eroberungen überschreiten möchte, ist dem Verdruß angemessen, den er äußerte, als Aristoteles seine Philosophie durch Schriften verbreitete. Nur er allein wollte die Ehre haben, Aristoteles Schüler zu seyn.

Seine Verschwendung war grenzenlos Olympias warnte ihn, seine Freunde nicht durch seine Verschwendung zu Königen zu erheben, weil er dadurch Freunde verlöre und Könige gewönne. Kann man schlechter spielen?

Er ward tyrannisch und ein Feind seiner Freunde und Spießgesellen; heirathete des Darius Tochter, wogegen sich nichts sagen läßt.[173]

So wie sein Reich von dieser Welt war, so ging es auch wieder in alle Welt.

Dem alten Testamente der heidnischen Vorwelt erwies er große Ehrerbietung; Homers Gedichte geleiteten ihn auf seinen Wegen und Stegen.

Ehe er Griechenland verließ, wollte er zu Delphi sich seine Schicksale verkündigen lassen. Die Priesterin verbat den Auftrag, und als Alexander sie mit Gewalt in den Tempel stieß, rief sie: »Sohn! dir kann niemand widerstehen!« Gut, rief Alexander, ich weiß jetzt mein Orakel.

Er wollte durchaus ein Gott seyn und verfolgte die, welche ihn nicht anbeteten – Er, Aristoteles Schüler; Philipps Sohn!

Alexander fand Nachahmer, die der Menschheit unmenschlich gefährlich waren. Viele dünkten sich schon Alexanders zu seyn, wenn sie wie er den Kopf schief trugen. – O der Kleinheit!


* * *


Christi Advent in der Welt war arm und dürftig. Maria und Joseph lebten kümmerlich. Sein Geburtsort hieß Bethlehem. Sein Evangelium sollte der Armuth gepredigt werden, um sie reich oder beglückt zu machen. Hirten waren die Herolde seiner Geburt, seine Wiege eine Krippe.

An seine Lehrer wird nicht gedacht. – Schon im zwölften Jahre zeigte er im Tempel, weß Geisteskind er sey, ohne den Bucephalus zu überwältigen.

Er erniedrigte sich, nannte sich des Menschen Sohn, der nicht kommen wäre, daß er bedient würde, sondern daß er diene.

Seine Ehre suchte er nicht bei Menschen, sondern bei Gott und seinem Gewissen. Nach seinem Tode hat der heilige Geist seiner Lehre die Erde erobert. So hieß es mit Recht von Cato, daß er dem Staate nützlicher gewesen sey, als Scipio. Dieser war[174] Held und Sieger der römischen Feinde; jener bekriegte die römischen Sitten.

Er war ein geistlicher König, der es nicht auf Sklaverei, sondern auf Freiheit bei der Menschheit anlegte, und sie in vieler Rücksicht schon wirklich frei machte; und noch ist nicht erschienen, was wir seyn können und seyn werden!

Seine Feinde waren nicht die Mohnkörner des Darius'schen Heeres, sondern die Sünde! Sie war das persische Reich, das er zerstörte – um Leben und unvergängliches Wesen der Tugend und Gottgefälligkeit ans Licht zu bringen.

Er vergoß nur Thränen der Menschheit und Freundschaft bei dem Grabe des Lazarus, und Thränen der Großmuth und des edlen Mitleidens, weil die Menschen, und besonders die Juden, die Finsterniß mehr liebten, als das Licht; denn ihre Werke waren böse.

Gern hätte er das Licht der Wahrheit zuerst in Judäa angezündet; es blieb aber vor den Augen der Juden verborgen.

Im dreißigsten Jahre trat er als öffentlicher Lehrer auf. Zwar lehrte er nur drei Jahre; doch ist die Welt durch ihn so belehrt, daß noch jedes philosophische und politische System sein Vorbild im Evangelio suchet und findet.

Jerusalem tödtete ihn.

Er hatte nicht, wo er sein Haupt hinlegte.

Seine zwölf Jünger nahm er aus der Klasse des gemeinen Mannes, und erwarb sich keinen Phalaux durch Weltweisen. – Er liebte seine Jünger und seine Freunde bis in den Tod, vergab seinen Feinden, und lehrte sie lieben und sie segnen, um Kinder Gottes zu seyn, dessen Sonne aufgehet über Böse und Gute, und der regnen läßt über Gerechte und Ungerechte. – Sie wissen nicht, sagte er von seinen Feinden, was sie thun. Seinen Liebling Petrus, den eine Magd aus der Fassung brachte, ob er es gleich kurz vorher mit Malchus, dem Knechte des damaligen Hohenpriesters,[175] anband, sah er nach einer dreimaligen Verläugnung an; und dieser ging hinaus – und weinte bitterlich.

Hätten Se. Heiligkeit nicht wohlgethan, sich einen andern Jünger, als den Petrus, zum Stammvater zu wählen? Ich hätte den Johannes vorgeschlagen.

Er suchte nicht eigene Ehre, sondern die Ehre seines himmlischen Vaters. Alle Menschen wollte er zu Gottes Kindern erhöhen; und nach der Kinderlehre seines Evangeliums sind alle Gottes Kinder, die in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben.

Sein Muth war groß. Seinem Verräther, einem aus den Zwölfen, ging er mit den göttlich-großen Worten entgegen: Ich bin's. Dem Petrus gebot er, sein Schwert in die Scheide zu stecken.

Er starb den schmählichsten Tod des Kreuzes, und nichts ging ihm so nahe, als sein so großes Werk, das aber nicht starb, sondern auferstand, und dessen Geist er dem Geiste der Geister empfahl!

Das alte Testament sah er als Hieroglyphen an, als Schattenbilder, die er begeisterte. Reine Tugend war seine Lehre; das Herz, die innere Gesinnung, seine Forderung an die Menschen, und Vollkommenheit sein Ziel! –

»Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, nach Vollkommenheit; und alles andere wird euch zufallen,« war sein politisches System, das die Probe der Anweisung enthielt, zu geben dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!

Seine Lehre von der Vorsehung: Sehet die Lilien auf dem Felde – und von der andern Welt, nach welcher wir durch den zeitlichen Tod nicht auf ewig sterben, wickeln alle Knoten auf, die er nie gewaltsam zerschlug, sondern menschenfreundlich lösete. Wenn ein Kollegium von Gott und Menschen über den[176] Menschen richten sollen, es hätte gerichtet wie Christus. – Selbst die spitzfindigsten Fragen, die eine gerade Abweisung verdienten, beantwortete er auf Kosten des Fragenden.

Nicht mit Verheißungen hoher Ehrenstellen, sondern mit der Verkündigung, daß man sie behandeln würde, wie ihn, sandte er seine Zwölfe in alle Welt, um sein Evangelium auszubreiten!

Er wußte seine Schicksale, übernahm sie muthig, und starb getrost, um ewig in seiner Lehre zu leben; und sie – von den Toden der Mißverständnisse, der Zusätze und falschen Erklärungen erweckt – stirbt hinfort nimmer. Halleluja!


In einem andern Jahre wandelte unser Pastor einen andern Weg; doch so, daß er immer ganz richtig in Jerusalem eintraf. Laßt uns, sagte er, bei den Worten unseres Textes bleiben: So viele Worte, so viele Gewichte! Zwar reichte er jenem zu seiner Zeit bewunderten Geistlichen nicht das Wasser, der seiner lieben Gemeinde, unter vielen andern künstlichen Propositionen, den königlich prophetischen Namen David vorstellte, und im ersten Theile den Da, und im zweiten den vid herzrührend zergliederte; indeß fand er in jedem Worte – im Worte und, im Worte als, im Worte er, und im Worte nahe – so viel Erbauungsreiches, daß ich die beste Gelegenheit von der Welt hätte, meine Leser durch eine Anwaldsweitläufigkeit recht aus dem Grunde zu erbauen. Ein Thema war: Wer seinen Feind segnet, wenn dieser ihm fluchet, thut Gott und sich einen Dienst, und bringet seinen Feind obendrein um die Hoffnung, die ihn zu Schanden werden läßt. Er nimmt eine Sünde von ihm, und an den feurigen Kohlen, die er auf sein Haupt sammelt, wird sich das Licht der bessern Ueberlegung anzünden lassen. – Wohl[177] ihm, daß er so weit ist! zum bessern Willen braucht er nur noch einen Schritt. – Eine Predigt hatte zum Motto: daß ein Richter nicht die Person, sondern die Sache ansehen müsse, um sich nicht durch Geburt, Schönheit Ansehen, Verstand u.s.w. bestechen zu lassen. Geschenke sind Fliegen, die ein jeder sieht, wenn sie ins Essen fallen; aber das Personansehen ist eine weit feinere Verleitung zur Ungerechtigkeit, zu Menschenfurcht und andern dergleichen Schand' und Lastern. Wer ein Weib ansiehet, sie zu begehren, hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. – Christus sah die Stadt an, nicht die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Pharisäer; nicht Pilatus, der Herr im Hause war, und Herodes den Fuchs, die am Tage der Verurtheilung Christi Freunde wurden!

Noch eine andere Predigt war der Bemerkung gewidmet, daß es gut sey, als Baumeister, besser aber als Menschenkenner auf Reisen zu gehen. Zwar kämen die meisten Menschen mit der Erzählung von Größe, Pracht und Einrichtung der Stadt zurück, ohne die Augen ihres Leibes und ihres Geistes auf die Menschen zu richten; der Weise indeß sähe auf Men schen. – Wenn er von Jerusalem spricht, redet er von seinen Einwohnern; – auch nicht von den Hefen des Volkes, sondern von dem Schaum desselben: von den Schriftgelehrten und Pharisäern. Zwar gibt es Nationen und Völker, die von der Art sind, daß wenn man fünf unter ihnen kennt, man das ganze Volk ergründet hat; wozu auch die Juden gehören, die, wenn gleich durch das viele Reisen fast alle Völker sich einen großen Theil ihrer Eigenheit abschleifen lassen, doch bis auf das schwarze Haar Juden bleiben, zum Zeichen über sie! – wobei er indeß dem Judas und seinen, salva venia! rothhaarigen Nachfolgern unter dem Volke das Haar nicht philistrisch abschneiden, sondern nur a posteriori das Volk schwarzhaarig geheißen wissen wollte.[178]

Noch ein anderes Thema: Wenn man viele traurige Nachrichten zu verkündigen hat, so muß man nicht von den kleinen zur größern, sondern von der größern zu den kleinern übergehen, weil alsdann die minder schreckliche Nachricht, vermittelst des Abstiches, Trostgrund wird. So würde auch, sagte der Pastor, wie er nach der Liebe hoffe, der Tod leichter als Gicht und Wassersucht seyn, und vortheilhaft contrastiren. Man wird finden, daß unser Pastor, trotz unsern besten Kanzelrednern, aus dem Glückstopfe seines Textes einen Gewinnst zu ziehen verstand, den man auf tausend Meilen nicht vermuthet hätte. Kam er vollends auf die Thränen; – alsdann hatte er die Worte nicht nöthig! Oft gedachte er eines Kirchenvaters, Gregorius Nazianzenus, der, wenn er über die Thränen der armen Sünderin (an der und andern Schwestern der fromme Vater übrigens keinen Herzens-, sondern bloß Verstandesantheil nahm) predigen sollte, in die Herzensworte ausbrach: »Auch mir fließen Thränen statt der Worte!« Was die christliche Gemeinde übrigens aus seiner Predigt ohne besondere Bemerkung wohl von selbst abgenommen haben würde.

Es sind mir sechs vollständige Predigten mit dem zu diesen Kreuz- und Querzügen gehörigen Hausrath behändigt worden, ich will indeß meine Leser nicht damit heimsuchen, wohl aber durch ein lebensgroßes Meisterstück des hohen Rathes sie ad unguem usque entschädigen.

Ob nun gleich das Evangelium quaestionis am X. Sonntage nach Trinitatis jederzeit mit den bezeichneten Formalien gegeben und auf Knieen empfangen ward, so publicirte der Pastor doch alle drei Jahre außer demselben noch einen Auszug von der gänzlichen Zerstörung der Stadt Jerusalem. Diese Aehren waren aus den Geschichtschreibern Josephus, Hegesippus, Eusebius und Nicephorus zusammengelesen.[179]

Ein jeder, meine Freunde, fing der Prediger bei Gelegenheit eines solchen Schaltauszuges an – ein jeder, welcher fühlt, daß er einer der letzten Menschen ist, gibt sich Mühe, sich durch Stand und Geld emporzuschwingen, und andere, ja am Ende sich selbst, zu überreden: er sey etwas. Was dem Hofe an Tugend abgeht, wird durch Pracht ersetzt, die zwar allerdings in einen zweideutigen Ruf gerathen ist, indeß, wenn sie sich des Kreuzes nicht schämt, etwas Augen- und Herzstärkendes bei sich führt. So ging es der Stadt aller Städte, dem Tempel aller Tempel und dem Volke aller Völker. Woher kam es, daß das jüdische Volk sich auf die goldenen Kälber seines Tempels und seine Einrichtung verließ, ohne Hand an das Werk einer moralischen Verbesserung zu legen? Die Bosheit macht schwach, und die Schwäche macht boshaft. Ein Mann, der sich bewußt ist, Mann zu seyn, pflegt so wenig in Härte, als in Eigendünkel auszuarten: er geht dem Kinde aus dem Wege. Kleine Leute dagegen sind schon böse, weil sie klein sind. Sie schlagen Wellen, um eine Fliege zu erseufen, und brauchen einen Orkan, um ein Vergißmeinnicht zu entblättern. Niemand ist zu tadeln, weil er das ist, was er ist, sondern weil er das nicht ist, wofür er gehalten seyn will. Was war das jüdische Volk, und was wollte es seyn? Ein tief verderbtes Volk, das zu diesem sauren Wein den Kranz aushängte: Volk Gottes. Ob sich nun gleich fast mit Gewißheit annehmen läßt, daß Adam, der erste Mensch, ein Christ gewesen sey, indem erst Abraham sich beschnitt, und die Juden sich seine Kinder nennen (wogegen Christus der zweite Adam genannt wird von Rechtswegen), so hatte doch dieß Tempelvolk, von Abraham, der den ersten Tempel baute, bis auf die Zerstörung Jerusalems, Männer unter sich, die es zur Tapferkeit und zur Tugend aufmunterten. Kleinheit und Unlauterkeit waren ihm indeß zur andern Natur geworden. Da dieß Volk sich so tief herabgebracht hatte, daß seine[180] Obersten Heuchler, Niederträchtige, Elende waren, die nicht einmal die Kraft besaßen, ächte Bösewichter zu seyn, so daß auch Christus der Herr einen einzigen braven, mannhaften Kerl von Sünder, der schon seiner Natur nach der Buße weit näher ist, für neunundneunzig solche jüdische heuchlerische Schelme geben wollte; – was konnte anders als der Untergang desselben erfolgen? und zwar ein solcher, daß sogar die Türken, ein noch weit elenderes Volk, Jerusalem besitzen, wovon ich heute das Memento mori in aller Kürze zu publiciren in dem Herrn entschlossen bin, und zwar so in That und Kraft, daß man nicht hören, sondern sehen wird.

Wenn ich mein ganzes Leben hindurch über meinen Kreuz- und Querzügen gebrütet hätte – würde wohl ein Küchlein herausgebracht seyn, das dieser gackelnden Henne das Wasser reichen könnte?

Als sich die Zeit nahte, daß Gott über Jerusalem und das jüdische Volk den endlichen Zorn wollte ergehen lassen, wie die Propheten und der Herr Christus selbst ihnen gedräuet und zuvor gesagt hatten, sind diese nachfolgenden Zeichen vorhergegangen.

Es ist am Himmel ein Komet gesehen, wie ein Schwert gestaltet, welcher ein ganzes Jahr über der Stadt gestanden und von jedermann gesehen worden. Item, eben in den Tagen der gesäuerten Brode, am achten Tage des Monats April, um 9 Uhr in der Nacht, ist bei dem Altar im Tempel ein solch hellglänzendes Licht erschienen, daß jedermann gemeint, es wäre Tag. Item, ein ehernes großes starkes Thor am innern Tempel, daran zwanzig Männer heben mußten, wenn man es aufthun wollte, welches mit starken eisernen Schlössern und Riegeln verwahrt war, hat sich um die sechste Nachtstunde selbst ausgethan. (Das Wörtlein Item ward vom Ritter und seinem ganzen Hause, mit Ausschluß des Schneidersohns, der es, obgleich er Sekundaner war, bleiben lassen[181] mußte, inbrünstig wiederholt.) Item, auf den einundzwanzigsten Tag Judä hat man gesehen in der Luft und Wolken an vielen Orten des Himmels Wagen schweben und wie eine große Rüstung von Reitern und Knechten in den Wolken zusammenziehen und sich schlagen in der Nacht. (Der Ritter wich dem Schlagen wohlbedächtig aus, und hallte bloß nach: in der Nacht.) Item, vor dem Pfingsttage, als die Priester einwendig haben wollen bereiten was zum Fest gehört, haben sie ein großes Gepolter und darnach eine Stimme gehört, welche gerufen hat: Lasset uns von hinnen wegziehen. (Diese Worte wurden mit aufgehobenen Händen nachgesprochen und von der ganzen Gemeinde wiederholt. Der Hofmeister blieb mit seinem Tenor nicht zurück. Der Prediger hielt eine ganze Weile inne, und fing, als ob er das ritterliche Haus und die ganze Gemeinde bäte, von ihrem Vorsatz abzustehen, in einschmeichelndem Tone an:) Wiewohl etliche sagen, das sey geschehen zur Zeit, da der Vorhang im Tempel unter Christi Leiden zerrissen ist. Item, es ist ein Mensch gewesen, Jesus, genannt Ananias, eines gemeinen Mannes Sohn, selbiger, als er ist gen Jerusalem kommen, auf das Fest Laubrüst, hat aus einem besondern heftigen Geist geschrien: O, ein Geschrei vom Morgen! o, ein Geschrei von den vier Winden! ein Geschrei über ganz Jerusalem und den Tempel! eine elende Klage über Braut und Bräutigam! ein Geschrei über alles Volk! Und das klägliche Schreien trieb er Tag und Nacht an einander, und lief wüthend in der Stadt umher. Und wiewohl ihn etliche mit Geißeln und Ruthen straften, die diese Worte als eine böse Deutung über die Stadt nicht gerne hörten, so hörte er doch nicht auf. Und als man diesen Menschen hat bracht vor den Landpfleger, welchen die Römer da hatten, der ihn auch mit Geißeln hart bis aufs Blut stäupen und peitschen ließ, hat er doch mit keinem Wort Gnad' gebeten, sondern ohne Unterlaß überlaut geschrien:[182] Weh, Weh, Weh dir, o du armes Jerusalem! (Der Hofmeister und die ganze Gemeinde hatten die Erlaubniß, das Weh! Weh! Weh! mitzurufen, und wenn ich meinen Nachrichten trauen darf, so ist seit der wirklichen Zerstörung Jerusalems kein so herzbrechendes Geschrei gehört worden.) Albinus, der Richter, hat ihn als einen Thoren verachtet. Dieser Mensch ist sieben Jahr an einander nicht viel mit Leuten umgangen, sondern allein gangen, wie ein Mensch, der etwas tief bei sich besinnet und dichtet, und hat immerdar diese Worte von sich hören lassen: Weh! Weh! dir, o du armes Jerusalem! Und von solchem Rufen ist er nicht müde worden. Und als die Stadt nun ist von den Römern belagert gewesen, ist er auf den Mauern umhergegangen und hat immer geschrien: Weh über den Tempel! Weh über das ganze Volk! Und zuletzt hat er auf eine Zeit diese ungewöhnlichen Worte dazu gesagt: Weh auch mir! und in dem Wort ist er ungefähr von der Feinde Geschoß getroffen und also todt blieben. (Der Ritter bog sich rückwärts, als ob er getroffen wäre.) Diese und andere große Zeichen sind vorhergegangen, ehe Jerusalem zerstört ist. – (Bei diesen letzten Worten trat der Ritter ins Angesicht der ganzen Gemeine, als ob er zeigen wollte, daß das römische Geschoß ihm, Gottlob! kein Haar gekrümmt hätte.)

Kein Held konnte nach dem überstandenen dreißigjährigen Kriege; kein Beichtvater kann, wenn er nach so vielen Hindernissen seine Vaterhände unter vier Augen nach der schönen schmachtenden Nonne ausbreitet; kein Freier, wenn er nach allerlei Theaterstürmen und Ungemach in den Hafen der ehelichen Verbindung wohlbehalten einläuft – so fröhlich und guter Dinge seyn, wie unser Ritter, wenn er bei Tafel dem Pastor seine Mühe vergalt und das feierliche Andenken von Jerusalems Zerstörung beschloß. – Da blieb bei Tische kein Stein auf dem andern – Trauer- und Freudenfeste schließen mit Essen und Trinken. Indeß, wenn gleich dieses[183] Fest dem ritterlichen Hause an Leib und Seele sehr hoch zu stehen kam, so gingen doch Ritter und Ritterin gern in dieses Trauerspiel, so daß sie oft die Zeit nicht erwarten konnten, wenn Jerusalem zerstört werden sollte. Der Schaltsonntag war zwiefacher Ehre werth. Zum Beschluß ward an jedem 10ten Sonntage nach Trinitatis Hohe Raths-Session gehalten; nichts schien natürlicher, als daß nach dem Greuel der Verwüstung das Baudepartement auf den Wiederanbau denken mußte, um aus dieser Asche einen Phönix zu erwecken. Aus den Protokollbüchern würden sich, wenn ich ein Freund von Spinnstuben und Protokollen wäre, noch manche rothgefärbte Tage ausheben lassen. So war, zum kleinen Beispiel, am 10ten Tage des Monats Augustus, an welchem beide Tempel zerstört worden, Helden-, Haupt- und Staats-Session, das heißt: es ward eine stattliche Mahlzeit gehalten und dabei gewiß nicht des Magens, wohl aber des Hauptes nothdürftig geschont. Eine dergleichen Kreuz- Session zur Probe, und zwar über die


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 165-184.
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Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 1
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 2

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Anonym

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Ohnerachtet Schande und Laster an ihnen selber verächtlich / findet man doch sehr viel Menschen von so gar ungebundener Unarth / daß sie denenselben offenbar obliegen / und sich deren als einer sonderbahre Tugend rühmen: Wer seinem Nächsten durch List etwas abzwacken kan / den preisen sie / als einen listig-klugen Menschen / und dahero ist der unverschämte Diebstahl / überlistige und lose Räncke / ja gar Meuchelmord und andere grobe Laster im solchem Uberfluß eingerissen / daß man nicht Gefängnüsse genug vor solche Leute haben mag.

310 Seiten, 17.80 Euro

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Große Erzählungen der Spätromantik

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Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

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