§. 34.


Geschichte.

[184] Sollte meinen Lesern die Lob- und Trauerrede auf die Einbildungskraft (§. 31, Dämmerung) noch beiwohnen, wo unser Ritter der Unwahrheit (man nehm' es nicht unrecht!) hochfreiherrliche Gerechtigkeit widerfahren ließ, und sie das Gewürz zu nennen geruhete, welches der Wahrheit den Geschmack beibringe; und wo er keinen Menschen ausnahm, der sich nicht Lügen zu Schulden kommen ließe und in Gedanken aufschnitte, so würde die dreiste Art, womit man über die Geschichte absprach, weniger auffallen. (Lieben guten Leute! wißt ihr denn, wie ihr in der gegenwärtigen Geschichte abkommen werdet?) – Ich will hier, wie sonst, Extracte geben, hoffentlich sollen bloß die Schlacken zurückbleiben. – Von jeher hat der Mensch mehr von sich gehalten,[184] als er sollte. Sein Fall war, und ist und wird seyn, wenn er mehr seyn und mehr wissen will, als ihm eignet und gebührt. Er hat Vier; warum sollt' er aber auf allen Vieren wandeln? Er halte sich gerade, nur bieg' er nicht zu sehr den Kopf zurück; nur steh' er nicht auf den Zehen, als wollt' er sehen, was im Monde Trumpf ist! Mittelmäßig sind des Menschen Glücksstand, Tugend und Wissen. Mittelmäßigkeit im Wissen heißt: Glaube. Nicht etwa, was der Weltweise nach Vernunftregeln abwiegt, sondern, leider! auch selbst das, was in die Sinne fällt, ist Zweifeln unterworfen, sobald Menschen dabei Rollen spielen. Nur da, wo Menschen nicht mitwirken, ist die Natur in ihrer Ursprünglichkeit – in ihrer Natur, hätt' ich bei einem Haar gesagt; und da hört und sieht und empfindet man aus der ersten Hand. Was aber kann interessiren, wo nicht Menschen dabei sind? Die beste Landschaft ist todt an sich selbst, wenn sie nicht Menschenspuren zeigt. Sind aber Menschen auf dem Theater, gleich fallen wir auf diesen oder jenen unter ihnen, der die übrigen verdunkelt. Der Verlierende, der Stärkere, der Beherztere, der mit der breiten Stirn, mit der Fechterhand, mit der Habichtsnase, der Nothgetaufte, der Mensch, der die Thür nicht offen läßt – und so weiter, ist unser Held; und während dieser Zeit übersehen und überhören wir Dinge, die uns sogar oft recht vorsprangen, ungeachtet wir uns selbst oft Mühe gaben und Augen und Ohren spitzten, um das Ensemble zu umfassen. Der Feind oder Freund hatte Unkraut unter den Weizen gestreut; schläft wohl der Verräther? Der Faden unseres Gesichts und Gehörs ist, ehe wir es uns versehen, abgerissen. Vor fünfzig fremden Gedanken ließen wir uns verläugnen; der einundfünfzigste platzte mit der Thür ins Haus. Geschichte ist nicht das, was geschah, sondern was, nach dem Dafürhalten des Geschichtschreibers, bei den gegebenen Zahlen hätte geschehen können und geschehen sollen; gemeiniglich das Wahrscheinlichste oder Unwahrscheinlichste.[185] Beide Extreme weiß man oft so zu brauchen, daß es eine Lust ist. Ach, Gott! was wird für Wahrheit ge- und verkauft! – Wollen wir andere beobachten, gleich kommt unser Ich uns in die Kreuz und Quer; und wer es auf sich selbst anlegt, den stören andere. Geister lassen sich nicht treffen, wenn man auch noch so sehr seinen Bogen spannt und zielt. Auch ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn ist nur ein schlechter Geisterschütze; – im Fluge zu schießen, ist hier noch das Erste und Beste. – Alles, was die Natur hervorbringt, kann der Mensch so ziemlich genau kennen lernen, in so weit er es mit seinen äußeren Sinnen erreicht. Bei der Kunst hat man einen Geheimnißkram; der menschliche Geist scheint hier, wenn ich so sagen darf, sein Bild der Kunstkenntniß eingedrückt zu haben. Ich muß mich in dieses Geheinmiß einweihen lassen, oder es entwenden. Meine Neigungen und meine Gedanken weiß ich; und wer von dieser Seite sich nicht kennt und in diese Beobachtungen etwas außerordentliches setzt, weiß nicht, was er spricht oder begehrt. Warum liest man so gern selbsteigene Lebensbeschreibungen? Weil, wenn man gleich weiß, daß der Mensch sich nicht vorgesetzt hat die Wahrheit zu sagen, man sich doch einbildet, er werde, eh' er es selbst merkt, sich verreden, roth werden, und wir dann ausrufen können: Erubescit, salva res est. (Es thut nicht noth, denn sie wird roth.) So gibt es Augenblicke, wo wir uns gegen unsern Willen zeigen, wie wir sind. Wir lassen uns aus Schrecken, Furcht oder Freude fallen, und der Beobachter nimmt uns auf. – Wer ist es werth, Menschen! wer, daß er zum Leben aufgenommen wird? Und ist es zum Tode – sagt, ist der, welcher den Stab bricht, besser, als der, über den er gebrochen wird? Wir mangeln allzumal des Ruhms, den wir haben sollten! – Zu enge Freundschaft, und wären auch Damon und Pythias, David und Jonathan die Freunde, zieht Verachtung nach sich. Nur Mann und Weib können ohne Verachtung sich so genau als möglich[186] kennen lernen. Die Geschlechterneigung hebt, duldet, trägt alles; und doch ist selten eine Ehe ohne Reservate. Zwischen Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern sind Scheidewände gezogen; und es gehört Erziehung dazu, wenn Kinder ihre Eltern ehren, und wenn Geschwister sich unter einander nicht verrathen und verkaufen sollen; – wenn das Glück gut ist, verrathen an Neider, verkaufen an Buchhändler. – Geschwister kennen sich in der Regel am wenigsten, weil sie zusammen aufwuchsen. Kommt es unter ihnen ans Beobachten – wo ist mehr Zank, Haß und Widerwille, als hier? Gedenkt des armen Josephs! Gott sey gelobt, daß kein Mensch sich so zeigt, wie er ist! – Gott, was würden wir sehen! Selbst wenn der Mensch sich verliert, selbst wenn er sich preisgibt, ist er noch immer nicht in naturalibus, sondern unter Vorhängen von Feigenblättern: – er zeigt den Schaum von seinen Leidenschaften; die Hefen werden zurückgehalten. Freundschaft ist eine wechselseitige Verbindung, nach welcher einer den andern nicht verachtet, ob er gleich dessen Schwäche mit Händen greifen kann. Geschichte ist eine durch Völkerrecht und Convention beliebte Art, den Gegenstand von einer gewissen Seite zu zeigen. Mensch, du bist glücklich, wenn du einsam bist; denn du bist von Menschen entfernt! Mensch, du bist unglücklich, wenn du einsam bist; denn du hast dich selbst! – Der Mensch hat keinen Hang sein Glück zu erzählen; wer von sich sagt, er sey glücklich, will glücklich scheinen. Wenn Nationen Geschichtschreiber suchen, so ist es ein schlechtes Zeichen; sie sind in Verfall. Zu klagen ist dem Menschen eigen; selbst die Prahlerei – ist sie mehr als eine ungezogene Klage? Wenn der Stöhner nichts hat, sagt das Sprüchwort, der Prahler gewiß nicht. Wo ist der Geschichtschreiber, der seine Historie so malt und trifft, daß sie jeder wieder kennt? Jeder steht anders, jeder hört anders, jeder denkt anders. Nicht die Geschichte erzählen wir, sondern wir erzählen uns selbst in der Geschichte. »Das bist du,« würde man[187] Alexander dem Großen, Sokrates, Plato versichern müssen, wenn man sie in die Bildergallerie ihrer Biographien führen sollte. – Man beschreibt nicht den Helden, sondern seine Handlungen; nicht den Minister, sondern seinen Rath; nicht den König, sondern seine Majestät. Das Aeußere und das Innere sind hier so verschieden, wie Leib und Seele. – Den Leib kann der Geschichtschreiber tödten, die Seele nicht. Hütet euch vor dem, der Leib und Seele tödten kann: Gott und seinem Stellvertreter, dem Gewissen! – Sandkörner machen den Berg, Minuten das Jahr, flüchtige Gedanken ewige Thaten. Haltet nichts für Kleinigkeiten, denn der Geschichtschreiber geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge. – Wer ist, der nicht ein tönend Erz und eine klingende Schelle wäre, seinen Panegyriker suchte und ihn fände? Wer schließt sich nicht an Umstände an? und was ist wahr und was ist Zusatz an ihm? – Wo gibt es einen Umstand, der sich selbst wahr macht, der selbständig ist? Die meisten bedürfen anderer Umstände, welche hülfliche Hand leisten. – Im Thun können wir andern Exempel geben, im Glauben nicht. Wir glauben insgesammt; ein jeder glaubt anders. Glauben ist der Vernunft Analogon. Dem schwachen Bruder hier beispringen, und wenn Vorurtheile ihm über den Kopf gewachsen sind, ihn davon befreien, heißt: ihn aufklären. Seine Kinder von einem Mathematiker bilden lassen heißt nicht: sie aufklären; wohl aber: praktisch gute Menschen aus ihnen machen wollen! – Ihr, die ihr Romane verdammt und auf ihre Kosten die Geschichte erhebt – wißt ihr, was ihr thut? Nicht die Sache, der Schreiber ist euch zuwider und seine Unmanier. Geschichte heißt nicht Roman; ist sie es aber nicht gemeiniglich? Die Vernunft richtet hier wie überall; sie kennt Lagen und Augenblicke, in denen das Herz auch durch die feinste Ueberlegung durchschimmert; sie, der Geist des Menschen, der in ihm ist, kennt sich und kennt jeden einzelnen Menschen; und hier[188] hat sie sich einen Faden angeknüpft, daß sie auch das Labyrinth einer ganzen Gesellschaft durchwandeln und ohne sich zu verwirren nach Hause kommen kann. Um die Welt reisen heißt: die Erde umschiffen. Die Erde ist für den Menschen die ganze Welt, weil er nichts als nur sie berühren kann, und wie lange kann sich ein Weltumreiser aufhalten? Das menschliche Leben ist kurz und mit so vielen Schwachheiten durchkreuzt, daß nicht viele Zeit zum Sehen und Hören übrig bleibt. – Durch Gläser sieht man den Himmel und durch die Einbildungskraft Staaten und Völker. Einbildungskraft ist ein Seelenglas; wir entwerfen Reisebeschreibung und Geschichte, je nachdem Länder und Menschen Eindrücke auf uns machen, und noch sind wir nicht so weit gekommen, die Einbildungskraft der Vernunft zu unterwerfen. Jene ist oft auf den ersten Anblick mit allem fertig und greift dieser so unbescheiden vor, daß der ruhige Leser bald sieht, woran er ist. – Gemeiniglich sind Monarchen und die Verweser (die vornehme Classe des Volkes), die nur sich unter einander kennen lernen, sehr schlechte Menschenastronomen. Auch thut freilich das Sehen bei der Astronomie es nicht allein, das Rechnen thuts! – – In der Gesellschaft zeigt jeder einzelne Mensch nur ein Pröbchen, wie Krämer von Seiden- und Wollenzeugen. – Eine artige Gesellschaft ist eine Probekarte; – wie verschieden ist das ganze Stück von diesen Pröbchen! Wer aus Gesellschaften Menschen abzieht, bekommt nicht sie, sondern ein kleines Etwas von ihnen; und wie lernst du deinen Obern, deinen Freund, deinen Diener kennen? Wenn sie sich raufen? Wenn sie in Wuth und Verzweiflung sind? Wenn sie sich in sanfterm Lichte zeigen, wenn sie lachen, wenn sie weinen, wenn sie nüchtern, wenn sie voll süßen Weins sind, oder wenn sie sich selbst vergessen, wenn sie zusammen fallen, wenn sich ihre Seelen ausziehen und zu Bette gehen wollen? Beobachter, die sich des Trunks bedienen, um Freunde und Feinde kennen zu lernen, sind auf unrichtigen Wegen.[189] – Wie verschieden wirkt der Trunk! wie verschieden das Getränk! Legt man es auf einzelne Dinge an, so kann man vielleicht seinen Zweck erreichen; – den ganzen Menschen auf diese Probe bringen heißt: im Heiligenschein Tugend suchen, im Ernst die Weisheit, im Lachen den Witz und auf der Tortur die Wahrheit – Der Trunk besticht die Seele. Gastmahle, gute Worte sind geistige Torturen. Man kann hier und da durch dergleichen peinliche Fragen einen Umstand herausbringen – ex omnibus aliquid, ex toto nihil. – Staaten sind wie Kinder, und man behandelt sie auch so. Wenn sie ganz klein sind, erzählt man Wunderdinge von ihnen. Was die Kinder nicht alles wissen und verstehen! – Wenn der Verstand zu reifen, wenn die Staaten sich zu setzen anfangen, wenn sie älter und größer werden, geht es, wie es immer ging: was reif ist, nimmt ab. Unreife Früchte sind noch besser als überreife; jene macht man in Zucker ein, das Ueberreife ist völlig unbrauchbar. – So wie viele (vielleicht die besten) Menschen nur nach ihrem Tode berühmt werden, so auch Völker. Nie werden Handlungen schlechter erzählt als den Tag nachher, wenn sie geschehen sind; an dem Handlungstage selbst ist jeder von seiner Handlung betrunken. Der Held weiß gerade am wenigsten von seiner That; und in Wahrheit, nicht er, sondern die Sache muß reden. – Heißt das aber nicht die Folge? – Beim Volke zwar, allein auch beim Weisen, beim denkenden Manne? Wer kann für die Folgen stehen? Nur Tyrannen lassen sich die Folgen verbürgen. – Der Hergang der Sache wird, anstatt daß er je länger je bewährter werden sollte, je länger je unrichtiger und unsicherer, besonders wenn er mündlich fortgewälzt wird, obgleich er zusehends anschwillt; – der Schneeberg wird zu Wasser, sobald die Sonne der Kritik wirkt. Je mehr Körper, heißt es auch hier, desto weniger Seele. – Man knetet die Geschichtsmasse erst durch und läßt sie aufgehen und ausbacken, ehe sie gegessen werden kann. Die Folgen freilich sind[190] hör- und sichtbar, obschon auch hier, wenn gleich alles offen da zu liegen scheint und der Aufrichtigkeit kaum auszuweichen ist, Künste gesucht werden; die Ursache aber wird nicht gesehen, nicht gehört, sondern herausgedacht. Sehen und Hören sind die historischen Sinne; kann man aber ohne Vernunft hören und sehen? – das heißt: menschlich sehen und hören? Zwar können allgemeine Untersuchungen über historische Dinge angestellt werden; wird aber nicht jeder diese Untersuchungen anders führen, jeder die Resultate anders abziehen und jeder anders auf- und annehmen oder glauben? Wenn der Historiker die höchste Glaubwürdigkeit herausbringen will, so bezieht er sich auf Aktenstücke; und nun sagt, Aktenfabrikanten, was täglich, was stündlich bei euch vorfällt! Wenn eine Wachtparade von Zeugen die Finger gen Himmel präsentirt und mit Leib und Seele versichert, die reinen Umstände über etwas abzugeben, das vor ihren sichtlichen Augen vorging – was ist das Ende vom Liede? Stimmen die Aussagen der Zeugen, wenn sie gleich sogar Sanctionen ihres Gewissens waren, mit Zeit, Ort und andern Datis und unter einander? Widerspruch über Widerspruch, ohne daß man der Ehrlichkeit und dem guten Willen dieser Menschen zu nahe zu treten im Stande ist! – Und dann Worte! In ihrer Natur liegt schon so viel Stoff zur Unrichtigkeit, daß sie an sich verfälschte Gedanken sind. – Gedanken sind das rohe Material, Worte sind Fabrikate. – Noch besser: Worte und Geld sind einer und derselben Natur. Wenn die Sprache der eiskalten Vernunft, die Memento mori der philosophischen Karthäuser je die Sprache des gemeinen Lebens werden könnte – würde mehr Wahrheit in der Welt seyn? – würde die Menschheit selbst an Moralität gewinnen? – Verlieren würde sie durch diese Haarfeinheit, durch diesen unnatürlichen, klösterlichen Zwang, durch diese Kopfhängerei. Wohl uns, daß jetzt in die Kreuz und in die Quer gedacht, geglaubt und geredet wird! daß Weisheit, Ernst und Strenge, Thorheit,[191] Schönheit und Häßlichkeit, gerade und krumme Linien in- und durcheinander laufen! In allem, was Lachen verursacht (und Gott erhalt' uns doch bei dieser doppelten Schnur, bei dieser Zwerchfellserschütterung und Seelenmotion!), liegt eine Unrichtigkeit, Carricatur, ein Ueberschritt des Charakters, und wo ist der Mensch, der von aller Erb- und wirklichen Carricatur befreit wäre? – Man lasse sie ihm! – Selbst allgemeiner Geschmack – wäre er wünschenswerth? Mode ist in vieler Rücksicht die Losung des menschlichen Geschlechts; sie weiß dem Alter einen neuen Anstrich zu geben und Abwechslung, sonach auch Vergnügen in das Leben zu bringen – und wenn gleich wenig, so doch etwas zum Fortschreiten der Menschheit beizutragen. Wer Aufklärung anders als das Salz braucht, kennt die Menschen nicht. Salz ist ein gut Ding. Was ist indeß unerträglicher: versalzen oder ungesalzen? – So wie unsere Erde um die Sonne läuft und sich um sich selbst dreht, so geht es mit dem Menschengeschlecht und mit dem einzelnen Menschen. Die Menschheit war, ist und bleibt immer dieselbe; sie wird immer um die Sonne laufen, und so sind ihr verschiedene Jahreszeiten eigen. Es wartet ihrer Frühling und Sommer, den sie noch nicht erlebt hat (excipe das Paradies, wo nur ein Paar den Genuß hatte); im Herbst ist sie jetzt und auf ihn folgt Sommer. Der Frühling, als das Summum, ist das tausendjährige Reich der schwärmenden Prosaisten und der ewige Frühling der schwärmenden Dichter! – Jeder einzelne Mensch dreht sich um sich selbst. – Immerhin, wenn er nur seinen größern Lauf dabei nicht vernachlässigt! Ein andrer Tag aber ist ein Winter-, ein andrer Tag ein Herbst-, ein andrer ein Sommertag. Ein gemilderter Frühlingstag ist von allen der beste: ein Sonn-, ein Festtag! Wer dieß Bild nicht schmecken und sehen kann, wird der fassen, was für Beziehung allgemeine Aufklärung auf die Tugend und den Seelen- und Leibeszustand des einzelnen Menschen hat? – Mehr Verstand, mehr Wille, mehr[192] Treue, mehr Glaube heißt darum nicht: lauter Verstand, lauter Wille, lauter Treue, lauter Glaube. – Summa: jede Freude muß mit edlem Schmerz, jeder Schmerz mit einer Art von Freude, jede Vernunft mit Einfalt, jeder Glaube mit Zweifel gewürzt werden, sonst fehlt überall der Reiz. – Das Ende vom Liede: ist es nicht ein andres Ding, den Menschen zu epitomiren und zu paraphrasiren, ihn tanzen, gehen, stehen, sitzen zu lassen und so weiter? Es kommt viel und alles darauf an, wie er gestellt wird. Im Grunde denkt, spricht, handelt der Fürst so wie der Bauer; nicht sie, sondern die Stellung ihres Körpers ist verschieden. – Der leidige Körper! ist er uns doch immer im Wege! und doch – wer gibt ihn weg um wie vieles! – Die Stellung des Körpers macht Provinzen und Kohlgärten, macht Fürstenthümer und Meierhöfe, ändert Ausdruck, Sitten und Ton. Sonst sind wir uns im Leben so gleich, wie im Tode!

Nach diesen Aus- und Einschweifungen ward per Decretum festgesetzt:

a) Der gute Vetter, sonst ein Mann, ist der Intoleranz gegen Adel und Johanniterorden zu zeihen.

b) Glaube gehört zu allem; Glaube ist nicht jedermanns Ding. Zu einer an die mathematische Evidenz grenzenden Gewißheit ist wenig zu bringen. Die sinnliche Evidenz steht der mathematischen oft nach.

c) Ceremonien und Darstellungen sind Glaubenskrücken.

d) Man thut wohl, sich den Glauben in die Hand zu spielen. Dieß war der Hauptschlüssel zu diesem ganzen Paragraphen; – Jerusalem sollte nach Rosenthal höflich eingeladen, und beliebter Kürze und Einfalt wegen hierher das gelobte Land verlegt werden. – Es wird die Einladung nicht abschlagen, sondern die Ehre haben, aufzuwarten. Trägt man gleich die Trauben hier nicht auf Stangen, fließt gleich in Rosenthal nicht Milch und Honig, –[193] wird das gelobte Land sich übrigens hier nicht ganz wohl befinden? Omne simile claudicat.

e) Der vierzigjährige Wüstengang bleibt an seinen Ort gestellt.

Zu Ehren der Ritterin muß ich bemerken, daß sie auf ein Drittheil, der Ritter auf ein Siebentheil, der Junker auf ein Zehntheil dieses Paragraphen Anspruch haben. Das übrige gehört auf die Rechnungen des Predigers und des Hofmeisters; und nach dieser Vermessung und Abwiegung ein Stück vom Prediger und eins vom Hofmeister, den wir lieber Heraldicus junior nennen wollen. Daß er an diesem Spitznamen nicht sterben wird, dafür verbürge ich mich.


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 184-194.
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