§. 35.


Der Prediger

[194] gehörte nicht zu den Geistlichen, welche glauben, was die Kirche glaubt, und die ein ganzes Leben hindurch von dem Honig zehren, den sie in dem Dreiblatt der akademischen Jahre so ziemlich dürftig in die Zellen ihres Kopfes gesammelt haben. – Oft ist der Bienenkorb oder Stock des Kopfes auch so klein, daß nicht viel Honig Platz hat; oft hat die Gegend so wenig Honiggewächse. – Er war als Ehemann und als Vater so glücklich, wie man es unter dem Monde seyn kann. Seine Stelle, die zwar mittelmäßig, doch hinreichend war, ihm und seinem Hause Nahrung und Kleider zu geben, hätte er mit keiner General- und Special-Superintendentenstelle vertauscht. »So ihr Nahrung und Kleider habt, laßt euch begnügen,« war die Losung seines Weibes und auch zur Noth die seinige; zur Noth! denn er hatte Gelegenheit gehabt, sich näher zu überzeugen, daß man sich in die Zeit schicken müsse, weil es böse Zeit ist, und in die Menschen, weil es gute Menschen gibt. – Großes Verdienst ist nie ein sicherer Bürge für Lob und Preis; vielmehr verhindert es gemeiniglich, was es befördern sollte. Wir[194] rühmen den am liebsten, der uns am wenigsten die Sonne in unserm vermeintlichen Verdienstrevier vertritt. Nur dem Nebenbuhler können die Menschen, wenn er gleich unendlich über sie an Würdigkeit hervorragt, diesen Tribut nicht zugestehen. Dieß Lob, denken sie, wäre eigne Verachtung. Was gilt ein Prophet in seinem Vaterlande? Durch das Lob derer, die es auf eine andere olympische Bahn anlegen, verlieren wir wenig oder nichts. Der Feuermauerkehrer lobt unbedenklich den Friseur, der Dichter den Philosophen, der Mathematiker den Officianten, der Geistliche den Weltlichen, der Arzt den Barbier. Glauben die Menschen noch überdieß, daß sie den heterogenen Gegenstand ihres Lobes zu übersehen im Stande sind, so kommt es ihnen nicht auf Lobpauken und Preistrompeten an.

Die Klippe, an welcher unser Prediger scheiterte, war die Vermuthung, daß in geheimen Gesellschaften der Mensch doch wohl vom Glauben zum Schauen erhoben werden könnte; und ob er gleich Gott und die andere Welt herzlich und sehnlichst glaubte, so war er doch der Meinung, noch diesseits des Grabes zu mehr nicht gelangen und wohl gar das Geisterreich, wie das gelobte Land, nach Rosenthal verlegen zu können. Die Freimaurerei, von welcher der schausüchtige Pastor alles glaubte, was er hörte, aber nichts, was er las, bestärkte diese Hoffnung; und nun griff er nach jedem Mittel, das ihm vorkam: nach einer Eiche und nach einem Strohhalm, nach dem Gastvetter und nach dem Senior familiae mit seinem Kasten. – Warum sollte auch nicht einer von den Todten, dem Pastori loci zu Ehren, einen Besuch unter den Lebendigen machen? War er doch keiner von den sieben Brüdern des reichen Mannes, dem Abraham mit Recht die Gefälligkeit abschlug! – Gern hätte er seinen Kirchhof in ein Elysium umgeschaffen, wo abgeschiedene Geister selige Schatten geleiten! – Die Veranstaltung, daß Rosenthal zum gelobten Lande geadelt werden sollte, lag nicht[195] außerhalb der Grenzen seines Zweckes; es war ihm vielmehr ein Richtsteig. Die alten Ritterorden und andere noch florirende, auf Geheimnisse sich gründende Orden hielt er für Depositairs einiger höheren Aufschlüsse. – Ueberall fand er für seine Schwärmerei im Rosenthal'schen Kanaan Nahrung, die ihm, meinte er, wenn nicht von Rittern, so doch von einigen Pilgrimen, geliebt's Gott! geleistet werden würde. Simeon konnte nicht inbrünstiger auf den Trost Israels warten, als unser Geistliche auf eine Geistererscheinung. – Ob er doch je etwas sehen wird? Verschweigen wird er es gewiß nicht! – Daß seine Grundsätze unvermerkt auch auf die Ritterin gewirkt hatten – darf ich das erst anführen? – Diese Kreuzseherin war geneigt, sich in eine Seherin verwandeln zu lassen; doch alles medice und modice. – Es heißt vom Geistlichen: ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben; doch hat er ihn auch von der Erde und zum Kopf und Herzen derer, die mit ihm umgehen. Die Geistlichen taufen, sie confirmiren, sie copuliren; – sie finden die Menschen, wenn ihr Herz und ihre Seele offen und jedes Eindruckes fähig sind. Und in der That, die Ritterin kam zuweilen dem Pastor auf halbem Wege entgegen. – Secunda war ihm eine wahre Promotion. – Was hab' ich zu verlieren? Nichts. Was zu gewinnen? Viel. – Freilich viel! Wenn ihm auch niemand von den sieben Brüdern des reichen Mannes erscheinen sollte, was ging ihm ab? Wer ist nicht gern im gelobten Lande, wo Milch und Honig fließt? – Der Umgang im ritterlichen Hause entschädigte ihn für so manchen Lebenskummer; er gewann bei seiner Gemeinde durch die Achtung, die ihm bei Hofe erwiesen ward, und so trieb er unvermerkt diese Schwärmerei als Bedürfnis, zu der er zwar allerdings schon von Natur geneigt war, zu der er sich indeß doch anfänglich in Hinsicht der Manier, aus Gefälligkeit und Lebensart, bequemen mochte. Der Ritter ging nicht auf Geistersehen aus; doch leistete er, ohne[196] es zu wissen, dem sehlustigen Pastor loci Vorschub. – Schwärmerei und Empfindelei sind Geschwisterkind, und unserm Manne Gottes wurden die obern Seelenkräfte je länger je entfremdeter, wogegen er es sich bei den untern herrlich schmecken ließ. Ein ächter Secundaner!


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 194-197.
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