§. 36.


Heraldicus junior

[197] hat einen unauslöschlichen Trieb zu Gleichheit und Freiheit, wozu nun freilich sein Vater (den blauen Montag etwa ausgenommen, den er jedoch in reiferen Jahren aufgab) keine Gelegenheit gegeben hatte. Von der Akademie war ihm diese Sinnesart beigebracht; und nun wollte er mit dem Kopfe durch die Wand! – Selbst im ritterlichen Hause glaubte er dieses Evangelium nicht ohne Segen verkündigen zu können; allein siehe da! die Ritterin lenkte ihn ein. Und da er bei allem Freiheitssinn oder Unsinn nur zu deutlich einsah, daß es ihm an der runden Tafel besser ginge als an der Marschalls- und an der Bediententafel, und daß die Ritterin und ihre Freundinnen andere Weiber wären, als das schöne Gesindel, das er in seiner Jugend zu verehren Gelegenheit gehabt hatte, so sprach er von Freiheit und Gleichheit, wie Freund Johann Jakob – so daß sich alle beide, Rousseau und Er, im Umgange mit Weibern, deren Gestalt Engel ohne Bedenken annehmen können, und mit Männern, die, wenn sie nicht unsere Glückseligkeit, so doch unser Glück zu machen im Stande sind, die schon durch ihren Besserschein das Herz erheben, die Seele anfeuern und das Leben menschenwürdiger machen, gar nicht übel befanden. – Nie konnte Heraldicus junior die Art vergessen, die, wie er sagte, über alle Art ging, womit die Ritterin ihm ein Geschenk machte. War es doch so, sagte er, als ob ich[197] gab, und als ob sie nahm! Wo ihr Auge nur hinreicht, verbreitet sie Heil und Segen, und das alles so in der heiligsten Stille, wie das göttliche Wesen – oder wie jener herrliche Bach im Lustwäldchen, der, ohne einen Laut von sich zu geben, Menschen, Vieh, Blumen und Kräuter erquickt. Stolz zerstört jede Schönheit, macht alles unsymmetrisch und verdirbt unsere Gesichtszüge und Lineamente noch ärger, als die Blattern. Edelmuth übertrifft die drei Grazien und die neun Musen. Heraldicus junior konnte nicht umhin, seiner Schwester zu versichern, daß sich sein voriger und sein jetziger Umgang verhielten wie ungeschmierte Thürangel- gegen Lautentöne. – Freilich sind oft die Dürftigen nur dürftig, der gemeine Mann nur gemein, sonst aber bieder und brav; freilich gibt es unter den Großen wahrhaft kleine Menschen, unter den Reichen bettelarme, unter den Hochgeehrten niederträchtige, unter den Hochgelehrten unweise, – doch gibt es auch unter ihnen viele, die ihres Standes und ihres Reichthums würdig sind, die beides zu genießen verstehen, ohne sich zu überladen. Man erwäge, daß Heraldicus junior nicht ohne Talente war; daß seine Burschenmanieren, sein ins Gemeine sinkender Anzug ihn, als er seine Hofmeisterstelle antrat, bei aller Gelegenheit im Herzen fragten: Freund, wie bist du hereingekommen und hast kein hochzeitliches Kleid? – Wird man sich noch über seinen Freiheitssinn und über seine Abneigung von aller persönlichen Convenienz wundern? Der Gastvetter hatte ihn hingerissen, allein nicht eingenommen. – Und warum nicht? Weil er kein Schneiderssohn war; weil, obgleich seine Seele einen Adel behauptete, den kein Diplom und keine Stammtafel verleihen kann, er doch so leicht das nicht hätte werden können, was er war wenn er nicht ein Edelmann gewesen wäre. So manches gute Wort, das der Ritter fallen ließ, hatte indeß gezündet, und obgleich Heraldicus junior sich allerdings überzeugte, daß Reichthum und Stand Zeugen und Beklatscher nöthig haben, und daß[198] dergleichen Zeugen und Beklatscher, wenn sie sich nicht von selbst melden, von den Reichen und Vornehmen mühsam aufgefordert und eingeladen werden: – verdient es Vorwurf, nicht nur sein Brod, sondern auch seinen Reichthum, mit andern zu brechen? Man zeigt seine Pokale; allein es sprudelt Champagner darin. Sehet! zuweilen erhebt Tokayer den Krystall! Man will mit seinem Silbergeschirr prahlen; allein es enthält die geschmackvollsten, einladendsten Speisen. Ist es denn nicht eine gute Seite der Menschen, daß sie nichts für sich allein behalten können? Newton und Copernicus würden nicht erfunden haben, wenn sie nicht in Gesellschaft gelebt hätten. Wie gut ist es, daß Edelgesteine nicht strahlen, wenn sie nicht von andern gesehen werden; daß Gold nicht leuchtet, wenn andere es nicht zu bemerken würdigen; daß der Stolze, der Reiche nichts für sich, sondern alles für andere thut, und daß selbst der reiche Schlemmer, dessen Bauch sein Gott ist, doch alles nur halb genießt, wenn nicht andere Theil daran nehmen! Hat der Eigenthümer von seinem Stein- und Goldreichthum mehr als das Sehen? Ist es nicht eine Art von Mittheilung, sie andern zu zeigen? – Fließt aus dem Satze: »Nur das hab' ich, was ich sehen lasse,« nicht natürlich die Betrachtung: »Nur das ist dein, dessen du dich zu entäußern im Stande bist?«

Dieß und das brachte den Heraldicus junior aus der spinnbewebten Studirstube in die Welt, wo wir ihn fürs erste willkommen heißen wollen. Seine Freiheitsgrundsätze gab er darum im Ganzen nicht auf; er wußte nur aus- und einzubiegen, und, wenn beim fein raffinirten (er nannte es schön stylisirten) Diner oder Souper bonmotisirt wurde, seinen Gleichheitssinn auszusetzen. Oft sagte er dem Pastor, daß ihm manches seine Mahl wie ein Concert vorkäme, wo alle Töne sich freundschaftlich einander nähern und das Mannigfaltigste zum Entzücken zusammentrifft. Von seinen Gartengewächsen und von Baumfrüchten, die nur durch[199] Gärtnernachhülfe zu erziehen sind, war er ein großer Liebhaber, und diese durch die Kunst erhöhete Natur machte ihm den Aristokratismus in Rosenthal so erträglich, daß er oft nicht wußte, wie er mit dem Demokratismus daran war! Der Mangel an bürgerlichem Ansehen und ein zu starkes Selbstgefühl veranlassen Revolutionäre, die den Drang, etwas vorzustellen, nicht besser als auf diesem Wege befriedigen können. Herrschsucht ist der Hang aller Menschen. Selbst das Christenthum lehrt: wir wären geistliche Könige, Priester und Propheten. Warum nicht geistliche Bauern und Handwerker? – Wer wird der Tyrannei das Wort reden, da sie nicht anders ist, als die Herrschaft des Eigendünkels, der in die Stelle der Herrschaft der Gesetze tritt? – Wer wird aber jenen Brauseköpfen beitreten, die immer von Gleichheit sprechen und alles zu beherrschen suchen? Nicht nur was vor ihnen ist, sondern selbst was bescheiden neben ihnen gehen will, hat in ihren Augen tyrannische Absichten. Alles soll hinter ihnen seyn! – Kann ein Tyrann anmaßender verfahren? – Je länger man in der Welt lebt, desto unzufriedener ist man mit jedem Machtspruche und jeder Machtthat; doch desto mehr überzeugt man sich auch, daß jugendliche Freiheitsherolde nur zu oft Schlösser bauen, die von außen erhaben und schön glänzen, indeß nicht bewohnbar sind; pompvolle Schiffe, die nur den kleinen Fehler haben, daß sie nicht geschickt sind, im Wasser Dienste zu thun. – So dachten Ritter und Ritterin; ob richtig oder unrichtig, kann im §. Heraldicus junior noch nicht die Frage seyn.

Das Stück vom Prediger?

Gut! wenn man mich beim Worte hält – hier ist es.

Und vom Heraldicus junior?

Wird es nicht zu viel werden?

Ich wette, man wird, die Kupferstiche Nro. 35 und 36 in[200] der Hand, den Prediger so wenig, wie den Heraldicus junior in ihren Arbeiten wieder erkennen; – oder ich wette nicht.

Zum Stück des Predigers in


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 197-201.
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