37. Lebensgröße

§. 37.


Lebensgröße,

[201] oder besser in ganzer Figur. – – Vorbericht. Ein Gesetz ist ohne Vorbericht; eine Predigt kann sich nicht ohne ihn behelfen, und auch selbst ein Geistlicher selten. Hat jemand von meinen Lesern bemerkt, daß der Ritter kein Feind der katholischen Religion war, so darf ich es nicht bemerken. Dieß that indeß seiner evangelisch-lutherischen Confession nicht den mindesten Abbruch. Ohne des Umstandes zu gedenken, daß der Reichsfreiherr, und daß die Originalritter und ersten Hospitaliten vom Orden des heil. Johannes in Jerusalem dieser Religion zugethan waren, hat die katholische Religion ihre Ahnen, ob richtig oder nicht, damit ist es bei Ahnen wahrlich so genau nicht zu nehmen. Pater est quem justae nuptiae demonstrant. Das Kind heißt nach dem Gemahl, ob der Gemahl Vater ist, da siehe du zu! Außerdem haben alle Kreuze etwas Katholisches in sich, und wenn gleich das Kreuz die gemeinste Strafe war, mit welchen man bei den Syrern, Juden, Aegyptern, Persern und Römern Knechte, Mörder und Räuber belegte, so ist doch diese Figur ein Ehrenzeichen geworden durch den gekreuzigten Stifter der christlichen Religion, der aber verlangte, daß seine Anhänger auf eine andere Weise ihr Kreuz auf sich nehmen und ihm nachfolgen sollten.

Der Zuneigung, die unser Ritter zu der katholischen Religion hatte, ungeachtet, hielt er es doch nicht mit Klang und Sang, worin diese Kirche ein Hauptstück ihres Gottesdienstes setzt; vielmehr war er ein Gönner der Prosa. Er hielt dafür, sie sey adlich, und[201] man sehe ihr Wehr und Waffen an. Schon hatte man sich, um den Ritter durch das Alterthum zu gewinnen, Mühe gegeben zu behaupten, daß die Menschen mit der Poesie den Anfang gemacht hätten, und daß das Jauchzen und Springen wahre, ächte Poesie wäre; indeß ward er so wenig in diesem Garn gefangen, daß er sogar das Alter der Poesie in totum und tantum abläugnete. – Und wie das? – Gott der Herr, wenn er sprach, redete in Prosa. Adam und Eva mußten natürlich auch so antworten, und haben im Paradiese in keiner andern Art als in Prosa conversirt. Die erste Urverwirrung der Sprache ist Poesie und Prosa. – Vergebens war alle Mühe, den Ritter zu überzeugen, daß Poesien Früchte und Kinder der Imagination wären, die doch beim Ritter galt. Zuweilen schien es wirklich, als ob er mit seinen Behauptungen in Verwirrung käme; doch konnte man dieses Eingeständniß nicht von ihm erhalten. Er glaubte, es ans Tageslicht bringen zu können, daß die Behauptung der Dichter: »die Dichtung sey das Chaos, die Mutter der Prosa,« schon eine Dichtung wäre; daß die Einbildungskraft, in der doch der Dichter, wie der Fisch im Wasser, zu schwimmen vorgebe, nicht zähle und messe, und daß noch die Zeit kommen müsse, wo man der Prosa Gerechtigkeit widerfahren lasse. Die höchste Poesie sey nicht eine toll gewordene oder poetische, sondern eine durch ihren innern Gehalt, durch ihren Geist geadelte Prosa. Verbannte nicht Plato, sagte er, die Poeten aus den Vorhöfen des Himmels, aus seiner Republik?

Nach diesen Grundsätzen kam der Ritter gemeiniglich bei den letzten Worten des Glaubens in die Kirche, und so war das Amen des Predigers auch das Zeichen, seinen Hut zu nehmen und in die Melodie des Gebetes zu fallen. Morgen- und Abendandachten waren in Rosenthal seit Menschengedenken eingeführt; allein alles ging ohne Klang und Sang ab (welches der Schulmeister, der zugleich die Orgel schlug und die Cantorei zierte, ohne Salz und[202] Schmalz nannte). Der Prediger, der wie fast alle seine Collegen im Gesang seine einzige Erbauung fand, da das Auswendiglernen ihm alle Rührung und allen Herzensantheil an der Predigt entwendete, mochte nun so viele Verse in seiner Predigt anbringen, wie kaum in den Lebensläufen in aufsteigender Linie angebracht sind: – unser Ritter konnte dieser Gewohnheit keinen Geschmack ab gewinnen. »Er will nicht anbeißen,« sagte Heraldicus junior etwas zu prosaisch, der auch ein Liederfreund war, indeß, wie es sich von selbst versteht, mit mehr Schmalz und Salz, als der Organicus loci. Freiheit und Poesie haben von jeher gute Freundschaft gehalten, wenn gleich die Bemerkung unsres Liederstürmers nicht zu verachten ist, daß Poesie eine gebundene und Prosa eine ungebundene Rede hieß.

An einem X. Sonntage nach Trinitatis überraschte Pastor loci den Ritter loci, und ließ, so wie es bei den Herrnhutern Sitte ist, ehe man sichs versah, ein Liedlein anstimmen, und hieß war: Erhalt' uns Herr bei deinem Wort.

Pastor nannte diese Herrnhutersitte, der man auch in Philanthropinen gehuldigt hatte, die Predigt lardiren.

Nichts in der Welt, nicht die Stimme des castrirtesten Sängers, noch die Poesie des uncastrirtesten Dichters, hätte den Ritter so angreifen und bekehren können, wie der »Türkenmord.« Indeß fand er am Morde des Papstes einen nicht kleinen Stein des Anstoßes; und nun mußte noch ein Strategem von Abhandlung dazu kommen, wenn der Ritter den Gesang mit gnädigern Augen ansehen und sich mit dieser bürgerlichen Sophie verbinden sollte.

Ich gebe diese Abhandlung in Lebensgröße; doch mehr als Brocken vom Pastor werden wir nicht sammeln. Fast keine Schrift ist so schlecht, daß nicht etwas von guten Brocken darin vorhanden seyn sollte; auf ganze Körbe voll muß es kein geneigter Leser anlegen.

Dieß Körbchen hieß:


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 201-203.
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