42. Glaubensübungen

§. 42.


Glaubensübungen

[233] kann man in dieser ruchlosen bösen Welt nicht zu viel haben. Ist es nicht auch in diesem Sinn ein wahres Wort: Was nicht aus dem Glauben kommt, ist Sünde, ist Ueberspannung? So fing der Prediger eine pathetische Rede an, die er fortsetzte, wie folgt:

Des Menschen Verstand unter dem Monde ist ein Glaubens-Verstand. Nun gibt es freilich Dinge, die mit der linken Hand[233] gegeben werden, und diese muß man denn mit der rechten nehmen. Z.B. die andächtige Helena (der Prediger bückte sich tief gegen die Ritterin) soll, als sie von Jerusalem zurückkam, beim großen Sturme dem adriatischen Meer einen Nagel aus dem Kreuze Christi an den Kopf geworfen haben, und das Meer von dieser Zeit ab weit gefälliger und sittsamer geworden seyn. Der erste christliche Kaiser, Constantin der Große, hat zwei Nägel des Kreuzes Christi in seinen Privatnutzen verwandt, und den einen an seines Pferdes Zaum, den andern an sein Schwert gelegt, um den Feind zu schlagen und im Fall der Noth auszureißen Nach menschlichem Dafürhalten wäre also, geliebts Gott! der Nägel Zahl zu Ende; indeß werden deren noch so viele gezeigt, daß Ew. Hochwürden wenigstens alle Ordenskleider und Mäntel ganz bequem daran hängen könnten, ohne daß deren eins sich über die Nagelfestigkeit zu beschweren im Stande seyn würde. An diese Nagelgeschichte ward noch ein Verzeichniß von vielen Reliquien gehängt, die der Rede werth waren. Schon ist einiger derselben rühmlichst gedacht. Der Prediger nahm nach einigen Gesprächen, die nicht verdienen Reliquien zu werden, wieder das Wort. Werden, sagte er, nicht wenigstens drei Schweißtücher gezeigt, die Veronika Christo gereicht, um sich den Schweiß abzutrocknen, und in welches er sein Angesicht abgedrückt hat? Der Stein, der eben zum Schreien den Mund aufthat – nachdem er nämlich zuvor den Mund ex officio erhalten, bei Gelegenheit der Worte: wo diese (scilicet) Kinder schweigen, so werden die Steine schreien – ist gewiß keine Alltagsreliquie. Allerdings, sagte der Ritter, wird im gelobten und in so manchem ungelobten Lande so manches und mancherlei gezeigt, wobei: wer Lust und Liebe zu glauben hat, schon seine Nuß finden kann – sein Heil zu versuchen im Stande ist, beschloß der Preidger, indem er die Nuß veredelte. Warum soll man sich aber solche Glaubensgelegenheiten nicht näher legen? warum nicht lieber[234] mit Händen und Augen greifen, als mit Imagination? Im gemeinen Leben sagt man von dem, was man nicht behalten will, man lasse es durch ein Ohr hinein, und durch das andere hinaus, wie unkeusche Weiber ihre Liebhaber respektive durch Vorder-und Hinterthüren.

Am Ende kommt es freilich auf die Absicht an, beschloß der Prediger; und wenn der Gruß der heiligen Jungfrau Elisabeth, Christi Seufzer, der Schlaf der Jünger Christi, das Krähen des Hahns bei Petri Verrätherei, der Traum der Frau Gemahlin des im Credo prangenden Pontius Pilatus, der Kuß des Judas, sein Wurf der Silberlinge, der Hieb des Petrus, auf welchen das Ohr des Malchus abfiel, nur mit Manier gezeigt werden; – wer kann und wird satyrisch fragen: ob nicht auch für Geld und gute Worte blauer Dunst zu sehen sey? Zwar gibt es Spötter, die eine Unrichtigkeit durch eine noch größere in die Enge treiben; – doch kommt alles auf die Vorstellung an. Der englische Dichter Schmart schrieb, von frommen Gefühlen hingerissen, viele Stellen seiner Gedichte auf Knien; und was galten nicht zu einer gewissen Zeit Verse, die man vorwärts und rückwärts lesen konnte, Wortspiele und Paronomasien, Gryphen? – Wenn nun freilich, nach der Analogie des d'Alembertschen Vorschlages, alle hundert Jahre aus allen nützlichen Geschichtschreibern einen Auszug zu machen und den Rest zu verbrennen, auch ein solches Auto da fé über die Reliquien gehalten werden sollte – wie viel würde übrig bleiben? – Wer wird aber diese Musterung an heiligen Reliquien übernehmen, da man den profanen Weizen noch nicht gesichtet und die Reliquien des Apollo noch lange nicht aufs Reine gebracht hat? Jener Schweizer pries Strümpfe an, die er unter andern mit der Versicherung empfahl, daß er von ihrer Art viele länger als drei Jahre getragen hätte. Ein an diese Verheißung gläubiger Käufer, dem die seinigen nicht länger als drei Tage Dienste leisteten, machte[235] seinem Käufer die bittersten Vorwürfe, und dieser erwiederte ganz gelassen: Es kommt bei der Sache sehr auf die Frage an, wo Sie die Strümpfe getragen haben; Sie sehen, ich trage die meinigen auf dem Rücken. – Heraldicus junior, der, wie er gegen unsern Helden prahlte, mehr für Lebenspflichten als Glaubenslehren war, hätte aber dieser Prahlerei halben nicht schweigen, sondern eine seiner Lebenspflichten außer Zweifel setzen sollen. Doch schwieg er gegen jedermann, und bloß dem A B C gab er im Stillen zu vernehmen, daß man von Kindern Glauben, Zutrauen, von Erwachsenen Prüfung einzelner Stücke, von Männern Kritik des Ganzen fordere – und daß man von Bildern zur Deutlichkeit, vom Buchstaben zum Geist hinübergehen müsse, wenn man nicht der Bestimmung des Menschen und dem Gange seines Geistes entgegen arbeiten wolle. – Nach den pathetischen Brocken des Predigers, welche (bis auf die Winkelkritik des Hofmeisters) allgemeinen Beifall erhielten, ward verabredet und beschlossen, alles nur in einer freien


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 233-236.
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