44. Ermüden

§. 44.


ermüden.

[239] Es wurden zwölf Rosenthalsche junge Leute zu Kriegsknechten geworben, und mit ihnen capitulirt, daß, wenn sie in diesem Kreuz- und Grabesdienste sieben Jahre treu befunden wären, ihnen ein Weib zur Belohnung, wie dem frommen Jakob, beigelegt werden sollte; es versteht sich, nur Eins: entweder Lea oder Rahel; – und zu diesem Behuf sollten besondere Grabesschwestern als Exspectantinnen eingekleidet werden.

Obgleich mit göttlicher Hülfe so leicht kein Türke sich hier blicken lassen würde, so wollte man es doch gern gestatten, damit aus diesen authentischen Kopien die mangelhaften Originale (dergleichen Fälle ereignen sich öfters) ergänzet werden könnten. Die Kriegsknechte gehen schwarz gekleidet mit weißen Aufschlägen und Knöpfen, und haben, statt der bösartigen Flinten und anderer Wehr und Waffen, alttestamentliche Osterstäbe. Weßhalb? Um zu beweisen, daß hier ein neues Jerusalem auferstanden sey! um die Pilgrimstäbe abzubilden; um sich des alten Bundes zu erinnern; um außerdem – sich die Hunde abzuwehren. Vivit, sagte der Prediger im Geiste Luthers: Es lebt! Am Heck, welches der[239] beliebten Ordnung halber von Stund' an Pforte heißen sollte, ziehen zwei auf die Wache. Den Kriegsknechten muß es nicht an Proviant und warmer Stube fehlen; ihr Wachthaus soll nach dem Riffe des Simeonschen Hauses, noch sichtbar im gelobten Lande, angelegt werden. Die Aufschrift sey: Viel sind berufen; Wenige sind auserwählt.

Sobald der Pilger ankommt, wird er in eine der für die Pilger bestimmten Wohnungen gebracht, und Se. Hochwürden erhalten Rapport: wie der Pilger heiße? Weß Standes, Vaterlandes, Glaubens und Alters er sey; was für ein Geist ihn getrieben, zu diesen Sanctuarien zu wallfahrten; ob zu Fuß, oder zu Wagen, oder zu Pferde. Wald- und Posthörner müssen an diesen heiligen Oertern zu. Molltönen gestimmt seyn, und, an Traurigkeit gewöhnt, den Wiederhall nicht reizen. – Rosenthal wird dem Pilger, wie man nach der Liebe hofft, von selbst das Thal Josaphat im gelobten Lande ins Gedächtniß bringen. – Nach Beschaffenheit des Standes wird dem Pilger eine Zelle angewiesen und die Küche eingerichtet. Es werden nur drei, fünf und sieben Schüsseln gestattet. Bei diesen heiligen Zahlen wird niemand Hungers sterben. – Was über drei, fünf oder sieben geht, ist vom Uebel. – Machen wir es nicht alle, wie kleine Kinder, die dem Schmetterlinge stundenlang nachlaufen? – Endlich erhascht. Allerliebst! – Gelacht, ihm die Flügel abgerissen, geweint. – O Welt, sieh hier dein Leben! – Der Pilgerkoch, der zugleich den Kellner macht, ist Rendant der Kasse, ohne eines Controleurs zu bedürfen, der ohnehin gewöhnlich mit dem Rendanten unter einer Decke spielt. – Das Geld wird zur Kriegskasse verrechnet. – Dieser Regiments-Quartiermeister muß sich Mühe geben, den Pilgerstand nach Ortsgelegenheit einzurichten: – Hecht, in Rücksicht der Köpfe, ja nicht zu vergessen. – Fische haben überhaupt mehr Geruch der Frömmigkeit, und sind ebenfalls Pilger,[240] mit dem Unterschiede, daß ihnen kein warmes Blut nach dem Kopfe schießt. Tafelzeug wird geliefert, und in jedem Zipfel des Tischtuches, so wie der Serviette, ist ein Kreuz sichtbar.

Häusliche Dienste besorgen die sieben wohlgebildeten Grabesschwestern. Ihr Anzug ist weiß; es wird ihnen ein T oder halbes Kreuz von schwarzem Bande vor dem Busen verstattet; – nicht mehr, nicht weniger. Die drei ersten Tage bringen die Pilger mit Nachdenken in tiefster Stille und Einsamkeit zu – Raketen steigen in die Höhe, und lärmen und prasseln; allein ihr Ende ist Gestank. Hinter dem Berge wohnen auch Leute. – Bete und arbeite! – Wer wird sterben, ehe man gelebt hat! Am dritten Tage wird den Pilgrimen ein schwarzes Buch mit einem weißen Kreuze vorgelegt, in welches sie Namen und Tag der Ankunft schreiben. Jetzt nimmt die Ceremonie mit einem Glockenschall den Anfang. Zuerst wird der Pilger auf den Oelberg geführt. Se. Hochwürden gehen in Ritter-Pontificalibus voraus. Ist der Pilger Ritter, so muß er seine Ritterkleidung anlegen; die andern Pilger hängen bloß lange schwarze Mäntel um, welche der Koch liefert. Schwarz schmutzt nicht. Hier werden die zwölf Bogen zu Ehren der zwölf Apostel gewiesen, die Helena erbauet, weil sie hier das Symbolum apostolicum verfertigt (man wußte nicht, ob, ehe sie in alle Welt gingen, oder ob sie zu diesem Geschäfte aus aller Welt zusammengekommen waren), und alsdann wird dieß Symbolum, wiewohl deutsch, gesprochen.

Petrus fängt an: Ich glaube an Gott den Vater, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden u.s.w.

Matthäus: eine heilige christliche Kirche und eine Gemeinschaft der Heiligen;

Simon: Vergebung der Sünden;

Thaddäus: Auferstehung des Fleisches;

Matthias: und ein ewiges Leben. Amen.[241]

Zu diesen Zwölfen werden die Vornehmsten im neuen Jerusalem gewählt. Der Ritter macht den Petrus; auch nimmt er, mit Erlaubniß des Matthias, das Amen über sich.

Will der Pilger noch mehr sehen; wohl ihm! nur daß er die Augen seiner Einbildungskraft aufthue. Beim Bache Kidron wird ihm ein Becher kaltes Wasser angeboten, und apostolisch gewünscht, daß er alle Leiden seines Lebens durch diesen Lethetrunk vergessen möge! Kann er weinen, so läßt er drei Thränen in diesen Becher fallen. Hat die Natur ihm dieses Hausmittel versagt, so hat es nichts zu bedeuten. Ein edler Mann weiß im Märzschein den Mai zu fühlen; allein er schämt sich einer Thräne nicht. Con feratur der zehnte Sonntag nach Trinitatis.

In Pilati Hause kann das Schlafkabinet keinem vermiethet werden. Bei den übrigen heiligen Stellen ist nach Umständen dem Pilger ein Schlag ans Herz zu geben. Hat er kein Herz, so greife man den Kopf an! – Es müssen durchaus Kopf- und Herzstellen in Jerusalem angelegt werden; wo Eins von beiden fehlt, ist nicht viel auszurichten. Der Blutacker ist ein Hauptherzplatz.

Nach und nach können mehrere Reliquien kopirt werden.

Jeder Anfang ist schwer: – Raphael malte Teller, ehe er zu dem Ruhme stieg, den ihm jetzt niemand streitig machen wird. – Altes und Neues ist hier zu vermischen: – Reliquien und ein Stück von gestern und ehegestern. Die Einbildungskraft muß beständig in Athem gehalten werden. Seelenhektisch ist jeder, dessen Einbildungskraft auf schwachen Füßen geht: – die Phantasie ist die Lunge der Seele. – Leute, die nicht Vernunft haben, um richtig, und Imagination, um angenehm zu urtheilen; Leute, die ohne Urtheil sind, werden hier nicht verrathen und verkauft werden. – Man halte für sie die Zeitungen. Mit dem lieben Urtheilen! Richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet. Urtheilen nicht viele, weil es so Mode ist; weil sie nicht urtheilen können;[242] weil sie das Urtheil anderer hören wollen; weil sie sich nicht aus der Uebung bringen mögen, falsch zu urtheilen; weil sie eine schöne Schwester haben; weil ihre Frau, ihre Nichte Hofdame waren; weil sie bezahlt werden; weil sie keinen Kopf oder kein Gewissen besitzen; weil sie schläfrig sind; oder weil es noch zu früh ist zu Bett zu gehen? – Menschen schenken lieber, als daß sie bezahlen; überall betteln sie um Gnade, weil sie nicht bestehen können vor der Gerechtigkeit. – Spielschulden sind ihnen wichtiger als Wechselschuld. Ihre Logik sitzt ihnen im Unterleibe und ihre Moral im Magen.

Es werden zwei Bücher gehalten, in welche der Pilger seinen Namen aufzeichnet. Das eine heiße: weiß auf schwarz und schwarz auf weiß; und hierin zeichnet der Ankömmling, nach abgelegter heiliger Quarantaine, seinen Namen ein, wenn ihm die Sacrarien gezeigt werden. Das andere Buch heiße roth, und deute die Vollendung, die Sonne, die Himmelfahrt an. Darin schreibt er seinen Namen ein, am Tage seines Heimganges. – Eine glückliche Reise!


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 239-243.
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