49. Schulmeister

§. 49.


Schulmeister

[248] pflegt sonst ein Schatten des Pastoris loci zu sehn, ein Spiegel, worin Se. Wohlerwürden sich wieder sehen; ein Ruhebett, auf das er sich hinstrecken kann; ein Fußwasser, um sich die Flüsse nach unten zu ziehen; ein Sprachrohr, um den Bauern bekannt zu machen, daß so rein er Gottes Wort predige, ebenso rein auch sein Calendegetreide seyn müsse; ein Vergrößerungsglas, um ja jede Sünde des Kirchspiels zu entdecken; Ohrbaumwolle, um ihm alle Dorfneuigkeiten einzuflüstern: – unser Schulmeister und Organist in Einer Person, nicht also. Daß er bei Gelegenheit der Nothtaufe schon so manches geheime Wort gegen den Gevatter Nachtwächter fallen lassen, und daß er von den Abendandachten in Rosenthal sagte, sie wären ohne Schmalz und Salz, ist uns ohne Zweifel noch in frischem Andenken. Gelegenheit macht Diebe. Der Schulmeister, welcher als der eigentliche Nothtäufer von Gott- und Rechtswegen bei der Taufe unseres Helden und auch nach der Zeit bei vielen andern Gelegenheiten so schnöde übergangen worden war, ging recht geflissentlich nach Gelegenheit auf die Jagd, um Rache zu üben, die so süß ist. Die Frau Nothtäuferin ward (auf Veranlassung des Nachtwächters, der ihr vergnügter wohlbelohnter Herzensfreund, vor der Welt aber ein leidtragender Wittwer war) zu den geheimen Unterredungen zugezogen; und nun währte es[248] auch nicht lange, daß diese in der Asche glimmenden Funken aufschlugen und in ein wirkliches Denunciationsfeuer ausbrachen. Der Hauptdenunciationspunkt war, daß Kirchenpatron und Pfarrer in heimlichem Verständniß mit dem Antichrist lebten und die arme Gemeinde in aller Stille zum katholischen Glauben verleiten wollten. Die Nothtaufe ward nur durch einen Streifschuß berührt, da der Denunciant es nicht in Abrede stellen konnte, daß der Pfarrer selbst dagegen öffentlich seine Stimme wie eine Posaune erhoben; indeß hätte er jetzt, sagte der Schulmeister, den Katholicismus wie Demas die Welt lieb gewonnen, und wäre nun so tief in dieß Babel versunken, daß wenn nicht das hochehrwürdige Consistorium die gestrenge christliche Liebe hätte, ihm und dem Kirchenpatron ein Tintenfaß, wie ehemals der Glaubensvater Luther dem Satan an den Kopf zu werfen, die arme Gemeinde mit Leib und Seele zur Hölle fahren müßte, welches traurig anzusehen seyn würde.

Zu den Hauptbeweisen seiner Denunciation gehörte:

1) der Gevatterstand des Papstes. Dieser unväterliche Vater hat sich nicht gescheut, um sein Reich zu vermehren, sich in ein lutherisches Kirchenbuch ein tragen zu lassen, als welches Buch, obgleich der Pfarrer es wie sein Auge im Kopfe verwahrt, mir doch nicht hatte können verborgen bleiben.

2) Der Reliquienkasten, der von 24 Mann nach Rosenthal als eine antichristliche Bundeslade und offenbare Religionscontrebande eingeführt worden. Der Pfarrer hätte Eid und Pflicht bedenken und diesen Raritätenkasten confisciren sollen.

a) Die Pferde waren nota bene lauter Schimmel.

b) Als dieser abgöttische Kasten die Kirche vorbeizog, ward mit allen Glocken geläutet.

c) Der Pfarrer trat zum Aergerniß der ganzen Gemeinde vor diesem Greuel der Verwüstung ins Gewehr und er hätte, wenn der Herr Generalwender (Braten war ausgestrichen; sollte [249] Generalsuperintendent heißen) gekommen wäre, ihn nicht ehrerbietiger in Empfang nehmen können. Es fehlte nur noch, daß der Pfarrer, der nach der Pfeife des hochfreiherrlichen Hofes zu tanzen gewohnt ist, vor dieser Lade, wie weiland der König David vor der Lade des Bundes ein Solo tanzte.

d) Es ist allerlei Baalsdienst, ohne Zuziehung des Pfarrers mit und um diesen Kasten getrieben worden, wobei

e) der Frau von Rosenthal Gnaden und des Junkers Hochwohlgeboren, wie es geheißen, noch einmal die heilige Taufe mit wohlriechendem Wasser erhalten.

f) Der Pfarrer nimmt jetzt an aller dieser Abgötterei Leibes- und Seelenantheil und setzt aus strafbarem Appetit zu Egyptens Fleischtöpfen seiner Gemeinde Seel' und Seligkeit aufs Spiel. Ende schlecht, alles schlecht. Sollte ein Geistlicher sich nicht Muth und Kraft von oben erflehen, um dem Saus und Braus und dem Rauch aus Schüsseln und Pokalen stattlichen Widerstand zu thun? – Schlägt es ihm an? Mit nichten; ich wiege zwei Steine mehr als er.

g) Der Kasten ward so geheim gehalten, daß, da ich aus angebornem Triebe zur Hermetik (sollte Hermeneutik heißen) hinter die Schliche desselben zu kommen Tag und Nacht punktirte, ich wiewohl nur so viel heraussubtrahiren konnte, daß der Frau Baronin Gnaden eine Feuerprobe ihrer Jungferschaft ausstehen müssen, als welches ich in diesen jungferletzten und jungferbetrübten Zeiten ganz gern mit dem Mantel der Liebe bedeckt hätte. Da ich aber von diesem groben Irrthum, den mir Gott und E. Hochehrwürdiges in Gott andächtiges Consistorium verzeihen wolle, durch die wunderbare Leitung der Vorsehung abgebracht, auch der Junker, welcher nunmehr sein fünfzehntes Jahr zurückgelegt, ebenso wie dessen Frau Mama Gnaden zu der Zeit wirklich mit wohlriechendem Wasser getauft worden, so ist wohl alles so ziemlich[250] am Tage. Daß ich dem Frieden nachjage, ist dorfkundig, und kann ich dem lieben Gott nicht genugsam danken, daß er meinem Hause durch den Nachtwächter loci Heil widerfahren lassen, da er meine Gattin, die vor diesem oft in Zank und Streit mit mir ausbrach, so daß ich mit dem einem Fuß schon im Steigbügel war, um der Scheidung halber zur weltlichen Obrigkeit einen kostbaren Ritt zu machen, seit vielen Jahren unter eine recht friedliche Haube gebracht hat. Nach dieser Liebe zum Frieden würd' ich denn auch diese ganze Sache vergeben und vergessen haben, wenn jetzt nicht ohne Rede und Recht ganz scheulos katholisches Unkraut unter lutherischen Weizen gesäet würde.

Beweis.

3) Am X. Sonntage nach Trinitatis hört der Herr Baron und Ritter das Evangelium kniend an.

4) Mischt sich in heilige Sachen, indem er z.B. viele Stellen im Evangelio so laut mitbetet, daß man sein eigenes Wort kaum hören kann.

5) Sein böses Exempel verdirbt die guten Sitten der Gemeinde, indem sie zu einem solchen Tremulanten gestimmt ist, daß so oft dieser Sonntag kommt, die Gemeinde mehr Thränen vergießt, als sie im Vermögen hat und die Natur bei ihr immer in Thränenvorschuß kommt. Und wenn ich gleich

6) übersehen wollte, daß er mit einem langen schwarzen Mantel voll Kreuze communicirt, nicht minder in Stiefeln und Sporen (welches wohl ganz klar und deutlich den päpstlichen Pantoffel abbilden soll), im Gleichen, daß er sich zum Defect (soll heißen Despect) eines hochehrwürdigen Consistorii von aller Welt hochwürdig nennen läßt, ohne daß ich weiß, wie ein Mann, der NB. öffentlich seine Sporen trägt, zur Hochwürde kommt; so hat er doch[251]

7) sich von einem gewissen Schneider eine so zahlreiche geistliche Garderobe fertigen lassen, daß gewiß mehr dahinter steckt.

8) Der Schneider soll, damit dieß Geheimnis nicht auskomme, wie man sagt, plötzlich und heimlich aus der Christenwelt geschafft worden seyn. Gott hab' ihn selig! So viel ist nicht zu läugnen, daß sein Tod bei dem ganzen ehrbaren Gewerk der Manns- und Frauenschneider viel Aufsehens gegeben.

9) Hat mich ein ehrlicher Maurer, den man zum katholischen Babel spornstreichs verführen wollen, zu Rathe gezogen und bin ich bonis modis an den beiliegenden Aufsatz sub Kranich gekommen, worüber einem hochehrwürdigen Consistorio Heulen und Zähnklappern ankommen wird. Besser hier als dort. Wie man denn auch

10) sich unterstanden, Gottes reines und lauteres Wort zu ändern dem Papste zu Liebe, und in dem schönen Liede: Erhalt' uns Herr bei deinem Wort, dem Papste seines Mordes wegen Pardon zu geben und dem Türken kein ehrliches Haar zu lassen. Alles ohne die Erlaubniß eines hochwürdigen Consistorii, welchem doch allein über Papst und Türken Urtheil und Recht zustehet, aut aut, entweder zu ewigem Feuer, oder zu ewigem Leben. Was kommt auch aus dem Federlesen heraus?

Der ich übrigens unser armes Häuflein einem hochehrwürdigen Consistorio zur gestrengen Seelsorge empfehle, und für mich, Weib und Kinder, nicht minder den Nachtwächter loci, dero viel vermögenden Schutz und Schirm und ein sicheres Geleit erbitte, auch in diesem Kummer und in dieser Hoffnung mit Leib und Seele beharre bis an den lieben jüngsten Tag,

Eines hochehrwürdigen gestrengen Consistorii


Freund und dienstwilliger Fürbitter und

Mitarbeiter am Worte und an der Lehre
[252]

Beilage Kranich.


»Ehrbarer Meister Endesunterschriebener, Hans Peter – –, bin geladen gen Jerusalem, und es soll alles vollendet werden, was hier geschehen ist, laut Verabredung wie folgt:

›Erstlich wird gemacht ein Pontius Pilatus und ein Haus, wo unten fünf Stuben und oben fünf, und ein Traumkämmerlein für die Frau des Herrn, wo auch Pilger bei ihr schlafen können. Gesund und munter muß seyn das Zimmer, sonst wie andere Schlafzimmer.‹«

»Zweitens ein Ohr abzuhauen, und wo es fiel einen Denkstein zu legen, auch wo Judas gegangen kommt. Daß der rothbärtige Schelm den Hals bräche!«

»Drittens Blutvergießen auf einem Acker der Pilgrime, damit sie dort können ohne viel Gerede begraben werden. Gott habe sie selig!«

»Viertens ein Thorhäuslein nach gegebener ungefährer Zeichnung, wo ein alter Mann in der Wachtstube in Frieden fährt; denn seine Augen haben seinen Heiland gesehen – heißt Simeon.«

»Fünftens ein Hospital mit fünfzehn großen und fünfzehn kleinen Zimmern, auch Betkammern, nach Klosterkostüme. Für junge Mädchen kleine Abschläge, um den Pilgrimen beizuspringen, wenn's ihnen noch thut. Alles nach Klostermanier.«

»Das Hauptstück wird im Herzen behalten. Ein Stein daneben, den kein Mensch heben soll, wohl aber ein Engel, wenn er will und kann. Ueber dieses Hauptstück eine Kapelle, die unser einer wohl machen wird. Vorerst Risse und Anschläge. Richtige Zahlung. Gute Arbeit. Und bitte ferner gewogen zu bleiben.«

»Wer läßt wohl heutzutage einen Simeon und Pontius Pilatus machen, wenn's nicht so ein reicher Herr thut, dem heiligen Kreuz zu Ehren? Das kann der Teufel nicht wehren!«

»In drei Pulsen wird bezahlt.«[253]

»Der erste, wenn Pilatus steht; der zweite, wenn der Teufel den Judas holt, und der dritte, wenn der Engel den Stein hebt. Mit göttlicher Hülfe zwischen ein und zwei Jahren. Zu allem Dank quittirend. Aufgeschrieben von Hans Peter – –, ehrbarem Meister allhier.«


† †


»Laß ab, laß ab von mir, o du Angst meiner Seelen! Gönne mir einen ruhigen, furchtlosen Athemzug, einen, der sich nicht von allen Seiten umsieht, ob er was höre. – Bin drauf gefallen in eine schwere Krankheit überm Riß und Anschlag, länger als die Erde, breiter als das Meer. Da ist erschienen mir nach manchem Satansengel, der mich mit Fäusten schlug braun und blau, ein guter Geist, der mich warnte. Eine Eingebung, weil der Herr Pfarrer leider! auch als Schriftgelehrter in Jerusalem sein Wesen treibt, und im hohen Rath auf- und angenommen ist, zu suchen Ruhe für meine Seele beim Herrn Schulmeister, und es ist mir sehr warm worden ums Herz, und hab' ich vor Zittern und Zagen in allen Gliedern keinen Finger zur kleinsten Arbeit regen, geschweige, Gott sey bei uns! den Judas zu Markt bringen können, auf dem Papier. Ist mir vorgekommen als eine Sünde wider den heiligen Geist, in einem ungelobten Lande ein gelobtes zu verfertigen. Bin so krumm und kreuzlahm an Leib und Seele worden, daß die Füße, die Beine und die Seele den Kopf nicht halten wollen, und alle Nachbaren haben mir in die Augen gesagt, mein Kopf sey angebrannt und mein Fuß vergleitet auf eine verfluchte böse Stelle, welches alles der Hahn wird zu verantworten haben, der mich nach Jerusalem gekräht hat, worüber ich weine bitterlich, bis ein anderer Stern aufgeht in meinem Herzen.«

»Wächst auch eine Eiche im Sumpf, wo schwankendes Rohr schießt – wie Weiden an den Wasserbächen, und im Sande die[254] wurzelleichte Tanne? Gern wär ich gestorben und hoffentlich nicht verdorben. Könnt' ich? Da schmiegte sich die Seele so an den Körper, wie der Bräutigam an sein Liebchen im Brautbette, oder wie der Hopfen an die Stange. Noch leb' ich und lebe mir selbst zum Possen. – Wohlan! ich will meine Hände waschen, reiner als Pontius Pilatus, und Gott sey mir Sünder gnädig!«

Schulmeister und Nachtwächter hielten einen


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 248-255.
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