§. 55.


Glück

[261] für den Pastor und Heraldicus junior, daß sie nicht Augen- und Ohrenzeugen dieser Vorgänge seyn mußten. Die Angst ihres Herzens war jetzt schon so hoch gestiegen, daß, wenn sie diese ritterliche Unvorsichtigkeit noch hätten hören und sehen sollen, sie sicher auf der Stelle geblieben wären in ihren Sünden. – Beide hatten sich zugleich, da sie die Consistorialvögel (wahrlich nicht Tauben, am wenigsten gebratene) einfliegen sahen, aus dem Staube gemacht; nicht, um nach der Verrätherei zu weinen bitterlich, sondern sich gegen jede böse Anwandlung zu einer Verrätherei in bester Form zu waffnen. Wessen Geist erniedrigt ist, dessen Herz ist auch verderbt, sagten sie sich einander. Wer etwas gegen sein Gewissen bekennen oder läugnen kann, begeht eine Sünde wider den heiligen Geist – über dessen Vergebung, setzte der Pastor nach einer Minute hinzu – zu urtheilen ich mich nicht unterstehe. – Ein Schmeichler, der, nach dem Ausdruck eines witzigen Dichters, als ein Ohrgehenk seinen[261] Gönnern Nichtswürdigkeiten, sie mögen nun in gewürzten Stadtneuigkeiten oder in candirten Lob-und Preisküchlein bestehen, zuflüstert, nimmt sich selten Zeit, von dem Hause, worin es ihm so wohl ging, Abschied zu nehmen, wenn der Gönner ohne Legat für den Schmarotzer stirbt, und der rechtmäßige Erbe seine Ohrlappen zu lieb hat, um sie für ein dergleichen Ohrgehenk durchstechen zu lassen. Unsere beiden Männer, die um frische Luft verlegen waren, hatten sich an Jerusalem so gewöhnt, daß sie Antheil, freilich der eine mehr als der andere, an seinen Vorhöfen (weiter war der Bau nicht gekommen) nahmen, obgleich die Unvorsichtigkeit des Ritters sich mit nichts entschuldigen, viel weniger rechtfertigen ließ. Ihr Entschluß, den sie in frischer Luft faßten, war, Glück und Unglück über sich ergehen zu lassen und Märtyrer in der heiligen Stadt zu werden, die schon mehrmals die Propheten getödtet und seine Boten gesteinigt hatte. Wir sind nicht die ersten, versicherte einer den andern, die in Jerusalem überantwortet werden. – Nachdem sie auf diese Weise sich wechselsweise aufgerichtet hatten, kehrten sie mit einer Art Muth oder besser Trost zurück, womit es eben die Bewandtniß hat, wie mit dem Glauben der Teufel, die zwar glauben, indeß glaubensvoll zittern. – Was ist der Glaube mehr, als Trost und Muth? – Faßt euch! euer Gewissen ist euer Vertheidiger! Ihr werdet nicht sterben, sondern leben. Wohlbedächtig blieben sie an der Thür stehen, und erst nach dem unablässigen Verlangen des undesorgten Ritters traten sie näher. – Und was war es, was ihr Herz ängstigte? was ihren Kopf trübte? Die ganze Welt und, was mehr sagen will, kein Concilium würde hier eine Heterodoxie gefunden haben; was findet indeß nicht ein hochehrwürdiges Consistorium? Es war Zeit zum


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 261-262.
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Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
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