56. Benedicite

[262]

§. 56.


Benedicite,

wie der Ritter sich dießmal consistorialisch ausdrückte; zu deutsch: es war angerichtet. Nach vielen Kratzfüßen, die der ganz schwarze Consistorialis schlechter als der schwarz verbrämte begann, ließen die Herren Commissarien im arglistigen Hintergrunde erblicken, was sie herausgegangen waren zu sehen und zu hören; und da sie wider ihr Denken und Vermuthen den pastor loci, auf den sie eigentlich Jagd machten, in flagranti betroffen hatten, so schienen sie, um aller Parteilichkeit auszuweichen, sich beurlauben und den Prediger am dritten Orte in Commissionsanspruch nehmen zu wollen. Sie gaben diese Bedenklichkeiten dem Ritter, wiewohl etwas undeutlich, zu verstehen, und dieser bot ihnen dagegen alle Sanctuarien an, die auf dem Papier standen, und unter diesen auch die Stelle, die Judas der Verräther betreten, oder den Blutacker, wo die Pilger, wenn der Tod sie hier überfiele, begraben werden sollten; wonächst er auch betheuerte, daß er, so gern er auch wollte, ihnen weder mit dem Hause des Hohenpriesters Hannas, noch des Kaiphas, wohl aber mit dem Palais des Herrn Pontius Pilatus, zu seiner Zeit dienen würde, – das Schlaf-und Traumstübchen der gnädigen Frau wohlbedächtig ausgenommen – welches sonst in puncto des Schlafes kein übles Commissionsstübchen gewesen wäre. – Da nun, aller Commissionsfalten ungeachtet, in welche die Herren Consistorialräthe ihre Gesichter legten, sie doch am Ende nicht bestimmen konnten, wo sie ihr geistliches und schwarz verbrämtes weltliches Gericht aufschlagen sollten, nächstdem ihnen auch, als feinnasigen, ganz und halb geistlichen Räthen, der Geruch des Mahls, wozu man sie bereits eingeladen hatte, nicht entgangen war; so schlug der geistliche Consistorialrath in gebrochenem Küchenlatein dem weltlichen Consistoriali vor: Ob man nicht den Prediger hier zu Schlosse[263] vernehmen sollte. Dieser, der theils dem Latein entwachsen war, theils durch den lateinischen Ueberfall aus aller Fassung kam, antwortete mit einer Miene, die Ja und Nein bedeutet, und gewissen mutterwitzigen Leuten, die keine Schule haben, eigen ist, wenn man sie in die Schule schickt oder mit gelehrten Kinderfragen überfällt und ängstiget. Se. Hochehrwürden nahmen es für Ja, und wollten sich eben an den Ritter wenden, daß er der Commission hierzu die Erlaubniß bewilligen möchte, als man wiederholentlich zur Tafel einlud, bei welcher sich, wie gewöhnlich, auch der Prediger und Heraldicus junior einfanden. Kann man so unschuldig seyn, wie wir, dachten Prediger und Hofmeister, und doch solche Angst haben? – Guten Leute, eben weil ihr unschuldig seyd, habt ihr Angst! – Wer hätte sie nicht auch bei dem lautesten Zuruf seines Gewissens? – Laßt uns die Welt überwinden! – Dieß Kreuz, sagte der Pfarrer zum Junior in der Stille, kommt vom Herrn. Zwar haben wir, erwiederte Junior, das Kreuzstübchen selbst gemacht; ist aber nicht fast jedes Kreuzstübchen ein Ipse fecit? Laßt uns nicht vermessen, noch weniger aber verzagt seyn. – Diese und dergleichen Klag- und Trostworte, die sie einander verstohlen in die Hand drückten, wirkten zusehends, als die Manieren sie aufmerksam machten, welche die Herren Consistoriales beim Eingange in das Tafelzimmer einschlugen. Außer den Generalfragen: (vor sich) ob und wie es styli sey, daß Leute, von denen einer Küchenlatein reden, und der andere so thun konnte, als verstände er es, der Dame des Hauses den Arm bieten könne, um sie aus dem Ordens-Sessionszimmer in den Eßsaal zu bringen? Ob dieß, oder ob dieß nicht, eben jetzt, da sie Commissarien wären, Bedenklichkeit hätte? – Machten auch noch andere Specialfragen die Sache kritischer, z.B. ist es Decori, daß ein Geistlicher dergleichen leibliche Führungen und Leitungen bei der ihm doch eigentlich obliegenden Seelenführung und Leitung übernimmt? Ist es oder[264] scheint es nicht Herabwürdigung des geistlichen Standes, einem Laien, ob er gleich zum Küchenlatein den Kopf zu nicken versteht, einen Vortritt zu gestatten? – Ich glaube gewiß, daß dieser letzte Umstand der Goldwage den Ausschlag zu ertheilen geruhet hätte, wenn dem geistlichen Consistoriali nicht eingefallen wäre, wie leicht der Satan, der immer wie ein brüllender Löwe umhergeht, seinen im Tanz ungeübten Füßen einen Stein des Anstoßes in den Weg legen, und ihm einen tiefen Fall, dem er ohnedieß schon bei den ersten Scharrfüßen so nahe war, vorbereiten können. Saecularis, der sich kaum von dem unverstandenen Latein erholt hatte, kämpfte mit gleich wichtigen Zweifeln, die er indeß nicht sowohl von der Seite seines geistlichen Herrn Collegen, als von dem Standesübergewichte des hochwohlgebornen Wirthes hernahm. Die Ritterin, bei der auch nicht der mindeste Scrupel auf- und abstieg, würde vielleicht in keinem Monat von der Stelle gekommen seyn, wenn sie sich nicht kurz und gut entschlossen hätte, eine Verbeugung zu machen, und diesen Kreuzzug als Amazonin auszuführen. Da indeß jeder der beiden Gäste diese Verbeugung als eine Aufforderung ansah, so fielen beide der armen Ritterin so ungezogen auf den Hals, daß dieser Auf- und Einzug das Ansehen eines außerordentlich komischen Auftrittes gewann, der die beiden Gelähmten nunmehr schnell und völlig zu der vorigen Gesundheit herstellte. Die ehrlichen Schlucker hätten das Küchenlatein und das mutterwitzige Kopfnicken sehen und hören sollen; sicher wären sie zeitiger genesen! – Zwar entfiel den Augen beider Commissarien bei der Suppe, wo tiefes Stillschweigen despotisirte, dann und wann ein Blick, der den Prediger traf; indeß war er diesem, so wie das Latein dem Concommissarius, völlig unverständlich, und es blieb ohne Angriff, bis der Wein das Band der Zungen lösete, und die Herren Commissarien von dem unverfälschten Wein auf die Lauterkeit der christlichen Lehre in diesem Hause einen nicht unrichtigen Schluß zogen.[265] Der geistliche Consistorialis hatte lange auf eine Wendung gesonnen, dem Ritter über den Punkt des Fastens, welches ihm (nächst dem voto castitatis, worüber er einverstanden war) der Hauptstein des Anstoßes bei der katholischen Religion dünkte, an den Puls zu fassen, als er bei Gelegenheit der Lobrede, die er voll römischer Urbanität der edlen Kunst hielt, die Fische zu verschneiden, damit sie größer und fetter würden, zugleich erfuhr, daß der Ritter fern von allem Fasten sogar kein Fischmann sey, und nicht eigentlich die katholische Religion als katholische Religion beabsichtigte, sondern bloß gegen Alter, Stand, Ahnen und die Ritterzüge dieser Ritter- und Heldenkirche nicht gleichgültig, übrigens aber so wenig zur Intoleranz geneigt wäre, daß er selbst dem Ohre des Malchus keinen Stein des Andenkens legen wollen, und daß er dem Mahomet, wenn dieser ihn in der Hölle und Qual darum angesprochen, nicht, wie Abraham dem reichen Manne, Wasser abgeschlagen, schwerlich aber ihn Sohn genannt haben würde. Hier rissen die Dämme der Zurückhaltung, und Commissio konnte sich, nachdem sie je länger je vertraulicher geworden war, nicht entbrechen, die Denunciation in extenso dem Pfarrer zu behändigen, der, wie die Commissarien es nicht länger verhielten, eigentlich das Ziel sey, nach welchem zu schießen sie gekommen wären. Schon während des Lesens brach der Pfarrer einen Lorbeer über den andern, von welchen Lorbeern er seinen Beisitzer, den Heraldicus junior, durch Händedruck und Fußstöße den freundschaftlichsten Antheil nehmen ließ. Beisitzer wagte es bei biesen Umständen, einen Blick voll nach dem andern aus dieser Schrift schlau und verstohlen zu ziehen, und mit innerlichem Hohngelächter jedem Bissen, den er während der Zeit ununterbrochen verschluckte, das Geleite zu geben. Es konnte nicht fehlen, daß, wenn gleich die Größe des Ritters sonst über den Schein der Neugierde sich hinwegzusetzen gewohnt war, die Ritterin, welche die Mutter Eva nicht ganz verläugnen[266] konnte, dringend das punctum juris dieser Schrift kennen wollte. »So geht es, fing der Pfarrer an, wenn man das Ganze nicht mit Rücksicht auf das Einzelne, und das Einzelne nicht mit Rücksicht auf das Ganze erwogen hat und erwägen kann, und wenn unsere Seele keine Interpunktion versteht. Setz' ich den Punkt nicht in die Mitte – wie kann ich denn den Umkreis wissen? Das Gerade ist mir schief, das Schiefe gerade.« Solcher gelehrten Brocken viele Körbe voll, bis denn endlich der Ritter mit Erlaubniß der Commissarien das Papier nahm, es laut las, und aus diesem hohen Commissionsberge eine lächerliche Maus nach väterlicher Weise heraussprang. – »Wenn das Herz in der Hand des Verstandes ein Wasserbach ist, den er leitet, wohin er will, fing der Pfarrer wieder an, um sich den Herren Commissarien nicht bloß im Profil, sondern en face seiner Gelehrsamkeit zu zeigen; indeß ließ der Ritter ihn nicht zum So kommen. Auch er, wenn gleich die feurigen Consistorial-Pfeile ihn eigentlich nicht treffen sollten, fand sich beleidigt. Er schien sich der Punkt der Mitte«. – Schade um das So, um welches der Prediger kam, er wußte nicht wie! Aus dem Simson Schulmeister ist ein blinder Spielmann der Philister geworden, sagte der Ritter, ohne zu bedenken, daß er, mir nichts dir nichts, die Commissarien zu Philistern machte. Der geistliche Commissarius wollte über diese Kadis, wie er Schulmeister und Nachtwächter nannte, ein Auto da fé halten und von Jerusalem aus ein Brand-Decretum urbis et orbis datiren, wozu er schon trockenes Holz spaltete; indeß ward der Vorfall von der edlen Ritterin für zu groß gehalten, als daß er gestraft werden könnte. Der Ritter trat bei; Pfarrer und Heraldicus junior benutzten jede Gelegenheit, wo das Reden an sie kam, und rafften Gelehrsamkeit zusammen, um sich den Commissarien, wiewohl ohne deren Verdienst und Würdigkeit, von der besten Seite zu zeigen, als säßen sie, um gemalt zu werden. So nahmen sie sich z.B. die[267] Erlaubniß, zu versichern, daß es hier wie bei dem Differential-Calcul ginge, worauf Leibnitz und Newton zu gleicher Zeit gefallen wären, indem sie auf Ehre und Redlichkeit betheuern könnten, gleicher Meinung gewesen zu seyn. – Ich will, wie gewöhnlich, die Sache zusammenziehen. Das Blatt


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 262-268.
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