§. 58.


Sohn

[279] aus dem Gesichte verloren habe, so will ich den Inhalt eines Gespräches mittheilen, welches mein Held und Heraldicus junior, der Held des Junkers, mit einander hielten. Den Dialog wird man mir hoffentlich gern schenken. – Die Geburt sollte von nichts ausschließen, was die Menschen unter sich als Vorzug und Ehre angenommen haben, obgleich heutzutage niemand ein bloßes Kind der Natur, sondern jeder auch ein Kind des Staates ist. Entweder müßte Verstand oder Tugend, oder beides in der Welt persönliche Vorrechte beilegen; oder es müßten alle Vorrechte vom Erdboden vertilgt werden. Durch Vorzüge, welche ich durch die Geburt erhalte, lebe nicht ich, sondern mein Vater, meine Mutter lebt in mir. Realitäten werden uns freilich durch die Staatsklassen nicht entzogen: Sonne, Mond und Sterne, Fische im Meer, Vögel in der Luft machen unter adlich und unadlich keinen Unterschied; die Fliege setzt sich so gut auf eine Freiherrn- als auf eine Bettlernafe; und ist der edle, der vernünftige Mann nicht auch ohne Band und Stern überall der erste, wann und wo er es seyn will? Nur selten wird er es wollen. Die Imagination ist[279] die Schutzpatronin der Stände; sie macht, sie erhält sie. Beim persönlichen Adel, den auch der Bettler in seiner Gewalt hat, findet sie weniger ihre Rechnung; sie adelt erblich, wenn gleich Absalon, der Sohn des Mannes nach dem Herzen Gottes, an einer Eiche hangen blieb, und die Kinder edler Leute selten gerathen; – wenn gleich die Kinder der Reichen nicht besser einschlagen, und nicht selten an Eichen hangen bleiben. Ein edler, persönlich geadelter Mann – wird er bloß dem Allgemeinen dienen, und sich selbst über das Allgemeine vergessen? Jeder ist sich selbst der Nächste, und außer ihm selbst sind es seine Kinder und seine Verwandten. Der Papst, der von Gott und Rechtswegen nicht Kinder haben kann, hat Nepoten. Der Beruf des Menschen zum Reichthum ist so natürlich, daß schon mehr Kraft in den Lenden, in Armen und Beinen den reichen Mann macht. Die Kraft in Verstand und Willen (diesen Lenden, Armen und Beinen der Seele) thut es deßgleichen. Durch geistige und leibliche Kräfte werden Geld und Gut bewirkt, und so entsteht der Erbadel, man weiß nicht wie. Das Ackergesetz und die Aufhebung der Intestat- und Testamentserbschaft – würde sie nicht den schönen Zusammenhang der Privat- und öffentlichen Tugenden stören und alles schwächen, was Menschen edel und gut, oder nur leidlich und erträglich zu machen im Stande ist? Auf redlich selbst erworbenes Eigenthum hat der Staat, wenn er gerecht seyn will – und wehe ihm, wenn er es nicht ist! – keinen Anspruch. – So lange der Reichgewordene lebt? – Auch nach seinem Tode; wem kommt es wohl natürlicher zu, als seinen Kindern? und wieviel Triebfedern würden wir lähmen, falls der Staat hier als Universalerbe eintreten wollte, und wenn die Rechte über Eigenthum geschmälert würden! – Freiheit ohne Eigenthum ist tönend Erz und klingende Schelle. In Barbarei würden wir sinken, ohne daß je Hoffnung wäre, die Menschen noch so weit zu bringen, als sie schon gebracht sind, falls[280] Eigenthum seinen Werth, den man Kraft und Stärke nennen kann, verlöre. Ist der Erbabel ein Uebel, so ist er fast ein nothwendiges. – Der erste ist nicht immer der beste. Doch würde er es in der Regel seyn, wenn man aufhörte, Adelsbriefe feil zu halten. Sich den Adel kaufen, ist fast eben so viel, als wenn man einen Unschuldigen hängen oder ins Zuchthaus setzen wollte. – Wie denn das? – Adel ist die einzige Belohnung, die der Staat hat, soll er denn nur strafen? – Ei! Aemter und Würden? – Sind das Belohnungen? Man geht beim Amte so in die Lehre, wie bei einem Handwerk, wird so examinirt, macht so ein Meisterstück, wie beim Handwerk; kurz es ist eben so, wie beim Meister und Bürger: – man lernt im Amte dem Amte gewachsen seyn. Wen würdest du in Nordamerika aufsuchen? Franklin und Washington? Und wenn der letztere, so wie der erstere, nicht mehr im Lande der Lebendigen ist, wirst du nicht nach ihren Kindern fragen? werden dich nicht schon die Namen Washington und Franklin interessiren? Schon der Vorname deiner Geliebten, deines Weibes, deiner Schwester hat eine magnetische Kraft. – – Ein großes Vorbild fordert zu ähnlicher Größe auf. Wie die Alten sungen, versuchen es die Jungen. – Und wenn Verstand und Tugend persönlich adeln – wer sollen die Herren im Obervernunfts- und Tugendcollegio seyn, die das persönliche Adelsdiplom ertheilen? Wissen wir denn nichts wie es in Wahlkönigreichen, wie es mit Papstwahlen, mit Parlamentswahlen und mit allen Wahlen geht? – Wird das Geld nicht in seine jetzigen Rechte treten, und wo nicht mehr, doch eben so stark tyrannisiren, wie jetzt? – Alles abgewogen, ist es so besser als anders; Realadel besser, als bei seiner Aufhebung bloß Personaladel. Um den erblichen Edelmann zum persönlichen zu machen, thut man wohl und weise, ihm die Pflicht aufzulegen, Ritter zu werden. Ritterschaft ist Spornschaft. Das Johanniterkreuz war z.B. ein Sporn, ohne den wir unseres[281] Orts kein Jerusalem hätten in Rosenthal, und kein Haus des Pilatus, und keines des alten ehrlichen Simeons, der in Frieden fuhr. – Hinter den Vorhängen der Freimaurerei herrschen diese Grundsätze, oder es trügt mich alles. Dort kann doch auch ein ehrlicher Mann ein Kreuz tragen, er habe gleich die Tochter eines Kaufmanns zur Mutter, oder einen Ordensschneider zum Vater. – Monarchen können, nach dem braven Ausdruck jenes Königs, zwar hundert und mehr Edelleute in einem Tage, aber nicht einen einzigen edlen Mann machen. – Wahr! Alles, was wahrhaft groß ist, macht sich selbst. – Auch wahr! – Die Antwort des Iphikrates: mein Geschlecht fängt mit mir an, das deinige wird mit dir aufhören – nicht minder wahr, und unfehlbar das letzte Wort, das ihm sein Gegner ließ. – Empfängniß und Geburt sind so etwas Thierisches und Gemeines, daß man sich schämen sollte, daraus einen Vorzug abzuleiten. – So wahr, wie alles vorige. – Wenn aber der Wohlgeborne diesen zufälligen Vorzug nur benutzt, seinen persönlichen Adel zu erleichtern und ihn zu verewigen? wenn er ihn als eine erwünschte Gelegenheit schätzt, seine ABCe zweckmäßig zu erziehen; wenn er durch Lehre und Wandel sie die Resultate mit Händen greifen läßt, daß ohne persönlichen Adel der Geschlechtsadel nichts mehr und nichts weniger als ein Geburtsbrief gelte? Kann durch eine Einrichtung dieser Art, die freilich, so wie alles in der Welt, gemißbraucht ward, das menschliche Geschlecht, auf welches doch Gott und alle braven Leute anlegen, sich nicht seinem Ziele nähern? Ehrwürdiger Orden der Freimaurer! wenn dein geheimer Gang diese olympischen Bahnen bricht, wenn er die Menschen sich unter einander gleich an moralischer Güte zu machen beabsichtigt, und sie mit hoher Weisheit der Welt und ihrem Geräusch in eben dem Maße entzieht, wie er die Menschen in sich selbst zu verschließen verbietet, als wodurch sie den Kranken gleich werden, die sich der freien Luft entwöhnen![282]

Zwar tragen die Freimaurer ihr Kreuz unter der Weste. – Am Ende einerlei, ob unter oder über der Weste; die Hauptsache ist das Kreuz. Geht der Stern gleich in der Loge auf, und scheint er hier bloß in einem verborgenen Orte – war nicht die Tageszeit der Johannitervorlesung die Dämmerung? – Wenn in den Logen Auserwählte sind, so wiegen von diesen 5, 7 und 9 mehr, als in der profanen Welt so viele Tausend. Vielleicht sind die Maurer der Phalanx des menschlichen Geschlechts die Garde der Menschheit. Heil mir! Plato ward vom Dionysius verworfen, allein von den Göttern an Kindesstatt angenommen. – Es gibt in der Maurerei nicht Präbenden! Bedarf ich ihrer? Und wer weiß, ob es ihrer nicht gibt! Präbenden, die unsichtbar, Geistesehrenzeichen, die unsterblich sind. – Ist denn unser Jerusalem mehr als ein Kreuz unter der Weste? Und doch fand es Ausspäher, und unter ihnen einen Judas, der mit seiner Verrätherei nicht viel besser abkam, als jener Erz-Judas. – Es gibt eine sichtbare und unsichtbare Kirche: – die sichtbare ist der Staat, die unsichtbare vielleicht die Maurerei! – Wie? wenn die Maurerei zur Absicht hätte, Erbadel und Verdienst sich näher zu bringen? – und dieß Paar ehelich zu verbinden? Würde nicht auf vortreffliche Kinder in der Ehe zu rechnen seyn? – Schon in der Verschwiegenheit liegt so viel Kraft und Stärke, daß man durch sie Türken in die Flucht schlagen und das heilige Grab befreien könnte, wenn wir es nicht jetzt in friedlicher Nähe hätten. Bei einem Sessionsmahl, das man in Athen fremden Gesandten zu Ehren angestellt hatte, und wozu Zeno mit eingeladen war, erwiderte dieser Weise auf die Frage der Gesandten: was sie denn von ihm dem Könige sagen sollten? – »daß sie zu Athen einen Mann kennen gelernt hätten, der auch bei vollen Bechern zu schweigen verstände.« Schweigen ist oft der Preis-Courant der Einsicht; Mißbrauch der Freiheit die Quelle der Laster.[283]

Wie Jerusalem stell' ich mir die Menschenwelt vor: – Im Vorhof ist der gemeine Mann; im Heiligen Fürsten, Geistliche, Gelehrte und so viel ihrer mehr sind, die da verstehen zu seyn, was sie sind: Menschen; im Allerheiligsten – – genug! ich sehe, ohne zu sehen, ich höre, ohne zu hören. Es gibt einen Tempel, der nicht mit Händen gemacht ist: eine geistliche Kirche, einen Himmel auf Erden, Worte, die unaussprechlich sind. – Maurerei! ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!

Da sehen doch meine Leser, ob ich meinen Helden, seitdem ich kein Examen mit ihm veranstalten lassen, verwahrlost habe. Kreuzlahm, sagte Heraldicus junior zu einer gewissen Zeit; allein ich wette, daß nachher der Lehrer zuweilen an Kreuzschmerzen schwach und krank darnieder gelegen, und sich, wenn man will, auch wieder gebessert habe.

Doch begehre ich hiermit nicht zu läugnen, daß Vater und Mutter jenen Lampenschein des heiligen Grabes auf meinen Helden geworfen, den Pastor loci noch begieriger aufgefaßt hatte. So kann auch A B C eine gewisse Extractsucht und Gemächlichkeit nicht von sich ablehnen, die man nur regierenden Herren zugestehen sollte, wenn gleich auch hohe Staats-Officianten sich diese Privilegien je länger je mehr zueignen. – Um den Montblanc der Wissenschaft zu ersteigen, gebrach es unserem Helden an Lust und Liebe. Der Gastvetter nannte es gelegentlich: Seelenlunge. – Die obern Seelenkräfte blieben zwar nicht uncultivirt; doch sollte diese Cultur ihn nicht zu stark angreifen, und er sehnte sich, in der Dämmerung dunkler Gefühle von jener Tageslast und Hitze auszuruhen. Der Orbis pictus nennt den Physikus: Naturforscher; den Metaphysicus: Ueberforscher. Unserem Helden war alles Ueber, was er nicht leicht fassen konnte. Auch war er der Art von Pietisterei nicht abgeneigt, vermittelst deren man das sieht, was Philosophen nicht ohne Mühe glauben; er war ein[284] aufmerksamer Hörer, wenn Pastor loci behauptete: der Mensch könne einen genauen Umgang mit Gott haben und ihn in Gedanken und fast in Sinnen sich vergegenwärtigen, im Gebet ihm beinahe die Hand reichen und das Herz abgeben. Heraldicus junior philosophirte freilich dagegen, doch so, daß er das philosophische Deckmäntelchen nach dem Winde hängte. – Warum sollt' ich meinem Helden indeß nicht volle Gerechtigkeit erweisen? Ich will es. Der Mensch ist sich ein Räthsel; unser A B C wollt' es lösen. – Lösen? Wie ich sage: lösen; und wer will es nicht? Auch der, welcher vollkommen überzeugt ist, er könne es nicht, wird es wollen, und wenn er es nicht will, ist er entweder ein stolzer Thor oder ein Kaltblütiger. – Der Wunsch ist verzeihlich; auf la manière avec laquelle kommt es an. Mehr von meinem Helden zu verrathen, hieße sich übereilen. Er war jung, und hatte sich nicht durch Ausschweifungen geschwächt, um Wunderessenzen zu bedürfen; er war reich, und also nicht in der Verlegenheit, auf den Stein der Thoren auszugehen. Auch schien Ehrgeiz sein Fehler nicht zu seyn, um sich durch Ordenswege ein Amt zu erschleichen. – Doch wer kann für ihn stehen! Ich nicht.

Der Ritter merkte übrigens oft die Kämpfe auf Tod und Leben, die in seinem Sohne vorgingen; indeß war er sehr weit davon entfernt, gegen dessen Phantasie das Schwert der Vernunft in Anwendung zu bringen, Licht in diese Wüste zu tragen, Bilder, die ihm vorgaukelten, in die Flucht zu treiben und ihren Reiz auch nur zu ermäßigen; vielmehr trat er mit diesen moralischen Türken in einen Bund, goß Oel ins Feuer, und glaubte, wie wir wissen, gegen seinen Sohn nicht väterlicher handeln zu können, als wenn er das heilige Feuer seiner Phantasie ohne Unterlaß unterhielte und ihm Nahrung gäbe. Sie äußerte sich bei unserem Helden auf mehr als eine Weise. – Die Gestalten des Proteus sind eine Kleinigkeit gegen die Garderobe der Einbildungskraft. Muntere[285] Pferde schnauben im Schlafe, schwitzen aus Kraftanstrengung, geben sich selbst den Sporn und setzen das olympische Rennen fort, das sie im Wachen anfingen; sind ihre Reiter nicht mehr als sie? – Im Wachen und Schlafen, im Singen und Beten, im Essen und Trinken, im Lachen und Weinen ging unser Held nicht, er lief. Daß ich seinem olympischen Beispiele nicht nachjage und ihn laufen lasse, ohne ihm nachzulaufen, bedarf meiner Versicherung nicht; doch hoff' ich mit ihm zum Ende zu kommen. – Im väterlichen Hause herrschte eine Gastfreiheit, die edel war. Man sandte nicht an die Straßen und Zäune, und nöthigte nicht, ohne und mit hochzeitlichen Kleidern der Denk- und Handlungsart hereinzukommen; doch war das Haus des Ritters jedermann offen – der Tisch so eingerichtet, daß nicht bloß Pilger, sondern auch Menschen von von allerlei Leckerzungen und allerlei Gaben des Ausdrucks oder Sprachen, wie der Ritter diese Spruchstelle zuweilen deutete, Dach und Fach, Tisch und Bett fanden, und mit herzlichen Benedicite und Gratias kamen und gingen. Selbst die Nachbarschaft wartete nicht immer auf Einladungen; vielmehr überließ sie sich oft der undeschreiblichen Wollust des Ungefährs, die so viele Wunder thut an uns und allen Enden.

Ein Ungefährbesuch dieser Art, veranlaßt durch ein Fräulein – das, wie es hieß, aus fremden, weiten Ländern zum Nachbar – gekommen war, blieb unserm Helden nicht


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 279-286.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 1
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 2

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Sophonisbe. Trauerspiel

Sophonisbe. Trauerspiel

Im zweiten Punischen Krieg gerät Syphax, der König von Numidien, in Gefangenschaft. Sophonisbe, seine Frau, ist bereit sein Leben für das Reich zu opfern und bietet den heidnischen Göttern sogar ihre Söhne als Blutopfer an.

178 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon