§. 77.


Traum,

[330] der auf den Hintritt ihres Gemahls anspielte. Sie sah einen Ritter in voller Kleidung auf einem weißen Pferde um das himmlische Jerusalem dreimal herumreiten, den Kopf unter dem Arm, den Sattel des Schimmels in Perlen gefaßt. – Mit den lieben Traumperlen! In der Regel bedeuten sie Thränen; und in der That, die Ritterin beweinte ihren Verlust bitterlich. Sie liebte ihren Gemahl bis in den Tod! – Ach, es war ein gutes Paar! – Dieser Traum der Ritterin, der wegen seiner Bescheidenheit wenig Anhang fand (Traum- und Wunschbescheidenheit findet selten Beifall), ward durch Dinge von größerer Wichtigkeit ganz und gar verdrängt. Da hatte man einen alten Herrn in langem schwarzem Mantel gesehen, dessen Schleppe den ganzen Kirchhof bedeckte, und dieser Herr war so groß, daß er sich mit dem Kirchthum maß, und da er weit über ihn hinwegragte, schämte sich der Kirchthurm, daß er blutroth ward. Dieser Ritterriese ließ sich zwischen 11 und 12 Uhr in der Nacht sehen; doch nur Sonntagsaugen erblickten ihn in Lebensgröße. Einigen Alltagsaugen kam er nicht viel größer vor, als ein Fingerlein, und noch ewige Alltagsaugen konnten ganz und gar nichts sehen. – Auch gab es Sonntagsriecher, die, wenn die Erscheinung vorbei war, einen Sternanisgeruch verspürten, wogegen Unsonntagsnasen, bei aller Anstrengung der Geruchsnerven, nichts entdecken konnten. Diese Gesichte und Gerüche brachten so manche andere Ereignisse voriger Zeit zum Vorschein; und da erinnerten sich alte Leute an Unglücksstellen, wo kein Sonntagspferd hinginge, wenn man ihm auf der Stelle das Leben nähme. – Es gibt Pferde wie Menschen, ward behauptet: Pferde, die alles sehen, Riesen und Fingerlein, und andere, die nichts sehen. Wie es Pferde halten, weiß ich nicht;[331] daß es aber Fälle gibt, wo Menschen nicht sehen und doch glauben – ist das zu bezweifeln? Pferde, die sich ohne Ursache bäumen, nennt man scheu; gibt es nicht auch dergleichen scheue Menschen? – Doch warum Abschweifungen? – Es ward über die weiße und schwarze Frau, über den weißen und schwarzen Mann weiß und schwarz commentirt. Die Altenweiberbeiträge liefen alle auf Blut hinaus; in den Altenmännergeschichten kamen rasselnde Ketten, Nasenstüber, auch wohl streitende Heere am Himmel vor, doch ohne daß diese Heere Blut vergossen. Hundert Erzählungen, die eben verjähren wollten, wurden aufgefrischt und ihre Präscription gehemmt. Der Junker, der wenigstens neunmal mehr als andere Jünglinge zum Wunderbaren geneigt war, obgleich die Liebe zum Wunderbaren der Jugend und dem Alter eigen ist, glaubte über kurz oder lang zum nähern Aufschlusse so mancher Dinge zu gelangen, deren Grund und Ungrund vergebens von den Philosophen nachgespürt worden. Der Anfang war durch den Orden der Verschwiegenheit und durch die Vocalgeschicklichkeit gemacht, vermittelst welcher letzteren er auf ein Haar zu bestimmen im Stande gewesen war, daß der Ritter früher als seine Gemahlin sterben würde, was man freilich auch ohne Vocal durch die Mütze ziemlich deutlich hätte herausbringen können. – Daß unser Ritter im Stufenjahre starb, versteht sich von selbst. Außer dem erzählten Traume fielen noch


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 330-332.
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Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
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