§. 132.


Zweite Vorhandlung.

[149] Geschichtserzählung.


Die beiden Häuser H– und O– hatten aus einer sehr geringfügigen Ursache einen bittern Haß auf einander geworfen, ihn beinahe[149] ein ganzes Jahrhundert unterhalten, und sich unmenschlich vorgesetzt, ihn auf ihre Nachkommen bis an das Ende der Tage fortzupflanzen. Graf Pold, aus dem Hause H–, war der einzige Sohn, von dem die Fortdauer seines Geschlechts abhing, und der als einziger. Zweig des gräflichen Hauses der Liebling seiner Eltern war. Außer der Sorge für die Erhaltung dieses Einzigen lag ihnen noch eine andere ob: für ihn eine Gemahlin zu erwählen, durch welche der alte Glanz der H– Familie gerades Weges auf die Nachwelt gebracht werden könnte. Fräulein Charlotte, die einzige Tochter und Erbin des O– Hauses, war nicht minder bestimmt, die Gemahlin eines Mannes zu werden, der ihrem Hause Ehre machen sollte, wodurch, wie man dafür hielt, das Glück des liebenswürdigen Fräuleins sich von selbst machen würde. Graf Pold und Charlotte wurden in der Residenz zwar in großer Entfernung von einander erzogen, hatten aber doch Gelegenheit, sich dann und wann zu sehen, nnd, trotz der Todfeindschaft der beiden väterlichen Häuser, sich sterblich liebzugewinnen. Es ist nicht das erstemal, dachten sie anfänglich, daß Familienzwiste durch eine Verbindung dieser Art beigelegt und auf immer gehoben worden sind. Je lieber sie sich hatten, desto weniger dachten sie an etwas anderes, als an sich; und selbst ihre todfeindlichen Familien störten die süßen Tage nicht, die sie durchlebten. Je fester sich dieses Paar verband, desto mehr wuchs die Feindschaft der Häuser ihrer Eltern, ohne daß man einmal ahnen konnte, ihre Kinder wären zärtlich gegen einander gesinnt. Unsere Liebenden schwuren sich ewige Treue, und nichts trübte die seligen Stunden ihres reinen Umgangs, als die Furcht, daß diese so unschuldigen Freuden des Lebens von ihren Eltern gestört und ihr so festes Band zerrissen werden könnte, sobald sie ihnen ihre Neigungen erklären und ihre Zustimmung und ihre Segnungen erbitten würden. Die Leiden in der Liebe haben einen besondern Reiz; und wenn man keine Leiden hat, thut man[150] nicht übel, sie sich zu machen. In der That, man kann in der Liebe durch zu großes Glück unglücklich seyn. – Der Verräther schläft nicht, und Unvorsichtigkeit ist eine Verwandtin auch der allerreinsten Liebe. Wenn gleich Pold und Charlotte von ihren geheimen Verständnissen ihren Eltern nichts eröffneten, so gab es doch so viele dienstfertige Federn, daß ihre Zuneigung ihren Eltern nicht lange ein Geheimniß blieb. Das gräfliche Haus H–, welches ohne Zweifel von der Zuneigung seines Sohnes am zuverlässigsten benachrichtigt seyn mochte, ließ sich so weit herab, das Haus O–, wiewohl durch die siebennndfünfzigste Hand (die sechsundfünfzigste hätte noch zu viel Freundschaft und Annäherung verrathen) zu warnen; und dieses fand für gut, die Warnung mit Hohngelächter durch die nämliche Hand zu erwiedern. Indeß schlossen beide Häuser, ohne ihre Kinder zu befragen, Bündnisse und forderten nach ihrem Ja und Amen ihre Kinder auf, das laut für sie gegebene Ja und Amen zu bekräftigen. Die gewöhnliche Art alter Häuser! Beide Familien waren so weit gegangen, daß sie Anmeldungsbriefe versandt hatten, die später in die Hände unserer Liebenden als der Verwandten und Bekannten beider hohen Häuser fielen. Erzieher und Erzieherinnen unserer Liebenden, die von den alten Häusern schon zuvor, wiewohl insgeheim, zur Rechenschaft ihrer Haushaltungen gezogen wurden, wußten die hohen Eltern aus Liebe zu ihren allerliebsten Kindern so geschickt einzuschläfern, daß man sie ihnen unbedenklich immer noch anvertraute. Jetzt war kein Augenblick zu verlieren. Graf Pold versicherte Charlotten, den Liebenden müsse alles zum Besten dienen; und zum größten Beweise, daß beide Häuser nicht wüßten, warum sie sich haßten, sympathisirten unsere beiden Liebenden so mit einander, daß Charlotte und Pold nur einen Verstand und einen Willen hatten. Auch hat die Schule des Plato noch immer ein Kämmerlein, welches die Natur sich vorbehält. Die Platonischen Unterhaltungen unserer[151] Liebenden wurden mit natürlichen Küssen gewürzt, und man dachte aus Ende (welches unserm trefflichen Paare nicht zu verdenken war), ohne von dem gefaßten Entschlusse die Erzieher und Erzieherinnen das mindeste merken zu lassen. Die so nothwendige Zurückhaltung schmerzte beide Liebenden, wenn sie gleich kein Mittel ausfindig zu machen wußten, sich ohne Gefahr entdecken zu können. Kurz, unser Paar nahm unter fremdem Namen die Flucht, die auch so glücklich einschlug, daß es ohne Hinderniß über die Grenze des Landes an einen Ort kam, wo, wie es glaubte, seine Verbindung nichts mehr behinderte. Der Platonismus verlangt durchaus Einsamkeit und Abstraction, die auf Reisen am wenigsten stattfinden können. Die Leidenschaft der Liebe hatte das Nachdenken und die Besorgnisse jetzt völlig zum Schweigen gebracht; und da dieß gemeinhin der Zustand ist, wo man sich so gern mehr verspricht als man leisten, und mehr zusichert als man halten kann: so war das Verlangen, sich ganz zu besitzen, unauslöschlich. – Unsere Liebenden gaben sich im Kloster die Hand: der Uebergabe des Herzens bedurfte es nicht. Sie leerten den Becher der Wollust mit einem Entzücken, das sich nicht beschreiben läßt. Liebe ist die Seele des Lebens; selbst die Weisheit scheint ihr untergeordnet zu seyn; und unser neues Paar wäre das glücklichste von der Welt gewesen, sobald es sich entschlossen hätte, die Vorzüge der Namen und des Standes aufzugeben und in der weitesten Entfernung von seinen Eltern durch Arbeit und Fleiß, bei einem anscheinend harten Schicksal, das reinste Erdenglück zu genießen, welches nur genossen werden kann, wenn der Liebe die Arbeit zugesellet wird. Zu diesem Nachdenken hatte unser Klosterpaar nicht Zeit, und es ward durch eine zu seine Erziehung daran verhindert. An eine bequemere Lebensart gewöhnt gerieth es in Schulden und in eine Verlegenheit, die den Eltern seinen Aufenthalt verrathen mußte. Den Gläubigern ist keine Thür zu stark, sie stürmen sie, und kein Weg zu weit, sie[152] schlagen ihn ein, um bezahlt zu werden; und je weniger sie die Bezahlung ihres Betrugs und Zinsenwuchers halber verdienen, desto unbescheidener dringen sie darauf. Es war besonders, daß jedes der feindseligen Häuser ohne Zustimmung des andern wirkte, und daß beide Häuser in ihren Gesinnungen und in ihren Wirkungen so zusammenstimmten, als hätten sie ihren Plan verabredet.

Schon würde die große Uebergewalt des Staats, den unsre Liebenden verlassen hatten, den Requisitionen wegen ihrer Auslieferung ein unwiderstehliches Gewicht beigelegt haben, wenn man sich auch nicht des niedrigen Kunstgriffs bedient hätte, fälschlich zu behaupten, daß diese unsre Unschuldigen sich wegen eines Criminalverbrechens auf flüchtigen Fuß gesetzt hätten. Sie wurden eingefangen, von ihren Gläubigern, die sie nicht befriedigen konnten, beschimpft und in eine Festung ihres Vaterlandes nach – – gebracht, wo sie abgesondert in enger Verwahrung sich befinden und hart verhört werden. Ihre Sache liegt fürchterlich. Entadelung, Zuchthaus und dergleichen harte Worte sind die Parolen, welche die Verhörer ausgeben. Und wenn gleich das Haus O– durch die Aufhebung der Ehe am meisten leiden würde, so scheint es doch eher den Schimpf einer entehrten Tochter ertragen als in ihr eine Gräfin H– anerkennen zu wollen. Man will Charlotten verstoßen und enterben und nach allen Kräften um körperliche Bestrasung des Grafen H– anhalten, die um so weniger ausbleiben wird, da die Landesherrschaft der Familie H– nicht gewogen ist, die Familie O– bei Hofe gilt und die Verbrechen des Fleisches im – Staat mit einer beispiellosen Strenge geahndet werden.

Es kommt bei dieser Sache auf die Vereinigung beider Häuser an, die der hochberühmte Rechtsfreund X– mit Zuziehung zweier Geistlichen und noch zweier Assistenten übernehmen will. Fürs erste sind die Schulden zu berichtigen, zu welcher die Flucht unser unglückliches Paar gebracht hat.


[153] Verlangen des Ordens.


Jene Schulden sind zu bezahlen, sowie der Rechtsfreund, die beiden Geistlichen und die beiden Assistenten durch Vorschuß und Belohnungsversicherung aufzumuntern, ein Werk zu Stande zu bringen, wodurch der Menschlichkeit und der Liebe ein Opfer gebracht wird. Die Gräfin und Nichtgräfin ist der Entbindung nahe und gefaßter als der Graf.

Unser Ritter war zu dieser Unterstützung um so williger als ihm Sophie einfiel. Kann ich wissen, ob die Einwilligung ihres vierten Gebots nicht auch von Schwierigkeiten der Trophoniushöhle abhängen wird? Fast schien es ihm, daß er durch dieses gute Werk diese Einwilligung verdienen, erleichtern und vorbereiten würde.

Würde das Trauerspiel Romeo und Julie bei den Familien H– und O– nicht mehr ausgerichtet haben als der Rechtsfreund, die zwei Geistlichen und andere Helfershelfer bis ins tausendste Glied? – Die


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 149-154.
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