§. 141.


Fräulein von Unbekannt

[204] ein Wesen höherer Art? eine Halb- oder Huldgöttin? Wird diese Liebe geistig bleiben? sich in Dunst wesenloser Dinge auflösen, und nie zu That und Wahrheit gelangen? sich bloß in die Kräfte der Seele, nicht aber in die des Körpers ergießen? Der Besuch Sophiens von Unbekannt in Rosenthal war in der That nicht bloß geistig. Sie sollte unsern Helden sehen und sich sehen lassen. Und warum Zurückhaltung? Die Erscheinung in Rosenthal war angelegt. – Die Nachbarschaft wußte in der That nichts mehr, nichts weniger, als was sie beichtete; und unserer Erschienenen ward die Rolle einer Ritterin vom Orden der Verschwiegenheit um so leichter, da auch sie die geheime Absicht derselben nicht kannte. – Der junge Cavalier, mit dem sie drei Viertelstunden sich unterhielt, war ihr weitläufiger Vetter. Er ward in diese Scene so wie Sophie verflochten, ohne den Zusammenhang zu wissen. Ist die gute Nachbarin durch geheime Einflüsse krank gewesen, so nahm Fräulein von Unbekannt an diesem Geheimnisse keinen Theil; und ihr Auflegen der Hände war eine gewöhnliche Art, durch dergleichen Händedruck den Kopfschmerz zu betäuben. – Diese Krankheit der Nachbarin konnte unserer Unbekannt nicht glücklicher und nicht unglücklicher kommen. Unschuldige, unbefangene Herzen sind schnell überwunden, sie widerstehen entweder gar nicht, ober so unbeholfen, daß, wenn nicht der geliebte Gegenstand (im Fall er nämlich in ebenderselben Lage ist), so doch alle Umstehenden gleich wissen, woran man mit ihnen ist. Fliehen ist in diesen Herzensnöthen das beste. Gewiß wäre unser Paar nicht beim A B C der Liebe[204] geblieben, wenn die Nachbarin nicht so plötzlich hätte aufbrechen müssen. – Daß Sophie von Unbekannt nicht von sich abhing, darf ich das bemerken? Sie hatte die Hauptrolle dieses Schauspiels, und spielte sie schön, ohne daß sie woher? und wohin? wußte. Ob der glückliche Erfolg dem im Verborgenen wirkenden Schöpfer dieses Werkes Freude gemacht? Allerdings; – doch leider nur auf eine kurze Zeit. Eben da er es vollenden wollte, begann der Ritter auf Ordenswegen seinen Kreuzzug nach Sophien. Ein Umstand, der den Schöpfer aus seinem ganzen Concept brachte. – Ob ihn sein Schauspiel gereute? Er hielt es für einen mißlungenen Kreuzzug; doch war er ein Welt- und Menschenkenner, der so leicht nichts aufgab, was er angelegt hatte. Wer wird Umständen seinen Plan aufopfern? Der Schöpfer glaubte den besten Theil zu ergreifen, wenn er Sophien abwechselnd in der Einsamkeit ihr Ideal verherrlichen ließ, um in der großen Welt, wohin er sie zuweilen brachte, sich desto mehr zu überzeugen, wie unerreichbar ihr Ideal sey. Auch gut, dachte er, daß der junge Mann kreuzzieht. Sein Hang zur Schwärmerei wird sich legen, wenn er der Sache näher tritt. Legt sich nicht durch nähere Bekanntschaft des angebeteten Gegenstandes alles? So und nicht anders bemühte sich unser weiser Schöpfer, Unglück zum Glück umzuformen. Wer wollte auch unterliegen und nicht das nagende Gift unangenehmer Vorfälle lieber schnell loszuwerden suchen, als es mit sich herumtragen? – Sehnsucht und Abwesenheit brachten bei Sophien von Unbekannt das Ideal zu einer Größe und Würde, daß es keinem in der Welt einfallen konnte, ihr hochgespanntes Verlangen könne von irgend einem Sterblichen, als ihrem Vielgeliebten, befriedigt werden. Auf diese Weise ist unser Ritter seinem Ziele näher, als wir glauben? So scheint es; doch schläft der Verräther? Unser Dreiviertelstundencavalier, der in dem angezettelten Schauspiel auf keine Weise den Liebhaber spielen sollte,[205] nahm sich die Freiheit, sich sterblich in Sophien von Unbekannt zu verlieben. In eine Verlobte? In diesem Lichte war freilich Sophie dem Schauspieler gezeigt; und eben dieses Licht machte, daß er seine Leidenschaft zu unterdrücken und sie in der tiefsten Dunkelheit zu lassen sich entschloß. Wie weit er es in dieser Stärke der Seele gebracht hatte, weiß ich nicht; doch weiß ich, daß die Don-Quichotterien des Ritters, den er (so weit war es gekommen) als seinen Nebenbuhler ansah, ihn von Tage zu Tage mehr aufmunterten. Wenn mehr als eine Leidenschaft in der Seele wüthet, verstärken sie sich unter einander. Furcht, Hoffnung, Neid und zügellose Liebe wechselten in unserm Cavalier und machten ihn so leidenschaftlich, daß auch die Liebe zu Sophien auf den höchsten Grad gestiegen war. – Er benutzte nicht nur die weitläuftige Verwandtschaft, wenn Sophie sich auf dem Lande befand, sondern auch ihren Aufenthalt in der Stadt, um sie zu gewinnen. – Alles schlug fehl. – So heftig er liebte, so sehr wußt' er sich zu verstellen. Er war Meister in dieser Kunst, und an Gelegenheit fehlt' es ihm nicht, sich durch Uebung weiter zu bringen. Der Liebesteufel, von dem der Eheteufel ein Verwandter ist, geht nicht umher, wie ein brüllen der Löwe, und suchet, welchen er verschlinge, sondern nimmt Gestalten an nach Herzenslust. Sophie von Unbekannt war viel zu edel, um Ausdrücke und Gefühle gegen einander abzuwägen, und unser Cavalier war viel zu listig und zu gekünstelt, um aufgedeckt zu spielen. Der Duldsamste schlägt in Flammen auf, wenn er überrascht wird, und es gibt kleine, unbemerkliche Fälle, wo man auch dem treuesten Herzen heimliches Gift beibringen und ihm den Freund seines Herzens allmählig verdächtig machen kann. So unser Cavalier. Um ein Ideal zu stürzen (das wußte unser Verräther wohl), muß man nicht Sturm laufen. – Er verstand, jedem Zeitpunkte und jedem Umstande, wenn beides noch so gesucht war, ein ungesuchtes Ansehen beizulegen,[206] um unsern A B C zu stürzen. – Ungefähre machen alles bei Haß und Liebe. – Auch thun hier Anspielungen, Einkleidungen und überhaupt feine Geburten der Erfindungskraft unendlich mehr als Worte. Je leiser und unschuldiger die Aeußerung ist, desto mehr wird gewonnen! Spielt nicht der Neid oft so allerliebst, daß dieß Laster für baare Tugend gilt, so wie die Tugend oft am meisten verkannt wird, wenn sie sich zur höchsten Stufe der Reinheit erhebt –? – Lächerlichkeit und Verschwendung waren außer der Vernachlässigung die Hauptkarten, die unser Cavalier ausspielte. Ein paar große Trümpfe! Sophie von Unbekannt war selbst eine Schwärmerin, und man sagt, alle Schwärmer und Schwärmerinnen verständen einander. Mit wie viel Kunst mußt' es also der Cavalier anlegen, unsern A B C lächerlich darzustellen! – Es gibt Menschen, die durch einen Zug den besten, edelsten Mann travestiren können; und unser Cavalier hatte diese Gabe, die er mit einer Feinheit anwandte, daß er auch hier Meister war. – Er war Mitglied geheimer Gesellschaften; und wer ist es nicht? – Dieß erleichterte seine Rolle. Zwar wußte er (zu unseres Ritters Glück) kein lebendiges Wort von Trophonius Höhle und wie nahe unser A B C hier der Verlobung mit einer Furie war; doch brachte ihn seine Dreistigkeit, die bis zur Unverschämtheit ging, außer Trophonius Höhle und der ehelustigen Furie auf tausend Dinge. – Je mehr Ideal, desto besser, um ein Ideal zu bekämpfen. – Die Verschwendung des Ritters unterstützte diese Vorstellungen. Zur Oekonomie bestimmt, mißfällt es jedem Mädchen, wenn der Liebhaber, außer der Grenze desselben, verschwendet; und freilich waren die Summen beträchtlich, die unser Ritter gebrauchte. Ist es Vernachlässigung, dachte Sophie von Unbekannt, wenn A B C die Welt durchzieht, ohne zum Ziele zu kommen? Weiß er, daß ich ihn liebe? Wird er nicht vielleicht so aufgehalten und ins Weite geführt, wie ich? Sucht er nicht seine Vielgeliebte,[207] wie ich den Vielgeliebten? Wie aber, ist er nicht Mann? Liegt es ihm nicht ob, den ersten Schritt zu thun und die Hindernisse zu brechen, die uns scheiden? Wenn das andere Geschlecht einmal vom Gedanken ergriffen wird, es werde vernachlässigt, vermuthet es immer das Aergste. – Unser Verräther vertrat diesen Weg gewiß nicht.

Sophie von Unbekannt, die sich im Stillen mit ihrem Vielgeliebten beschäftigte, hatte die Gewohnheit, zwei Bohnen in die Nähe zu setzen: eine war Sie, die andere Er. Werden sie sich umfassen? Werden sie sich scheiden? – So fragte sie vor sich; und Er entfernte sich jederzeit, um sich mit seinen Nachbarn zu verwickeln. Arme Sophie! Sie taufte zwei Blumentöpfe Er und Sie. Werden die Levkojen Knospen, Blätter, Blüthen gewinnen? Sie grünte und blühte: Er verdorrte. Die Schwärmerin that bei einer solchen Anpflanzung feurige Wünsche; sie faltete ihre Hände darüber und benetzte den Baum Er mit Thränen. Er war nicht zu halten; leider! starb Er immer dahin. – Und so ging es mit allem, was Er hieß. Wunderbares Ungefähr! Nicht doch! – der Gärtner war erkauft. Sein kleiner Jakob durfte die Namen bei der Taufe nicht etwa erwittern; Sophie, die ihn lieb hatte, war gewohnt, es ihm von selbst deutlich zu machen (er war freilich nicht Liebhaber, ein Freund, ein Bekannter, ein was weiß ich); und die Mühe, die der Vater des kleinen Jakobs sich gab, Ihn ausgehen zu lassen, ward reichlich belohnt. Darf ich sagen, von wem? Die Kammerzofe war sehr für Ihn; und als einst ihre Herrschaft der Verzweiflung näher als sonst war, bestand sie auf noch eine Probe. Da auch diese nicht minder fehlschlug, suche sie die Schwärmerin mit dem Gedanken zu beruhigen, daß es Schwärmerei wäre. Noch die beiden Nelkentöpfe. – Gut! Er und Sie wurden ausgesetzt. Anfänglich ließ es sich mit ihm herrlich an, weil der Gärtner nicht Gelegenheit hatte, seine Hand an Ihn zu legen; bald aber verdorrte auch dieser Er. Warum?[208] Der Gärtner wußte sich einzuschleichen und schnitt dem Nelkenstocke die Wurzeln ab. Wird der Zofe jetzt noch ein Ausweg übrig bleiben? Noch Einer! es mit zwei Bäumen zu versuchen! Armer Er, der du dem Gärtner so zur Hand bist! – Es ward dieser allerletzte Versuch genehmigt – der so gut wie verloren ist. – Und wird sich denn die Festung Unbekannt noch länger halten? Es ist die Frage. Man sagt, es sey jede, wenn nicht durch Sturm, so durch List zu überwinden. Wahrlich es ist alles zu fürchten! Der


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 204-209.
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