142. Meierhof

§. 142.


Meierhof,

[209] den Heraldicus junior vom Fräuleinsohne gekauft hatte, war in ein Museum verwandelt. Ganz hing der jetzige Eigenthümer seiner Philosophie nach; und wenn gleich seine eingeschlafenen Dienstleute zuweilen den Jakobinismus ihm nicht wohlfeilen Kaufs ließen, so glaubte er doch, daß es an den eingeschränkten Begriffen dieser Menschen läge, und daß, wenn sie aufgeklärter wären, sie auch in einem ganz andern Leben wandeln würden. Herr, stärke uns diesen Glauben! Wenn gleich Pastor Gamaliel in Betracht seiner Grundsätze mit ihm nicht in Gemeinschaft der Köpfe lebte, so besuchten sie sich doch zuweilen, und dann war des Streits kein Ende, so daß die sonst duldsame Pastorin zuweilen nicht ermangeln konnte, »Friede sey mit Euch!« den streitenden Parteien zu gebieten. Ein zu heftiger Streit im Pastorat hatte beide wirklich etwas entzweit, und Heraldicus junior blieb länger als gewöhnlich aus. Der Pastor hielt seine Grundsätze zu sehr in Ehren, um den ersten Versöhnungsschritt zu thun. Auf einmal fiel es dem Heraldicus junior ein, das Kreuz- und Ritterfest den zehnten Sonntag nach Trinitatis in der Rosenthalschen Kirche zu feiern. Die Ritterin besuchte[209] zwar nach dem Ableben ihres Gemahls an diesem Sonntage selten die Kirche; doch ward an demselben das ganze Pfarrhaus eingeladen. Man erinnerte sich mit Rührung des im himmlischen Jerusalem sich befindenden Ritters, so daß sein Sterbetag nicht mit mehr Andenken an Ihn gefeiert werden konnte. Heraldicus junior hatte im Schlosse freien Zutritt. Da er bei Gelegenheit dieses freien Zutritts ganz von ungefähr einen Blick auf Käthchen, die älteste Tochter des Pastors, warf, empfand er, trotz seines übermüthigen Freiheitsbaumes, die Folgen dieses Blicks so sehr, daß er wirklich gefangen war. Ohre Zweifel trug zu diesen Folgen der Umstand bei, daß Käthchen einen Freier hatte, dem sie nicht übel wollte, den aber der Vater, weil er das Unglück hatte kein Literatus zu seyn, ungern zum Schwiegersohn haben mochte. Warum? Weil er sich mit ihm nicht gelehrt zanken konnte. – Heraldicus junior war verliebt; und wenn gleich die Liebe immer dringend ist, mußte die seinige es nicht um so mehr seyn, da ein andrer Freier ihm zuvorgekommen war? Ob wohl oder übel? war nicht auszumachen; er konnte sich nicht entbrechen, den Pastor zu bitten, daß er den Zuschlag noch aussetzen möchte. Dieß ward ihm mit versöhntem Herzen verheißen. Bisher hatte sich Heraldicus junior oft in Gegenwart der Pastorin und Käthchens berühmt, auch in Hinsicht der Liebe würde sein Herz frei leben und sterben. Er mochte auch wirklich versucht haben, sich vor Blicken, deren Einer ihm heute so gefährlich ward, zu verwahren; aber sein Stündlein blieb nicht aus. Schon den andern Tag war Heraldicus junior wieder da. Es geht, fing er zu Gamalieln an, mit der Liebe, wie mit dem Blitz. Man trete immerhin auf elektrische Körper, man elektrisire sich sogar während des Gewitters – hilft es? Wahrlich nicht! Da glauben einige, das Geräusch der Welt zerstreue Liebesgedanken. Wahrlich kein Universalmittel! Wenn Kanonen abgeschossen und die Glocken geläutet werden, hilft es gegen Gewitter? Zuweilen freilich[210] werden hierdurch Gewitterwolken zerstreuet, zuweilen aber näher herbeigezogen. Ist das Herz zur Liebe reif, hat man den Gegenstand seiner Neigung auch nur in Gedanken gesehen: was helfen Zerstreuungen? Man will Zerstreuungen zerstreuen. – Der Donnerschirm der Freiheit? Ich hab' ihn in Segen gebraucht; jetzt sagt er mir seine Dienste auf. – Er hatte Käthchens Vater wohlbedächtig bloß um Aufschub gebeten, und der war ihm auch zugesichert. Um Aufschub –? Er glaubte es noch in seiner Gewalt zu haben, die Zerstörung seiner Freiheit abzuwenden; doch war der Freiheitsbaum so umgeworfen, daß er um das Ja bat, und es von Käthchen – nach vielen Kreuz- und Quer-Bedenklichkeiten – erhielt. Auch beim endlichen Ja schwebte ein Wölkchen der Schwermuth in ihren schönen schwarzen Augen, das sich – hoffentlich verziehen wird. Ihre Schwierigkeiten gossen Oel zum Feuer. Freund, sagte Gamaliel, es geht der Freiheit wie den meisten Dingen in der Welt: man erfindet nicht Sachen, sondern Wörter; und was hilft es, die Uhr durch Nachhülfe richtig zeigen und richtig schlagen zu lassen, wenn das Triebwerk verdorben ist –? Sie wissen, Herr Sohn, was Erbsünde und Sündenfall ist: Eingeschränktheit unserer Natur; und wenn der Mensch nicht durch übernatürliche Hülfe – – Wäre die Pastorin nicht ins Wort gefallen, es wäre ohne Zwist, den dießmal Gamaliel erhob, nicht abgegangen. Doch konnte der Schwiegervater nicht umhin nachzuholen, daß Freiheit für den denkenden Mann ein Geschenk des Himmels, für den gemeinen Haufen ein Dolch wäre, um allem, was beglückt und erfreut, das Leben zu nehmen. Muß es denn ein Freistaat seyn, wenn die Grundsteine des Rechts, der Vernunft, der Gerechtigkeit und der Glückseligkeit gelegt werden sollen? Eben so leicht will ich an die Existenz verwünschter Prinzessinnen und ihrer Entzauberung glauben, als mich überzeugen, daß alle unvermeidlichen, mit jeder Gesellschaft amalgamirten Bürden gebornen Oberen zur Last zu legen sind. Hätte[211] heute doch Gamaliel an meiner Stelle die Anekdote vom Freiheits-Herold Fox in England gelesen! Foxens Vater, Lord Schatzmeister, war Schuld an einem Defect von anderthalb Millionen Pfund Sterling. – Die Sache kam vor das Unterhaus. – Und die Auskunft des Sohnes? Fünfmalhunderttausend Pfund kommen auf meine Rechnung; mein Bruder wird mir nicht nachstehen, und ist für einen Lord Schatzmeister eine gleiche Summe wohl zu viel? Wahrlich! die Menschen müssen noch viel weiter fortrücken, nicht im Wissen, im Thun, wenn Freiheit ein Wort des Lebens zum Leben seyn soll, sagte der Pastor; und als ihn sein Schwiegersohn in die Enge treiben wollte, fügte er hinzu: Läßt sich nicht alles in ein System zwingen, wenn man List und Gewalt braucht, und nach der Philosophen Weise alles an Einen Nagel hängt, mit Einem Bande bindet? – Die Menschen wissen gemeinhin nicht, was sie wollen. Glauben Sie, Herr Sohn: Despotie ist leichter als Freiheit zu tragen. – –

Ob der Herr Sohn glaubte? Ich zweifle.

Nicht lange nach diesen Tagen hatte der Glaube des jungen Ehemannes mehr zu thun. Durch seine Ueberzeugung, daß in Dingen von weniger Bedeutung die Meinung des Schwächern und nicht des Stärkern durchgehen müsse, gewann Käthchen mit seinem guten Willen so zusehends die Obermacht, daß der Ehemann selbst das Band zusammenzog, um sich zu binden, und unser Freiheitsherold befindet sich nicht übel unter dem Pantoffeljoche seiner Gattin, hinreichend befriedigt, bloß gegen seinen Schwiegervater die Ehre der Freiheit behaupten zu können. – Wollen die meisten Menschen mehr als die Freiheit, von der Freiheit sprechen zu können? Man sagt, es gehören durchaus Fehler, wenn gleich nicht zu große, dazu, um eine Ehe glücklich zu machen. – Der Orden vom


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 209-212.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 1
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 2