§. 143.


Thal Josaphat

[212] hatte viel Aehnlichkeit mit den bekannten Orden zu la Trappe und dem Orden des heiligen Grabes; nur waren hierbei nicht die mindesten weltlichen Aussichten, vielmehr schien alles Seltene und Schwere aus den vier Hauptregeln des heiligen Basilius, des heiligen Augustinus, des heiligen Benedictus und des heiligen Franciscus in den Vorschriften dieses Ordens zusammengetragen zu seyn. Ein großer Trost für unsern aufgenommenen Helden war, daß bei jeder dieser Regeln dispensable stand, so daß am Ende nichts weiter übrig blieb, als:

Die Pflicht, sieben Stunden zu schlafen;

Zweimal sieben Stunden, es sey körperlich oder geistig, zu arbeiten und die übrige Zeit sich zu vergnügen;

Ein Tagebuch von jedem Tage seines Lebens in der Art zu halten, daß über Wachen und Schlafen ein besonderes Diarium geführt werde.

Das siebente Jahr war ein Erlaßjahr in Absicht der Tagebücher; dagegen sollten alsdann die geführten Tagebücher durchgegangen werden, um zu bemerken, ob und in wie weit der Wachsthum im Guten zugenommen habe. Man trug in der Versammlung ein härenes Hemde, aber wohl gemerkt, über dem Kleide. Der Orden gebot drei Tage in der Woche Wasser und Brod; aber nebenher konnte man sechs, auch mehr wohlgewählte Schüsseln und Weine genießen. Der Ritter bemerkt, daß kein Orden unter allen, die er erhalten, von A bis Z und von Z bis A, Mitglieder gehabt, die so herrlich und in Freuden zu leben gewohnt gewesen, wie die Mitglieder des Ordens vom Thal Josaphat. Michael selbst hatte bei aller Strenge seiner Grundsätze die[213] größeste Mühe von der Welt, sich der Verführung zur Unmäßigkeit zu erwehren. Auch ward in keinem Orden mehr geschlafen und weniger gearbeitet als hier. Dieß gab unserm Ritter und seinem Knappen zu vielen Bemerkungen Anlaß, wiewohl es füglich bei der einzigen Frage hätte bleiben können: Was kann Menschen bewegen, übermenschliche Dinge zu übernehmen? Nie müsse, sagte der Ritter, der Mensch einen Entschluß in einer traurigen Stimmung seines Gemüths fassen; nie müsse er eine Lebensweise für sein ganzes Leben erwählen, und nie einen Vorsatz, außer dem, Gutes zu thun, auf immer ergreifen. Zwar sey ein Entschluß, im Affekt genommen, gemeinhin kräftiger als einer bei Muthlosigkeit der Seele; doch sey ein durch Nachdenken zur Ruhe gebrachtes Gemüth allein im Stande, den Menschen richtig zu bestimmen, und diese Bestimmungen würden es nie darauf anlegen, die Natur zu überflügeln und sich Dinge zuzumuthen, die den Schein behaupteten und die Kräfte verläugneten. Da der Ritter indeß bei sich fest beschlossen hatte, nie die Menschen auf eine und dieselbe Art zu beurtheilen, indem viele von ihnen bei ganz verschiedenen Handlungen eine und dieselbe Absicht hätten, wogegen sie auch bei verschiedenen Triebfedern in ihren Handlungen völlig übereinstimmen könnten, so ward dem Thal-Josaphats-Orden, eben so wenig wie vielen andern Orden seines Gelichters, mit keiner Kritik zu nahe getreten. Wer nicht richtet, wird nicht gerichtet; wer nicht verdammt, wird nicht verdammt; wer gibt, dem wird gegeben. – Thut nur, als wisset ihr mehr und ihr werdet andere finden, die bei euch in die Schule kommen. Jede Meinung in der Welt, mochte sie noch so sehr in Kreuz und Quer seyn, fand ihre Jünger und Apostel. Ein Wort im Vertrauen, eine Hoffnungsaussicht macht Menschen, wenn nicht glücklich, so doch ruhig. – Der Mensch ist zum Experimentiren geboren. – Eine Beule am Kopf und am Herzen mehr oder minder – was schadet sie? Wagen gewinnt, wagen verliert. –[214] Eins der Hauptstücke des Ordensarcans schien zu seyn, Fruchtbarkeit bei beiden Geschlechtern zu befördern. Fruchtbarkeit im Ordenssinne; das heißt: den Kindern nicht nur Schönheit und Stärke des Leibes, sondern auch Schönheit und Stärke der Seele beizulegen, wovon indeß, leider! unser Held so wenig wie sein Knappe vorderhand Gebrauch machen konnte, da ihnen diese Rosen von Jericho und neben ihnen die bescheidenen Blumen Je länger je lieber noch nicht blühten. – Es käme, hieß es, auf Cultur des Ackers und guten Samen an; – und die Zeit wäre nahe, wo man auf wohl zugerichtetem Acker auf einmal viele große Seelen und starke Körper zum Vorschein bringen und auf die Erde setzen würde, die nicht bloß durch Systeme ein besseres Loos für die Menschen erschreiben oder (wie noch schwächere Menschen) es erhoffen, sondern alles erstreben würden! – Hosianna! Wenn dieses Ackerwerk und dieser gute Samen nicht vorausginge, was hülfen die besten Educationsanstalten? Eine geknickte Lilie begießen, von einem wurzellosen Baume Früchte fordern – wer kann das?

Die Ceremonien bei der Aufnahme waren bei Josaphat gar nicht verhängt. Ich könnte sie in Lebensgröße mittheilen und würde es, wenn man sich hier nicht wie gewöhnlich Ordensmühe gegeben hätte, Anlagen durch Göttermaschinerien und Episoden aufzustutzen. In den Thälern, sagte Michael, ist in der Regel weniger Licht als auf Bergen. Und die


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 212-215.
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