§. 147.


Tabor

[222] fand die Ritterin Mutter zu ihrer Zeit hohe und tiefe Winke. Unserm Ritter und seinem Knappen war Tabor, die Wahrheit zu gestehen, zu leicht und zu natürlich, um hier zu finden, was vielleicht wirklich, vielleicht bloß der Ritterin darin lag. Der Prediger widersprach seiner Gönnerin nicht, doch war ihm Tabor unbeträchtlich. – Er fand hier nicht Zeichen und Wunder. Tabor schien einer Art von christlicher Religion Vorschub zu leisten, die nicht[222] pastoral war. Eben der Voltaire, der sich die Freiheit nahm, zu sagen: Je ne suis pas Chrétien, mais c'est pour t'aimer mieux, versicherte einen Kapuziner, daß er nicht Genie und Stärke genug besäße, ein Trauerspiel aus Christi Leiden zu entwerfen.

Die Aufnahme war ohne alle Feierlichkeit. Alle Territionen fielen weg. – Eine sanfte Musik entzückte die Aufzunehmenden. Ihr Thema war: die Gottheit ehren heiße ihr gehorchen; ihre Macht erhebe sie über die Menschheit, – ihre Güte bringe sie zu uns. – Der Ritter muß bei so vielen Ordensmusiken, die er gehört, doch gestehen, nie eine dergleichen gehört zu haben; er glaubt, die Instrumentalmusik habe den verständlichen Gesang herausgebracht. – Jeder Ton hallte laut den Text im Innersten wieder.

Kein Hierophant, kein Demiurgus, ein schlichter Mann, etwa wie ein herrnhutscher Bischof, unterbrach diese Musik und fragte den Aufzunehmenden: ob er überzeugt wäre, daß nur ein Leidender ein großer Mensch sey, und daß die Menschheit sich nicht vollkommner zeigen könne, als wenn der Mensch seine ganze Stärke zusammennehme, um zu leiden, um sich selbst und seine Leiden zu überwältigen? Heißt seine Leiden überwinden nicht oft mehr als sich selbst überwinden?

Der Ritter betheuerte: ob er gleich bis jetzt wenig gelitten hätte, sey er doch überzeugt, daß Kreuz stähle, Freude erschlaffe und nichts Herzen und Seelen so an sich ziehe, als wenn man den Unschuldigen den guten Kampf kämpfen, ihn unverdient unterliegen oder die Palmen des Sieges tragen sehe.

Hierauf ward er mit Wasser und mit Feuer getauft. Wahrlich an Taufen hat es ihm nicht gefehlt, und schwerlich wird irgend jemand mehr als er getauft seyn. Wasser und Feuer, sagte der Täufer, sind Anfang und Ende der Dinge.

Daran, sagte der schlichte Mann (nach einer kleinen Stille), [223] wird man erkennen, daß Ihr meine Jünger seyd, so Ihr Liebe unter einander habt.

Er goß Wasser in das Becken, legte seine Kleider ab, nahm einen Schurz und umgürtete sich, wusch dem Neuaufzunehmenden die Füße, trocknete sie mit dem Schurz, womit er umgürtet war, und sprach: Ein Beispiel hab' ich Euch gegeben, daß Ihr thut, wie ich Euch gethan habe. Nach dieser Ceremonie ward er zum Altar geführt, wo er die Gelübde ablegte: Christo nachzufolgen, den wahren und nicht den Kirchenglauben zu bekennen, darauf zu leben und zu sterben, nicht seine, sondern Gottes Ehre zu bewirken und bei der Einfachheit und Lauterkeit der Lehre, die er angelobte, alles für Schaden zu achten und selbst den Vorzug, tausend und abermal tausend Gläubige um sich zu versammeln, gegen die Würde recht und richtig zu wandeln vor Gott und Menschen aufzuopfern, die Welt, er möge in ihr Angst oder Freude haben, zu überwinden, den weltlichen Fürsten die Herrschaft und den Oberherren die Gewalt zu überlassen, sich nicht zum Herrn, nicht zum Meister machen zu wollen, sondern zu wandeln wie es sich gebühre, bis das Stündlein komme und die Stimme erschalle: Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über weniges getreu gewesen, ich will dich über viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude!

Bei der Tafel gebot der schlichte Mann Andacht, und nun fing er an: Da sie aber saßen, nahm Jesus das Brod, dankete und brach's und gab's den Jüngern und sprach: Nehmet, esset, das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankete, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus, das ist mein Blut. Thut's zu meinem Gedächtniß. Hierauf aßen und tranken sie das Abendmahl.

Warum soll ich es bergen? Ich habe der Ritterin verheißen, diesem Orden näher nachzuspüren, der in meinen Nachrichten[224] Vorhänge hatte, ohne Vorhänge zu haben. Der Ritter hatte ihn, der Wasser- und Feuertaufe ungeachtet, ungetauft gefunden – und auf Tabor nach den göttlichen ausdrucksvollen Symphonien Kupferstiche von Erscheinungen vermuthet. – Doch war der Unterschied zwischen Christen und Christianern dem Ritter aufgefallen. – Es schien in diesem Orden nicht darauf anzukommen, was die Evangelisten, selbst Johannes nicht, am wenigsten die Apostel von Christo geschrieben hätten. Die Vernunft, hieß es, ist die Kritik, welche diese Erzählungen berichtigt, der man mit Recht die Infallibilität zuschreibt. Auch komme es sogar, sagte der schlichte Mann, nicht einmal darauf an, ob Christus wirklich in der Welt gewesen sey oder nicht, sondern nur auf Fingerzeige, die durch ihn der Welt zu einer sichtbaren Religion gegeben sind. – Eine sichtbare Vernunftreligion sey das, was man Offenbarung nenne. – Schwer schien es hier zu seyn zu binden und zu lösen; indeß behauptete man: auf den Leib komme es nicht an; doch sey der Geist des neuen Testaments leicht und faßlich. – Er ward arm geboren, machte sich stark zu Handarbeiten, ohne seinen heiligen Geist zu vernachlässigen, lehrte so überzeugend, daß kein nachdenkender Mensch widerstehen konnte, lebte seiner Lehre getreu, im Leiden erhaben; am Charfreitage ward er aus Kreuz geschlagen, zog nach seinem geglaubten Tobe Schüler aus den Volksklassen oder vollendete sie vielmehr (sie waren schon längstens nothdürftig ausgerüstet) und ging hin zum Vater am Himmelfahrtstage. – Alles dieß ward dargestellt. Die Feste, welche die Christenheit feiert, waren hier gereinigt und so geistig gerichtet, daß der Christ bei diesen Festen sich als Glied des Hauptes ansah, und die Feste, als ihn selbst angehend, mit feierte. Pastor äußerte, die Darstellungen der Katholiken wären weit herrlicher und feierlicher. Mit nichten, sagte die Ritterin. – Man beging im Tabororden sogar den Himmel feierlich, in welchen Christus nach den zeitlichen und leichten Leiden dieser Zeit sich[225] erhob. – Hätte dieser Himmel nicht, ohne daß man von der Ritterin ihre Perlen verlangen dürfen, Risse zum himmlischen Jerusalem abgeben können? Wie hat sich die Ritterin geändert? – – Man übersehe den Zeitpunkt nicht! zu ihrer Zeit.

Man sehnte sich, auf Tabor abzuscheiden und bei Christo zu seyn, allein man vergaß nicht, daß dieses Leben des Lebens werth sey, daß ein Reisender zwar sein Ziel nicht vergessen, indeß sich seine Reise so angenehm und nützlich machen müsse, als möglich u.s.w.

Finden Ew. Gnaden, sagte Michael zum Ritter, den Tabororden nicht in unsern Sonn- und Festiags-Evangelien, die ich bei Gamaliel in- und auswendig lernte?

Der Ritter schwieg, und dachte nach so vielen gekauften Perlen an Sophien, die Perle aller Perlen, derentwegen er alles wieder verkauft haben würde, wowider Michael, bis auf den Haufen Juwelen und Gold, dessen sein Herr so großmüthig sich begab, nichts hatte. Zwar mochte das Ideal, welches der Ritter am Busen trug, in dem Chorkleide einer regulirten Chorfrau des Ordens vom heiligen Grabe, ihm zu einiger Entschädigung dienen; doch fiel ihm bei reiferer Ueberlegung von Tage zu Tage mehr ein, daß Ideale in gewissen Fällen den Gegenstand in natura so wenig unentbehrlich machen, daß sie vielmehr Sehnsucht befördern, und daß Sophie gewiß das Ideal seines Ideals seyn würde, wobei Michael von wegen der Zofe ein ganz bereitwilliger Diener war.

Das Maß der Schnellkraft war erschöpft. – Sie hatten Kämpfe gekämpft, ohne sonderlich viel ersiegt zu haben. Fast mißmuthig reiseten sie aufs Land, ohne irgend jemanden den Ort ihres Aufenthalts anzuzeigen, um dort bei voller Ruhe des Gemüths Entschlüsse fassen zu können, die näher zum Ziele führten. Glücklich sey eure Reise! – Siebenmal sieben Stunden hatten sie mit Vorbereitungen zugebracht, als sie, noch nicht von dem Uebellaut ihres[226] Gemüths zurückgekommen, in einen benachbarten Wald gingen, und es war allerdings wunderbar, daß auch hier ihnen ein Abenteuer aufstieß. Sie sahen in einiger Entfernung eine menschliche Figur auf einem Baume sitzen, und zwar so, daß sie nur eben so hoch und so niedrig sich befand, um nicht übersehen und doch nicht ganz gesehen werden zu können. Das heilige Dunkel gab den weißen Haaren und der ganzen Existenz dieser Figur ein so ehrwürdiges Ansehen, daß, ungeachtet Ritter und Knappe den Entschluß genommen hatten, allem auszuweichen, was sie an der einzigen Perle (jeder hatte seine Einzige) hindern konnte, sie doch fast wider Willen zu diesem Baume gebracht wurden. Je näher sie ihm kamen, desto mehr bemühte sich der Einsiedler, sein Antlitz zu verbergen. Nur nach einer langen Weigerung, die sie natürlich desto hitziger machte, ließ er sich mit ihnen ein. Er war, nach seiner Angabe, die man freilich einem ehrwürdigen Einsiedler auf dem Baume glauben muß, durch Haß, Neid und Verfolgung und durch den Verlust der Seinen zur Weltentfernung gebracht, nachdem er lange hin und her geirrt und fast in allen heimlichen Gesellschaften Ruhe für seine Seele und Trost für sein Herz vergebens gesucht hatte. Endlich (es waren seine eigenen Worte) ward ich des Glückes gewürdigt, mit einem heiligen Einsiedler bekannt zu werden, bei welchem ich siebenmal sieben Jahre in der Lehre stand, bis dieser im 150sten Jahre die Welt segnete und mir den Schlüssel zu seinen Geheimnissen zurückließ! Er ruhe wohl! Unser ehrwürdiger Baumeinsiedler schloß mit diesem Schlüssel nicht nur die Schicksale, sondern auch die Gesinnungen unseres Ritters und seines Knappen auf. Alles und auch das wußt' er, was jeder vor dem andern bis jetzt verborgen hatte. Michael z.B. war in zu frohem Muthe, als das Capitel des Grabes zusammen war, einem Mädchen zu nahe gekommen. Der Ritter hatte an Johannes einen Brief geschrieben, worin er ihm[227] wiewohl verblümt, zu verstehen gegeben, er könne bis jetzt sich noch nicht zu den Vollendeten zählen. Nicht nur die Worte, auch den verborgenen Sinn dieser Stelle wußte der Einsiedler. Vorfälle dieser Art würden den Ritter, so wie seinen Knappen, ehedem sogleich mitgerissen haben; jetzt aber hatten beide auf ihren Wüstenreisen Kanaan fast völlig aufgegeben. – Eben waren Ritter und Knappe entschlossen, den Baumeinfiedler mir nichts dir nichts zu verlassen, als er ohne alle Veranlassung fragte: Was seyd Ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wollet Ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her wehet? (Diese Worte wiederholte der fromme Einsiedler zweimal.) Oder was seyd Ihr hinausgegangen zu sehen? Wollet Ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe! die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern. Oder was seyd Ihr hinausgegangen zu sehen? Wollet Ihr einen Propheten sehen? – Nichts von allem zu sehen, unterbrach ihn der Ritter, war unser Vorsatz. Du hast uns alles entdeckt, bis auf die Untreue, die Michael bei einem Haar an der Begleiterin beging, deren Bild er an seinem Busen trägt. Erlaube zu fragen, warum Du uns fragst, Du, der Du den höheren Beruf zu antworten hast? Kinder fragen, und Examinatoren, die gemeinhin Kinder am Verstande sind. Sokrates antwortete, indem er fragte; und sollte Dein Amt nicht wo nicht höher, so doch eben so hoch seyn, wie das Amt des Sokrates, der meines Wissens bei keinem einhundert und fünfzigjährigen Einsiedler in die Schule ging? Freilich, erwiederte der Baumeinsiedler, dank' ich es dem einhundert und fünfzigjährigen Alten, daß ich meinetwegen nicht Ursache zu fragen habe. Indeß so wie wir beten, nicht Gottes, andern unsertwegen, so frage auch ich nicht meinet-, sondern Euretwegen. Der Fragenlehrer, dessen Worte ich Euch ans Herz legte, wußte gar wohl die Gesinnungen seiner Befragten. Wohlan! da ich ein Glaubenssenfkorn bei Euch finde, will ich mir selbst antworten.[228] Vergebens habt Ihr auf den Ordenswegen Sophien und ihre Begleiterin gesucht; seyd, ich bitte Euch, kein Rohr, das der Wind hin und her wehet! – denket nicht Arges in Eurem Herzen. Ritter und Knappe sahen einander an. Arges? seufzten sie fragweise. Nicht anders, erwiederte der Einsiedler. Um sie nicht zu verlieren, sah er sich gedrungen, ihnen schnell ein paar Strahlen der Hoffnung zuzuwerfen. Entzückt segneten unsere Wanderer den Gedanken zu einer Resignationsreise; sie baten den Baumeinsiedler, sich herab zu bemühen, damit sie ihn in seine Hütte tragen und ihm einigermaßen ihre Dankbegierde beweisen könnten. – Er lächelte. – Ich bedarf, sagte er, Eurer Hülfe nicht; wohl aber freu' ich mich, Euch helfen zu können. Nach etwa drei Viertelstunden, die sie wanderten, kamen sie im dicksten Walde an eine Hütte, wo sie einen lieben Knaben fanden, den der Einsiedler für seinen Ururenkel ausgab, und der, so bald er sein Angesicht sah, sich seinen Segen erbat! Der Segensspruch war rührend. – Sie fanden eine Schüssel herrlicher Milch, die unseren Wanderern sehr wohl that, und nachdem sie sich auf eine niedere Grasbank gelagert, floß Honig von den Lippen des Einsiedlers, der sie völlig einnahm. Sollt' er es nicht, da er ihnen Sophien und ihre Begleiterin verhieß? – Wohlan! sagte er: ehe ich mich mit Euch weiter einlasse, sey ein Zeichen gestellt zwischen mir und Euch. Wenn dieß Opfer (es waren drei Töpfe, einer mit Basilikum, einer mit Raute und einer mit Salbey) zündet, seyd Ihr würdig weiter geführt zu werden. Der Ritter, sein Knappe und der Ururenkel trugen jeder einen Topf, und nachdem sie solche an einen Ort, wo die Sonne darauf scheinen konnte, gestellt hatten, sprach der Einsiedler einige ihnen unverständliche Worte und segnete die Staudengewächse. – Unsern Wanderern war es, als sähen sie einen Lichtcirkel um sein Haupt. Der Kleine, der allein beim Altar blieb, stürzte nach einiger Zeit mit der Nachricht unter sie: Es brennt! und fiel auf seine[229] Knie. Dieß thaten auch der Greis, der Ritter und sein Knappe. Sie gingen hin, fanden, wie das Kind gesagt hatte, und kehrten in die Hütte hocherfreut. Der Einsiedler bat sie, drei Tage bei ihm zu weilen – während welcher Zeit sie nichts als Milch und Semmel genossen. – Heil Euch! rief der Einsiedler, und schwieg. Wie lehrreich der Baumeinsiedler unsern Wanderern war, ist unaussprechlich. Er kam auf weltbürgerliche Ideen, und es thut mir leid, mich nicht in den Umständen zu befinden, wenigstens einen Theil seiner Prophezeiungen mittheilen zu können, die Europens Schicksal betreffen. Der Ritter hat sie auf sieben Bogen verzeichnet. Meine Verweigerung hat sehr wichtige Gründe. Einige Stellen sind dunkel. – (Ehre dem Ehre gebührt!) Vieles von diesen Prophezeiungen ist eingetroffen; viel ist, wie mich dünkt, der Erfüllung nahe, und der entfernte heilige Rest? – – – Kann man nicht prophezeien, ohne Prophet zu seyn? Prophezeiungen beurtheilen, heißt das viel mehr als Welt- und Menschenkenntniß besitzen? Der Weise (die Cabinette sind gemeinhin einseitig) hat die Fähigkeit, das Ganze zu übersehen, Ab- und Zugang zu berechnen und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit Dinge im politischen Fache zu verkündigen, die noch kommen sollen. – Doch ging es unserem Baumeinsiedler viel weiter. – Mehr erbaut, als je, gingen unsere Wanderer nach dem Orte zurück, wo sie eingekehrt waren, und nach den genauesten Erkundigungen, ob sich kein merkwürdiger Mann in dieser Gegend hervorthäte? und nach eingezogener Antwort, daß alles hier den gewöhnlichen Weg ginge, befolgten sie die Anordnung des Einsiedlers und eilten zurück in die Stadt, um so lange sich still zu halten, bis sie den heiligen Wink zu ihrem Pfingsttage spüren würden, den ihnen der Einsiedler verheißen hatte. Unterwegs, als sie ihr Ordensschicksal aufs neue überdachten, behagte es ihnen nicht völlig, daß sie einen neuen Ordenskreislauf anfangen sollten; doch beruhigte sie die herrliche[230] Aussicht, Sophien und ihre Begleiterin zu finden, und hierdurch nicht nur wegen des neuen, sondern auch wegen des alten und ihres ganzen Ordenslaufs entschädigt zu werden. Voll Neugierde, ob ihnen dieser Wink nicht durch Feuer vom Himmel gegeben werden würde, welches die drei Töpfe mit Raute, Basilikum und Salbey zum Theil verzehrte, war nichts vermögend, ihre Andacht zu stören, als der Hunger, dem man schon sonst manche Erstgeburten von herrlichen Entwürfen aufgeopfert hat. Kurz vor der Stadt schickte der Ritter den Reiknecht voraus, um den Wanderern ein Mahl zu bereiten, die, wenn sie gleich von der Milch und dem Honig des Einsiedlers äußerst gesättigt waren, doch den Werth einer Fleischmahlzeit nicht verkannten. Wenn wir, dachten Ritter und Knappe, Sophien und die Zofe haben, sey Baumeinsiedler, wer Milch- und Honigmagen hat, und es seyn kann und will. An dem Resignationsorte fanden sie den freundlichsten Wirth und einen gedeckten Tisch; indeß erlaubten sie sich nicht, zu verweilen. Wußten sie, wann der Wink kommen würde? Auch wollte der Ritter seine Lust zu Aegyptens Fleischtöpfen an keinem dem Einsiedler so nahen Orte beweisen. Der Magenhunger und Durst hatte den Hunger und Durst nach Sophien und der Zofe fast überwältigt. Lüstern auf ein anlockendes Fleischmahl, wollte der Ritter zu Tische gehen, als ihn, er wußte selbst nicht was, zu seinem Geheimkästchen zog, wovon er den Schlüssel so wenig als das Porträt seiner Geliebten ablegte. Er schloß auf, und oben darauf lagen folgende Zeilen:

Nach drei Stunden von dem Augenblick, da Du dieses liesest, gehe hin (hier war der Ort bestimmt), und bitte um Deine Aufnahme in einen Orden, der geistig und leiblich Dich segnen wird. Noch fügt seinen Segen hinzu der Einsiedler vom Baume.

Natürlich verdarb dieser Wink dem Ritter die Mahlzeit, obschon sein Knappe, den er sogleich von der Erfüllung des Einsiedlers unterrichtet hatte, sich es wohl schmecken ließ. Es war eitel leidige[231] Freude, die dem Ritter das Essen verdarb. Darf ich sagen daß er nicht verfehlte, auf die Minute die Anweisung zu befolgen? Er fand an Ort und Stelle einen äußerst einfachen, violett gekleideten alten Mann, der ihm mit den Worten zueilte: Komm herein, du Gesegneter des Herrn! warum stehst du draußen? Eben dachte ich dein vor dem Herrn in meinem Gebete. Heil dir! ich bin erhört, ehe das Amen von meinen Lippen fiel. Segne den Augenblick, da du gewürdiget warst, zu den Auserwählten zu gehören, die die Welt nicht kennet! Halleluja!

Nach diesem Hymnus, womit der Alte den Ritter in gewisser Art überfiel, ließ er sich ein feierliches Versprechen geben, ihm auf seine Fragen treu und redlich zu antworten.

Der Ritter mußte ihm seinen Lebenslauf erzählen, und vorzüglich schien der Alte wissen zu wollen, ob ihm außer Ordensgrenzen je etwas erschienen und sonst ein Wunder begegnet sey, und ob er Menschen kenne, denen außer Ordensgrenzen etwas Wunderbares und Unerklärliches auf Kreuz- und Querzügen zugestoßen wäre? Der Ritter durfte sein Gedächtniß nicht anstrengen, um den violetten Herrn zu versichern, daß er außer den Orden nicht das allermindeste Wunderbare erfahren hätte, außer daß in einer Dämmerung, die sein Vater gehalten, ein Blitz gefallen, ein heftiger Knall gefolgt, und plötzlich die Thür aufgeflogen – Grauen und Entsetzen wäre allen angekommen, seine Mutter nicht ausgenommen, deren Gewissen gewiß und wahrhaftig in der Wahrheit bestände. Jedes, fuhr er fort, faltete die Hände, und schlich ohne Amen nach etwa dreimal neun Minuten sinnloser Betäubung davon. Ich entfaltete zuerst meine Hände und zog die aufgesprungene Flügelthür leise zu. Nach dieser vollbrachten That umarmten Vater und Mutter mich herzlich, doch verhüllte diesen Vorfall ein heiliges Dunkel. Es kam mir vor, daß man ihm mühsam auswich, um auch nicht einmal daran zu[232] denken. Der Ursache dieses Blitz-, Knall- und Thürvorfalls ist meines Wissens nicht im mindesten nachgespürt, und er ist unerforscht geblieben bis auf den heutigen Tag.

Ob nun gleich der Bruder Präparateur unserm Ritter unendlich größere Ordenswunder präambulirte, so schien dem violetten Manne doch dieser Vorfall äußerst wichtig, wenigstens weit wichtiger, als alles, was er selbst erzählte. – Zwar fiel dieser Umstand unserem Ritter auf, doch hatte er keine Zeit, sich ihn zu entwickeln. – Mit vieler Feierlichkeit verpflichtete der violette Mann unsern Ritter, sogleich nach Rosenthal zu schreiben und diesen Vorfall, der bis auf den heutigen Tag unerforscht geblieben, durch ein gerichtliches Protokoll zu bekräftigen. Ihre Mutter, fügte er hinzu, wird kein Bedenken finden, sich gerichtlich vernehmen zu lassen. Der Präparaten erkundigte sich nach des Ritters Mutter bis auf Kleinigkeiten und auf Umstände, die mit den Ordensangelegenheiten gar nicht in Verhältniß standen. – Der Tag der Aufnahme konnte noch nicht bestimmt werden. Nach der Versicherung, daß Michael unbedenklich dienender Bruder werden sollte, entfernte sich der Ritter, um bei seiner Mutter, was er versprochen hatte, getreulich auszurichten Nach drei Tagen fand er in eben dem Kästchen eine neue Einladung, was konnte er mehr, als sie ehren und befolgen?

Es kam ein anderer violetter Mann ihm entgegen, der nach dem geforderten und empfangenen Versprechen, die reinste Wahrheit seines Herzens zu entdecken, nichts weiter zu wissen begehrte, als was er von dem neuen Orden hoffe? Der Ritter hatte keinen Hehl, außer den geistlichen Gaben auch leibliche zu wünschen, nämlich durch Sophien beglückt zu werden. Ohne sich auf Verheißungen mit dem Ritter einzulassen, ließ der Mann mehr als Schimmerlicht von Aussicht auf ihn fallen, womit sich der Ritter begnügte. Noch hörte der Ritter eine Ordenswahrheit, die er[233] schon oft gehört hatte: Die Natur erreicht nur allmählig ihren Endzweck, so auch der Orden, der so langsam als sicher die gefaßte Hoffnung übertrifft und zur Erfüllung seiner Zusagen und Nichtzusagen bringt.

Jetzt ward dem Ritter eröffnet, sich von heute über drei Tagen wieder einzufinden. Er erschien und fand einen Mann, in den er sich gar nicht finden konnte, – der Engländer schimmerte überall durch. Nichts interessirte ihn als die Mutter des Ritters, nach der er unablässig sich erkundigte. Er umarmte den Ritter einigemale unerklärlich und drückte ihn an sein Herz. Sie haben die beste Mutter, sagte er, die auf Gottes Welt ist. Kaum hatte der Engländer Zeit zu versichern: »was ich vermag, soll Ihnen im Orden zu Theil werden,« um nur wieder bei der besten Mutter sich zu verweilen. Die Geschichte Sophiens von Unbekannt, die ihm der Ritter umständlich erzählen mußte, schien ihm innige Freude zu machen, als wenn er sich über ein leichtes Mittel freuete, um einen großen Zweck zu erreichen.

Nach diesem Vorbereitungsgeschäfte, welches sich hiermit schloß, sollte dem Ritter die Bestimmung des Tages in die Hand fallen. Sie fiel ihm wirklich in die Hand, denn er fand sie oben auf seinen Papieren, – die er verschlossen hielt. Es war vom Tage der letzten Unterredung der zwölfte Tag. Die Zahl war ihm neu, doch hatte sie eine gegründete Bedeutung. Der Orden, dem er sich widmen wollte, hieß der


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 222-234.
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